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Ein Sehnsuchtsort am Ufer der Havel
Zum 200. Geburtstag des Architekten Ludwig Persius
Am 15. Februar 1803 wurde in Potsdam Ludwig Persius geboren, der später als Architekt die dortige Schlösser- und Parklandschaft entscheidend mitgestaltete. Eines seiner reizvollsten Werke ist die Sacrower Heilandskirche, die zu den bedeutendsten Bauten der Schinkel-Schule zählt. Zu DDR-Zeiten stand sie unerreichbar im Todesstreifen.
16. Februar 2003 - Claudia Schwartz
Eine kleine Kirche wünschte sich König Friedrich Wilhelm IV., «im italienischen Styl mit einem Campanile daneben»: Die Heilandskirche von Sacrow ist bis heute einer der schönsten Orte geblieben, die man sich vorstellen kann. Der «Architekt des Königs» und Schinkel-Nachfolger Ludwig Persius (1803-1845) schuf mit ihr ein Beispiel für jenen Zauber, mit dem Preussen seinen Traum von Arkadien in höchstem Einklang von Architektur und Landschaft verwirklichte.
Das Dorf Sacrow ist slawischen Ursprungs; die Gründer nannten es «sa crowje», zu Deutsch: hinter dem Gebüsch. Um 1775 zeigte sich für das «Ratzenloch» jener havelländische Landgeistliche zuständig, dem man in Fontanes «Wanderungen durch die Mark Brandenburg» begegnet. Ein abgelegenes Nest, wenn auch unweit von Potsdam, ist Sacrow noch heute, auf einer Landzunge im märkischen Kiefernwald, eingeklemmt zwischen Jungfernsee, Sacrower See und Havelbucht. Wäre da nicht Persius' Kirchlein ausserhalb des Dorfes, kämen hier wohl kaum Fremde vorbei.
Ein Kirchenschiff
Wilhelm IV. muss bei einem Streifzug durch den Königswald von der meditativen Schönheit des Ortes angetan gewesen sein. Vielleicht zog den «Romantiker auf dem Thron» aber auch das Wissen hierher, dass Friedrich Heinrich de la Motte Fouqué einst im Gut Sacrow aufwuchs. Als Kind dürfte er öfter an der Bucht inmitten dieser malerischen Schönheit der havelländischen Seenlandschaft gespielt haben. Mag sein, dass hier der Ursprung liegt für den auf Fernwirkung bedachten Blick des späteren romantischen Dichters. Jedenfalls kaufte der König gleich nach seiner Thronbesteigung das Gut Sacrow mitsamt seinem Park am Ufer der Oberhavel, in deren Bucht in alten Zeiten die Fischer vor dem Sturm Zuflucht gesucht haben sollen. «S. Ecclesiae sanctissimi Salvatoris in portu sacro» - die königliche «Kirche des heilbringenden Erlösers im heiligen Hafen» wurde im Volksmund zur Heilandskirche. Im historisierenden Rückgriff auf die frühchristlichen Sakralbauten mit ihren Rundbogenformen fand das politisch-religiöse Selbstverständnis von Wilhelm IV. seinen Ausdruck, der in der urchristlichen Liturgie die Lösung für Preussens kirchenpolitische Probleme zu finden glaubte.
Der Architekt liess das Kirchenschiff mehr schon ins Wasser, als dass er es am Ufer vertäute. Wer durch den Arkadenumgang wandelt, der blickt direkt in den See hinab. Der einsame Bau, der sich in der Havel spiegelt, hat nichts Eitles, eher wirkt er selbstbewusst, von zurückhaltender Fasson. In ihm findet sich die für Persius' Bauweise typische Spannung zwischen kubischer, fast moderner Reduktion und heiteren italianisierenden Anklängen. Ludwig Persius war, so sagt man, Schinkels begabtester Schüler. Noch Student der Berliner Bauakademie, kam er als «Bauconducteur» bei den Kronprinzenschlössern Glienicke und Charlottenhof mit dem strengen Klassizismus in Berührung, bei der Hofgärtnervilla und den römischen Bädern in Sanssouci befiel auch ihn die Sehnsucht nach Italien.
