Artikel
Gesamtkunstwerk als Leitmotiv
Ausstellung Arne Jacobsen in Humlebæk
Als Höhepunkt des Veranstaltungsreigens, mit dem Dänemark den 100. Geburtstag des 1971 verstorbenen Architekten und Designers Arne Jacobsen feiert, präsentiert jetzt das Louisiana Museum sein Werk in einer grossen Retrospektive, der es auf überzeugende Weise gelingt, seinen umfassenden Gestaltungswillen zu dokumentieren.
6. November 2002 - Mathias Remmele
In der an bedeutenden Gestalten wahrlich nicht armen Architektur- und Designgeschichte Dänemarks nimmt Arne Jacobsen eine einmalige Sonderstellung ein. Durch seine zahlreichen prominenten Bauten, vor allem aber durch sein weit gefächertes und bis heute äusserst populäres Schaffen als Designer ist «AJ», wie er in seiner Heimat oft genannt wird, zu einer Art nationaler Identifikationsfigur aufgestiegen. Mit einiger Spannung hat man daher, nicht nur in Dänemark, die dem Meister gewidmete Jubiläums-Retrospektive erwartet, für die das Louisiana Museum in Humlebæk einen trefflichen Rahmen bietet - atmet doch der malerisch an der Meerenge zwischen Dänemark und Schweden gelegene Museumskomplex formal und durch seine harmonische Einbettung in die umgebende Parklandschaft den Geist Jacobsens.
Überzeugendes Konzept
Die Ausstellungsmacher standen bei der Vorbereitung der Retrospektive vor der schwierigen Aufgabe, aus der enormen Fülle einer aussergewöhnlich fruchtbaren, fast fünf Jahrzehnte umfassenden Gestalterkarriere eine sachlich überzeugende, für das Publikum bewältigbare und zugleich repräsentative Auswahl zu treffen. Der Kurator Kjeld Kjeldsen fand, unterstützt von den beiden Experten Carsten Thau und Kjeld Vindum, die vor wenigen Jahren eine sehr umfangreiche Jacobsen-Monographie vorgelegt hatten, für dieses Problem eine hervorragende Lösung. Um der Retrospektive eine Struktur zu geben, haben sie sich die staunenswerte Vielseitigkeit von Jakobsens Schaffen zunutze gemacht. Sein unbändiger Gestaltungswillen, der über Architektur und Design hinaus bis in die Garten- und Landschaftsplanung reichte, offenbart einen unwiderlegbaren Drang zum Gesamtkunstwerk, der gleichsam als Leitfaden für die Betrachtung seines Œuvres dienen kann. Dies erscheint schon deshalb sinnvoll, weil ein erheblicher Teil von Jacobsens Design im Zusammenhang mit konkreten Bauaufgaben entstand. Das Konzept des Gesamtkunstwerkes trägt also von der Sache her, und es erlaubt zugleich eine Fokussierung auf diejenigen Projekte Jacobsens, in denen es besonders deutlich zum Ausdruck kommt - und das sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch seine wichtigsten und bekanntesten Werke.
Die Ausstellung, die übrigens auch die unabhängig von einer architektonischen Aufgabe entstandenen Designentwürfe wie etwa die Vola- Armaturen, die Gefässe der Cylinda-Line oder die oft mit floralen Motiven gestalteten Textilien zeigt, vermag ihr Publikum durch eine klare Gliederung (zu der die Ausstellungsarchitektur von Elisabeth Topsøe-Jensen einen wichtigen Beitrag liefert) und die Vielfalt der präsentierten Objekte zu fesseln. Das Spektrum reicht dabei von Skizzen über Pläne, aquarellierte Perspektiven, Modelle, historische und neuere Photographien und Designarbeiten bis hin zu Dia- und Videoprojektionen sowie Computeranimationen.
Das «SAS»-Hotel als Höhepunkt
Die dreigeteilte Schau beginnt ganz unspektakulär mit einer Auswahl von Aquarellen und Photographien Jacobsens. Diese Bilder bezeugen sein malerisches Talent (das er, wie sich später zeigen wird, auch für seine Entwurfspräsentationen fruchtbar machte), sie dokumentieren seine Auseinandersetzung mit Formen und Farben, und sie offenbaren zugleich einige seiner Inspirationsquellen. Anschliessend vermitteln dann ausgewählte, in chronologischer Ordnung präsentierte Designobjekte und Architekturmodelle einen ersten Eindruck von der Bandbreite und der stilistischen Entwicklung seines Werkes.
