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Regeneration durch Kunst
Neue Zürcher Zeitung

Schauplatz Manchester: Der englische Norden lockt mit neuen Museumsbauten

Im 19. Jahrhundert zeugte die Architektur der Stadt Manchester von Grösse, im letzten Jahrhundert dann bewirkten die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs, der Terrorismus und viele bauliche Verirrungen das Gegenteil. Heute überrascht die nordenglische Metropole mit einem neuen Image. Dieses verdankt sie wiederum der Baukunst.

2. August 2002 - Georges Waser
Manchester, einst die Wiege der industriellen Revolution in Grossbritannien, ist einmal mehr vom Geist der Innovation beseelt. Hier mehr als anderswo in England - sieht man vom widersprüchlichen urbanen Ungetüm London ab - resultierten jüngste Anstrengungen zum Wiederaufbau im grandiosen Statement. Steht gegenwärtig mit den noch bis zum 4. August dauernden Commonwealth Games der neue, 126 Millionen Pfund teure Sportcity-Komplex im Rampenlicht, wurden in den vorangehenden zwei Monaten gleich drei architektonische Attraktionen eingeweiht: zuerst, nach einem vier Jahre dauernden Umbau, die Manchester Art Gallery, dann das, wie es sein Name andeuten soll, ganz allgemein als Tribut an die moderne Grossstadt gedachte Museum Urbis und schliesslich das Imperial War Museum North. Letzteres steht an den Salford Quays, dem Lowry Centre for Visual and Performing Arts gegenüber. Mit dem vor zwei Jahren fertiggestellten Lowry läuteten in Manchester die Stadtväter ihre Idee einer «Regeneration durch Kunst» ein. Dies, notabene, in einer Stadt, die früher einmal als der Fluch des Gesundheitsministeriums gegolten hatte.


Vom Millennium Quarter nach Trafford

Wer vom Urbis-Museum Fotos sieht, stellt sich diesen im einstigen industriellen Kern von Manchester gelegenen Bau als Wolkenkratzer vor. Steht man dann aber in der jetzt Millennium Quarter heissenden Gegend davor, erkennt man einen nur sechsstöckigen Bau. Der Irrtum erklärt sich leicht: Das dem Urbis-Museum vom Architekten Ian Simpson umgelegte Gewand besteht einzig aus Glasscheiben. Diese umschliessen den Bau horizontal wie Gürtel und scheinen somit übereinander liegende Stockwerke zu definieren. Kein Wunder also, täuschen Bilder von Urbis eine viel höhere Struktur vor. Mit Tricks arbeiten übrigens auch die Aussteller, dies wohl im Gedanken, dass die Funktion von Grossstädten und das dortige Leben bisher zu sehr ein Thema akademischer Studien blieben; so sucht man denn im Innern das Publikum durch eine Vielzahl sogenannter Interactive Displays zu involvieren. Erklärt bleibt allerdings zu wenig. Mag sein, dass die Verantwortlichen noch etwas Zeit brauchen - für ein inspiriertes Schaufenster für urbanes Design hat der einheimische Architekt Simpson mit seinem Bau jedenfalls beste Vorarbeit geleistet.

Bei der Fahrt durch den Stadtteil Trafford, heute vor allem durch den Fussballklub Manchester United bekannt, regt sich die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg - an die deutschen Bomben, die hier ausgiebig fielen. Als Standort für das von Daniel Libeskind gebaute Imperial War Museum North, wie es der Name andeutet, ein Zweig des Londoner Museums, war die Gegend demzufolge prädestiniert. Libeskind gibt mit seinem Bau denn auch den Fingerzeig auf eine Welt in extremis: Hier, am Ufer des Manchester Ship Canal, mutet sein Museum an wie ein in gleissende Scherben zerschlagener Globus, ja schiebt es sich beim Näherkommen zusammen zu einer Art expressionistischer Festung oder Kriegsmaschine aus Aluminium. Der Bau ist auch ohne Zahlen bewundernswert - insbesondere aber, wenn man daran denkt, dass er statt 40 schliesslich nur knapp 30 Millionen Pfund kosten durfte und dass er in Windeseile (wurde das Projekt doch erst 1999 vom britischen Kulturminister angesagt) entstanden ist. Was den Besucher in diesem Museum erwartet, ist eine unorthodoxe - weil die menschliche «Software» ins Zentrum stellende - Analyse der Konflikte, in welche die Armeen Grossbritanniens und des Commonwealth seit 1914 verwickelt waren.