Fast versteckt liegt die Heilandskirche heute in einem von Lenné gestalteten Park. Zuerst taucht beim Gang über die verschlungenen Uferwege der Campanile auf, dann die Kirche selbst. Bei Sonnenschein nimmt die farbige Fassade im horizontalen Wechsel von gelblich-rosa und blau leuchtenden, glasierten Ziegeln das Flimmern des Lichtes über dem Wasser auf. Die Arkaden verleihen dem einfachen Baukörper mit flachem Satteldach Leichtigkeit und illustrieren, wie Schinkels Schüler eine eigene Handschrift ausbildete. Er nahm dem preussischen Klassizismus Schinkels etwas von seinem Gewicht, indem er die Monumentalität in bewegter Heiterkeit aufgehen liess.
Das Kirchlein, das nicht allzu viel kosten sollte, besteht aus einem einfachen Saal mit halbrunder Apsis. Nicht einmal die «Verglasung der Rose mit buntem Glase» erlaubte der König, der bei seinen Besuchen während der Bauzeit (1841-44) immer wieder Änderungswünsche hatte, sich aber im Übrigen über die Arbeit seines Baumeisters «hocherfreut» zeigte, wie Persius einmal in sein Tagebuch notiert. Die Decke, ein blauer Stoffhimmel mit goldenen Sternen, war ebenfalls der preussischen Sparsamkeit geschuldet und ihre Rekonstruktion nach der Wende viel teurer, als es die einer Holzkassettendecke gewesen wäre, wie der Aufseher von der Kirchgemeinde schmunzelnd erklärt. Die Heilandskirche bildete eigentlich das Modell für Persius' Friedenskirche in Sanssouci (1845-48), die als dreischiffiger klosterähnlicher Komplex auftrumpfte und die glanzvollen Jahre der Heilandskirche beendete. Der König und die prinzlichen Herrschaften, auf Sommerfrische in Sanssouci, mussten fürs Gebet nun nicht mehr den Weg nach Sacrow antreten.
Der Blick von ferne
Einmal wurde die Sehnsucht des romantischen Ideals, die sich in dem verwunschenen Ort spiegelt, von der Wirklichkeit eingeholt. Zur Zeit der Berliner Mauer stand die Heilandskirche unerreichbar inmitten des Todesstreifens, auf der Landseite von Mauern umschlossen, zur Wasserseite direkt hinter der schwer bewachten Demarkationslinie. Für die Menschen im Westen wie im Osten, die in Sichtnähe lebten, wurde sie zu einem eigentümlichen Sehnsuchtsort. Die DDR überliess die Kirche dem feuchten Moder. Nur heftiger Bürgerprotest und eine Spendenaktion aus Westberlin rettete sie vor dem Zerfall. Mit dem Ende der DDR wurde die Heilandskirche aus ihrer drei Jahrzehnte dauernden Isolation erlöst. Heute strahlt sie wieder von weitem und lockt einer Wassernixe gleich, die gerade dem See entsteigt. Aus solcher Distanz erscheint der durch die Arkaden abgestufte Bau als Trugbild einer dreischiffigen Basilika.
Der königliche Gartenarchitekt Peter Joseph Lenné mahnte einst, die Sichtachsen nicht aus dem Blick zu verlieren. So sieht man vom Standort der Heilandskirche in Richtung Glienicker Brücke zwei weitere wichtige Bauten von Persius. Vom Schlosspark Glienicke lugt zwischen den Bäumen das Dampfmaschinenhaus (1836-38) herüber, das mit dem mächtigen Wasserreservoirturm die dortige Uferlandschaft prägt als Gegenstück zu Schinkels Grosser Neugierde. Es gehört neben dem Belvedere auf dem Pfingstberg (1847 bis 1852), dem Babelsberger Dampfmaschinenhaus (1844/45) und jenem berühmten von Sanssouci in Gestalt einer Moschee (1841/42) zu den wichtigsten Werken des Potsdamer Baukünstlers, der die Architektur seiner Geburtsstadt nicht zuletzt mit seinen italienischen Turmvillen prägte. Auch das von Schinkel im Stil trutziger Burgen begonnene Babelsberger Schloss, das von Sacrow aus zu sehen ist, führte Persius im Wesentlichen zu Ende. Hier wird die Stiftung Preussischer Schlösser und Gärten das Werk von Ludwig Persius, dessen Geburtstag sich heute zum 200. Mal jährt, demnächst in einer umfassenden Ausstellung präsentieren. Die Heilandskirche von Sacrow aber ist mit nichts zu vergleichen.
