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Häuser bauen aus Pappe und Papier
Shigeru Ban, japanischer Shooting Star unter den zeitgenössischen Architekten, äussert sich über die Politik der USA und seine Lust am Experiment.
15. September 2002 - Gerhard Mack
NZZ am Sonntag: Herr Ban, Sie gelten als der Mann, der aus Papier Architektur macht. Wie sind Sie auf dieses Material gekommen?
Shigeru Ban: Ich habe 1986 das Design für eine Ausstellung von Alvar Aaltos Möbeln entworfen. Aalto ist einer meiner Lieblingsarchitekten. Er benutzte immer sehr viel Holz. Das wäre für die Ausstellung ideal gewesen, es gab dafür aber kein Budget. Daneben wollte ich ein so kostbares Material nach dem Ende der Ausstellung nicht einfach wegwerfen. Also suchte ich nach einer Alternative und kam auf Kartonröhren. Sie sind aus wiederverwertbarem Papier und haben eine braune Farbe, die sehr warm wirkt. Sie kommen im Alltag von der Faxrolle bis zum Stoffballen überall zum Einsatz, und man kann sie industriell in fast jeder Länge, Stärke und jedem Durchmesser produzieren.
Das fügt sich gut in den Öko-Boom.
Mit der Öko-Mode hat das eigentlich nichts zu tun. Ich habe mich bereits vorher damit auseinander gesetzt. Die ersten Bauten waren temporär. 1989 habe ich einen kleinen Pavillon für eine Ausstellung in Nagoya gebaut. Ein kleiner Galerieraum für den Couturier Issey Miyake war 1994 das erste dauerhafte Gebäude aus Karton. Inzwischen sind es fünf geworden.
In Europa wurden Sie vor allem durch den japanischen Pavillon bei der Expo Hannover bekannt. Die Dachkonstruktion aus Kartonröhren überspannte eine Fläche von 3600 Quadratmetern. Wollten Sie mit einem billigen Material eine monumentale Wirkung erzielen?
Meine Architektur hat mit Monumentalität nichts zu tun. Das Dach aus Papier brachte in Hannover ein schönes natürliches Licht ins Innere. Die wellige Form ergab sich aus der Suche nach maximaler Effizienz.
Das Billigmaterial Papier erlaubt es Ihnen, auch in Katastrophengebieten zu bauen. Sie haben 1994 in Rwanda und ein Jahr später nach dem Erdbeben in Kobe Notunterkünfte entwickelt. Wie ist es zu diesem ungewöhnlichen Engagement gekommen?
In Kobe bin ich einfach hingegangen und habe dem Pfarrer der zerstörten Kirche gesagt, ich würde diese gerne wieder aufbauen. Er wollte das zunächst nicht, weil ihm das Schicksal der vielen vietnamesischen Flüchtlinge wichtiger war, die dort gewohnt hatten. Die lebten drei Monate nach dem Erdbeben noch immer in Zelten, und die Gegend drohte zum Slum zu werden. Ich organisierte die Mittel und baute mit Studenten aus Kartonröhren 30 Wohnhäuser und die Kirche, die heute noch genutzt wird und zu einem Denkmal geworden ist.
Und in Rwanda?
Da sah ich auf Bildern, wie Menschen auf dem Boden sassen und Decken um ihre Körper zogen. Ich dachte immer, in Afrika sei es warm, jetzt sah ich, dass die Flüchtlinge dort froren. Ich ging zum UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge in Genf und schlug vor, wie man die Unterkünfte verbessern könnte. Das Problem war, dass die Uno blaue Plasticplanen lieferte und die Flüchtlinge sich aus Holz das Gerüst dazu machen sollten. Da es so viele waren, holzten sie die Wälder ab und verursachten ein ökologisches Problem. Als die Uno daraufhin Aluminiumgestänge lieferte, verkauften die Leute das teure Metall und holzten weiter ab. Gestänge aus Kartonröhren verbesserten die Situation.
Sie sind einer der wenigen international renommierten Architekten, die sich in Krisengebieten engagieren.
Architekten haben über viele Jahrhunderte für reiche Klienten gearbeitet. Erst nach der Französischen Revolution wurde auch die Allgemeinheit der Bevölkerung zum potenziellen Auftraggeber. Es gibt viele Katastrophen auf der Welt, wo Hilfe nötig wäre.
Vor ein paar Wochen fand in Johannesburg der internationale Gipfel für nachhaltige Entwicklung statt. Was erwarten Sie als Architekt davon?
Mich beunruhigt die Haltung der USA. Vor zwei Jahren wurde in Kyoto ein Kompromisspapier verabschiedet, das die amerikanische Position berücksichtigte. Als Bush Präsident wurde, wies er diesen Kompromiss zurück, weil er den USA nicht nütze. Dabei verbrauchen diese 25 Prozent der Energie.
