Artikel
Wohntürme und Raketenrampen
Schauplatz Aschchabad
Die bauliche Erneuerung der turkmenischen Hauptstadt
27. November 2002 - Philipp Meuser
Als sich die Präsidenten der GUS-Republiken im vergangenen Jahr zu einem Gipfeltreffen im russischen Sotschi am Schwarzen Meer verabredeten, erhielt Wladimir Putin nur eine einzige Absage. Sie kam aus Aschchabad; ihr Absender war Saparmurat Nijasow, auch bekannt unter dem Namen Turkmenbaschi (Führer der Turkmenen). Der turkmenische Präsident habe, wie er seine Kollegen wissen liess, an der Endredaktion seines neuen Buches «Ruchnama» (kulturelles Vermächtnis) zu arbeiten. Was von der internationalen Diplomatie als Affront gewertet werden konnte, passt allerdings zum Bild des turkmenischen Alleinherrschers. In kaum einem anderen Land konnte der Präsident einen derartigen Kultstatus erlangen wie im Wüsten- und Ölstaat Turkmenistan. Die Hauptstadt gleicht einer einzigen Verehrungsstätte Turkmenbaschis. Im vergangenen Sommer kündigte der Präsident sogar eine Umbenennung der Namen der Monate und Wochentage an. So wird der Januar künftig Turkmenbaschi heissen. Aber nicht nur Staat und Gesellschaft, auch die Architektur Aschchabads ist ganz auf die Person des Präsidenten ausgerichtet.
Auf dem Neutralitätsplatz, der früher Karl- Marx-Platz hiess, überragt heute ein dreifüssiger Aussichtsturm das Stadtzentrum. Die vom türkischen Architekten Erol Tabanca 1998 fertig gestellte, einer Raketenrampe ähnelnde Konstruktion wird von einer vergoldeten Statue bekrönt, die den im Ausland umstrittenen Staatspräsidenten mit ausgebreiteten Armen darstellt und sich in 24 Stunden einmal um die eigene Achse dreht. In Sichtweite des Neutralitätsdenkmals liess Turkmenbaschi in den vergangenen Jahren zwei weitere Erinnerungsstätten errichten. Eine gemahnt an den Zweiten Weltkrieg, dem sein Vater zum Opfer fiel; die andere erinnert an das Erdbeben im Jahre 1948, bei dem 80 Prozent der Bevölkerung, darunter seine Mutter, starben. Dieser Familienkult des 1940 geborenen Staatsmanns passt in das Bild Zentralasiens. Denn wie die Herrscher Usbekistans, Kasachstans und Kirgistans regiert auch der turkmenische Präsident uneingeschränkt - und dies seit über zehn Jahren. An der Peripherie Aschchabads liess der «Führer der Turkmenen» ein Heim für obdachlose Kinder bauen. Auch sein Geburtsort kommt in den Genuss staatlicher Geschenke. In Kiptschak, eine halbe Autostunde von der Hauptstadt entfernt, baut der französische Konzern Buig die grösste Moschee des Landes. Laut ausländischen Geschäftsleuten werden die meisten Bauprojekte durch Kredite finanziert, die über noch nicht abgebaute Bodenschätze abgesichert werden.
Das Land verfügt über grosse Öl- und Gasvorkommen, deren Verkaufserlöse in überdimensionierte Infrastrukturen investiert werden - mit politischem Kalkül. So verfügt Aschchabad über den modernsten Flughafen in Zentralasien, zwei gigantische Sportstadien und eine Vielzahl von öffentlichen Neubauten wie Bibliotheken, Museen und Schulen. Mitten im Stadtzentrum liess Turkmenbaschi den Präsidentenpalast, das Parlament und eine Reihe von Ministeriumsbauten errichten. Wie sehr der Staatsführer, der gerne auch als der eigentliche Chefarchitekt Aschchabads bezeichnet wird, persönlich Einfluss auf die Gestaltung der Hauptstadt nimmt, lässt sich an vielen Beispielen ablesen. Als ihm die aus weissem Marmor errichtete Tribüne für offizielle Paraden die Sicht auf seinen Dienstsitz nahm, liess er das Gebäude kurzerhand um einige hundert Meter verschieben. Batur Myhatow, der ehemalige stellvertretende Chefarchitekt und Entwerfer der Tribüne, wurde dazu nicht einmal befragt.
