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Herr Architekt sind Sie Gott?
Was ist ein Architekt? Was soll er sein? Heilsbringer, Zyniker, Machtmensch mit Soutane? Es wird Zeit, das Gespür für Realität und Verantwortung zu schärfen.
7. Januar 2006 - Walter Zschokke
Herr Architekt, sind Sie Gott?", eröffnete kürzlich ein Journalist sein Gespräch mit dem international erfolgreichen Baukünstler. Als am Rande prinzipiell Betroffener fragt man sich natürlich, was für ein Bild vom Wesen eines Architekten im Kopf des Journalisten existieren muss. Denn er fragte nicht: „Halten Sie sich für Gott?“, auch nicht: „Sind Sie ein Gott?“, sondern absolut: „Sind Sie Gott?“. Gewiss, die Frage war hintersinnig zugespitzt, um mit einem starken Einstieg zu beginnen. Doch schoss er damit über das Ziel hinaus, und der Architekt - bekannt dafür, dass er auch auf dumme Fragen intelligente Antworten zu geben weiß - parierte: „Was soll diese Frage?“ und hätte das Gespräch abgebrochen, wenn seitens des Journalisten nicht zivile Vernunft eingekehrt wäre.
Doch lösen wir uns von diesem Disput und kommen zurück zum Bild des Architekten, das zwar ein gutes Stück weit Projektion sein mag, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern ebenso Selbstbild ist, genauer, das Produkt bewusster oder unbewusster Selbststilisierung sein dürfte. Dass diese Problematik nicht besonders neu ist, führt uns Ibsen anhand seines „Baumeister Solness“ vor. Und zahlreiche Architektenlebensläufe belegen es, seit sie - mit Beginn der Renaissance - historisch fassbar werden.
Es sind nicht nur die komplexe Aufgabe, die fachliche Kompetenz, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen, in ihren Disziplinen ebenso kompetenten Spezialisten und Handwerkern sowie nicht zuletzt das Gewicht der gesammelten Erfahrung, die an den Architektenberuf den hohen Anspruch stellen und die das gesellschaftliche Ansehen bescheren, das beim leisesten Nichtgenügen in pauschale Verurteilung umschlägt. Eine entscheidende Komponente bildet die Bereitschaft, große Aufgaben anzugehen, bis in die Details vorauszudenken und in der Folge auch zu bewältigen, denn ein Scheitern unterwegs wird sich keine Bauherrschaft leisten wollen.
Als Schlüsselfigur im Projektierungs- und Ausführungsprozess für ein anspruchsvolles Bauwerk gelangt der Architekt - und auch die Architektin - in eine faktische Machtposition, die zu verneinen entweder naiv oder unehrlich wäre. Die überzogene, eingangs kolportierte Gretchenfrage des Journalisten hätte daher nicht nach der unbeantwortbaren Selbstpositionierung im religiösen Überbau zielen sollen, sondern offener und direkter lauten: „Wie halten Sie es mit der Macht, Herr Architekt, und wie verhalten Sie sich zu anderen Mächtigen?“ Damit würde die Frage nach der Wahrnehmung der in einer Demokratie selbstverständlichen gesellschaftlichen Verantwortung der Macht gestellt, denn hier scheint einiges an Konfliktpotenzial zu liegen.
Noch Le Corbusier, dem man alles Mögliche nachsagt, sehnte sich nach einem Herrscher vom Schlage des königlichen Ministers Jean-Baptiste Colbert (1619 bis 1683), weil er sich für seine radikalen, durchaus totalitär anmutenden Großprojekte von neofeudalen Verhältnissen größere Realisierungschancen erhoffte. Es erstaunt daher wenig, dass er sich nicht zu schade war, zu diesem Zweck monatelang bei der Regierung in Vichy zu antichambrieren.
Es mag eine Binsenwahrheit sein, aber Macht macht transparent. Nicht nur zeigt sich der Charakter eines Menschen selten deutlicher als im Umgang mit Untergebenen und Abhängigen sowie umgekehrt im Verhalten gegenüber vermeintlich und wirklich Mächtigen. Vielmehr wird sich der Ruf der gesamten Berufsgruppe daran messen, wie frei und unabhängig, aber zugleich wie verantwortungsbewusst in Hinblick auf Aufgabe und Gesellschaft seine Mitglieder zu handeln und auch auf unlautere Optionen zu verzichten wissen. Denn nicht nur in der Politik, auch in der Architektur heiligt der Zweck die Mittel nicht.
