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Der Meister von Ulm
Neue Zürcher Zeitung

Eine Monographie über Max Bill als Architekt

19. August 2004 - Martino Stierli
Als Hauptvertreter der konkreten Kunst braucht Max Bill zumindest in der Schweiz nicht weiter vorgestellt zu werden. Oft vergessen geht jedoch, dass der Künstler sich im Zürcher Telefonbuch offiziell als Architekt bezeichnete und dass er ein beträchtliches architektonisches OEuvre aufweisen kann, in dem die Ulmer Hochschule für Gestaltung oder die Bauten für die Expo 64 in Lausanne lediglich die prominentesten Beispiele darstellen. Die verbreitete Unkenntnis von Bills architektonischem Schaffen hängt zweifellos damit zusammen, dass eine umfassende Werkmonographie zur Architektur des 1994 Verstorbenen nach wie vor auf sich warten lässt.

Umfassender Überblick

Diese Lücke wenigstens partiell zu füllen, ist das erklärte Ziel der von der Zürcher Kunsthistorikerin Karin Gimmi herausgegebenen Doppelnummer der spanischen Zeitschrift „2G“. Zwar kann und will auch der vorliegende, optisch sehr ansprechend aufgemachte Band keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben; unter den zahlreichen vorgestellten Projekten und umgesetzten Bauten findet sich jedoch eine Reihe bisher nicht veröffentlichter Werke, die besonders das Interesse jener Leser wecken dürften, die mit Bills Arbeiten schon einigermassen vertraut sind. Neben der erstmaligen Präsentation verschiedener Projekte ist es ein wichtiges Verdienst der zweisprachigen, in Spanisch und Englisch erschienenen Publikation, das (zu) wenig bekannte architektonische Werk einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Dass die bis heute umfassendste Überblicksdarstellung zu Bills Architektur in einem spanischen Verlag erscheint, ist wohl als glücklicher Zufall der Rezeption zu werten, konnte doch die Ausstellung „Suiza constructiva“ von 2003 im Madrider Centro de Arte Reina Sofía ein reges Interesse an der konkreten und konstruktiven Kunst der Schweiz belegen.
Den Hauptteil der Zeitschrift nimmt das chronologisch geordnete, kommentierte und reich mit Skizzen, Plänen sowie historischen und zeitgenössischen Fotografien bebilderte Werkverzeichnis ein. Es beginnt mit zwei Skizzen für die Schweizerische Landesbibliothek in Bern aus dem Jahr 1927 - Bill weilte zu diesem Zeitpunkt vorübergehend am Bauhaus in Dessau, eine für den jungen Schweizer zeitlebens prägende Erfahrung - und führt mit den späten Pavillonskulpturen bis zum Todesjahr des Künstlerarchitekten, ja gar darüber hinaus. Damit wird praktisch der gesamte Zeitraum von Bills produktiver Phase abgedeckt. Unter den historischen Abbildungen finden sich einige bisher nie gesehene Fundstücke, während die aktuellen Aufnahmen Georg Aernis die Architektur von Bill im Sinne fotografischer Essays schön ins Bild fassen, was insbesondere auch für die sensible Annäherung des Fotografen an die Pavillonskulpturen gilt.

Zwischen Urhütte und Vorfertigung

Eingeleitet wird der Band von vier Aufsätzen ausgewiesener Bill-Kenner, die den theoretischen und historischen Hintergrund zum Werk des Zürchers unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchten. Stanislaus von Moos betrachtet Bills Verwurzelung in der architektonischen Kultur der Nachkriegszeit unter dem Aspekt einer Suche nach der „Urhütte“ und zeigt die vielfältigen Bezüge zwischen Bills Architektur und seiner Skulptur, aber auch zu wichtigen künstlerischen Tendenzen der Zeit auf (Stichwort Minimal Art). Sodann befragt Hans Frei Bills Werk als „Transversale“ zwischen den Polen von Funktionalität und Ästhetik und ordnet es im Kontext des philosophischen Pragmatismus ein. Karin Gimmi nimmt sich des Ausstellungskünstlers Bill an und interpretiert einige von ihm gestaltete Ausstellungen als Spielfelder für städtebauliche Aufgaben - eine Domäne, die dem Architekten praktisch zeitlebens verschlossen blieb. Arthur Rüegg schliesslich zeichnet an drei ausgewählten Bauten die Genese einer Ästhetik der Vorfertigung nach und skizziert damit eine Differenz zwischen Architektur und blosser Konstruktion. Ergänzt werden diese theoretischen Positionen und der Werkkatalog durch einen Beitrag Jakob Bills zu den Pavillonskulpturen seines Vaters, den erwähnten Fotoessay Aernis zum gleichen Thema, eine Biografie sowie eine Auswahl an programmatischen Texten von Max Bill selbst. Vergebens sucht man hingegen nach einem aktuellen Literaturverzeichnis, das vom kunstwissenschaftlichen Standpunkt aus gerade im Wissen um den Forschungsstand und im Sinne des an die Publikation selbst gestellten Anspruchs wünschenswert gewesen wäre.

Mit den gesetzten thematischen Schwerpunkten verfolgen die Herausgeberin und die Autoren der einzelnen Textbeiträge eine betont weite Auffassung von Architektur, indem sie bisweilen die verschiedenen Facetten Bills als Grafiker, Ausstellungsmacher oder Bildhauer in den Vordergrund rücken. Dieses Vorgehen mag auf den ersten Blick diskutabel erscheinen; es wird jedoch gerechtfertigt dadurch, dass der Architekt Max Bill kaum verstanden werden kann ohne die Kenntnis seiner anderen künstlerischen Aktivitäten, ja dass diese, wie die Autoren in ihren Beiträgen überzeugend darlegen, ohne das Selbstverständnis Bills als Architekt in dieser Form kaum möglich gewesen wären. Erinnert sei hier nur an die eminent architektonische Dimension der Pavillonskulpturen. Somit resümiert der Band wichtige Forschungsergebnisse und stellt neue Erkenntnisse zur Diskussion, ohne aber durch den Anspruch an Wissenschaftlichkeit den optischen Genuss ausser acht zu lassen.

[ Max Bill Arquitecto/Architect (2G, Nr. 29/30). Hrsg. Karin Gimmi. Editorial Gustavo Gili, Barcelona 2004. 276 S., Fr. 86.-. ]

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