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Neue Zürcher Zeitung

Der neue Mercat de Santa Caterina in Barcelona

Bei seinem frühen Tod vor fünfeinhalb Jahren hinterliess Enric Miralles eine Reihe bedeutender Entwürfe. Inzwischen hat seine Partnerin Benedetta Tagliabue etliche dieser Projekte ausführen können. Ein Heimspiel sozusagen war der neue Mercat de Santa Caterina.

3. März 2006 - Markus Jakob
Im Sommer 2000 starb, erst fünfundvierzigjährig, Spaniens erfindungsreichster Baukünstler der jüngeren Zeit: Enric Miralles. Seine Partnerin Benedetta Tagliabue leitet das Büro in Barcelona seither unter dem Sigel EMBT weiter. Man kann darin den Willensakt einer couragierten Witwe sehen. In die Bewunderung mischt sich auch ein wenig Skepsis - eingedenk der Schwierigkeit des Unterfangens, eine so einzigartige formale Sprache wie die von Miralles fortzuschreiben. Ein Wagnis war es allemal, und Tagliabue hatte dabei nicht wenige Widerstände zu überwinden. Ohne den Rückhalt des ganzen Teams wäre es kaum möglich gewesen, die teilweise erst im Projektstadium befindlichen Entwürfe auszuführen: die Musikschule in Hamburg, das Rathaus in Utrecht, das Parlament in Edinburg, einen Campus im galicischen Vigo, zwei Pärke in Barcelona sowie den kurz vor der Vollendung stehenden Hauptsitz des Energiekonzerns Gas Natural, Miralles' prominentesten Bau in der katalanischen Metropole. Einzig die Architekturschule in Venedig scheint, wie so viele zeitgenössische Entwürfe für die Lagunenstadt, Projekt zu bleiben.

Es geht auch anders

Soeben fertig stellen konnte Benedetta Tagliabue eine Planung, die Miralles besonders am Herzen lag: Santa Caterina. Diese Markthalle - die zweitälteste Barcelonas - war sein eigenes Einkaufsrevier gewesen. Entstanden 1848 auf dem Gelände eines Klosters, war die Halle lange schon ein wenig verlottert, zu gross ausserdem für die inzwischen nur noch 70 Marktstände. Die Modernisierung der zum Teil sehr schönen gedeckten Viktualienmärkte der Stadt - über vierzig insgesamt - ist im Übrigen als Versuch zu werten, dem Siegeszug von Supermarktketten und Shopping- Malls die Stirn zu bieten.

Bereits um 1990 hatte die Erneuerung des angrenzenden Altstadtviertels eingesetzt. Eine unbedachte Abrisswelle hinterliess Lücken, deren eine noch heute als «el forat de la vergonya» bekannt ist: das Schandloch. Der lokale Widerstand gegen das spekulative Vorgehen wuchs, und beim UIA-Kongress 1996 wurde den Urbanisten bewusst, dass eine so grobschlächtige «Rehabilitation» ihr Ansehen auch international ramponierte. Da kam Miralles wie gerufen, lebte der bekannte Architekt doch selbst in diesem Stadtteil. Umgehend übertrug ihm Barcelona nicht nur die Renovation der Santa-Caterina-Halle, sondern auch den Masterplan für deren Umgebung. Nachdem der neue Markt vor einigen Monaten hat eröffnet werden können, zeigen nun auch die jüngsten, nach Miralles' volumetrischen Vorgaben errichteten Wohnbauten, wie eine einfühlsame Neugestaltung der Altstadt aussehen kann.

Daran, dass hier zuvor schon einige plumpe Wohnkuben hingeklotzt worden waren, war leider nichts mehr zu ändern. Doch nun nimmt die Porta Cambó genannte Verlängerung der gleichnamigen, vor dem Markt endenden Achse den Verlauf der alten Gassen fast spielerisch auf. Die weniger engmaschige, von Passagen und offenen Patios durchbrochene Bebauung überrascht durch die plastischen Staffelungen und Kurvungen der oft farbig gestalteten Fassaden. Einige ausgezeichnete, zum Teil jüngere Architekten kamen dabei zum Zug - genannt seien Fuses- Viader und Josep Llinás. Das Ergebnis ist sozialer Wohnungsbau, bei dem die Stadt vermutlich, um ihre ursprüngliche Tollpatschigkeit wettzumachen, einiges draufgezahlt hat.