Nach dieser überblicksartigen Einführung folgt der Hauptteil der Ausstellung, in dem, anhand von einigen zentralen Werkkomplexen, beispielhaft das Zusammenspiel von Architektur und Design illustriert wird. Den Anfang machen die in den dreissiger Jahren im Stil der weissen Moderne errichteten Bauten auf dem nördlich von Kopenhagen gelegenen Bellevue-Areal (ein Strandbad, ein Theater mit Restauranttrakt, ein Mietshauskomplex und eine Tankstelle), für die Jacobsen teilweise auch das Interieur entwarf. Es folgen die beiden kurze Zeit später entstandenen Rathäuser von Århus und Søllerød, die ihm erstmals die Chance boten, seine umfassenden gestalterischen Vorstellungen in einem repräsentativen Rahmen zu verwirklichen. Während bei diesen vor dem Zweiten Weltkrieg realisierten Projekten die Auseinandersetzung Jacobsens mit den Arbeiten von Gunnar Asplund evident wird, bezeugen die in der Nachkriegszeit entstandenen Arbeiten die fruchtbare Beschäftigung mit amerikanischen Vorbildern. Dies zeigt sich etwa in den Planungen für das «SAS»-Hotel in Kopenhagen, die unbestritten einen kreativen Höhepunkt in Jacobsens Schaffen markieren und in der Ausstellung einen entsprechend breiten Raum einnehmen.
Die Frage nach der Aktualität
Rein architektonisch mag das in der reduzierten Formensprache der Nachkriegsmoderne zwischen 1955 und 1960 im Zentrum der dänischen Hauptstadt erbaute Hotel nicht als wegweisend gelten - zu offensichtlich ist die Kombination von Hochhaus-Scheibe und flacher, zweigeschossiger Sockelplatte vom Lever-Building in New York inspiriert. Die Fülle, Qualität und Originalität der für dieses Projekt entstandenen Designentwürfe, zu denen so berühmte Sitzmöbel wie das Ei und der Schwan gehören, ist aber bis heute kaum übertroffen worden. Das «SAS»-Hotel, das gestalterisch von der Spannung zwischen einer formal reduzierten, meist streng orthogonal organisierten Architektur und dem dynamischen Schwung und der Exaltiertheit seines Interieurs lebt, ist, wie die Ausstellung eindrücklich beweist, ein Gesamtkunstwerk par excellence.
Diese gestalterische Höhe vermochte Jacobsen in seinem Spätwerk nur bedingt zu halten. Am ehesten gelang ihm dies beim zwischen 1959 und 1964 realisierten St. Catherine's College in Oxford. Es ist, nicht zuletzt dank seinem Garten, aus heutiger Sicht der letzte geglückte Gesamtentwurf des Meisters. Die in den späten sechziger Jahren erbaute dänische Nationalbank hingegen vermag zwar durch architektonische Details wie etwa die filigrane, ungemein elegante Treppe im Besucherfoyer zu gefallen, städtebaulich aber ist dieser hermetische Bau, trotz seinen harmonischen Proportionen, ein Problemfall.
Der dritte und abschliessende Teil der Ausstellung versucht eine Annäherung an Jacobsen aus zeitgenössischer Perspektive. Das Louisiana Museum hat drei international bekannte Architekturbüros zu einer Auseinandersetzung mit seinem Werk eingeladen: Gigon Guyer aus Zürich, Dominique Perrault aus Paris und Sejima/Nishizawa vom japanischen Büro SANAA. So lobenswert es ist, bei einer derartigen Jubiläumsschau die Frage nach der Aktualität und der bleibenden Relevanz des präsentierten Werkes zu stellen, und so bemerkenswert es erscheint, dass man in Dänemark die Antwort auf diese Frage ausländischen Interpreten überlässt: Die Auswahl der eingeladenen Büros (warum übrigens nur Architekten?) wirkt leider ebenso wenig zwingend wie die vorgestellten Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit Jacobsen. Eine Ausnahme macht das Duo SANAA. Es placierte in den für seinen Ausblick auf den Park berühmten Giacometti-Raum des Museums einen grossen Plexiglaszylinder, in dessen Wände freie organische Formen reliefartig eingeschrieben sind. Das Objekt evoziert Leichtigkeit und Transparenz. Wer hindurchblickt, sieht skurril verzerrte Bilder - gerade so, als habe sich die Welt verflüssigt. Rauminstallation und Kunstwerk in einem, vermag dieser Zylinder für sich allein zu stehen. Zugleich aber kann er als Kommentar zu Jacobsen gelesen werden, der zwischen strenger Geometrie und organischer Form keinen Widerspruch sah.
