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„Zwei Tage, erdbebenartig“
Spectrum

Offene Gebäude, offene Ateliers, offene Grenzen: Ganz Österreich soll offen sein am letzten Septemberwochenende, bei den „Architekturtagen 2002“. Über Sinn, Zweck, heimische Debattenkultur und Humor in der Architektur: ein Gespräch mit den Initiatoren.

21. September 2002 - Wolfgang Freitag
Jetzt ist alles offen!" Unter diesem Motto wollen die „Architekturtage 2002“ am letzten Septemberwochenende „einem breiten Publikum die Entstehungsprozesse der Architektur an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft“ näherbringen. So öffnen am 27. September anläßlich eines „Open House der Architektur“ Bauwerke und Ateliers in ganz Österreich ihre sonst für die Öffentlichkeit verschlossenen Tore, gut 200 allein in Wien und Umgebung im Rahmen der Aktion „Architektur von innen“. Am 28. September folgen Vorträge, Feste und weitere Aktionen unterschiedlichster Art, vom „Wasser Marsch“ rund um Feldkirch bis hin zur grenzüberschreitenden architektonischen Schiffsreise von Tulln nach Preßburg.

„Jetzt ist alles offen - dieser Slogan bezieht sich einerseits auf die Aktivitäten während der Architekturtage: offene Gebäude, offene Ateliers, offene Grenzen. Aber er hat noch eine grundsätzlichere Bedeutung: Die Lösungen von gestern gelten in vielen Bereichen nicht mehr, weil sich unsere Kultur so rasch ändert. Die Architektur muß da mitgehen, auch wenn es oft schwer ist, eingefahrene Gleise zu verlassen“, meint „Spectrum“-Architekturkritiker Christian Kühn, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Architekturstiftung Österreich, die mit den in ihr vertretenen heimischen Architekturinitiativen eine der beiden Säulen der „Architekturtage 2002“ ist. Die andere: die Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, im „Spectrum“-Gespräch vertreten durch den Architekten Georg Pendl.

Wenn man hierzulande eine Idee hat, dann schallt einem in aller Regel zunächst mehr oder weniger verblümt eine Frage entgegen, die sich in ihrer ehrlichsten Variante auf die vorstädtische Formel „Wos brauch ma des?“ reduzieren läßt. Also: Architekturtage - wos brauch ma des?

Christian Kühn: Sicher, man könnte meinen: Architektur steht ohnehin überall herum das ganze Jahr, man kann eh immer hinschaun. Die Architekturtage haben nun einfach die Intention, daß man einmal anders hinschaut. Und das ist am besten zu erreichen, wenn man's in ganz Österreich gleichzeitig versucht, erdbebenartig, zwei Tage lang. Wobei es nicht nur darum geht, daß man Gebäude betreten kann, die sonst nicht zugänglich sind, sondern es sollen auch die Motive gezeigt werden, die Produktionsbedingungen von Architektur.
Ein weiteres Ziel ist es, die breiteren Schichten der Bevölkerung aus ihrer Betroffenheitssituation herauszubringen: daß man immer nur an Architektur denkt, wenn man das Gefühl hat, irgend etwas wird verstellt. Wir wollen zeigen, welche Möglichkeiten zur Mitgestaltung bestehen, daß es eine Frage des Engagements ist.

Wie ist die Idee zu den Architekturtagen entstanden?

Georg Pendl: Vor ein paar Jahren hat es schon Architekturtage gegeben, veranstaltet von der Architektenkammer.

Kühn: Die haben darunter gelitten, daß sie eher unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden haben.

Pendl: Und jetzt hat man gesagt, wir wollen diese Idee wieder aufgreifen, aber eben in Kooperation mit jenen Institutionen, die das Feld aktiv beackern, also mit den Architekturhäusern. Man hat einen Verein gegründet als Trägerschaft, da ist die Architekturstiftung Partner der Kammer, und so ist auch das Startbudget entstanden, von dem ausgehend man die weiteren Geldmittel akquiriert hat, vom Bund, von den Ländern und von privaten Sponsoren.

Wie schwierig war es eigentlich, all die unterschiedlichen Architekturhäuser, Architekturzentren, Architekturinstitute, die beteiligt sind, unter einen Hut zu bringen?

Kühn: Das ist natürlich eine diplomatische Unternehmung gewesen, zumal hier sehr heterogene Institutionen zusammengebracht wurden. Und was für mich beispielsweise im Katalog der Architekturtage jetzt sehr schön herauskommt: wie vielfältig und regional verankert die Szene in Österreich ist, mit ganz unterschiedlichen Potentialen.