Aschchabad liegt inmitten einer wüstenähnlichen Landschaft, lediglich 40 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt. Mit Wasser wird die Oasenstadt über den 1500 Kilometer langen Karakum-Kanal versorgt. Dieser entnimmt sein Wasser dem Amurdarja und ist deshalb eine der Ursachen für das ökologische Desaster am Aralsee, der seit 40 Jahren kontinuierlich austrocknet. An einen sparsamen Umgang mit Wasser ist in Aschchabad jedoch nicht zu denken. Selbst in Neubauten ist der Einbau von Wasserzählern noch keine Pflicht. «Wasser ist von Gott gegeben - deshalb sollte es auch für alle kostenlos zur Verfügung stehen», ist der immer wieder zitierte Satz des Präsidenten, der seine Hauptstadt in ein «Königreich der Brunnen» verwandeln will.
Der kaum zu übersehende Bauboom in Aschchabad dient ähnlich wie im kasachischen Astana, wo sich Präsident Nursultan Nasarbajew eine neue Hauptstadt in der Steppe bauen lässt, als Spiegel einer vermeintlichen Erneuerung der Gesellschaft. Dabei werden Architekturtraditionen beschworen, die es in Turkmenistan ausser bei Sakralbauten niemals gegeben hat. Der Grossteil des Nomadenvolkes ist erst seit zwei Generationen sesshaft und hat die russischen Wohnformen - Plattenbau und Datscha - übernommen. Hinzu kommt, dass an die Zeit vor dem Erdbeben im Jahre 1948 nur drei Gebäude erinnern. Obwohl die Bausubstanz Aschchabads kaum älter als 50 Jahre ist, stehen viele Häuser aus der Sowjetzeit zur Disposition. Gerade zwei Prozent der Bauten sind unter Denkmalschutz, darunter die ehemalige Karl-Marx-Bibliothek (1975) und das Lenin-Denkmal (1927).
Gleichsam als Antwort auf die zahlreichen Monumente ragen am Stadtrand die Wohntürme der Neureichen in die Höhe. Mehr als zwanzig dieser von Zäunen und üppigem Grün umgebenen Immobilien sind in den vergangenen Jahren schon errichtet worden. Ihre unregelmässige Anordnung entlang der Ausfallstrassen lässt vermuten, dass weitere dieser eklektizistischen Wohnburgen folgen sollen. Beidseits der mehrspurigen Schnellstrasse zum Flughafen drehen sich zudem die Kräne für die Bauvorhaben des Präsidenten. Hier entstehen vor allem verspiegelte Bürogebäude. Ein riesiges Bild Turkmenbaschis begrüsst die zukünftigen Mieter auf jedem der Bauschilder. Im Hinblick auf eine noch prächtigere architektonische Inszenierung der Hauptstadt werden zentrumsnahe Wohnanlagen aus der Sowjetzeit abgerissen, und die Bevölkerung wird an den Stadtrand umgesiedelt. Widerstand kann sich im turkmenischen Einparteienstaat freilich nicht organisieren. Mit seinen architektonischen Gesten und zahlreichen Geschenken an das Volk beugt Turkmenbaschi jeglicher Kritik vor. Jeder Bürger erhält kostenlos Wasser, Gas und Strom. Für den öffentlichen Transport auf Stadtgebiet und für die Wohnungsmieten kommt ebenfalls der Staat auf. Allerdings beträgt der durchschnittliche Monatslohn nur zwischen 80 und 100 US-Dollar.
Als seine Hauptaufgabe sieht Wolodja Filiptschenko, der Chefarchitekt Aschchabads, den Umbau der Hauptstadt zu einem Kultur-, Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum - Eigenschaften, die der Halbmillionenstadt in der Vergangenheit nicht vergönnt gewesen seien. Turkmenistan sei zu Sowjetzeiten immer nur Lieferant von Rohstoffen - vor allem von Baumwolle - gewesen. Nun müsse es darum gehen, die Eigenständigkeit auch baulich auszudrücken. Dabei ist die Bevölkerungszahl Aschchabads seit der Unabhängigkeit im Jahre 1991 von 550 000 auf heute 400 000 Einwohner zurückgegangen. Für Filiptschenko ist dies lediglich eine Argumentationshilfe bei der Umsetzung der neotraditionalistischen Ideen, die vom Staatspräsidenten persönlich abgesegnet oder beauftragt werden. Die Abwanderung vor allem der russischen Bevölkerung vereinfache den Abriss der sowjetischen Wohnquartiere, in denen der Standard ohnehin nicht hoch sei. Zudem seien die «Chruschtschewskis» - fünfgeschossige Plattenbauten der ersten Generation - aus klimatisch ungünstigem Beton errichtet. Dass in diesen zum Teil üppig begrünten Abrissgebieten aber auch zahlreiche Einfamilienhäuser liegen, die für die Behörden als Keimzellen der Opposition gelten, wird verschwiegen. Von einer modernen Gesellschaft ist Turkmenistan noch weit entfernt - politisch und architektonisch.
