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Schöngerechnet
Das Berliner Schlossprojekt schrumpft
17. September 2002 - Claudia Schwartz
Wo man erst mit Museen, Bibliothek und einem Veranstaltungszentrum so viel wie möglich hineinpackte, wird schon wieder ausgelagert: Das Nutzungskonzept für das zur Rekonstruktion empfohlene Berliner Schloss steht wieder zur Disposition. Die Experten haben sich nach neuesten Ergebnissen um 40 000 Quadratmeter vertan, als sie ein Nutzungsvolumen von 100 000 Quadratmetern errechneten. Grund für den Lapsus soll eine zu niedrig bemessene Raumhöhe sein. Man überlegt nun, die Berliner Zentral- und Landesbibliothek, neben den Staatlichen Museen zu Berlin und den Sammlungen der Humboldt-Universität einer der drei potenziellen Nutzer, wieder auszuladen oder nur ausgewählte Bibliotheksbestände zu integrieren. Beim neubarocken Traumschloss bahnt sich hiermit schon in der frühesten Planungsphase eine der typischen Berliner Kompromisslösungen an. Das Schlossprojekt steht nicht zuletzt in der Kritik, weil es lange Zeit an Vorstellungen über eine sinnvolle Nutzung fehlte, die der schönen Hülle einen Inhalt gegeben hätten. Die nachgereichte, nicht sehr überzeugende Mischnutzung beginnt schon wieder zu bröckeln. Die Tatsache, dass sich eine Kommission von Experten bei der Angabe von Nutzungsflächen um fast das Doppelte verkalkulierte, ist ein Skandal, wenn man bedenkt, dass der Expertenbericht immerhin als Grundlage für die Abstimmung im Bundestag diente (NZZ 5. 7. 02). Die Kommissionsempfehlung für den Wiederaufbau fiel mit einem Mehr von nur einer Stimme ohnehin äusserst knapp aus. Man kommt in Anbetracht der neuesten Entwicklungen nicht umhin, den Expertenbericht als Schönrechnung zu deuten.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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