Das Dorf Sacrow ist slawischen Ursprungs; die Gründer nannten es «sa crowje», zu Deutsch: hinter dem Gebüsch. Um 1775 zeigte sich für das «Ratzenloch» jener havelländische Landgeistliche zuständig, dem man in Fontanes «Wanderungen durch die Mark Brandenburg» begegnet. Ein abgelegenes Nest, wenn auch unweit von Potsdam, ist Sacrow noch heute, auf einer Landzunge im märkischen Kiefernwald, eingeklemmt zwischen Jungfernsee, Sacrower See und Havelbucht. Wäre da nicht Persius' Kirchlein ausserhalb des Dorfes, kämen hier wohl kaum Fremde vorbei.
Ein Kirchenschiff
Wilhelm IV. muss bei einem Streifzug durch den Königswald von der meditativen Schönheit des Ortes angetan gewesen sein. Vielleicht zog den «Romantiker auf dem Thron» aber auch das Wissen hierher, dass Friedrich Heinrich de la Motte Fouqué einst im Gut Sacrow aufwuchs. Als Kind dürfte er öfter an der Bucht inmitten dieser malerischen Schönheit der havelländischen Seenlandschaft gespielt haben. Mag sein, dass hier der Ursprung liegt für den auf Fernwirkung bedachten Blick des späteren romantischen Dichters. Jedenfalls kaufte der König gleich nach seiner Thronbesteigung das Gut Sacrow mitsamt seinem Park am Ufer der Oberhavel, in deren Bucht in alten Zeiten die Fischer vor dem Sturm Zuflucht gesucht haben sollen. «S. Ecclesiae sanctissimi Salvatoris in portu sacro» - die königliche «Kirche des heilbringenden Erlösers im heiligen Hafen» wurde im Volksmund zur Heilandskirche. Im historisierenden Rückgriff auf die frühchristlichen Sakralbauten mit ihren Rundbogenformen fand das politisch-religiöse Selbstverständnis von Wilhelm IV. seinen Ausdruck, der in der urchristlichen Liturgie die Lösung für Preussens kirchenpolitische Probleme zu finden glaubte.
Der Architekt liess das Kirchenschiff mehr schon ins Wasser, als dass er es am Ufer vertäute. Wer durch den Arkadenumgang wandelt, der blickt direkt in den See hinab. Der einsame Bau, der sich in der Havel spiegelt, hat nichts Eitles, eher wirkt er selbstbewusst, von zurückhaltender Fasson. In ihm findet sich die für Persius' Bauweise typische Spannung zwischen kubischer, fast moderner Reduktion und heiteren italianisierenden Anklängen. Ludwig Persius war, so sagt man, Schinkels begabtester Schüler. Noch Student der Berliner Bauakademie, kam er als «Bauconducteur» bei den Kronprinzenschlössern Glienicke und Charlottenhof mit dem strengen Klassizismus in Berührung, bei der Hofgärtnervilla und den römischen Bädern in Sanssouci befiel auch ihn die Sehnsucht nach Italien.
Fast versteckt liegt die Heilandskirche heute in einem von Lenné gestalteten Park. Zuerst taucht beim Gang über die verschlungenen Uferwege der Campanile auf, dann die Kirche selbst. Bei Sonnenschein nimmt die farbige Fassade im horizontalen Wechsel von gelblich-rosa und blau leuchtenden, glasierten Ziegeln das Flimmern des Lichtes über dem Wasser auf. Die Arkaden verleihen dem einfachen Baukörper mit flachem Satteldach Leichtigkeit und illustrieren, wie Schinkels Schüler eine eigene Handschrift ausbildete. Er nahm dem preussischen Klassizismus Schinkels etwas von seinem Gewicht, indem er die Monumentalität in bewegter Heiterkeit aufgehen liess.