Auf dem Neutralitätsplatz, der früher Karl- Marx-Platz hiess, überragt heute ein dreifüssiger Aussichtsturm das Stadtzentrum. Die vom türkischen Architekten Erol Tabanca 1998 fertig gestellte, einer Raketenrampe ähnelnde Konstruktion wird von einer vergoldeten Statue bekrönt, die den im Ausland umstrittenen Staatspräsidenten mit ausgebreiteten Armen darstellt und sich in 24 Stunden einmal um die eigene Achse dreht. In Sichtweite des Neutralitätsdenkmals liess Turkmenbaschi in den vergangenen Jahren zwei weitere Erinnerungsstätten errichten. Eine gemahnt an den Zweiten Weltkrieg, dem sein Vater zum Opfer fiel; die andere erinnert an das Erdbeben im Jahre 1948, bei dem 80 Prozent der Bevölkerung, darunter seine Mutter, starben. Dieser Familienkult des 1940 geborenen Staatsmanns passt in das Bild Zentralasiens. Denn wie die Herrscher Usbekistans, Kasachstans und Kirgistans regiert auch der turkmenische Präsident uneingeschränkt - und dies seit über zehn Jahren. An der Peripherie Aschchabads liess der «Führer der Turkmenen» ein Heim für obdachlose Kinder bauen. Auch sein Geburtsort kommt in den Genuss staatlicher Geschenke. In Kiptschak, eine halbe Autostunde von der Hauptstadt entfernt, baut der französische Konzern Buig die grösste Moschee des Landes. Laut ausländischen Geschäftsleuten werden die meisten Bauprojekte durch Kredite finanziert, die über noch nicht abgebaute Bodenschätze abgesichert werden.
Das Land verfügt über grosse Öl- und Gasvorkommen, deren Verkaufserlöse in überdimensionierte Infrastrukturen investiert werden - mit politischem Kalkül. So verfügt Aschchabad über den modernsten Flughafen in Zentralasien, zwei gigantische Sportstadien und eine Vielzahl von öffentlichen Neubauten wie Bibliotheken, Museen und Schulen. Mitten im Stadtzentrum liess Turkmenbaschi den Präsidentenpalast, das Parlament und eine Reihe von Ministeriumsbauten errichten. Wie sehr der Staatsführer, der gerne auch als der eigentliche Chefarchitekt Aschchabads bezeichnet wird, persönlich Einfluss auf die Gestaltung der Hauptstadt nimmt, lässt sich an vielen Beispielen ablesen. Als ihm die aus weissem Marmor errichtete Tribüne für offizielle Paraden die Sicht auf seinen Dienstsitz nahm, liess er das Gebäude kurzerhand um einige hundert Meter verschieben. Batur Myhatow, der ehemalige stellvertretende Chefarchitekt und Entwerfer der Tribüne, wurde dazu nicht einmal befragt.
Aschchabad liegt inmitten einer wüstenähnlichen Landschaft, lediglich 40 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt. Mit Wasser wird die Oasenstadt über den 1500 Kilometer langen Karakum-Kanal versorgt. Dieser entnimmt sein Wasser dem Amurdarja und ist deshalb eine der Ursachen für das ökologische Desaster am Aralsee, der seit 40 Jahren kontinuierlich austrocknet. An einen sparsamen Umgang mit Wasser ist in Aschchabad jedoch nicht zu denken. Selbst in Neubauten ist der Einbau von Wasserzählern noch keine Pflicht. «Wasser ist von Gott gegeben - deshalb sollte es auch für alle kostenlos zur Verfügung stehen», ist der immer wieder zitierte Satz des Präsidenten, der seine Hauptstadt in ein «Königreich der Brunnen» verwandeln will.
