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Wenn's einfach passiert
Modelle und Planzeichnungen statt Waren aller Art: Junge Architektenteams setzen sich und ihre Arbeit in die Auslagen vormaliger Geschäftslokale. Anmerkungen zu einem Wiener Trend.
3. Mai 2003 - Andrea Nussbaum
Die urbane Evolution hinterlässt ihre Spuren. Dort, wo früher die spärliche Dekoration von Gemischtwarenhändlern oder Gewerbetreibenden die Schaufenster verstaubter Ladenlokale schmückte und nicht selten jahrzehntelang unberührt vergilbte, entdeckt man bei einem Streifzug durch die Wiener Innenstadtbezirke immer häufiger Beispiele zeitgenössischer Architektur, freilich keine gebaute. In der Auslage stehen Architekturmodelle. Materialmuster und Planmaterial ergänzen das Bild, dazu das Poster der einen oder anderen Ausstellung. Das Schaufenster ist die konstante Ausstellungsfläche für die Ambitionen der neuen Mieter. Dahinter, im Licht greller Arbeitslampen sitzen die Schöpfer der präsentierten Architekturfantasien: Jungarchitekten, Designer oder solche, die es bald werden.
Die neuen Mieter haben die Initiative ergriffen und aus der Not, einen geeigneten Büroraum zu erschwinglichen Preisen zu finden, einen einzigartigen Trend geschaffen: Arbeiten in der Auslage. Und das Experiment funktioniert. Wie in einem Reagenzglas werden in den besetzten Ladenlokalen die Formen, Strukturen und Strategien einer zu bauenden Zukunft geprobt. Die Ergebnisse sind für alle zu sehen. Die Bauexponate und die Philosophie, der sie entstammen, lassen keine Strömung erkennen, der man sich verpflichtet fühlt. Jedes Büro geht seinen eigenen Weg, sucht seinen eigenen Inhalt.
Einzig die Energie, etwas zu verändern, ist ihnen gemeinsam. In der Unerreichbarkeit der Dachateliers der Architekturelite sucht man die oft vergebens. Versucht man sich dort abgeschottet im Recycling des eigenen Stils von postmodern bis dekonstruktivistisch dem Architektur-Olymp zu nähern, ist man zur ebenen Erde daran, den Übervätern der Architekturszene langsam, aber sicher Konkurrenz zu machen.
Ein Installateurbetrieb war es einst; davor hatte ein Wagemutiger versucht, dem Sterben der kleinen Nahversorger zu trotzen, aber auch er musste sich dem wachsenden Druck der Lebensmittelgroßmärkte geschlagen geben. Triste Leere, bis die 170 Quadratmeter Ladenfläche und 68 Quadratmeter Schaufensterfläche im vierten Wiener Gemeindebezirk 1999 von den fünf Architekten von awg-AllesWirdGut besetzt wurden. Wenn es mit der Architektur nicht klappt, dann könnte man den Raum als Galerie oder als Nachtcafé nutzen, so der pragmatische Hintergedanke bei der Unterzeichnung des Mietvertrags. Mit der Architektur hat es geklappt, mehr noch, über das Gassenbüro mitsamt den Schaufenstern, in denen sie stolz nach gewonnen Wettbewerben ihre Freude bekundeten, wurden sie bekannt. „awg“ entspricht nicht dem verbreiteten Klischee des Architekten im schwarzen Designer-Anzug. Auch ihr Büroname könnte eher der einer HipHop-Gruppe sein. „Fünf Senkrechtstarter“, so hatte sie erst kürzlich Otto Kapfinger in der Ausstellung „emerging architecture“ tituliert. „awg“ hat es nicht nur geschafft, Architektur in den hintersten Winkel Tirols zu bringen, durch den Blick eines Architekturkritikers in die ungewöhnliche Auslage ergab sich prompt eine Beteiligung bei „ArchiLab“, der bekannten Ausstellung für junge Architektur im französischen Orléans. Auch den Auftrag zur Neugestaltung der Läden einer Modekette erhielten sie über ihre Bekanntheit als Straßenbüro. Das Schaufenster ist für sie nach wie vor Bühne und Botschaft des Mediums Büro; es ist kommunikatives Mittel und Ort einer neuen Art der Architekturrezeption.
Ähnlich war auch die Ausgangslage bei den vier Architekten von „archiguards“: Wie bei vielen Starter-Unternehmen war die Wohnung erste Arbeitsstätte. Mit steigender Auftragslage wurde die „Wohnung=Büro“-Lösung bald zu klein. Das Gassenlokal im Erdgeschoß, eine ehemalige Tischlerei, stand leer, und schon war der ideale Ort für den zukünftigen Standort von „archiguards“ gefunden. Die Büro-Adaptionen wurden je nach Kontostand vollzogen. Eine der ersten Interventionen in Richtung Corporate Design war der Tausch der Glasscheiben, die heute den Namenszug des Büros tragen. Hineinschauen kann man trotzdem.
Hat sich ihr exponierter Bürositz auf die von ihnen gebaute Architektur ausgewirkt? Das nicht. Aber ihre Haltung spiegelt sich zweifelsohne in ihrer Präsentation nach außen wieder. Nichts „Abgehobenes“ soll die Architektur sein, sondern eine Dienstleistung, die man sich leisten kann und soll. Im Moment suchen die vier nach einem neuen Bürositz. Wo der letztendlich sein wird, steht noch nicht fest, einige Wunschobjekte wurden bereits gesichtet. Eines steht aber fest: „Unbedingt wieder ein Gassenlokal.“
Auch die Architekten von „Synn“ (abgleitet aus dem Wort Synergien) machten sich vor über einem Jahr auf die Suche nach einem Büro, nicht irgendeine „konventionelle“ Etage im ersten oder zweiten Stock sollte es sein, sondern etwas mit einem Zeichen nach außen. Bewusst nutzen sie heute ihre Schaufenster als Werbefläche. Auch die orangefarbene Bar, die nachts das Büro beleuchtet, zieht an. Was „Synn“ damit bewirken wollen, ist vor allem eines: Schwellen abbauen, auch jene zu anderen Disziplinen, denn eines ist allen diesen jungen Büros eigen: Sie fühlen sich nicht mehr als Baukünstler. Architektur vermischt sich mit Design, vom Produkt bis zur Grafik.
Etwas differenzierter ist die Haltung von Mascha und Stuart Veech von veech.media.architecture, den Pionieren der Gassenlokal-Bewegung in Wien: „Wir verkaufen nichts, wir kreieren“ lautet ihr Credo. Deshalb geben sie sich im Kontakt zur Außenwelt und dem Bestreben, etwas nach außen zu transportieren, deutlich zurückhaltender. Die Scheiben sind konsequenterweise transluzent, nur Schatten und Licht sind zu erkennen. Aber ganz so abgeschlossen ist auch ihre Wirkungsstätte nicht: Im Sommer steht die Tür offen, und spätestens, wenn Modelle transportiert werden, weiß jeder, welche Art von Büro/Werkstatt sich hinter den semitransparenten Schaufenstern verbirgt. „Wenn alles offen wäre“, ergänzt Stuart Veech, „dann wäre es nicht mehr spannend.“
Die Besetzung dieser Nicht-Orte längst vergangener Nutzungen ist ein positives Zeichen im urbanen Geflecht. Denn man kann diese systematische Inbesitznahme der Straßen auch anders lesen: als individuelle Reparatur an der Stadttextur jenseits der von der Verwaltung verordneten Stadtbehübschung. Jahrzehntelang haben sich Architekturtheoretiker den Kopf zerbrochen, wie man architektonisches Bewusstsein verankern kann. Jetzt ist es dabei, einfach zu passieren: Die Kunden der jungen Architektur-Büros kommen neuerdings von der Straße, um Architektur „einzukaufen“.
Mehr noch: Alle, die sich mit Arbeitseffizienz und ihren Auswirkungen auf unsere Zukunft befassen, schwärmen von flachen Hierarchien und größtmöglicher Transparenz am Arbeitsplatz. Nie war sie größer als mitten drinnen, zwischen den Konsumenten. Designlabors im Gemeindebau? Werbeagenturen, die die repräsentative Villa im Nobelviertel gegen einen leer stehenden Supermarkt im Wohngebiet eintauschen? Noch klingt das utopisch. Aber der Gedanke, dass Konsumenten den Wettbewerb im „Real-Time-Voting“ entscheiden, könnte spannend werden.
