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„Klump“! Nicht Klumpert!
„Klump“! Nicht Klumpert!, Foto: Wolfgang Freitag
Spectrum

Ein Stück heimische Moderne fürs Kinderzimmer: die Holzspielzeugserie „Klump“ - 1935 von Herbert Eichholzer und Walter Ritter entworfen, alsbald vergessen, jetzt neu aufgelegt.

8. März 2003 - Wolfgang Freitag
Ist das Dorf für mich?" Leander packt zu. Das Dorf? Ein Vierkant hof, eine Kirche mit Zwiebelturm, ein Baum: Das ginge erwachsener Terminologie nach nicht einmal als Weiler halbwegs ordnungsgemäß durch. Für Leander freilich ist mit Haus plus Kirche plus Baum alles da, was es zum Dorf braucht. Wie auch für die Schöpfer ebenjener Spielzeugwelt, die da auf dem Küchenboden steht. Leander ist Jahrgang 1999. Der Entwurf seines Dorfes Jahrgang 1935. Und der - präsumtive - Entwerfer hätte heuer 100 Jahre alt werden können, wäre er nicht vor 60 Jahren von einem „Volksgerichtshof“ verurteilt und anschließend hingerichtet worden: Herbert Eichholzer, Architekt und Widerstandskämpfer.

„Ein Stuhl ist zum Sitzen da. Eine Kaffeetasse ist ein Gebrauchs- und kein Ziergegenstand. Eine Wohnung ist zum Wohnen da und soll nicht den Eindruck eines mehr oder minder reich versorgten Altertumsmuseums machen“: So schreibt Eichholzer, Grazer mit akademischem Abschluss an der Technischen Hochschule seiner Geburtsstadt, 1931 sein ästhetisches Credo fest. Da hat er sein prägendes Volontariat im Atelier Le Corbusiers gerade knapp zwei Jahre hinter sich.

Doch die „hellen, klaren Räume“, die ihm vorschweben, „Luft und Licht bis ins letzte Eck, kein Winkel als Staubfänger, keine Tapeten mit Marmormuster“, all das in die gebaute Wirklichkeit zu übertragen bleibt ihm nicht viel Zeit. Und nicht viel Gelegenheit, schon allein durch die Wirtschaftskrise jener Tage bedingt. Auch sein prononciertes sozialistisches Engagement wird in den herandämmernden Jahren des Ständestaates wenig dazu beigetragen haben, die Auftragsbücher zu füllen. Von hiesigen Vorbehalten einer architektonischen Avantgarde gegenüber ganz zu schweigen.

So mag es einen durchaus profanen Grund gehabt haben, als sich Eichholzer gemeinsam mit dem Bildhauer Walter Ritter, Freunde aus Jugendtagen, im Sommer 1935 an den Entwurf einer Spielzeugserie machte: schlicht die Hoffnung, solchermaßen das finanzielle Überleben zu sichern. Viele Künstler jener Zeit „versuchten, in kulturelle Marktnischen hineinzukommen“, weiß die Kunsthistorikerin Antje Senarclens de Grancy. „Es galt, etwas zu produzieren, das einem künstlerischen Anspruch entsprach, dabei aber doch einfach herzustellen und zu verkaufen war.“

Eichholzer und Ritter entwerfen Tierfiguren, Elefant und Zebra, Löwe, Hahn, Henne, summa summarum knapp 40 verschiedene, allesamt aus Holz zu fertigen, allesamt streng stilisiert, auf wenige geometrische Grundformen zurückgeführt und in ihrer Reduktion schon durch ihre Silhouette so unzweideutig charakterisiert, dass es der aufgebrachten Bemalung, der Ohr-, Schwanz- und Geweih-Applikationen aus Filz und Kordel oftmals gar nicht bedürfte, um eine angemessene Wiedererkennbarkeit zu gewährleisten. Eine Art der Gestaltung, wie sie dem Denken der Moderne entsprach, diente sie doch „der Schulung des kindlichen Auges für einfache, in ihrer Wirkung archaische Formen“, so de Grancy.