Der kaum zu übersehende Bauboom in Aschchabad dient ähnlich wie im kasachischen Astana, wo sich Präsident Nursultan Nasarbajew eine neue Hauptstadt in der Steppe bauen lässt, als Spiegel einer vermeintlichen Erneuerung der Gesellschaft. Dabei werden Architekturtraditionen beschworen, die es in Turkmenistan ausser bei Sakralbauten niemals gegeben hat. Der Grossteil des Nomadenvolkes ist erst seit zwei Generationen sesshaft und hat die russischen Wohnformen - Plattenbau und Datscha - übernommen. Hinzu kommt, dass an die Zeit vor dem Erdbeben im Jahre 1948 nur drei Gebäude erinnern. Obwohl die Bausubstanz Aschchabads kaum älter als 50 Jahre ist, stehen viele Häuser aus der Sowjetzeit zur Disposition. Gerade zwei Prozent der Bauten sind unter Denkmalschutz, darunter die ehemalige Karl-Marx-Bibliothek (1975) und das Lenin-Denkmal (1927).
Gleichsam als Antwort auf die zahlreichen Monumente ragen am Stadtrand die Wohntürme der Neureichen in die Höhe. Mehr als zwanzig dieser von Zäunen und üppigem Grün umgebenen Immobilien sind in den vergangenen Jahren schon errichtet worden. Ihre unregelmässige Anordnung entlang der Ausfallstrassen lässt vermuten, dass weitere dieser eklektizistischen Wohnburgen folgen sollen. Beidseits der mehrspurigen Schnellstrasse zum Flughafen drehen sich zudem die Kräne für die Bauvorhaben des Präsidenten. Hier entstehen vor allem verspiegelte Bürogebäude. Ein riesiges Bild Turkmenbaschis begrüsst die zukünftigen Mieter auf jedem der Bauschilder. Im Hinblick auf eine noch prächtigere architektonische Inszenierung der Hauptstadt werden zentrumsnahe Wohnanlagen aus der Sowjetzeit abgerissen, und die Bevölkerung wird an den Stadtrand umgesiedelt. Widerstand kann sich im turkmenischen Einparteienstaat freilich nicht organisieren. Mit seinen architektonischen Gesten und zahlreichen Geschenken an das Volk beugt Turkmenbaschi jeglicher Kritik vor. Jeder Bürger erhält kostenlos Wasser, Gas und Strom. Für den öffentlichen Transport auf Stadtgebiet und für die Wohnungsmieten kommt ebenfalls der Staat auf. Allerdings beträgt der durchschnittliche Monatslohn nur zwischen 80 und 100 US-Dollar.
Als seine Hauptaufgabe sieht Wolodja Filiptschenko, der Chefarchitekt Aschchabads, den Umbau der Hauptstadt zu einem Kultur-, Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum - Eigenschaften, die der Halbmillionenstadt in der Vergangenheit nicht vergönnt gewesen seien. Turkmenistan sei zu Sowjetzeiten immer nur Lieferant von Rohstoffen - vor allem von Baumwolle - gewesen. Nun müsse es darum gehen, die Eigenständigkeit auch baulich auszudrücken. Dabei ist die Bevölkerungszahl Aschchabads seit der Unabhängigkeit im Jahre 1991 von 550 000 auf heute 400 000 Einwohner zurückgegangen. Für Filiptschenko ist dies lediglich eine Argumentationshilfe bei der Umsetzung der neotraditionalistischen Ideen, die vom Staatspräsidenten persönlich abgesegnet oder beauftragt werden. Die Abwanderung vor allem der russischen Bevölkerung vereinfache den Abriss der sowjetischen Wohnquartiere, in denen der Standard ohnehin nicht hoch sei. Zudem seien die «Chruschtschewskis» - fünfgeschossige Plattenbauten der ersten Generation - aus klimatisch ungünstigem Beton errichtet. Dass in diesen zum Teil üppig begrünten Abrissgebieten aber auch zahlreiche Einfamilienhäuser liegen, die für die Behörden als Keimzellen der Opposition gelten, wird verschwiegen. Von einer modernen Gesellschaft ist Turkmenistan noch weit entfernt - politisch und architektonisch.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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