Pendl: Die Intention war ja von vornherein, in mehrfacher Hinsicht Denkanstöße zu liefern. Und dazu gehörte auch der Versuch, Fäden zu knüpfen, und zwar nicht nur innerhalb Österreichs, sondern auch zu den Architekturinitiativen in den EU-Beitrittsländern. Die Architekturtage sollen auch ein Katalysator sein für Beziehungen, die danach weiterlaufen.
Vergleicht man die heimische Architekturszene heute mit der vor zehn Jahren, dann fällt auf, wie vehement sich der Sektor Architekturvermittlung entwickelt hat. Das Niveau einschlägiger öffentlicher Debatten, Stichwort Salzburger Landesarchitekturpreis, Stichwort Wien-Mitte, scheint davon freilich nicht wesentlich zu profitieren.

Pendl: Architekturvermittlung ist ein ständiges Pflügen von Feldern. Und da wächst dann nicht immer etwas. Aber nehmen wir das Tiroler Beispiel: Dort hat es vor zehn Jahren ganz anders ausgeschaut. Dann ist das Architekturforum gegründet worden; da wird seither einfach eine solide Basisarbeit gemacht, die weniger an spektakulären Großereignissen hängt, sondern es gibt ein ständiges Träufeln, einen steten Tropfen. Und das hat in den letzten Jahren das Klima deutlich verändert.

Aber würde nicht eine Diskussion wie die um das Museumsquartier heute noch genauso ablaufen wie vor zehn, fünfzehn Jahren?

Kühn: Sicher, es ist eine klischeehafte Debatte, nach wie vor. Aber das liegt zum Teil auch an der heimischen Medienlandschaft. Grundsätzlich müssen derartige Großprojekte öffentlich diskutiert werden, je intensiver, desto besser. Daß man nur mit absolut regierenden Fürsterzbischöfen gute Architektur machen kann, ist ein Märchen. Im antiken Athen mußten alle Auftr?ge für öffentliche Bauten von der Volksversammlung beschlossen werden, und dabei ist immerhin die Akropolis entstanden.

Beim Museumsquartier hat es aber nur so ausgesehen, als ob das Volk diskutieren würde. In Wirklichkeit konnte eine kleine Gruppe von Leuten auf Grund der Medienkonzentration in Österreich persönliche Rechnungen begleichen. Das ist kein Problem der Architekturvermittlung, sondern der politischen Kultur insgesamt und der Medienpolitik im besonderen.

Sieht man sich den Katalog der Architekturtage an, dann fällt zuallererst das Zigarettenschachtel-Format auf und dann schon das Geleitwort von Franzobel. Üblicherweise hätte man hier die wohlgesetzten Worte eines Architekturkenners erwartet und nicht Provokationen wie: „Die meisten modernen Gebäude kommen mir vor wie ein hausgewordenes ,Wetten daß`.“

Kühn: Es sollten bewußt keine Architektentage sein, sondern Architekturtage, und insofern ist es berechtigt, daß jemand von außen einen Kommentar abgibt, der überhaupt nicht differenziert ist, aber provokant. Die Provokation zum Nachdenken ist eines unserer Hauptanliegen, es geht nicht darum, die Botschaft zu vermitteln, sondern Gelegenheit zu liefern, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Der Ton, der auch sonst in der Präsentation der Architekturtage angeschlagen wird, ist durchaus humorvoll ironisch: ziemlich ungewohnt für eine Szene, die eher als witzfreie Zone gilt.

Pendl: Dieser Ernst hängt direkt mit dem Starkult zusammen. Sicher, die Starkultur gibt's in jeder Branche, die braucht's auch, man braucht solche Lichtanker am medialen Himmel. Aber das Gerieren der Stars in ihrer Monumenthaftigkeit ist immer etwas furchtbar Ernstes.

Kühn: Es gibt mittlerweile auch ein großes Bemühen, Architektur vom Massiven wegzubringen; wir haben eine Diskussion über Prozesse, dazu gehört auch das Miteinanderreden, daß der Architekt nicht mehr der einsame Künstler ist, der ein Werk produziert.

Wie schaut die Zukunft der Architekturtage aus?

Kühn: Das steht noch nicht fest. Aber es gibt internationale Beispiele, wo so etwas jedes Jahr passiert. ?

[ Ein detailliertes Programm der „Architekturtage 2002“ findet sich unter der Internet-Adresse www.architekturtage.at. Näheres zur „Architektur von innen“ ist auch bei der Österreichischen Gesellschaft für Architektur unter Tel. 01/319-46-15 zu erfahren. ]

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