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Turmbau zu München
Neue Zürcher Zeitung

Eine neue Stadtkrone für Bayerns Metropole

4. April 2003 - Oliver Herwig
Mit «Afterhour» wirbt ein Flyer zum Abtanzen nach Geschäftsschluss. Auf dem Papier gleicht München einem Scherenschnitt im Abendlicht, gegliedert nur durch die Türme der Altstadt. Das dürfte sich schnell ändern. Die Landeshauptstadt greift nach den Sternen. In München steht bald nicht nur ein Hochhaus. Fast ein Dutzend von ihnen soll in den nächsten Jahren aus dem Boden wachsen. Vier sind bereits fertiggestellt und verschieben das althergebrachte Stadtbild. In Sichtweite des Hauptbahnhofs steht ein neues Tor aus elliptischem Mercedes-Turm und rundem «Munich City Tower». Den Harras beherrscht das kubische Hochhaus der Fraunhofer Gesellschaft, und im Norden erhebt sich der Büroturm der Münchener Rück über dem Mittleren Ring.

Die Hochhäuser besetzen Lücken im städtischen Gewebe, an Schnellstrassen oder Bahnlinien - und gestalten ganze Quartiere um, indem sie alle Blicke auf sich ziehen. Ihre bis zu 85 Meter hohen Fronten fallen bescheiden aus im Vergleich zu den Projekten, die schon in der Baugrube scharren. 146 Meter misst Christoph Ingenhovens Turm in der Nähe des Olympiastadions, und fast 150 Meter soll dereinst der Büroturm der Süddeutschen Zeitung in den weissblauen Himmel steigen. Wie ein Belagerungsring stehen die Riesen um die Kernstadt. Damit diese neue Stadtkrone möglich wurde, musste viel ideologischer Ballast, der das Höhenwachstum bislang bremste. über Bord geworfen werden. Jahrzehntelang war der Drang nach oben durch zwei Grössen begrenzt, die es nicht zu überschreiten oder zu verstellen galt: die Türme der Frauenkirche und die Silhouette der Alpen.

Hielt sich der BMW-Vierzylinder von 1973 noch an die 100-Meter-Vorgabe der Frauenkirche, so übersprang der ausdrucksstarke Hypoturm von Walter und Bea Betz die sakrale Richtschnur. Mit 114 Metern hält der Bankenriese bislang den Münchner Rekord. Fundament der auf Containment angelegten Hochhauspolitik bildete Detlev Schreibers Studie aus dem Jahre 1977. Der mahnte 1995: Hochhäuser können nur dort entstehen, wo sie «klärend in die morphologische Substanz der Stadt integriert werden.» Höhenwachstum und Verdichtung sollten Hand in Hand gehen, und zwar entlang den bestehenden Ausfallstrassen und Bahnlinien, also zwischen Donnersberger Brücke und München-Pasing sowie im Norden am Georg-Brauchle-Ring und im Osten entlang der Wasserburger Landstrasse. 200 Jahre nach der für den Freistaat so profitablen Säkularisation wird auch Münchens Stadtbild verweltlicht. Die Frauenkirche als Mass aller Dinge hat ausgedient, die neuen Dominanten künden von Investoren und Unternehmen.

Angesichts dieser unübersehbaren Lust an der Selbstdarstellung mutet die jahrelange Hochhausdebatte wie eine Provinzposse an, die nur ein Gutes hat: Die Thesen der «Vierkantklotz»-Gegner können vor Ort überprüft werden. Und da sieht es gar nicht so rosig aus. Corporate Architecture als Kommunikationsplattform fällt manchmal etwas platt aus, blickt man etwa auf den Neubau der Fraunhofer-Gesellschaft. Das kantige Gebäude der Zentralverwaltung wirkt wie ein Relikt aus den achtziger Jahren. Trotz energetischer Doppelfassade bietet er nicht mehr als 17 Geschosse gereihter Langeweile. Ganz anders wirkt der Büroturm im Münchner Norden von Allmann Sattler Wappner: Die fein gegliederte Fassade umhüllt einen eleganten Baukörper, der - als Nachfahr von Mies van der Rohes Seagram-Building - auch am Hudson stehen könnte. Die viel gescholtene Investorenarchitektur zeigt hier ihre beste Seite, ist allerdings dazu verdammt, schon bald im Schatten des ungleich höheren Langenscheidt-Hochhauses gegenüber zu stehen.

Anders als in Frankfurt, wo nach argen Missgriffen in der Summe doch eine Skyline entstand, die über einzelne Geschmacksverirrungen hinwegsehen half, setzt das Münchner Modell auf Solitärtürme, die über das gesamte Stadtgebiet verstreut sind. Damit erhalten sie eine Präsenz und Bedeutung, die ihre Architektur nicht immer einlösen kann. Auf dem Richtfest des 85 Meter hohen «Munich City Tower» sagte Stadtbaurätin Christiane Thalgott, auch wenn sie die Tradition hoch halte, im Zentrum keine Hochhäuser zu bauen, könne man stolz darauf sein, «dass in Sichtweite der Altstadt ein Büroturm entsteht, der zeigt, dass München eine moderne Stadt ist».

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