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Gediegenheit und Extravaganz
Schauplatz New York: Aufsehenerregende neue Hotels in Manhattan
Die Terrorattacken vom 11. September versetzten der New Yorker Tourismusindustrie einen schweren Schlag. Dennoch setzt die Hotelkultur am Hudson weiterhin Massstäbe. Neue Projekte von Philippe Starck, Arquitectonica und David Chipperfield zeigen ein breites Spektrum von Ausdrucksmöglichkeiten. Gemeinsam ist den Hotelkonzepten aber eine ambitionierte und konsequente Gestaltung, wenn nicht Inszenierung.
5. September 2002 - Hubertus Adam
Zur Hotelkultur des 20. Jahrhunderts hat New York zweifach beigetragen: mit Palästen wie dem Waldorf-Astoria von 1931, in dessen elaboriertem Raumprogramm Rem Koolhaas den Höhepunkt einer von ihm beschworenen «culture of congestion» sah, und mit dem Typus des Boutique- Hotels, das als Reaktion auf die gesichtslosen Kettenhotels der siebziger Jahre entstand. Der frühere Klubbetreiber Ian Schrager initiierte den neuen Trend der Design-Hotels, als er 1984 das von der Pariser Innenarchitektin Andrée Putman gestaltete «Morgans» in der Madison Avenue eröffnete. In der Hektik der Hudson-Metropole ist die kleine Lobby mit ihrem schwarz-weiss-karierten Boden ein Ort der Ruhe, der Diskretion und des Understatement. Die einst bahnbrechenden, auf den Grundton grau abgestimmten Zimmer vermögen mit ihrem zwischen Purismus und Gediegenheit oszillierenden Mobiliar bis heute zu überzeugen. Als innovativ galten damals die verglasten Duschen und die stählernen Halbkugeln der Waschbecken.
Zwerge zwischen Blumenkübeln
Fünf Jahre nach dem «Morgans» entstand das «Royalton», bei dem Schrager zum ersten Mal mit Philippe Starck zusammenarbeitete. Der inzwischen zum Megastar des Designs avancierte Pariser verwandelte das Erdgeschoss in eine Abfolge magischer Räume - von der mit blauem Samt ausgekleideten Champagnerbar bis hin zur Mahagoniwand hinter der Theke. Das nahe gelegene «Paramount» (1992) gibt sich weniger exzentrisch als das kleinere und exklusivere «Royalton». Mit der zweigeschossigen Lobby gelang Starck ein Geniestreich der zeitgenössischen Hotelgestaltung: Der effektvoll beleuchtete Raum, in dem ein Sammelsurium verschiedener Stühle informell versammelt ist, dient gleichzeitig als Bar, Restaurant, Wartehalle und - dank der grossen Freitreppe - als Auftrittsfläche für alle, die im Hotel gesehen werden wollen. Nachdem der französische Designer für Schrager weitere Aufträge in Miami, Los Angeles und London ausgeführt hatte, ist mit dem «Hudson» nun das mit 1000 Zimmern bislang grösste Hotel entstanden.
Bei dem hinter dem Columbus Circle gleichsam im Windschatten des One-Central-Park- Komplexes von David Childs gelegenen «Hudson» handelt es sich wieder um den Umbau eines Ziegelsteinbaus aus den zwanziger Jahren. Ein schwefelgelber Rolltreppenschacht befördert die Besucher unter der gelb schillernden Bar hindurch in die Lobby, welche mit künstlichem Efeu, Hirschgeweihdekorationen und archaisierenden Stühlen wie eine Fusion aus Gartenlaube, Jagdhaus und Buschhütte wirkt. Der zu einer Terrasse umgewandelte, von den Zimmerflügeln in die Zange genommene Innenhof macht den besonderen Reiz des Gebäudes aus und wird abends zum quirligen Treffpunkt. Überdimensionale Blumenkübel, Vasen und eine Giesskanne lassen die Gäste zu Gartenzwergen schrumpfen - ein surrealistischer Effekt, mit dem Starck immer wieder spielt. Mit weissen, die Räume gliedernden Vorhängen und Holzvertäfelung zeigen sich dagegen die Zimmer vergleichsweise zurückhaltend.
Während Starck derzeit das an der Südkante des Central Park gelegene «St. Moritz at the Park» für Schrager umbaut, realisiert das in Miami ansässige Büro Arquitectonica einen «E-Walk» genannten Komplex an der Ecke von 42nd Street und 8th Avenue. Billboards und Reklameelemente überwuchern den Sockel, als gälte es, die Licht- und Farborgie des einen Block weiter östlich befindlichen Times Square in den Schatten zu stellen. Überragt wird das schrille Gebilde vom 60-geschossigen Turm der Westin Hotels; die Eröffnung ist für den Herbst vorgesehen. Wie ein Komet, der in das Gebäude eingeschlagen hat, unterteilt ein kurviger weisser Lichtstreifen den pastellfarbenen Wolkenkratzer - die längst überwunden geglaubte Postmoderne feiert in dem Projekt von Arquitectonica noch einmal einen späten Triumph. Oder sind wir schon in der Zeit des Revivals angelangt?
Purismus mit Parkblick
Demgegenüber setzt eine Reihe der neueren Hotels auf eine klassisch wirkende Gediegenheit - ob das nahe dem Grand Central Terminal gelegene «Dylan» des Architekten Jeffrey Beers oder das von dem Interior Designer Thomas O'Brien konzipierte «60 Thompson», das sich an der namengebenden Adresse inmitten von SoHo befindet. Vielleicht trifft der Trend zur Rückbesinnung auf das Bewährte die Atmosphäre in der Stadt nach dem 11. September eher als die Inszenierung des Exaltierten. Die überzeugendste der neuen Edelherbergen, die ihre Inspirationen weder aus dem spätpostmodernen Geist der achtziger Jahre noch der spätfuturistischen Bubble- Ästhetik der Gegenwart empfangen hat, sondern eher an die Vorkriegszeit erinnert, heisst «The Bryant Park» und liegt hinter dem eindrucksvollen Beaux-Arts-Bauwerk der New York Public Library. Zu Beginn der neunziger Jahre wurde aus der angrenzenden, zuvor als «Needle Park» verschrieenen Parkanlage eine der wenigen Oasen in Midtown New York.
Ausgerechnet Philip Pilevsky, der frühere Partner von Ian Schrager, gab David Chipperfield den Auftrag, das 1924 für die American Radiator Company an der den Park südlich begrenzenden West 40th Street errichtete, heute besser unter dem Namen «American Standard Building» bekannte Hochhaus zu einem Hotel umzubauen; Raymond Hood, als dessen populärstes Werk die Radio City Music Hall im Komplex des Rockefeller Center gelten kann, begann mit diesem Gebäude seine New Yorker Karriere, nachdem er kurz zuvor mit einem gotisierenden Entwurf den Wettbewerb für den Chicago Tribune Tower gewonnen hatte. Verglichen mit diesem zeigt das ebenfalls einer gotisierenden Vertikalität verpflichtete American Standard Building Tendenzen zur formalen Vereinfachung und ist offenkundig vom Konkurrenzentwurf inspiriert, den Eliel Saarinen zum Tribune-Wettbewerb eingereicht hatte. Die schwarzen Steinplatten der Sockelzone, die dunklen Ziegel des Schafts und die vergoldeten Terracotta-Elemente liessen Hoods Gebäude zu einem frühen Meisterwerk des Art déco werden. Nachts angestrahlt, entfaltete es eine nahezu magische Wirkung, die Georgia O'Keeffe 1927 in einem Gemälde festgehalten hat.
Chipperfields Eingriffe geben sich zurückhaltend: Neben dem formal puristischen, ebenfalls vergoldeten Vordach ist es das hinter Türen und Fenstern hervorleuchtende magische Rot der Reception und der Lifthalle, welches von aussen auf die neue Nutzung hinweist. Wird dieser Signalton in einzelnen lackierten Möbelstücken der Hoteletagen aufgegriffen, so sind es vornehmlich neutrale und zurückhaltende Farben, mit denen der Londoner Architekt ansonsten operiert: Für Chipperfield typisches Weiss, rhythmisiert durch vertikale Lichtschlitze, bestimmt die mit bräunlich-grauem Teppich ausgelegten Flure der Zimmer, während die ebenfalls vom Architekten entworfenen schlichten, aber grosszügigen Polstermöbel der Lounge mit erdfarbenen Stoffen bezogen sind. Bar- und Loungebereich sowie Restaurant sind, durch einige Treppenstufen getrennt, in einem grossen, sich zum Park hin öffnenden Saal untergebracht.
Obwohl die Lounge hier auch als Durchgangszone für das Restaurant fungiert und von den räumlichen Dimensionen her eher die Ausmasse eines Wartesaals besitzt, schafft Chipperfield eine intime Atmosphäre. Dazu trägt eine geschickte Placierung des Mobiliars bei, nicht zuletzt aber auch die gedämpfte Beleuchtung durch puristische Leuchter, die aus einem hölzernen Ring mit aufgesetzten transluzenten Lichtzylindern bestehen. Die gleichen Beleuchtungskörper finden sich auch in der Kellerbar; das historische, mit Fliesen ausgekleidete Gewölbe erhält durch die farblich wechselnde Beleuchtung der Barrückwand seinen besonderen Akzent. Chipperfield, der in den achtziger Jahren durch puristisch weisse Ladengestaltungen in London bekannt wurde, hat die Atmosphäre seines Londoner Bar-Restaurants «Circus» hier in den grossen New Yorker Massstab übersetzt. Und sich so der Diskretion des «Morgans» eher angenähert als den Kapriolen Philippe Starcks.
Zwerge zwischen Blumenkübeln
Fünf Jahre nach dem «Morgans» entstand das «Royalton», bei dem Schrager zum ersten Mal mit Philippe Starck zusammenarbeitete. Der inzwischen zum Megastar des Designs avancierte Pariser verwandelte das Erdgeschoss in eine Abfolge magischer Räume - von der mit blauem Samt ausgekleideten Champagnerbar bis hin zur Mahagoniwand hinter der Theke. Das nahe gelegene «Paramount» (1992) gibt sich weniger exzentrisch als das kleinere und exklusivere «Royalton». Mit der zweigeschossigen Lobby gelang Starck ein Geniestreich der zeitgenössischen Hotelgestaltung: Der effektvoll beleuchtete Raum, in dem ein Sammelsurium verschiedener Stühle informell versammelt ist, dient gleichzeitig als Bar, Restaurant, Wartehalle und - dank der grossen Freitreppe - als Auftrittsfläche für alle, die im Hotel gesehen werden wollen. Nachdem der französische Designer für Schrager weitere Aufträge in Miami, Los Angeles und London ausgeführt hatte, ist mit dem «Hudson» nun das mit 1000 Zimmern bislang grösste Hotel entstanden.
Bei dem hinter dem Columbus Circle gleichsam im Windschatten des One-Central-Park- Komplexes von David Childs gelegenen «Hudson» handelt es sich wieder um den Umbau eines Ziegelsteinbaus aus den zwanziger Jahren. Ein schwefelgelber Rolltreppenschacht befördert die Besucher unter der gelb schillernden Bar hindurch in die Lobby, welche mit künstlichem Efeu, Hirschgeweihdekorationen und archaisierenden Stühlen wie eine Fusion aus Gartenlaube, Jagdhaus und Buschhütte wirkt. Der zu einer Terrasse umgewandelte, von den Zimmerflügeln in die Zange genommene Innenhof macht den besonderen Reiz des Gebäudes aus und wird abends zum quirligen Treffpunkt. Überdimensionale Blumenkübel, Vasen und eine Giesskanne lassen die Gäste zu Gartenzwergen schrumpfen - ein surrealistischer Effekt, mit dem Starck immer wieder spielt. Mit weissen, die Räume gliedernden Vorhängen und Holzvertäfelung zeigen sich dagegen die Zimmer vergleichsweise zurückhaltend.
Während Starck derzeit das an der Südkante des Central Park gelegene «St. Moritz at the Park» für Schrager umbaut, realisiert das in Miami ansässige Büro Arquitectonica einen «E-Walk» genannten Komplex an der Ecke von 42nd Street und 8th Avenue. Billboards und Reklameelemente überwuchern den Sockel, als gälte es, die Licht- und Farborgie des einen Block weiter östlich befindlichen Times Square in den Schatten zu stellen. Überragt wird das schrille Gebilde vom 60-geschossigen Turm der Westin Hotels; die Eröffnung ist für den Herbst vorgesehen. Wie ein Komet, der in das Gebäude eingeschlagen hat, unterteilt ein kurviger weisser Lichtstreifen den pastellfarbenen Wolkenkratzer - die längst überwunden geglaubte Postmoderne feiert in dem Projekt von Arquitectonica noch einmal einen späten Triumph. Oder sind wir schon in der Zeit des Revivals angelangt?
Purismus mit Parkblick
Demgegenüber setzt eine Reihe der neueren Hotels auf eine klassisch wirkende Gediegenheit - ob das nahe dem Grand Central Terminal gelegene «Dylan» des Architekten Jeffrey Beers oder das von dem Interior Designer Thomas O'Brien konzipierte «60 Thompson», das sich an der namengebenden Adresse inmitten von SoHo befindet. Vielleicht trifft der Trend zur Rückbesinnung auf das Bewährte die Atmosphäre in der Stadt nach dem 11. September eher als die Inszenierung des Exaltierten. Die überzeugendste der neuen Edelherbergen, die ihre Inspirationen weder aus dem spätpostmodernen Geist der achtziger Jahre noch der spätfuturistischen Bubble- Ästhetik der Gegenwart empfangen hat, sondern eher an die Vorkriegszeit erinnert, heisst «The Bryant Park» und liegt hinter dem eindrucksvollen Beaux-Arts-Bauwerk der New York Public Library. Zu Beginn der neunziger Jahre wurde aus der angrenzenden, zuvor als «Needle Park» verschrieenen Parkanlage eine der wenigen Oasen in Midtown New York.
Ausgerechnet Philip Pilevsky, der frühere Partner von Ian Schrager, gab David Chipperfield den Auftrag, das 1924 für die American Radiator Company an der den Park südlich begrenzenden West 40th Street errichtete, heute besser unter dem Namen «American Standard Building» bekannte Hochhaus zu einem Hotel umzubauen; Raymond Hood, als dessen populärstes Werk die Radio City Music Hall im Komplex des Rockefeller Center gelten kann, begann mit diesem Gebäude seine New Yorker Karriere, nachdem er kurz zuvor mit einem gotisierenden Entwurf den Wettbewerb für den Chicago Tribune Tower gewonnen hatte. Verglichen mit diesem zeigt das ebenfalls einer gotisierenden Vertikalität verpflichtete American Standard Building Tendenzen zur formalen Vereinfachung und ist offenkundig vom Konkurrenzentwurf inspiriert, den Eliel Saarinen zum Tribune-Wettbewerb eingereicht hatte. Die schwarzen Steinplatten der Sockelzone, die dunklen Ziegel des Schafts und die vergoldeten Terracotta-Elemente liessen Hoods Gebäude zu einem frühen Meisterwerk des Art déco werden. Nachts angestrahlt, entfaltete es eine nahezu magische Wirkung, die Georgia O'Keeffe 1927 in einem Gemälde festgehalten hat.
Chipperfields Eingriffe geben sich zurückhaltend: Neben dem formal puristischen, ebenfalls vergoldeten Vordach ist es das hinter Türen und Fenstern hervorleuchtende magische Rot der Reception und der Lifthalle, welches von aussen auf die neue Nutzung hinweist. Wird dieser Signalton in einzelnen lackierten Möbelstücken der Hoteletagen aufgegriffen, so sind es vornehmlich neutrale und zurückhaltende Farben, mit denen der Londoner Architekt ansonsten operiert: Für Chipperfield typisches Weiss, rhythmisiert durch vertikale Lichtschlitze, bestimmt die mit bräunlich-grauem Teppich ausgelegten Flure der Zimmer, während die ebenfalls vom Architekten entworfenen schlichten, aber grosszügigen Polstermöbel der Lounge mit erdfarbenen Stoffen bezogen sind. Bar- und Loungebereich sowie Restaurant sind, durch einige Treppenstufen getrennt, in einem grossen, sich zum Park hin öffnenden Saal untergebracht.
Obwohl die Lounge hier auch als Durchgangszone für das Restaurant fungiert und von den räumlichen Dimensionen her eher die Ausmasse eines Wartesaals besitzt, schafft Chipperfield eine intime Atmosphäre. Dazu trägt eine geschickte Placierung des Mobiliars bei, nicht zuletzt aber auch die gedämpfte Beleuchtung durch puristische Leuchter, die aus einem hölzernen Ring mit aufgesetzten transluzenten Lichtzylindern bestehen. Die gleichen Beleuchtungskörper finden sich auch in der Kellerbar; das historische, mit Fliesen ausgekleidete Gewölbe erhält durch die farblich wechselnde Beleuchtung der Barrückwand seinen besonderen Akzent. Chipperfield, der in den achtziger Jahren durch puristisch weisse Ladengestaltungen in London bekannt wurde, hat die Atmosphäre seines Londoner Bar-Restaurants «Circus» hier in den grossen New Yorker Massstab übersetzt. Und sich so der Diskretion des «Morgans» eher angenähert als den Kapriolen Philippe Starcks.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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