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Neue Zürcher Zeitung

Innovative Bauten und Projekte des Architektenteams EM2N aus Zürich

Die Zürcher Architekten Mathias Müller und Daniel Niggli von EM2N verstehen sich weniger als Künstler denn als Vermittler zwischen allen an der Realisierung eines Projektes Beteiligten. Das Ergebnis sind komplexe Entwürfe, die nicht nur durch differenzierte Lösungen überzeugen, sondern auch durch deren intelligente Umsetzung.

4. Oktober 2002 - Peter Omachen
Wie im Dornröschenschlaf scheinen die historischen Dokumente von Baselland hinter dicht überwucherten Mauern zu ruhen. So jedenfalls stellen sich EM2N Architekten das Staatsarchiv in Liestal nach dem Umbau im Jahr 2004 vor. Das Projekt, das vor zwei Jahren aus einem Wettbewerb hervorgegangen ist, enthält die Erweiterung und Aufstockung des bestehenden Gebäudes. Dabei soll der durch einen meterhohen Bahndamm von der Innenstadt Liestals getrennte öffentliche Bau im Bereich der zukünftigen Besucherräume über eine Sichtverbindung mit dem Stadtzentrum verbunden werden. Der Entwurf, der poetische und rationale Elemente vereint, ist typisch für das vielfältige Schaffen der jungen Zürcher Architekten Mathias Müller und Daniel Niggli. Zusammen mit zwei weiteren Partnern gründeten sie 1997 das Büro EM2N, dessen Bezeichnung sich aus den Anfangsbuchstaben der Namen der vier ursprünglichen Partner ergab. Seit vier Jahren leiten die beiden 1966 und 1970 geborenen Architekten Müller und Niggli das Büro, das bis zu zehn Mitarbeiter zählt. Mit Wettbewerbsbeiträgen konnten sie zahlreiche Erfolge erzielen, die nun nach und nach realisiert werden.

Kurz vor der Fertigstellung stehen die 76 Genossenschaftswohnungen der Überbauung Hegianwandweg in Zürich Wiedikon. Fünf Baukörper erheben sich über einer gemeinsamen Tiefgarage und vermitteln in ihrer Grösse und Anordnung geschickt zwischen den talwärts liegenden Hochhäusern und den am Fuss des Üetlibergs aufgereihten Einfamilienhäusern. Um einen massiven Kern sind jeweils die Wohn- und Schlafräume angeordnet. Grosszügig dimensionierte Balkone umgeben die Bauten auf drei Seiten. Die Stoffstoren, die durch einen der insgesamt vier am Bau beteiligten Künstler gestaltet wurden, erinnern an sonnenbeschienenes Blattwerk und evozieren die Idee hängender Gärten. Bemerkenswert ist die Anwendung einer Holzelementkonstruktion im mehrgeschossigen Wohnbau. Nachhaltigkeit und Wohnkomfort waren ausschlaggebende Kriterien für die Wahl dieser innovativen Lösung. Formal folgen die schlichten Bauten den Regeln, die sich aus der konsequenten Analyse von Ort, Konstruktion und Bewohnerbedürfnissen ergaben.

Überraschend ist der Pragmatismus, mit dem EM2N ähnlich wie andere Vertreter der jüngsten Schweizer Architektengeneration an ihre vielfältigen Aufgaben herangeht. So ist es mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden, dass mit den zahlreichen am Bau beteiligten Fachleuten eine echte Arbeitsgemeinschaft eingegangen wird. Statiker, Landschaftsarchitekten, Kostenplaner, Bauphysiker, Künstler und Eigentümer werden aktiv in den Entwurfsprozess eingebunden. Dieses Arbeitskonzept kam vereinzelt seit den sechziger Jahren zur Anwendung, gewinnt jedoch erst heute durch die zunehmende Professionalisierung der einzelnen Disziplinen an Bedeutung. Der fertige Bau versteht sich somit zum Vornherein als Resultat eines interdisziplinären Dialogs - und nicht als das Werk eines einzelnen Künstlerarchitekten. Diese Haltung entlastet das Bauwerk von zahlreichen Ansprüchen, die im Sinne eines in allen Einzelheiten kontrollierten Kunstwerks üblicherweise an es herangetragen werden. So erlauben sich EM2N Architekten beispielsweise, die Holzkonstruktion des Wiedikoner Genossenschaftswohnbaus mit einer Putzfassade zu bekleiden - und nicht, wie es eine didaktische Umsetzung der Ideale der Moderne fordern würde, mit einer vermeintlich «ehrlichen» Holzfassade. Die Loslösung vom moralisierenden Diktat einer historisierend angewandten Moderne erweist sich dabei als eine längst fällige Notwendigkeit.

Einer der ersten ausgeführten Bauten von EM2N ist das Einfamilienhaus im thurgauischen Tobel. Das auf einem Wiesenhang stehende Haus entpuppt sich bei näherer Betrachtung als repräsentative Villa. Die baulich dem Schein nach unabhängige Garageneinfahrt im Garten ist in Wirklichkeit unterirdisch mit dem Wohnbau zu einem L-förmigen Baukörper verbunden. Darin verbirgt sich eine Einstellhalle von beachtlichen Ausmassen, die in eine viergeschossige, von oben belichtete Treppenanlage mündet. Die Garage erscheint bei aller konsequenten Rohheit der Materialien und Oberflächen auf subtile Weise veredelt, wie es der Nutzung eines heimlichen Haupteingangs angemessen ist. - EM2N Architekten stehen für eine neue Generation, die dem Konzept einer von anachronistischen Konventionen befreiten Baukunst nachlebt. Einer Baukunst, die ihren Reichtum aus den vielschichtigen Antworten bezieht, welche die Architekten auf die komplexen Fragestellungen des heutigen Bauens finden.

[ Mathias Müller und Daniel Niggli stellen ihre Arbeiten am 9. Oktober um 18 Uhr 30 im Architekturforum Zürich am Neumarkt 17 vor. ]

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