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Überprüfungszone
Die Stadt Wien führt eine Hochhaus-Debatte
16. August 2002 - Paul Jandl
Dass Wien «zur Grossstadt demoliert» werden könnte, hat die kulturpessimistische Art von Karl Kraus in selbst erlebten Zeiten des Niedergangs befürchtet. Seinen Niedergang hat der Bahnhof Wien Mitte jetzt beinahe hinter sich. Noch dämmern seine Fassadenfronten in rostigem Blaugrün durch ein gründerzeitliches Viertel ganz nahe an der Wiener Innenstadt, doch bald wird er einem Bürokomplex weichen, der Wien eine zentrumsnahe Modernisierung bescheren soll. Mit einer Bauhöhe von 97 Metern steht der grösste Turm des Projekts Wien Mitte in profaner Konkurrenz zum sakralen Wahrzeichen des Stephansdoms und in provokantem Widerspruch zur historischen Bausubstanz. Das Konzept einer Architektengruppe soll jetzt zügig verwirklicht werden. Die Debatten in einer europäischen Metropole, die jahrzehntelang eine Stadtbilderhaltung propagiert hat, in der sich jede neue Architektur an die Stilvorgaben musealisierter Zonen zu halten hatte, gehen unterdessen weiter.
Urbanes Signal
Im Jahr 2001 wurde die Wiener Innenstadt von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Seither gilt dieses Prädikat unter den Gegnern forcierter Bauhöhen als Messlatte für architektonischen Anstand. Die lautstarke Debatte um das Projekt Wien Mitte wurde bisher auch durch Einwürfe aus den Unesco-Kommissionen belebt, die das Projekt immer wieder einmal für «bedenklich» halten. Doch während die Proponenten ästhetischen Einspruchs in jeder Kommissionsäusserung schon Signale einer drohenden Aberkennung des Gütesiegels «Weltkulturerbe» sehen, sind die zuständigen Wiener Behörden standhaft geblieben. Noch heuer wird mit dem Abriss des ehemaligen Bahnhofs Wien Mitte begonnen. Dem «Sauhaufen» (so der volksnahe Wiener Bürgermeister) des ehemaligen Zweckbaus soll ein urbanes Signal folgen, das sich diesmal und anders als noch beim gescheiterten Wiener Museumsquartier in grosser politischer Einmütigkeit durchgesetzt hat.
Beteiligt am Projekt ist das Architekturbüro Ortner & Ortner, das einst im Museumsquartier den ursprünglichen Entwurf nach grossen Protesten beinahe bis zur Unkenntlichkeit verändern musste. Der «Leseturm», dessen signalhafte Höhe die dortigen Barockbauten Fischer von Erlachs um etliches überragt hätte, fiel den von der Boulevardpresse unterstützten Verteidigern historischer Dachkanten zum Opfer. Das Projekt in Wien Mitte wird jetzt unter weit geringeren Einbussen entstehen. Statt der sechs ursprünglich geplanten Türme werden zwar nur drei gebaut, aber die Höhe bleibt so wie vorgesehen. Mit seinen 97 Metern wird der höchste Turm in den benachbarten ersten Wiener Bezirk ausstrahlen, zwei weitere Türme sind 87 Meter hoch. Verdrehte Kuben bilden die Spitze einer Konstruktion, die mit der Höhe auch an Transparenz gewinnen soll. Gläserne Flächen an den oberen Modulen sollen eine Leichtigkeit erzeugen, die die optische Schwere das darunter liegenden flachen Teils neutralisieren und den Bruch mit der nahen Altstadt mildern soll. Dennoch kommen Proteste gegen den Entwurf auch von prominenten Architekten. Gustav Peichl, der gemeinsam mit Boris Podrecca in Wien den 171 Meter hohen «Millennium Tower» gebaut hat, deponiert seine Einwände gegen das Projekt ebenso wie Roland Rainer, der Doyen der österreichischen Architektur, der gegen die «Eitelkeit» des neuen Wiener Hochhausbooms wettert und gegen das «Verbrechen» des Wien-Mitte-Projektes im Speziellen.
«Donau-City»
Bis Ende der achtziger Jahre blieb Wiens Silhouette ein weitgehend ungestörtes Idyll. Stephansdom und Riesenrad markierten die Fixpunkte einer historisch festgelegten Architektur, aus der gerade noch der aus dem Jahr 1955 stammende Wiener Ringturm ragt. Und der ist gerade einmal 71 Meter hoch. Mit dem fortschreitenden Bau der «Donau-City», eines Zentrums ausgelagerter Urbanität jenseits der Donau und in weiter Ferne der Wiener Innenstadt, ist in den letzten zehn Jahren ein Boom entstanden, dem Wien verdankt, dass die Hochhausbauten immer weiter in die Stadt vorrücken. Über zwanzig Hochhäuser sind so innerhalb kurzer Zeit in Wien errichtet worden, über dreissig Hochhausprojekte sollen in den nächsten Jahren noch verwirklicht werden. Längst sind sie nicht mehr auf die Peripherie konzentriert, sondern so über die Stadt verstreut, dass jetzt auch die Stadtverantwortlichen zur Sammlung riefen. Ein neues «Hochhauskonzept» regelt die infrastrukturellen Grundbedingungen, um dann allerdings in ästhetischen, stadtkonzeptionellen Fragen eher vage zu bleiben. Die gebotene Rücksicht auf das historische Ambiente ist im neuen Konzept dennoch deutlich festgeschrieben. «Wesentliche Sichtachsen und Blickbeziehungen» werden weiterhin «Überprüfungszonen» sein.
