Artikel

Architektur der Macht
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung zu den Orten des Nationalsozialismus in München

Das Architekturmuseum in der neuen Pinakothek München zeigt derzeit eine Ausstellung über den Nationalsozialismus in München, die sich durch klare Stellungnahmen auszeichnet. Dabei setzt sie auf eine betont rationale, nüchterne Präsentation des Themas.

28. März 2006 - Sonja Hildebrand
Auf der historischen Landkarte des Nationalsozialismus ist München ein wichtiger Ort. In München entwickelte sich die NSDAP mit Adolf Hitler an der Spitze von der rechtsextremen Splitterpartei zur einflussreichen Massenpartei, dort wurden SA und SS gegründet. Der Jahrestag des als «Marsch auf die Feldherrnhalle» gefeierten nationalsozialistischen Putschversuchs vom 9. November 1923 stand ab 1933 im Zentrum des nationalsozialistischen Blut- und Märtyrerkults. Der Gedächtnismarsch endete 1935 an den beiden neu errichteten «Ehrentempeln» am Königsplatz, in denen die Sarkophage der 15 «Blutzeugen» von 1923 aufgestellt waren. Die Ehrentempel gehörten zu einem monumentalen Forum der NS-Bürokratie und des Kults, zu dem der Königsplatz und dessen Umgebung 1933-1937 ausgebaut wurden. An der Ostseite des Platzes, der 1936 einen für Massenaufmärsche tauglichen Belag aus Granitplatten erhielt, entstanden der «Verwaltungsbau der NSDAP» und der «Führerbau», in dem 1938 das Münchner Abkommen unterzeichnet wurde. Um an den erforderlichen Bauplatz zu gelangen, zwangen die Nazis den jüdischen Mathematiker, Kunstsammler und Schwiegervater Thomas Manns, Alfred Pringsheim, schon 1933 zum Verkauf seines Palais. Die von Paul Ludwig Troost entworfenen Neubauten wurden, wie auch dessen «Haus der Deutschen Kunst» an der Prinzregentenstrasse, für die NS- Repräsentationsarchitektur stilbildend.

Orte der Täter und der Opfer

In der Ausstellung, die Winfried Nerdinger vom Architekturmuseum der TU München zusammen mit dem Münchner Stadtarchiv für die Räume in der Pinakothek der Moderne erarbeitet hat und die sich als Beitrag zum 2002 beschlossenen Münchner NS-Dokumentationszentrum versteht, werden diese und zahlreiche weitere Orte der «Täter, Opfer und Zuschauer» (Raul Hilberg) mit Fotos und informativen Texten dokumentiert. In den insgesamt acht Sektionen geht es nicht nur um die Orte des Aufstiegs und der Selbstdarstellung der NSDAP in der «Hauptstadt der Bewegung». Gleiches Gewicht wird zu Recht auf die Durchdringung und Verflechtung aller Bereiche der Gesellschaft, von Behörden und Verwaltungen, von Wirtschaft und Industrie mit dem Nationalsozialismus gelegt.

Eine eigene Sektion bilden «Orte des Widerstands» wie das Atelier des Bildhauers Manfred Eickemeyer in der Nachbarschaft der Universität, in dem sich die Mitglieder der Weissen Rose trafen. Jede Sektion wird von einer Karte eingeleitet, in der die einzeln erläuterten sowie weitere themenrelevante Orte eingetragen sind. Besonders eindrücklich sind die Karten der Sektionen «Entrechtung und Verfolgung» sowie «Zwangsarbeit und Lagersystem». Die dichte Streuung der über 400 Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager sowie der 39 Aussenlager des KZ Dachau im Münchner Stadtgebiet macht schon rein quantitativ deutlich, wie präsent die NS-Opfer im alltäglichen Bild der Stadt waren.

Die bis heute wirksame Brisanz des Ausstellungsthemas liegt vor allem im Umgang mit den Orten des Nationalsozialismus nach 1945 begründet. Er lässt sich weitgehend als eine Geschichte des Verschweigens und Verdrängens beschreiben. In der Ausstellung ist die Münchner Episode der Aktion «Stolpersteine» von Gunter Demnig als jüngster einer langen Reihe von beschämenden Fällen dokumentiert. Der Kölner Künstler verlegt seit 1992 vor dem letzten Wohnort von NS-Opfern Pflastersteine, die Plaketten mit deren Namen, Geburts-, Deportations- und Todesdatum tragen, und wurde dafür unter anderem 2005 mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt. In München dagegen befürchteten die Stadt und die Präsidentin der Israelitischen Gemeinde eine «Inflationierung» des Gedenkens. Nach einem Beschluss des Stadtrats vom 16. Juni 2004 wurden die beiden bis dahin in München verlegten «Stolpersteine» noch am selben Tag herausgebrochen und auf den Israelitischen Friedhof gebracht.

Verräumlichung der Geschichte

In der Sache wird in der Ausstellung eine deutliche Sprache gesprochen. Die Klarheit ist eine Klarheit der Texte und der Übersichtskarten, die quantitative und strukturelle Zusammenhänge sichtbar machen. Konkretheit wird nicht über Originalexponate erreicht. Auf solche heute in Ausstellungen zur NS-Geschichte übliche Angebote zur emotionalen Einfühlung wurde bewusst verzichtet. Konkret sind die gezeigten Orte und Bauten, die als Träger von Erinnerung verstanden und benutzt werden. Eine solche Verräumlichung der Geschichte - auch eine Folge des «spacial turn» in den Geisteswissenschaften - eröffnet eine andere Möglichkeit des Erlebens von Geschichte: Der Ortskundige findet auf den Ausstellungstafeln oder in der «fotografischen Spurensuche» von Martin Vaché, einer nach Stadtteilen gegliederten Fotodokumentation zu den Relikten der NS-Zeit, ihm bekannte Gebäude und Plätze wieder. Und wer München weniger gut kennt, kann sich mit Hilfe des als Stadtführer konzipierten Katalogs auf den Weg machen. Die Ausstellung entlässt die Besucher nach vollendetem Parcours nicht einfach wieder ins Alltagsleben. Vielmehr fordert und fördert sie eine intensive, geistig aktive Rezeption, die über den Tag hinaus wirkt.

[ Bis 28. Mai im Architekturmuseum der TU in der Pinakothek der Moderne. Katalog: Ort und Erinnerung. Nationalsozialismus in München. Hrsg. Winfried Nerdinger. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2006. 226 S., Fr. 51.- (Euro 24.- in der Ausstellung). ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: