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Verfall und Planungseuphorie
Neue Zürcher Zeitung

Die drei virtuellen Städte in Ostdeutschland

26. April 2003 - Klaus Englert
Seit einem Jahr propagiert die deutsche Bundesregierung das Förderprogramm «Stadtumbau Ost». Die Einsicht in den Handlungsbedarf kam spät, denn die Zeichen des urbanen Notstands in den ostdeutschen Städten sind alarmierend: Über eine Million Wohnungen sowie unzählige Gewerbebauten, soziale Einrichtungen und Industrieareale stehen in Städten wie Rostock, Wismar, Potsdam, Magdeburg, Cottbus, Halle, Erfurt, Gera, Zwickau und Chemnitz leer. Die potenziellen Einwohner dieser «verlassenen Stadt» würden mit 2,3 Millionen Menschen die zweitgrösste Metropole Deutschlands bilden. Zu dieser Erkenntnis kommt die Ausstellung «3 Städte: Verlassene Stadt - Ersatzstadt - Ungebaute Stadt», die von den Kuratoren Sybil Kohl, Philipp Oswalt und Albrecht Schäfer in der Kunsthalle Düsseldorf eingerichtet wurde und deren unspektakuläre Präsentation offenbar ganz im Trend des Low-Budget-Programms der neuen Direktorin Ulrike Groos liegt. Die Schau zeigt, wie vielfältig das vernachlässigte Erbe ist: Es reicht von gründerzeitlichen Wohnhäusern, Volksbädern aus der Zeit um 1900 und Verwaltungskomplexen im neusachlichen Stil über Gaststätten, Tankstellen und Kaufhäuser bis hin zu den Plattenbauten des uniformen DDR-Funktionalismus.

Die Kehrseite des städtischen Verfalls war lange Zeit eine ungebremste Planungseuphorie, die den nach 1989 entstandenen Wachstumsmarkt einzig nach den Verheissungen satter Renditen bemass. Deswegen dachten die westlichen Investoren der ersten Stunde weniger an behutsames Renovieren, sondern mehr an Einkaufszentren und Multiplexkinos, die sie bevorzugt auf der grünen Wiese in unmittelbarer Nähe der Autobahnen hochzogen. Der zweite Teil der Präsentation zeigt diese ostdeutsche «Ersatzstadt» zwischen utopischer Kühnheit und banaler Scheusslichkeit als Mix aus Shopping-Malls, Metastasen an den Stadträndern und einer adrett postmodernen Wohnhauskultur mit ihrem Zierrat aus Giebeln, Säulchen und Erkern.

Die Ausstellung widmet sich schliesslich auch der «ungebauten» utopischen Stadt - oder anders gesagt: den Visionen der Investoren, Planer und Architekten. Es überrascht, dass die Kuratoren dazu nicht auf die mittlerweile üblichen Computersimulationen, sondern auf traditionelle Architekturzeichnungen zurückgriffen. Erwartungsgemäss handelt es sich fast ausschliesslich um Grossprojekte, die im Berliner Baufieber der frühen neunziger Jahre entstanden, als sich das Zentrum der neu-alten deutschen Hauptstadt zur sogenannt grössten Baustelle Europas wandelte. Wie sehr Investoren bisweilen in gigantomanischen Träumen schwelgen, demonstriert ein Projekt für eine «High-rise-City» - in Form einer Mischung aus Manhattan und Singapur - für die Metropole an der Spree.


[ Bis 10. Mai in der Kunsthalle Düsseldorf. Begleitpublikation: 3 Städte: Verlassene Stadt - Ersatzstadt - Ungebaute Stadt. Architektur-Stadtführer Ostdeutschland, Band I-III. Hrsg. Sybil Kohl, Philipp Oswalt, Albrecht Schäfer. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2003. € 14.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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