Das Kirchlein, das nicht allzu viel kosten sollte, besteht aus einem einfachen Saal mit halbrunder Apsis. Nicht einmal die «Verglasung der Rose mit buntem Glase» erlaubte der König, der bei seinen Besuchen während der Bauzeit (1841-44) immer wieder Änderungswünsche hatte, sich aber im Übrigen über die Arbeit seines Baumeisters «hocherfreut» zeigte, wie Persius einmal in sein Tagebuch notiert. Die Decke, ein blauer Stoffhimmel mit goldenen Sternen, war ebenfalls der preussischen Sparsamkeit geschuldet und ihre Rekonstruktion nach der Wende viel teurer, als es die einer Holzkassettendecke gewesen wäre, wie der Aufseher von der Kirchgemeinde schmunzelnd erklärt. Die Heilandskirche bildete eigentlich das Modell für Persius' Friedenskirche in Sanssouci (1845-48), die als dreischiffiger klosterähnlicher Komplex auftrumpfte und die glanzvollen Jahre der Heilandskirche beendete. Der König und die prinzlichen Herrschaften, auf Sommerfrische in Sanssouci, mussten fürs Gebet nun nicht mehr den Weg nach Sacrow antreten.
Der Blick von ferne
Einmal wurde die Sehnsucht des romantischen Ideals, die sich in dem verwunschenen Ort spiegelt, von der Wirklichkeit eingeholt. Zur Zeit der Berliner Mauer stand die Heilandskirche unerreichbar inmitten des Todesstreifens, auf der Landseite von Mauern umschlossen, zur Wasserseite direkt hinter der schwer bewachten Demarkationslinie. Für die Menschen im Westen wie im Osten, die in Sichtnähe lebten, wurde sie zu einem eigentümlichen Sehnsuchtsort. Die DDR überliess die Kirche dem feuchten Moder. Nur heftiger Bürgerprotest und eine Spendenaktion aus Westberlin rettete sie vor dem Zerfall. Mit dem Ende der DDR wurde die Heilandskirche aus ihrer drei Jahrzehnte dauernden Isolation erlöst. Heute strahlt sie wieder von weitem und lockt einer Wassernixe gleich, die gerade dem See entsteigt. Aus solcher Distanz erscheint der durch die Arkaden abgestufte Bau als Trugbild einer dreischiffigen Basilika.
Der königliche Gartenarchitekt Peter Joseph Lenné mahnte einst, die Sichtachsen nicht aus dem Blick zu verlieren. So sieht man vom Standort der Heilandskirche in Richtung Glienicker Brücke zwei weitere wichtige Bauten von Persius. Vom Schlosspark Glienicke lugt zwischen den Bäumen das Dampfmaschinenhaus (1836-38) herüber, das mit dem mächtigen Wasserreservoirturm die dortige Uferlandschaft prägt als Gegenstück zu Schinkels Grosser Neugierde. Es gehört neben dem Belvedere auf dem Pfingstberg (1847 bis 1852), dem Babelsberger Dampfmaschinenhaus (1844/45) und jenem berühmten von Sanssouci in Gestalt einer Moschee (1841/42) zu den wichtigsten Werken des Potsdamer Baukünstlers, der die Architektur seiner Geburtsstadt nicht zuletzt mit seinen italienischen Turmvillen prägte. Auch das von Schinkel im Stil trutziger Burgen begonnene Babelsberger Schloss, das von Sacrow aus zu sehen ist, führte Persius im Wesentlichen zu Ende. Hier wird die Stiftung Preussischer Schlösser und Gärten das Werk von Ludwig Persius, dessen Geburtstag sich heute zum 200. Mal jährt, demnächst in einer umfassenden Ausstellung präsentieren. Die Heilandskirche von Sacrow aber ist mit nichts zu vergleichen.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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