Einige der Ideen, die das Äussere prägen, sind auch im Innern des Imperial War Museum North vorhanden. Die Wände und der Boden sind nicht eben; soll der Besucher desorientiert werden, ist ihm vom Architekten gar eine Rolle zugedacht? Im Gespräch, an einem Julitag in Manchester, bejaht Daniel Libeskind beides; er habe eine Struktur geplant, die zu überraschen vermöge - und zudem seien seine Bauten stets «co-created by the people», denn er schreibe beim Planen den Benutzern oder Besuchern eine aktive Funktion zu. Libeskind, für den in eigenen Worten die Architektur ohne Musik nicht auskommt, setzt gelegentlich auch ein Fortissimo: im Museum in Manchester zum Beispiel, indem der unregelmässige grössere Ausstellungsraum einem Silo ähnliche Kammern enthält, eine jede mit einem thematischen Schwerpunkt. Nicht zuletzt beruht die traumähnliche Erfahrung des Besuchers auf dem durchwegs schwachen Licht. Aus diesem Zustand wird er herausgerissen im Moment, in dem er zurück in jenen vertikalen Gebäudeteil tritt, der den Eingang markiert. Hier, mit einem skelettartigen Liftschacht, hat Libeskind einen Akzent gesetzt, der Fritz Langs «Metropolis» oder dem Kabinett des Dr. Cagliari zu entstammen scheint.


Wie eine Skulptur

Beim Gang über die neue Lowry Footbridge - eine imposante Fussgängerbrücke, die sich, um Schiffe durchzulassen, anheben lässt und für deren Bau die spanische Ingenieurfirma Carlos Casado hinzugezogen wurde - empfiehlt sich ein Blick zurück. Was Daniel Libeskind sagte, wird dabei offensichtlich: Sein Imperial War Museum North passt sich wie eine Skulptur der Kanallandschaft an. Anders das Ende der neunziger Jahre als englisches Architekturereignis gepriesene Lowry Centre von Michael Wilford, mit dem hier die zu Gross-Manchester gehörende Stadt Salford beginnt: Dieses wirkt baulich konfus, ja im Vergleich zu seinem Gegenüber bereits veraltet. Doch was hatte Salford zuvor schon - mit der Ausnahme von Hafenanlagen, Armut und Verbrechen? Der 1976 verstorbene Maler L. S. Lowry, dem dieses Kulturzentrum den Namen dankt, würde die ihm einst vertraute Gegend beim Blick von der Footbridge kaum wiedererkennen.

Im Innern dann gewinnt das Lowry Centre an Gewicht. Zwar fragt es sich, ob das Publikum der Farbigkeit nicht überdrüssig werde, denn nie mehr seit Verner Panton und den psychedelischen siebziger Jahren hat man in Grossbritannien derart starke Farben gesehen. Allerdings, mit zwei Theatern (von denen eines die grösste Bühne ausserhalb Londons beherbergt) sowie verschiedenen Ausstellungsflächen und Bars ist das Lowry ein kultureller Moloch, und so strömt denn gegenwärtig auch das Volk herbei - als es im Jahr 2000 eröffnet wurde, zählte das Lowry zu den zehn meistbesuchten eintrittsfreien Museen und Galerien des Vereinigten Königreichs. Wilford, dem einstigen Partner von James Stirling, muss gutgeschrieben werden, dass er dem Layout eine theatralische Note zu geben und damit Vorfreude zu wecken wusste; insbesondere sein Walkway, eine Art Promenade, kreisähnlich zwischen den verschiedenen Attraktionen angelegt, ist gelungen. Der Kern und Stolz des Zentrums ist aber die Lowry Collection, die hier domizilierte Sammlung von Bildern des auf Grund seiner industriellen Landschaften untrennbar mit Nordengland verbundenen, für seine Zündholzmännchen berühmt gewordenen Lowry.

Das Metrolink genannte Tram, auch dieses noch nicht lange in Betrieb, bringt einen zurück ins Stadtzentrum von Manchester. Und dort ist vor kurzem die Manchester Art Gallery neu eröffnet worden. Diese besteht aus der früheren City Art Gallery sowie dem einst als Klub dienenden Athenaeum: aus zwei 1837 und 1839 fertiggestellten Bauten, für die sich der Architekt Charles Barry von klassischen griechischen Vorbildern und italienischen Palazzi inspirieren liess. Diese wurden nun von Michael Hopkins nicht nur durch eine diskrete, zweistöckige Glashalle vereint. Mit einem neuen Flügel auf einem schon 1898 zu diesem Zweck bereitgestellten Landstück hat er das Ganze in einen organischen Gebäudeblock innerhalb der City verwandelt. Hopkins' Umbau kostete 35 Millionen Pfund und verdoppelte die Ausstellungsfläche, was diesem Kunstmuseum, dessen sechs Jahrhunderte umfassende Sammlung zu den besten in Grossbritannien gehört, besonders zustatten kommt. Spätestens wenn man von hier zur Piccadilly Station zurückkehrt, gelangt man zum Schluss, dass Manchester wieder als eine grosse internationale Metropole gelten will; sogar der Bahnhof, für den Ankömmling lange Zeit ein abstossendes Zugangstor in die Stadt, erhält ein Facelifting.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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