Und was können Architekten hier tun?
Zum einen meinen die meisten Architekten noch immer, sie müssten Monumentalbauten erstellen, mit denen sie sich verewigen können. Zum andern wollen Auftraggeber grosse urbanistische Projekte. Beides entspricht mir nicht. Ich versuche über einzelne, oft kleine Projekte zur Verbesserung der Städte beizutragen. Ich glaube nicht, dass ich in gesellschaftlichen Fragen wirklich helfen kann. Ich habe als Architekt keine so grosse Macht. Ich versuche, Studenten und Kollegen anzuregen, ihre Projekte zu verfolgen, damit sie merken, wie viel wir für die Gesellschaft tun können.
Sie kommen von Ihrer Ausbildung in den USA her aus der Tradition der westlichen Moderne, die heute viele Grossprojekte rund um den Globus bestimmt. Wie gehen Sie damit um?
Unglücklicherweise bedeutet heute Modernisierung überall auch Verwestlichung. Die westliche Moderne arbeitet oft sehr aufwendig, statt gewöhnliche Materialien zu benutzen. Da müssen viele Bäume gefällt, und es muss viel Stahl eingesetzt werden. Ich versuche dagegen, Materialien gemäss ihrer Eigenart und nach den Erfordernissen des Ortes einzusetzen. Das entspricht einer japanischen Tradition. Für mich sind die Stärke, die Grösse und das Gewicht eines Materials wichtig. Dann ist es auch so, dass ich mit einem eigenen Material leichter meine eigene Raumvorstellung und Architektur entwickeln kann als mit Beton und Stahl, die ich zwar schätze, die aber von allen verwendet werden.
Ihre Bauten wirken zumeist auch bestechend einfach und erinnern darin an typische Beispiele der Moderne.
Mir ist Einfachheit auch wichtig, vielleicht aber weniger im Sinne eines Ergebnisses oder Eindrucks wie bei Mies van der Rohe, den ich sehr schätze, als im Sinne von Methoden und Verfahren. Ich will den Bauprozess, die Herstellung des Materials, den Transport, die Montage der Elemente einfacher und effizienter machen. Das gilt übrigens sowohl für die Notunterkünfte wie für die sonstigen Wohnhäuser. Beide sind für mich architektonische Experimente.
Entspricht das eher einer japanischen als einer westlichen Haltung?
Mit einer solchen Unterscheidung kann ich wenig anfangen. Ich habe meine Vorstellung vom Raum in Kalifornien an den Häusern von Neutra und Schinkel entwickelt, die ihrerseits von Japan beeinflusst waren. Da gibt es keine klaren Grenzen mehr.
Shigeru Ban: Ich habe 1986 das Design für eine Ausstellung von Alvar Aaltos Möbeln entworfen. Aalto ist einer meiner Lieblingsarchitekten. Er benutzte immer sehr viel Holz. Das wäre für die Ausstellung ideal gewesen, es gab dafür aber kein Budget. Daneben wollte ich ein so kostbares Material nach dem Ende der Ausstellung nicht einfach wegwerfen. Also suchte ich nach einer Alternative und kam auf Kartonröhren. Sie sind aus wiederverwertbarem Papier und haben eine braune Farbe, die sehr warm wirkt. Sie kommen im Alltag von der Faxrolle bis zum Stoffballen überall zum Einsatz, und man kann sie industriell in fast jeder Länge, Stärke und jedem Durchmesser produzieren.
Das fügt sich gut in den Öko-Boom.
Mit der Öko-Mode hat das eigentlich nichts zu tun. Ich habe mich bereits vorher damit auseinander gesetzt. Die ersten Bauten waren temporär. 1989 habe ich einen kleinen Pavillon für eine Ausstellung in Nagoya gebaut. Ein kleiner Galerieraum für den Couturier Issey Miyake war 1994 das erste dauerhafte Gebäude aus Karton. Inzwischen sind es fünf geworden.
In Europa wurden Sie vor allem durch den japanischen Pavillon bei der Expo Hannover bekannt. Die Dachkonstruktion aus Kartonröhren überspannte eine Fläche von 3600 Quadratmetern. Wollten Sie mit einem billigen Material eine monumentale Wirkung erzielen?
Meine Architektur hat mit Monumentalität nichts zu tun. Das Dach aus Papier brachte in Hannover ein schönes natürliches Licht ins Innere. Die wellige Form ergab sich aus der Suche nach maximaler Effizienz.
Das Billigmaterial Papier erlaubt es Ihnen, auch in Katastrophengebieten zu bauen. Sie haben 1994 in Rwanda und ein Jahr später nach dem Erdbeben in Kobe Notunterkünfte entwickelt. Wie ist es zu diesem ungewöhnlichen Engagement gekommen?