Die gesellschaftliche Verantwortung der Architekten betonte bereits Vitruv, und seither wurde sie immer wieder beschworen. Aus dem Dienst an der und für die Gesellschaft, erbracht von Menschen, die sich ihr zugehörig fühlen, wird jedoch mit zunehmender äußerer und innerer Idealisierung eine abgehobene Angelegenheit. In der Folge legten sich nicht wenige Architekten den äußeren Habitus eines über der Gesellschaft schwebenden Heilsbringers zu. Oft genug glauben sie bald selber daran und verlieren jede Bodenhaftung, was dann in mehr als widersprüchlichem Verhalten zum Ausdruck kommt, sodass man sich jeweils fragt: „Ja merken die das denn nicht?“
Manchen der medial und auch anderswie umschmeichelten Großarchitekten möchte man deshalb eine/n Studierende/n der Architektur aus dem ersten Semester einen halben Schritt dahinterstellen, die ihm - wie einst den Cäsaren - immer wieder zuflüstern müssten: „Bedenke, dass du sterblich bist.“
Das angemaßte Image des Heilsbringers hat sich seine eigenen äußerlichen Zeichen geschaffen, das sich in priesterlichem Gehabe und schwarzer Kleidung ausdrückt und mittlerweile selbst von planenden Baumeistern nachgeahmt wird. Wäre es da nicht an der Zeit, sich nicht etwa eine neuartige Soutane einfallen zu lassen, sondern sich schlicht normal zu kleiden? Um das Gespür für gesellschaftliche Realitäten wiederzugewinnen, gälte es, ohne berufliche Hintergedanken, ausreichend Beziehungen hinein in einen Alltag zu entwickeln, der nicht bloß mit Architektur zu tun hat, und sich auf ein Aktivitätsfeld zu trauen, auf dem keine Machtpositionen einzunehmen, zu gewinnen oder zu verteidigen sind.
Was die Architektur betrifft, sollte der ehrliche Wettbewerb im Vordergrund stehen. Er dient nicht bloß dazu, eine optimale Lösung für eine bestimmte Bauaufgabe in einem konkreten städtebaulichen Kontext zu finden. Jungen Berufsleuten bietet er die Chance, sich mit Aufgaben projektierend zu befassen, für die sie nicht so schnell einen Auftrag erhalten werden. Die Teilnahme an Wettbewerben dient daher wesentlich der Selbst- und Weiterbildung. Dass das auf die Dauer für ein kleines Büro nicht finanzierbar ist und in größeren diese Nebenbedeutung meist verpufft, ist eine Krux, wofür zurzeit weder Vergaberichtlinien noch eine Wettbewerbsordnung einen Ausweg anbieten.
Ältere Berufsleute könnten die Teilnahme an Wettbewerben als Möglichkeit zur Selbstkontrolle sehen, wenn sie denn bereit sind, nach einem für sie negativen Juryentscheid genügend Distanz zu finden, und den eigenen Fehlern gegenüber nicht blind bleiben. Eine sorgfältige und gerechte Beurteilung durch die jurierenden Kollegen allerdings vorausgesetzt.
In der alltäglichen Berufspraxis gilt es hingegen, sich die Fähigkeit und das Engagement für das Große wie für das Kleine zu bewahren, die Frage der Angemessenheit immer wieder aufs Neue zu stellen und sich bewusst zu bleiben, dass ein Zyniker nicht zugleich ein guter Architekt sein kann.
Doch lösen wir uns von diesem Disput und kommen zurück zum Bild des Architekten, das zwar ein gutes Stück weit Projektion sein mag, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern ebenso Selbstbild ist, genauer, das Produkt bewusster oder unbewusster Selbststilisierung sein dürfte. Dass diese Problematik nicht besonders neu ist, führt uns Ibsen anhand seines „Baumeister Solness“ vor. Und zahlreiche Architektenlebensläufe belegen es, seit sie - mit Beginn der Renaissance - historisch fassbar werden.
Es sind nicht nur die komplexe Aufgabe, die fachliche Kompetenz, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen, in ihren Disziplinen ebenso kompetenten Spezialisten und Handwerkern sowie nicht zuletzt das Gewicht der gesammelten Erfahrung, die an den Architektenberuf den hohen Anspruch stellen und die das gesellschaftliche Ansehen bescheren, das beim leisesten Nichtgenügen in pauschale Verurteilung umschlägt. Eine entscheidende Komponente bildet die Bereitschaft, große Aufgaben anzugehen, bis in die Details vorauszudenken und in der Folge auch zu bewältigen, denn ein Scheitern unterwegs wird sich keine Bauherrschaft leisten wollen.
Als Schlüsselfigur im Projektierungs- und Ausführungsprozess für ein anspruchsvolles Bauwerk gelangt der Architekt - und auch die Architektin - in eine faktische Machtposition, die zu verneinen entweder naiv oder unehrlich wäre. Die überzogene, eingangs kolportierte Gretchenfrage des Journalisten hätte daher nicht nach der unbeantwortbaren Selbstpositionierung im religiösen Überbau zielen sollen, sondern offener und direkter lauten: „Wie halten Sie es mit der Macht, Herr Architekt, und wie verhalten Sie sich zu anderen Mächtigen?“ Damit würde die Frage nach der Wahrnehmung der in einer Demokratie selbstverständlichen gesellschaftlichen Verantwortung der Macht gestellt, denn hier scheint einiges an Konfliktpotenzial zu liegen.