Von der einstigen Santa-Caterina-Halle blieben, sieht man von einem anekdotisch integrierten Teil des Dachgebälks ab, lediglich die Aussenmauern stehen; und auch sie nur teilweise, da etwa ein Viertel des einstigen Marktgeländes nun durch die von EMBT entworfenen Alterswohnungen genutzt ist. Diese formieren sich, gerundet und aufgelöst, zusammen mit der Südflanke des Marktes um einen neuen Platz. Hier sind auch Teile der Grundmauern des einstigen Klosters einzusehen, deren archäologische Auswertung teilweise für die Verzögerungen verantwortlich war, die das Projekt erlitt - zum Schaden des während Jahren seines kommerziellen Zentrums beraubten Viertels. Die von Politikern gern herbeigeredete Belebung der Altstadt wird durch Barcelonas überbordende Ruinenbegeisterung jedenfalls eher gehemmt als gefördert.

Der Architekt Miralles erlebte seine neue Santa-Caterina-Markthalle nicht mehr, in welcher er im Übrigen auf das klassische Fischrondell im Zentrum der ehemals orthogonalen Anlage verzichtete. Diese hat Miralles zugunsten einer freieren Wegführung aufgelöst. Während sieben Jahren fand das Marktgeschehen im Provisorium einer Zelthalle beim Arc del Triumf statt. Dort war die Marktstimmung praktisch dieselbe wie in der alten Halle, und so viel anders ist sie auch in der neuen nicht, abgesehen davon, dass sie nun von architekturbegeisterten Touristen zusätzlich belebt wird. Für das Funktionieren des Marktes ist die Architektur im Grunde zweitrangig. Barcelonesische Märkte sind lediglich Hüllen, in deren Innerem jeder Händler - in der Santa-Caterina-Halle dieselben wie eh und je - sein kleines Reich nach eigenem Gutdünken bestellt. Ein bescheidener Supermarkt ist nun hinzugekommen und ein fabelhaft werktäglich gestyltes Restaurant - «Cuines de Santa Caterina» -, das neben den für jeden Markt üblichen Bars einen mondänen Touch einbringt.

Die Altstadt weiterbauen

Die neue Santa-Caterina-Halle, das ist in architektonischer Hinsicht in erster Linie ihre Decke. In Wellen das Geviert überspannend, ruht dieser Traghimmel auf lediglich zwei die ganze Markthalle durchziehenden Betonträgern. Auf der Südseite durchstossen sie wuchtig die von Holzpaneelen geschmückte Fassade; vor allem aber tragen sie die 108 unterschiedlich geformten, vertikal laminierten Holzbogen, aus denen sich die Wogengestalt des Daches ergibt. Diese handwerklich anspruchsvolle, von wenigen Stahlstreben gestützte Holzkonstruktion aus 55 000 Einzelteilen wurde mit einem Mosaik aus 300 000 farbigen Keramikplatten gedeckt, in den Farben der Früchte und Gemüse, die der Markt feilbietet. So entstand eine Dachlandschaft, die leider nur von den unmittelbaren Anwohnern in ihrer ganzen Pracht gesehen werden kann (über die Errichtung einer Aussichtsplattform wird noch diskutiert).

Für Tagliabue ist der Bau freilich so noch nicht abgeschlossen. Eine Pergola soll das auf die Avenida Cambó vorkragende Dach in Richtung der Kathedrale verlängern, mithin den Sog des Marktes in einen der Brennpunkte des Tourismus tragen. Die Stadtplaner wollen davon nichts wissen; sie ziehen eine Skulptur des Bildhauers Antoni Llena als neues Wahrzeichen vor. Wie der Zwist ausgeht, ist noch ungewiss. Jetzt schon aber hat Barcelona mit der Santa Caterina eine «klassische» Markthalle, neben der jede Shopping-Mall altväterisch aussieht. Und dank Miralles' Masterplan geht sie in Gassen über, die - so neu sie zum grossen Teil sind - ihren Altstadtcharakter nicht ganz verloren haben.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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