Eichholzer und Ritter entwerfen aber auch „Dörfer“, eines den landläufigen Bauformen Oberösterreichs, eines jenen aus Tirol folgend: je ein Hof und eine Kirche. Dass sie damit weniger den Maßstäben der Avantgarde als denen der ständestaatlichen Pflege ländlicher Idyllen dienen, scheint auf den ersten Blick unbestreitbar; auf den zweiten freilich signalisiert selbst hier die scheinbar biedere Form den Aufbruch: Kirchenschiff und Kirchturm sind je als eigene Baukörper, gleichsam als Solitäre angelegt, der gute, alte oberösterreichische Vierkanter wiederum lässt sich mühelos in eine Gruppe aus vier selbstständigen Häusern verwandeln. Was selbst Vierjährige schon in die Lage versetzt, überlieferte Bauformen lustvoll in neue räumliche Zusammenhänge zu bringen.

Die Frage, wer nun für welche Entwürfe verantwortlich gewesen sein mag, muss umstritten bleiben: Zu ähnlich sind die Zeichentechnik von Eichholzer und Ritter, als dass man an den reichlich vorhandenen Entwurfsblättern jeweils eine bestimmte Hand identifizieren könnte. Immerhin ist die Idee einer Arbeitsteilung in Architekturformen (Eichholzer) und Tiere (Ritter) einigermaßen naheliegend.

Wie auch immer: Dem Holzspielzeug aus Avantgardistenwerkstatt blieb der Erfolg versagt. Vielleicht weil der gewählte Name der Serie, „Klump“, ein wenig zu sehr an „Klumpert“ oder „plump“ gemahnte, vielleicht weil die Moderne wenn schon nicht im Stadtbild, so noch weniger im Kinderzimmer erwünscht war. Zwar schafften es „Klump“-Entwürfe gerade noch auf das Plakat einer Ausstellung zum Thema „Das gute Spielzeug“, doch aus den Regalen des Grazer Kaufhauses Kastner & Öhler waren sie schnell verschwunden.

Und wären wohl verschwunden geblieben, hätte nicht eines neujahrtausendlichen Tages Antje Senarclens de Grancy ihren damals sechsjährigen Sohn Anatol dabei beobachtet, wie er mit Verve „Klump“-Tierskizzen zu seinen eigenen machte. Wenn so nachdrücklich die Aktualität der Formensprache von Eichholzer und Ritter belegt war, warum nicht „Klump“ eine zweite Chance geben? Zwar lagen so gut wie keine Originalfiguren mehr vor, doch immerhin waren die Konstruktionspläne erhalten, was eine originalgetreue Rekonstruktion ermöglichen sollte.

In der Werkstatt der steirischen Behindertenhilfevereinigung „Chance B“ fand de Grancy einen Partner für ihre Idee. Womit auf ganz anderer Ebene ein Bezug zur Geschichte hergestellt war: zeichnete doch die von Herbert Eichholzer organisierte kommunistische Widerstandsgruppe für das einzige Flugblatt verantwortlich, das noch zu Zeiten der Nazi-Diktatur, im Herbst 1940, auf die Morde an behinderten Menschen, auf NS-Euthanasie und die Vernichtung „unwerten Lebens“ hinwies.

Am 7. Februar 1941 wurde Eichholzer verhaftet, am 9. September 1942 wegen fortgesetzten Verbrechens der Vorbereitung zum Hochverrat zum Tod verurteilt, am 7. Jänner 1943, wenige Wochen vor seinem 40. Geburtstag, im Wiener Landesgericht hingerichtet.

Wenn also am 29. März in der Technischen Universität Graz die Neuauflage von „Klump“ der Öffentlichkeit präsentiert wird, dann ist das mehr als eines der nostalgisch gefärbten Spielzeug-Revivals, die uns heute etwa ehrwürdige Anker-Baukästen in unseren Beton-und-Gipskarton-Kinderzimmern bescheren: Ziel ist es auch, so de Grancy, „der Opfer der NS-Euthanasie zu gedenken, den Einsatz jener Menschen, die dagegen Widerstand geleistet haben, zu würdigen“.

Das alles mag Leander, Jahrgang 1999, heute noch nicht interessieren. Aber ein Stück dieser Geschichte wird er auf seine Art schon mit vier begriffen haben.


[Nähere Informationen zu „Klump“ sowie Bestellungen bei „Chance B“ - via Internet (www.chanceb.at/klump) oder telefonisch (03112/4911/90).]

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