Artikel
Leben in Kissen und Regalen
Impressionen von der internationalen Möbelmesse Köln
7. Februar 2003 - Irene Meier
Im Wohndesign sind seit einiger Zeit futuristische Welten wieder im Trend. Das zeigte sich im Januar auch auf der Kölner Möbelmesse, wo visionäre Entwürfe die Sonderschauen dominierten, während auf den Messeständen der meisten Firmen das kuschelige Ambiente, in das man sich aus dem Alltag flüchtet, immer wichtiger wird.
In die «Designwelten» von Karim Rashid aus New York und Konstantin Grcic aus München konnte man jüngst in Köln eintauchen. Die beiden Shootingstars der Designszene wollten anlässlich der jeweils im Januar stattfindenden Möbelmesse mit ihren zwischen «organischem Futurismus» und der «Poesie des Einfachen» anzusiedelnden Entwürfen «scheinbar gegensätzliche Trendphänomene, die sich in einer pluralistischen Gesellschaft zeitgleich entwickeln können», aufzeigen. Grcic, zweifellos einer der begabtesten Vertreter eines verfeinerten Purismus, zwingt uns in seinem «Ideal House» zu einem Leben inmitten von Regalen. Der Bewohner dieses «Lebensraum-Archivs» bewegt sich in einem Sessel an einer kranartigen Vorrichtung zwischen den Wänden. Rashids Installation hingegen suggeriert ein Ambiente, das auf einer organisch-weichen Formenwelt beruht. Dabei folgt er einer klassischen Einteilung der Wohnräume und nimmt die jetzt wieder modische Ästhetik der sechziger Jahre auf. Designer wie Joe Colombo postulierten derart kompakte, in sich funktionierende Wohnungseinheiten schon vor nahezu einem halben Jahrhundert als provokative Vorschläge für ein zukünftiges Wohnen. Rashid putzt diese heute mit knalligen Farben und Mustern sowie modernster Technologie auf. Sein «Idealhaus» verfolgt wohl vor allem den Zweck, das sonst in Köln vorherrschende langweilige Einerlei der Stile und das Fehlen von zündenden Ideen im Bereich des Möbeldesigns zu kaschieren.
Lebendige Schweizer Szene
Die Präsentationen der einzelnen Firmen auf dem Messegelände, die ja nach Köln kommen, um ihre Produkte zu verkaufen und so das Zuhause der nahen Zukunft zu bestimmen, verkörperten hingegen einen anderen Geist. Da spürte man wenig Interesse an futuristischen Wohnideen. Vielmehr geht der breite Trend hin zum Sich-Einkuscheln. Das gilt auch für den Möbelmarkt, dem es zurzeit nicht gut geht. Mühe bekunden vor allem diejenigen Unternehmen, die sich bezüglich Fertigungsstandard und Formgebung im Mittelfeld bewegen. Kleinere, auf hochwertiges Design spezialisierte Firmen scheinen unter dem Einbruch weniger zu leiden. Ihre Nischenprodukte sprachen stets ein ganz bestimmtes Publikum an, und das ist geblieben. So sah man bei einigen Schweizer Firmen, die diesem Profil entsprechen, auch diesmal interessante neue Produkte.
Röthlisberger-Kollektion, die wie schon in den letzten Jahren zusammen mit dem Forum 8 als Gruppe innovativer Schweizer Hersteller auftrat, zeigte ihre «Tour d'Oï», einen drehbaren, frei im Raum aufstellbaren Turm aus vier übereinander liegenden Kuben mit neu entwickelten magnetgeführten Schiebetüren. Abwechselnd um 90 Grad gedreht, sind die Kuben von zwei gegenüberliegenden Seiten her benutzbar - offen oder mit einem transluzenten Vertikalschieber abgeschirmt. Die vier Stauräume von 46 Zentimetern Seitenlänge können mit einem eingesetzten Regalfachwerk aufgeteilt werden. Innovative Technologie, perfekte Fertigung und originelles Design finden hier zusammen. Das vom Westschweizer Atelier Oï, das einem breiteren Publikum auch durch seine Interventionen auf der Arteplage in Neuenburg zum Begriff geworden ist, entwickelte Möbel ist einer der Preisträger des renommierten «iF Design Award 2003».