Mit einem Bild des Malers Canaletto, der 1760 vom oberen Belvedere ein Panorama der Stadt gemalt hat, machen indes die Gegner der modernen Hochhausarchitektur mobil. Damals, im 18. Jahrhundert und in den Ockertönen des alten Meisters, sei die Stadt noch so richtig schön gewesen. «Wien entwickelt sich derzeit offensichtlich sehr dynamisch», heisst es dagegen im neuen Wiener Hochhauskonzept.
[ Das Wiener Architekturzentrum stellt das Projekt Wien Mitte noch bis zum 19. August vor. Kein Katalog. ]
Urbanes Signal
Im Jahr 2001 wurde die Wiener Innenstadt von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Seither gilt dieses Prädikat unter den Gegnern forcierter Bauhöhen als Messlatte für architektonischen Anstand. Die lautstarke Debatte um das Projekt Wien Mitte wurde bisher auch durch Einwürfe aus den Unesco-Kommissionen belebt, die das Projekt immer wieder einmal für «bedenklich» halten. Doch während die Proponenten ästhetischen Einspruchs in jeder Kommissionsäusserung schon Signale einer drohenden Aberkennung des Gütesiegels «Weltkulturerbe» sehen, sind die zuständigen Wiener Behörden standhaft geblieben. Noch heuer wird mit dem Abriss des ehemaligen Bahnhofs Wien Mitte begonnen. Dem «Sauhaufen» (so der volksnahe Wiener Bürgermeister) des ehemaligen Zweckbaus soll ein urbanes Signal folgen, das sich diesmal und anders als noch beim gescheiterten Wiener Museumsquartier in grosser politischer Einmütigkeit durchgesetzt hat.
Beteiligt am Projekt ist das Architekturbüro Ortner & Ortner, das einst im Museumsquartier den ursprünglichen Entwurf nach grossen Protesten beinahe bis zur Unkenntlichkeit verändern musste. Der «Leseturm», dessen signalhafte Höhe die dortigen Barockbauten Fischer von Erlachs um etliches überragt hätte, fiel den von der Boulevardpresse unterstützten Verteidigern historischer Dachkanten zum Opfer. Das Projekt in Wien Mitte wird jetzt unter weit geringeren Einbussen entstehen. Statt der sechs ursprünglich geplanten Türme werden zwar nur drei gebaut, aber die Höhe bleibt so wie vorgesehen. Mit seinen 97 Metern wird der höchste Turm in den benachbarten ersten Wiener Bezirk ausstrahlen, zwei weitere Türme sind 87 Meter hoch. Verdrehte Kuben bilden die Spitze einer Konstruktion, die mit der Höhe auch an Transparenz gewinnen soll. Gläserne Flächen an den oberen Modulen sollen eine Leichtigkeit erzeugen, die die optische Schwere das darunter liegenden flachen Teils neutralisieren und den Bruch mit der nahen Altstadt mildern soll. Dennoch kommen Proteste gegen den Entwurf auch von prominenten Architekten. Gustav Peichl, der gemeinsam mit Boris Podrecca in Wien den 171 Meter hohen «Millennium Tower» gebaut hat, deponiert seine Einwände gegen das Projekt ebenso wie Roland Rainer, der Doyen der österreichischen Architektur, der gegen die «Eitelkeit» des neuen Wiener Hochhausbooms wettert und gegen das «Verbrechen» des Wien-Mitte-Projektes im Speziellen.
«Donau-City»
Bis Ende der achtziger Jahre blieb Wiens Silhouette ein weitgehend ungestörtes Idyll. Stephansdom und Riesenrad markierten die Fixpunkte einer historisch festgelegten Architektur, aus der gerade noch der aus dem Jahr 1955 stammende Wiener Ringturm ragt. Und der ist gerade einmal 71 Meter hoch. Mit dem fortschreitenden Bau der «Donau-City», eines Zentrums ausgelagerter Urbanität jenseits der Donau und in weiter Ferne der Wiener Innenstadt, ist in den letzten zehn Jahren ein Boom entstanden, dem Wien verdankt, dass die Hochhausbauten immer weiter in die Stadt vorrücken. Über zwanzig Hochhäuser sind so innerhalb kurzer Zeit in Wien errichtet worden, über dreissig Hochhausprojekte sollen in den nächsten Jahren noch verwirklicht werden. Längst sind sie nicht mehr auf die Peripherie konzentriert, sondern so über die Stadt verstreut, dass jetzt auch die Stadtverantwortlichen zur Sammlung riefen. Ein neues «Hochhauskonzept» regelt die infrastrukturellen Grundbedingungen, um dann allerdings in ästhetischen, stadtkonzeptionellen Fragen eher vage zu bleiben. Die gebotene Rücksicht auf das historische Ambiente ist im neuen Konzept dennoch deutlich festgeschrieben. «Wesentliche Sichtachsen und Blickbeziehungen» werden weiterhin «Überprüfungszonen» sein.
Mit einem Bild des Malers Canaletto, der 1760 vom oberen Belvedere ein Panorama der Stadt gemalt hat, machen indes die Gegner der modernen Hochhausarchitektur mobil. Damals, im 18. Jahrhundert und in den Ockertönen des alten Meisters, sei die Stadt noch so richtig schön gewesen. «Wien entwickelt sich derzeit offensichtlich sehr dynamisch», heisst es dagegen im neuen Wiener Hochhauskonzept.
[ Das Wiener Architekturzentrum stellt das Projekt Wien Mitte noch bis zum 19. August vor. Kein Katalog. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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