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Kampf der Peripherie
Falter

Am Graben, am Hohen Markt und am Donaukanal sind vier Siege der Stadt gegen den Stadtrand zu verzeichnen.

7. Dezember 2005 - Jan Tabor
Die Altstadt ist jener Ort in Wien, wo der Kampf ausgetragen wird, den die winzige Großstadt Wien gegen ihre überdimensionale Peripherie zu führen hat. Derzeit sind in der vorweihnachtlichen City vier metropolitane Kleinsiege über die beständige Gefahr des Umkippens der Ganzstadt zum Stadtrand zu verzeichnen.

Wahrlich eine schöne Bescherung am Graben, dem wohl einzigen Ort in Wien, der noch nicht von der permanenten Peripherie erreicht wurde. Zwischen den beiden Häuserfronten abgehängt, schweben prachtvolle Leuchter so schwerelos und engelhaft herunter, als wären sie Himmelsboten. Ephemere Architektur. Sie erscheint und verschwindet wieder, in der Zeit dazwischen kann man den Raum über dem Graben völlig neu erfahren. Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!

Während rundherum der elektrische Kleinkitsch leuchtend wuchert, wurde der Luftraum über dem Graben mit riesigen, quasivenezianischen Lustern bestückt. Die aus Tausenden kleinen Glühbirnen geflochtenen Leuchtkörper und Leuchtschleier in der Form von Flügeln sehen wie hybride Fluggeräte aus - etwas zwischen umgekehrter Gondel und dem ersten Flugzeug der Gebrüder Wright. Unter den prächtigen Lustern breitet sich aber weiterhin der entsetzliche Provinzgeist aus: die Punschkioske des Lions Club in Gestalt von echttirolerischen Almhütten.

Der zweite, weit leuchtende Sieg der Metropole über den Vormarsch der Peripherie ist die Erweiterung des Schuhgeschäftes Stiefelkönig in dem markanten Jugendstilhaus von Spielmann und Deller (1911) am Ende des Grabens. Die Wiener Architektengruppe BWM bereinigte die durch mehrfache Umbauten lädierte Fassade, indem sie der - sofern noch vorhanden - originalen Konstruktion der Schaufenster eine neue gläserne Schicht zufügte. Die ursprüngliche Grundstruktur der Schaufenster-Fassadenkonstruktion, in diesem Fall eine frühe „vorgehängte Fassade“, wird wieder sichtbar. Durch diesen fulminanten Eingriff gelingt es, das Innere des Geschäfts mit dem Außen zu verbinden. Das bislang düstere und unansehnliche Eck im Straßenraum wird zum Anziehungspunkt. Die Wirkung steht im Vordergrund, die eigentliche Architektur fällt kaum auf. Der gestalterische Eingriff ist derart einfühlsam durchgeführt, dass man den Eindruck hat, so elegant wie jetzt wäre es hier schon immer gewesen. Das Jugendstilgebäude, das aufgrund seiner Lage und der ausgefallenen Gestaltung zu den interessantesten seiner Art in Wien zählt, erhält viel von seinem ursprünglichen großstädtischen Flair zurück.

Wo immer Hans Hollein baut, erzittern die Stadtbilder. An der Ecke Wipplingerstraße/Hoher Markt hat er jetzt ein einstiges Banklokal in eine Filiale der Generali Versicherung umgebaut. Dabei hat Hollein in die Retrokiste der Siebzigerjahrearchitektur gegriffen. Damals war es üblich, die Sockelzonen von alten Häusern mit büchsenartigen Hüllen zu überziehen, die keine oder fast keine Rücksicht auf das Vorgefundene zu nehmen pflegten. Der gestalterische Bezug zu seiner frühesten Arbeit, dem berühmten Reti-Geschäft am Kohlmarkt, ist nicht zu verkennen, nur die frühere Virtuosität fehlt.

Auch bei der neuen Generali-Filiale handelt es sich um eine Art Büchse, die den unteren Teil eines Gründerzeithauses vollständig verdeckt. Ziehharmonikaartig gestellte Metallpaneele verwandeln ein Drittel einer unauffälligen Gründerzeitfassade in einen Container.

Die Absicht des Gestalters drängt sich geradezu auf: maximale Aufmerksamkeit zu wecken. Weit sichtbar sind die bordell-rot strahlenden, vertikalen Streifen und Embleme an der Fassade. Die Tag und Nacht leuchtende und auch sonst penetrant wirkende Präsenz hat allerdings einen guten Grund: Der bisher fade und als Geschäftszone unterentwickelte Hohe Markt hat dadurch einen längst erforderlichen Erneuerungsanstoß erhalten.

Vom Schwedenplatz aus sieht man neuerdings und möglicherweise eins zu eins, wie der neue Bau aussehen wird, der das alte Bürogebäude am Beginn der Taborstraße ersetzen soll. Die Fassade ist mit einem Transparent fast gänzlich bedeckt. Statt wie früher die Weihnachtssterne vom Schwedenplatz aus hierherzuprojizieren, zeigt der Bauherr Uniqa den von Jean Nouvel projektierten Büro-Hotel-Komplex. Überraschenderweise sieht die vergrößerte Architektur von Nouvel viel besser aus als in den bisher publizierten Zeitungsbildern.

Dennoch gibt es Bedenken. Allzu sehr lehnt sich Nouvel mit seinem Neubau an das schräge Generali-Gebäude von Hans Hollein an. Einerseits wortwörtlich: Der neue Baukörper wird zu dem bestehenden hingebogen, beide bilden zusammen ein Stadttor, wie es zu den antiquierten Sehnsüchten von Städtebauromantikern zählt. Andererseits hat Nouvel zu sehr die Form des vorgefundenen Bürohauses von 1960 übernommen, mit dem dessen Architekt Georg Lippert, im fatalen Zusammenspiel mit seinen anderen beiden Bauten (IBM, Raiffeisenbank), die Leopoldstadt städtebaulich vermauert hat. Das Bemerkenswerte an der Lösung von Hollein war nicht so sehr die Architektur selbst, sondern wie mit dem Generali-Turm die Leopoldstadt geöffnet und zugleich mit dem Gegenüber am Donaukanal, mit dem Schwedenplatz, verbunden wurde. Diesem vortrefflichen Gedanken Holleins vermag Nouvel nicht zu folgen.

Die Transparenz des Bauherrn ist eine Neuheit in Wien. Wir, empfindsame und couragierte Stadtbewohner, können den Entwurf begutachten, gut oder schlecht finden, wir können diskutieren, protestieren oder zustimmen. Dafür lassen sie uns reichlich Zeit, denn laut Transparent ist der Baubeginn für 2007 vorgesehen. So weit ersichtlich: Es zeichnet sich kein Malheur ab.

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Für den Beitrag verantwortlich: Falter

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