Von Willy Guhl, dem Doyen des Schweizer Designs, stammt der Tisch «Perreuse» (bei Röthlisberger), der seinen vor 56 Jahren kreierten berühmten Bankstuhl ergänzt. Guhls Tischkonstruktion mit einer dreiteiligen Latte basiert auf zwei selbständig stehenden Brettbrücken in Nussbaum- oder Eichenholz. Sie bilden in Doppelfunktion Tischbein wie Teil der Platte, die mit Zugstangen verbunden sind. Für die Längsplatte dieser ebenso einfachen wie genialen Konstruktion sind je nach Tischfunktion verschiedene hitze- und gebrauchsresistente Materialien einsetzbar. Auch Wogg bietet einen innovativen Tisch an. Hier war wieder das Atelier Oï am Werk. Das Kernstück dieses neuen, «Endless» genannten Tisches bildet eine Konstruktion aus zwei Aluminiumtragprofilen, die durch Abstandhalter verbunden werden. So kann nach Bedarf ein Tisch bis zu sechs Metern Länge zusammengestellt werden. Die Rohrfüsse werden mittels eines kräftigen Gewindes direkt ins Tragprofil eingeschraubt und können jederzeit problemlos demontiert werden. Das Besondere des Tischkonzeptes besteht in seinen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten, da die Tischplatte unterteilt werden kann. Dazwischenliegende Freiräume dienen als Kabelkanäle oder als schalenartige Unterbrüche in der Tischfläche - ein ausgeklügelter Hightech-Tisch, der in bester Schweizer Tradition funktionales Design mit eleganter Form vereint.
Doch auch renommierte internationale Hersteller arbeiten gerne mit Schweizer Gestaltern. So zeigt die Firma Classicon, die auch die Reeditionen von Eileen Gray in ihrem Programm hat und mit ihren Klassikern in Zeiten der Unsicherheit sehr erfolgreich ist, das Sideboard «Nemea» von Alfredo Häberli, das sich in zwei Richtungen ausziehen lässt. In jeder Stufe wirkt es mit seiner weissen Oberfläche in schimmerndem Lack elegant, so dass man es sich gut neben einem Möbel von Eileen Gray oder Jean Michel Frank vorstellen kann. Damit passt es aber auch bestens ins anspruchsvolle Programm der deutschen Firma.
Entwürfe von berühmten Architekten
Dass sich berühmte Architekten immer wieder an den Entwurf von Möbeln wagen, ist nichts Neues. So entwarf Helmut Jahn in Zusammenarbeit mit Yorgo Lykouria für Classicon den Tisch «Ulysses». Als Refektoriumstisch eines mittelalterlichen Klosters, der ins 21. Jahrhundert transponiert worden ist, will ihn Jahn verstanden wissen. Seine ungewöhnliche Oberfläche aus einer mit dem Laser bearbeiteten Edelstahlplatte, die auf Acryl aufliegt, erinnert tatsächlich an die Struktur von Jahns Hochhäusern. Der passende Hocker «Naiad» hat dank seinem mit Gel gefüllten Fahrradsattel eine bequem federnde Sitzfläche. Hightech neben kuscheligen Kissenbergen - das Wohnen der Zukunft?
In die «Designwelten» von Karim Rashid aus New York und Konstantin Grcic aus München konnte man jüngst in Köln eintauchen. Die beiden Shootingstars der Designszene wollten anlässlich der jeweils im Januar stattfindenden Möbelmesse mit ihren zwischen «organischem Futurismus» und der «Poesie des Einfachen» anzusiedelnden Entwürfen «scheinbar gegensätzliche Trendphänomene, die sich in einer pluralistischen Gesellschaft zeitgleich entwickeln können», aufzeigen. Grcic, zweifellos einer der begabtesten Vertreter eines verfeinerten Purismus, zwingt uns in seinem «Ideal House» zu einem Leben inmitten von Regalen. Der Bewohner dieses «Lebensraum-Archivs» bewegt sich in einem Sessel an einer kranartigen Vorrichtung zwischen den Wänden. Rashids Installation hingegen suggeriert ein Ambiente, das auf einer organisch-weichen Formenwelt beruht. Dabei folgt er einer klassischen Einteilung der Wohnräume und nimmt die jetzt wieder modische Ästhetik der sechziger Jahre auf. Designer wie Joe Colombo postulierten derart kompakte, in sich funktionierende Wohnungseinheiten schon vor nahezu einem halben Jahrhundert als provokative Vorschläge für ein zukünftiges Wohnen. Rashid putzt diese heute mit knalligen Farben und Mustern sowie modernster Technologie auf. Sein «Idealhaus» verfolgt wohl vor allem den Zweck, das sonst in Köln vorherrschende langweilige Einerlei der Stile und das Fehlen von zündenden Ideen im Bereich des Möbeldesigns zu kaschieren.