[Die Ausstellung «Arne Jacobsen - Absolut modern» im Louisiana Museum in Humlebæk dauert bis zum 12. Januar 2003.]
Überzeugendes Konzept
Die Ausstellungsmacher standen bei der Vorbereitung der Retrospektive vor der schwierigen Aufgabe, aus der enormen Fülle einer aussergewöhnlich fruchtbaren, fast fünf Jahrzehnte umfassenden Gestalterkarriere eine sachlich überzeugende, für das Publikum bewältigbare und zugleich repräsentative Auswahl zu treffen. Der Kurator Kjeld Kjeldsen fand, unterstützt von den beiden Experten Carsten Thau und Kjeld Vindum, die vor wenigen Jahren eine sehr umfangreiche Jacobsen-Monographie vorgelegt hatten, für dieses Problem eine hervorragende Lösung. Um der Retrospektive eine Struktur zu geben, haben sie sich die staunenswerte Vielseitigkeit von Jakobsens Schaffen zunutze gemacht. Sein unbändiger Gestaltungswillen, der über Architektur und Design hinaus bis in die Garten- und Landschaftsplanung reichte, offenbart einen unwiderlegbaren Drang zum Gesamtkunstwerk, der gleichsam als Leitfaden für die Betrachtung seines Œuvres dienen kann. Dies erscheint schon deshalb sinnvoll, weil ein erheblicher Teil von Jacobsens Design im Zusammenhang mit konkreten Bauaufgaben entstand. Das Konzept des Gesamtkunstwerkes trägt also von der Sache her, und es erlaubt zugleich eine Fokussierung auf diejenigen Projekte Jacobsens, in denen es besonders deutlich zum Ausdruck kommt - und das sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch seine wichtigsten und bekanntesten Werke.
Die Ausstellung, die übrigens auch die unabhängig von einer architektonischen Aufgabe entstandenen Designentwürfe wie etwa die Vola- Armaturen, die Gefässe der Cylinda-Line oder die oft mit floralen Motiven gestalteten Textilien zeigt, vermag ihr Publikum durch eine klare Gliederung (zu der die Ausstellungsarchitektur von Elisabeth Topsøe-Jensen einen wichtigen Beitrag liefert) und die Vielfalt der präsentierten Objekte zu fesseln. Das Spektrum reicht dabei von Skizzen über Pläne, aquarellierte Perspektiven, Modelle, historische und neuere Photographien und Designarbeiten bis hin zu Dia- und Videoprojektionen sowie Computeranimationen.
Das «SAS»-Hotel als Höhepunkt
Die dreigeteilte Schau beginnt ganz unspektakulär mit einer Auswahl von Aquarellen und Photographien Jacobsens. Diese Bilder bezeugen sein malerisches Talent (das er, wie sich später zeigen wird, auch für seine Entwurfspräsentationen fruchtbar machte), sie dokumentieren seine Auseinandersetzung mit Formen und Farben, und sie offenbaren zugleich einige seiner Inspirationsquellen. Anschliessend vermitteln dann ausgewählte, in chronologischer Ordnung präsentierte Designobjekte und Architekturmodelle einen ersten Eindruck von der Bandbreite und der stilistischen Entwicklung seines Werkes.