Noch Le Corbusier, dem man alles Mögliche nachsagt, sehnte sich nach einem Herrscher vom Schlage des königlichen Ministers Jean-Baptiste Colbert (1619 bis 1683), weil er sich für seine radikalen, durchaus totalitär anmutenden Großprojekte von neofeudalen Verhältnissen größere Realisierungschancen erhoffte. Es erstaunt daher wenig, dass er sich nicht zu schade war, zu diesem Zweck monatelang bei der Regierung in Vichy zu antichambrieren.
Es mag eine Binsenwahrheit sein, aber Macht macht transparent. Nicht nur zeigt sich der Charakter eines Menschen selten deutlicher als im Umgang mit Untergebenen und Abhängigen sowie umgekehrt im Verhalten gegenüber vermeintlich und wirklich Mächtigen. Vielmehr wird sich der Ruf der gesamten Berufsgruppe daran messen, wie frei und unabhängig, aber zugleich wie verantwortungsbewusst in Hinblick auf Aufgabe und Gesellschaft seine Mitglieder zu handeln und auch auf unlautere Optionen zu verzichten wissen. Denn nicht nur in der Politik, auch in der Architektur heiligt der Zweck die Mittel nicht.
Die gesellschaftliche Verantwortung der Architekten betonte bereits Vitruv, und seither wurde sie immer wieder beschworen. Aus dem Dienst an der und für die Gesellschaft, erbracht von Menschen, die sich ihr zugehörig fühlen, wird jedoch mit zunehmender äußerer und innerer Idealisierung eine abgehobene Angelegenheit. In der Folge legten sich nicht wenige Architekten den äußeren Habitus eines über der Gesellschaft schwebenden Heilsbringers zu. Oft genug glauben sie bald selber daran und verlieren jede Bodenhaftung, was dann in mehr als widersprüchlichem Verhalten zum Ausdruck kommt, sodass man sich jeweils fragt: „Ja merken die das denn nicht?“
Manchen der medial und auch anderswie umschmeichelten Großarchitekten möchte man deshalb eine/n Studierende/n der Architektur aus dem ersten Semester einen halben Schritt dahinterstellen, die ihm - wie einst den Cäsaren - immer wieder zuflüstern müssten: „Bedenke, dass du sterblich bist.“
Das angemaßte Image des Heilsbringers hat sich seine eigenen äußerlichen Zeichen geschaffen, das sich in priesterlichem Gehabe und schwarzer Kleidung ausdrückt und mittlerweile selbst von planenden Baumeistern nachgeahmt wird. Wäre es da nicht an der Zeit, sich nicht etwa eine neuartige Soutane einfallen zu lassen, sondern sich schlicht normal zu kleiden? Um das Gespür für gesellschaftliche Realitäten wiederzugewinnen, gälte es, ohne berufliche Hintergedanken, ausreichend Beziehungen hinein in einen Alltag zu entwickeln, der nicht bloß mit Architektur zu tun hat, und sich auf ein Aktivitätsfeld zu trauen, auf dem keine Machtpositionen einzunehmen, zu gewinnen oder zu verteidigen sind.
Was die Architektur betrifft, sollte der ehrliche Wettbewerb im Vordergrund stehen. Er dient nicht bloß dazu, eine optimale Lösung für eine bestimmte Bauaufgabe in einem konkreten städtebaulichen Kontext zu finden. Jungen Berufsleuten bietet er die Chance, sich mit Aufgaben projektierend zu befassen, für die sie nicht so schnell einen Auftrag erhalten werden. Die Teilnahme an Wettbewerben dient daher wesentlich der Selbst- und Weiterbildung. Dass das auf die Dauer für ein kleines Büro nicht finanzierbar ist und in größeren diese Nebenbedeutung meist verpufft, ist eine Krux, wofür zurzeit weder Vergaberichtlinien noch eine Wettbewerbsordnung einen Ausweg anbieten.
Ältere Berufsleute könnten die Teilnahme an Wettbewerben als Möglichkeit zur Selbstkontrolle sehen, wenn sie denn bereit sind, nach einem für sie negativen Juryentscheid genügend Distanz zu finden, und den eigenen Fehlern gegenüber nicht blind bleiben. Eine sorgfältige und gerechte Beurteilung durch die jurierenden Kollegen allerdings vorausgesetzt.
In der alltäglichen Berufspraxis gilt es hingegen, sich die Fähigkeit und das Engagement für das Große wie für das Kleine zu bewahren, die Frage der Angemessenheit immer wieder aufs Neue zu stellen und sich bewusst zu bleiben, dass ein Zyniker nicht zugleich ein guter Architekt sein kann.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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