Lebendige Schweizer Szene
Die Präsentationen der einzelnen Firmen auf dem Messegelände, die ja nach Köln kommen, um ihre Produkte zu verkaufen und so das Zuhause der nahen Zukunft zu bestimmen, verkörperten hingegen einen anderen Geist. Da spürte man wenig Interesse an futuristischen Wohnideen. Vielmehr geht der breite Trend hin zum Sich-Einkuscheln. Das gilt auch für den Möbelmarkt, dem es zurzeit nicht gut geht. Mühe bekunden vor allem diejenigen Unternehmen, die sich bezüglich Fertigungsstandard und Formgebung im Mittelfeld bewegen. Kleinere, auf hochwertiges Design spezialisierte Firmen scheinen unter dem Einbruch weniger zu leiden. Ihre Nischenprodukte sprachen stets ein ganz bestimmtes Publikum an, und das ist geblieben. So sah man bei einigen Schweizer Firmen, die diesem Profil entsprechen, auch diesmal interessante neue Produkte.
Röthlisberger-Kollektion, die wie schon in den letzten Jahren zusammen mit dem Forum 8 als Gruppe innovativer Schweizer Hersteller auftrat, zeigte ihre «Tour d'Oï», einen drehbaren, frei im Raum aufstellbaren Turm aus vier übereinander liegenden Kuben mit neu entwickelten magnetgeführten Schiebetüren. Abwechselnd um 90 Grad gedreht, sind die Kuben von zwei gegenüberliegenden Seiten her benutzbar - offen oder mit einem transluzenten Vertikalschieber abgeschirmt. Die vier Stauräume von 46 Zentimetern Seitenlänge können mit einem eingesetzten Regalfachwerk aufgeteilt werden. Innovative Technologie, perfekte Fertigung und originelles Design finden hier zusammen. Das vom Westschweizer Atelier Oï, das einem breiteren Publikum auch durch seine Interventionen auf der Arteplage in Neuenburg zum Begriff geworden ist, entwickelte Möbel ist einer der Preisträger des renommierten «iF Design Award 2003».
Von Willy Guhl, dem Doyen des Schweizer Designs, stammt der Tisch «Perreuse» (bei Röthlisberger), der seinen vor 56 Jahren kreierten berühmten Bankstuhl ergänzt. Guhls Tischkonstruktion mit einer dreiteiligen Latte basiert auf zwei selbständig stehenden Brettbrücken in Nussbaum- oder Eichenholz. Sie bilden in Doppelfunktion Tischbein wie Teil der Platte, die mit Zugstangen verbunden sind. Für die Längsplatte dieser ebenso einfachen wie genialen Konstruktion sind je nach Tischfunktion verschiedene hitze- und gebrauchsresistente Materialien einsetzbar. Auch Wogg bietet einen innovativen Tisch an. Hier war wieder das Atelier Oï am Werk. Das Kernstück dieses neuen, «Endless» genannten Tisches bildet eine Konstruktion aus zwei Aluminiumtragprofilen, die durch Abstandhalter verbunden werden. So kann nach Bedarf ein Tisch bis zu sechs Metern Länge zusammengestellt werden. Die Rohrfüsse werden mittels eines kräftigen Gewindes direkt ins Tragprofil eingeschraubt und können jederzeit problemlos demontiert werden. Das Besondere des Tischkonzeptes besteht in seinen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten, da die Tischplatte unterteilt werden kann. Dazwischenliegende Freiräume dienen als Kabelkanäle oder als schalenartige Unterbrüche in der Tischfläche - ein ausgeklügelter Hightech-Tisch, der in bester Schweizer Tradition funktionales Design mit eleganter Form vereint.
Doch auch renommierte internationale Hersteller arbeiten gerne mit Schweizer Gestaltern. So zeigt die Firma Classicon, die auch die Reeditionen von Eileen Gray in ihrem Programm hat und mit ihren Klassikern in Zeiten der Unsicherheit sehr erfolgreich ist, das Sideboard «Nemea» von Alfredo Häberli, das sich in zwei Richtungen ausziehen lässt. In jeder Stufe wirkt es mit seiner weissen Oberfläche in schimmerndem Lack elegant, so dass man es sich gut neben einem Möbel von Eileen Gray oder Jean Michel Frank vorstellen kann. Damit passt es aber auch bestens ins anspruchsvolle Programm der deutschen Firma.
Entwürfe von berühmten Architekten
Dass sich berühmte Architekten immer wieder an den Entwurf von Möbeln wagen, ist nichts Neues. So entwarf Helmut Jahn in Zusammenarbeit mit Yorgo Lykouria für Classicon den Tisch «Ulysses». Als Refektoriumstisch eines mittelalterlichen Klosters, der ins 21. Jahrhundert transponiert worden ist, will ihn Jahn verstanden wissen. Seine ungewöhnliche Oberfläche aus einer mit dem Laser bearbeiteten Edelstahlplatte, die auf Acryl aufliegt, erinnert tatsächlich an die Struktur von Jahns Hochhäusern. Der passende Hocker «Naiad» hat dank seinem mit Gel gefüllten Fahrradsattel eine bequem federnde Sitzfläche. Hightech neben kuscheligen Kissenbergen - das Wohnen der Zukunft?
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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