Nach dieser überblicksartigen Einführung folgt der Hauptteil der Ausstellung, in dem, anhand von einigen zentralen Werkkomplexen, beispielhaft das Zusammenspiel von Architektur und Design illustriert wird. Den Anfang machen die in den dreissiger Jahren im Stil der weissen Moderne errichteten Bauten auf dem nördlich von Kopenhagen gelegenen Bellevue-Areal (ein Strandbad, ein Theater mit Restauranttrakt, ein Mietshauskomplex und eine Tankstelle), für die Jacobsen teilweise auch das Interieur entwarf. Es folgen die beiden kurze Zeit später entstandenen Rathäuser von Århus und Søllerød, die ihm erstmals die Chance boten, seine umfassenden gestalterischen Vorstellungen in einem repräsentativen Rahmen zu verwirklichen. Während bei diesen vor dem Zweiten Weltkrieg realisierten Projekten die Auseinandersetzung Jacobsens mit den Arbeiten von Gunnar Asplund evident wird, bezeugen die in der Nachkriegszeit entstandenen Arbeiten die fruchtbare Beschäftigung mit amerikanischen Vorbildern. Dies zeigt sich etwa in den Planungen für das «SAS»-Hotel in Kopenhagen, die unbestritten einen kreativen Höhepunkt in Jacobsens Schaffen markieren und in der Ausstellung einen entsprechend breiten Raum einnehmen.
Die Frage nach der Aktualität
Rein architektonisch mag das in der reduzierten Formensprache der Nachkriegsmoderne zwischen 1955 und 1960 im Zentrum der dänischen Hauptstadt erbaute Hotel nicht als wegweisend gelten - zu offensichtlich ist die Kombination von Hochhaus-Scheibe und flacher, zweigeschossiger Sockelplatte vom Lever-Building in New York inspiriert. Die Fülle, Qualität und Originalität der für dieses Projekt entstandenen Designentwürfe, zu denen so berühmte Sitzmöbel wie das Ei und der Schwan gehören, ist aber bis heute kaum übertroffen worden. Das «SAS»-Hotel, das gestalterisch von der Spannung zwischen einer formal reduzierten, meist streng orthogonal organisierten Architektur und dem dynamischen Schwung und der Exaltiertheit seines Interieurs lebt, ist, wie die Ausstellung eindrücklich beweist, ein Gesamtkunstwerk par excellence.
Diese gestalterische Höhe vermochte Jacobsen in seinem Spätwerk nur bedingt zu halten. Am ehesten gelang ihm dies beim zwischen 1959 und 1964 realisierten St. Catherine's College in Oxford. Es ist, nicht zuletzt dank seinem Garten, aus heutiger Sicht der letzte geglückte Gesamtentwurf des Meisters. Die in den späten sechziger Jahren erbaute dänische Nationalbank hingegen vermag zwar durch architektonische Details wie etwa die filigrane, ungemein elegante Treppe im Besucherfoyer zu gefallen, städtebaulich aber ist dieser hermetische Bau, trotz seinen harmonischen Proportionen, ein Problemfall.
Der dritte und abschliessende Teil der Ausstellung versucht eine Annäherung an Jacobsen aus zeitgenössischer Perspektive. Das Louisiana Museum hat drei international bekannte Architekturbüros zu einer Auseinandersetzung mit seinem Werk eingeladen: Gigon Guyer aus Zürich, Dominique Perrault aus Paris und Sejima/Nishizawa vom japanischen Büro SANAA. So lobenswert es ist, bei einer derartigen Jubiläumsschau die Frage nach der Aktualität und der bleibenden Relevanz des präsentierten Werkes zu stellen, und so bemerkenswert es erscheint, dass man in Dänemark die Antwort auf diese Frage ausländischen Interpreten überlässt: Die Auswahl der eingeladenen Büros (warum übrigens nur Architekten?) wirkt leider ebenso wenig zwingend wie die vorgestellten Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit Jacobsen. Eine Ausnahme macht das Duo SANAA. Es placierte in den für seinen Ausblick auf den Park berühmten Giacometti-Raum des Museums einen grossen Plexiglaszylinder, in dessen Wände freie organische Formen reliefartig eingeschrieben sind. Das Objekt evoziert Leichtigkeit und Transparenz. Wer hindurchblickt, sieht skurril verzerrte Bilder - gerade so, als habe sich die Welt verflüssigt. Rauminstallation und Kunstwerk in einem, vermag dieser Zylinder für sich allein zu stehen. Zugleich aber kann er als Kommentar zu Jacobsen gelesen werden, der zwischen strenger Geometrie und organischer Form keinen Widerspruch sah.
[Die Ausstellung «Arne Jacobsen - Absolut modern» im Louisiana Museum in Humlebæk dauert bis zum 12. Januar 2003.]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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