In Kobe bin ich einfach hingegangen und habe dem Pfarrer der zerstörten Kirche gesagt, ich würde diese gerne wieder aufbauen. Er wollte das zunächst nicht, weil ihm das Schicksal der vielen vietnamesischen Flüchtlinge wichtiger war, die dort gewohnt hatten. Die lebten drei Monate nach dem Erdbeben noch immer in Zelten, und die Gegend drohte zum Slum zu werden. Ich organisierte die Mittel und baute mit Studenten aus Kartonröhren 30 Wohnhäuser und die Kirche, die heute noch genutzt wird und zu einem Denkmal geworden ist.
Und in Rwanda?
Da sah ich auf Bildern, wie Menschen auf dem Boden sassen und Decken um ihre Körper zogen. Ich dachte immer, in Afrika sei es warm, jetzt sah ich, dass die Flüchtlinge dort froren. Ich ging zum UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge in Genf und schlug vor, wie man die Unterkünfte verbessern könnte. Das Problem war, dass die Uno blaue Plasticplanen lieferte und die Flüchtlinge sich aus Holz das Gerüst dazu machen sollten. Da es so viele waren, holzten sie die Wälder ab und verursachten ein ökologisches Problem. Als die Uno daraufhin Aluminiumgestänge lieferte, verkauften die Leute das teure Metall und holzten weiter ab. Gestänge aus Kartonröhren verbesserten die Situation.
Sie sind einer der wenigen international renommierten Architekten, die sich in Krisengebieten engagieren.
Architekten haben über viele Jahrhunderte für reiche Klienten gearbeitet. Erst nach der Französischen Revolution wurde auch die Allgemeinheit der Bevölkerung zum potenziellen Auftraggeber. Es gibt viele Katastrophen auf der Welt, wo Hilfe nötig wäre.
Vor ein paar Wochen fand in Johannesburg der internationale Gipfel für nachhaltige Entwicklung statt. Was erwarten Sie als Architekt davon?
Mich beunruhigt die Haltung der USA. Vor zwei Jahren wurde in Kyoto ein Kompromisspapier verabschiedet, das die amerikanische Position berücksichtigte. Als Bush Präsident wurde, wies er diesen Kompromiss zurück, weil er den USA nicht nütze. Dabei verbrauchen diese 25 Prozent der Energie.
Und was können Architekten hier tun?
Zum einen meinen die meisten Architekten noch immer, sie müssten Monumentalbauten erstellen, mit denen sie sich verewigen können. Zum andern wollen Auftraggeber grosse urbanistische Projekte. Beides entspricht mir nicht. Ich versuche über einzelne, oft kleine Projekte zur Verbesserung der Städte beizutragen. Ich glaube nicht, dass ich in gesellschaftlichen Fragen wirklich helfen kann. Ich habe als Architekt keine so grosse Macht. Ich versuche, Studenten und Kollegen anzuregen, ihre Projekte zu verfolgen, damit sie merken, wie viel wir für die Gesellschaft tun können.
Sie kommen von Ihrer Ausbildung in den USA her aus der Tradition der westlichen Moderne, die heute viele Grossprojekte rund um den Globus bestimmt. Wie gehen Sie damit um?
Unglücklicherweise bedeutet heute Modernisierung überall auch Verwestlichung. Die westliche Moderne arbeitet oft sehr aufwendig, statt gewöhnliche Materialien zu benutzen. Da müssen viele Bäume gefällt, und es muss viel Stahl eingesetzt werden. Ich versuche dagegen, Materialien gemäss ihrer Eigenart und nach den Erfordernissen des Ortes einzusetzen. Das entspricht einer japanischen Tradition. Für mich sind die Stärke, die Grösse und das Gewicht eines Materials wichtig. Dann ist es auch so, dass ich mit einem eigenen Material leichter meine eigene Raumvorstellung und Architektur entwickeln kann als mit Beton und Stahl, die ich zwar schätze, die aber von allen verwendet werden.
Ihre Bauten wirken zumeist auch bestechend einfach und erinnern darin an typische Beispiele der Moderne.
Mir ist Einfachheit auch wichtig, vielleicht aber weniger im Sinne eines Ergebnisses oder Eindrucks wie bei Mies van der Rohe, den ich sehr schätze, als im Sinne von Methoden und Verfahren. Ich will den Bauprozess, die Herstellung des Materials, den Transport, die Montage der Elemente einfacher und effizienter machen. Das gilt übrigens sowohl für die Notunterkünfte wie für die sonstigen Wohnhäuser. Beide sind für mich architektonische Experimente.
Entspricht das eher einer japanischen als einer westlichen Haltung?
Mit einer solchen Unterscheidung kann ich wenig anfangen. Ich habe meine Vorstellung vom Raum in Kalifornien an den Häusern von Neutra und Schinkel entwickelt, die ihrerseits von Japan beeinflusst waren. Da gibt es keine klaren Grenzen mehr.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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