Die neuen Mieter haben die Initiative ergriffen und aus der Not, einen geeigneten Büroraum zu erschwinglichen Preisen zu finden, einen einzigartigen Trend geschaffen: Arbeiten in der Auslage. Und das Experiment funktioniert. Wie in einem Reagenzglas werden in den besetzten Ladenlokalen die Formen, Strukturen und Strategien einer zu bauenden Zukunft geprobt. Die Ergebnisse sind für alle zu sehen. Die Bauexponate und die Philosophie, der sie entstammen, lassen keine Strömung erkennen, der man sich verpflichtet fühlt. Jedes Büro geht seinen eigenen Weg, sucht seinen eigenen Inhalt.
Einzig die Energie, etwas zu verändern, ist ihnen gemeinsam. In der Unerreichbarkeit der Dachateliers der Architekturelite sucht man die oft vergebens. Versucht man sich dort abgeschottet im Recycling des eigenen Stils von postmodern bis dekonstruktivistisch dem Architektur-Olymp zu nähern, ist man zur ebenen Erde daran, den Übervätern der Architekturszene langsam, aber sicher Konkurrenz zu machen.
Ein Installateurbetrieb war es einst; davor hatte ein Wagemutiger versucht, dem Sterben der kleinen Nahversorger zu trotzen, aber auch er musste sich dem wachsenden Druck der Lebensmittelgroßmärkte geschlagen geben. Triste Leere, bis die 170 Quadratmeter Ladenfläche und 68 Quadratmeter Schaufensterfläche im vierten Wiener Gemeindebezirk 1999 von den fünf Architekten von awg-AllesWirdGut besetzt wurden. Wenn es mit der Architektur nicht klappt, dann könnte man den Raum als Galerie oder als Nachtcafé nutzen, so der pragmatische Hintergedanke bei der Unterzeichnung des Mietvertrags. Mit der Architektur hat es geklappt, mehr noch, über das Gassenbüro mitsamt den Schaufenstern, in denen sie stolz nach gewonnen Wettbewerben ihre Freude bekundeten, wurden sie bekannt. „awg“ entspricht nicht dem verbreiteten Klischee des Architekten im schwarzen Designer-Anzug. Auch ihr Büroname könnte eher der einer HipHop-Gruppe sein. „Fünf Senkrechtstarter“, so hatte sie erst kürzlich Otto Kapfinger in der Ausstellung „emerging architecture“ tituliert. „awg“ hat es nicht nur geschafft, Architektur in den hintersten Winkel Tirols zu bringen, durch den Blick eines Architekturkritikers in die ungewöhnliche Auslage ergab sich prompt eine Beteiligung bei „ArchiLab“, der bekannten Ausstellung für junge Architektur im französischen Orléans. Auch den Auftrag zur Neugestaltung der Läden einer Modekette erhielten sie über ihre Bekanntheit als Straßenbüro. Das Schaufenster ist für sie nach wie vor Bühne und Botschaft des Mediums Büro; es ist kommunikatives Mittel und Ort einer neuen Art der Architekturrezeption.
Ähnlich war auch die Ausgangslage bei den vier Architekten von „archiguards“: Wie bei vielen Starter-Unternehmen war die Wohnung erste Arbeitsstätte. Mit steigender Auftragslage wurde die „Wohnung=Büro“-Lösung bald zu klein. Das Gassenlokal im Erdgeschoß, eine ehemalige Tischlerei, stand leer, und schon war der ideale Ort für den zukünftigen Standort von „archiguards“ gefunden. Die Büro-Adaptionen wurden je nach Kontostand vollzogen. Eine der ersten Interventionen in Richtung Corporate Design war der Tausch der Glasscheiben, die heute den Namenszug des Büros tragen. Hineinschauen kann man trotzdem.
Hat sich ihr exponierter Bürositz auf die von ihnen gebaute Architektur ausgewirkt? Das nicht. Aber ihre Haltung spiegelt sich zweifelsohne in ihrer Präsentation nach außen wieder. Nichts „Abgehobenes“ soll die Architektur sein, sondern eine Dienstleistung, die man sich leisten kann und soll. Im Moment suchen die vier nach einem neuen Bürositz. Wo der letztendlich sein wird, steht noch nicht fest, einige Wunschobjekte wurden bereits gesichtet. Eines steht aber fest: „Unbedingt wieder ein Gassenlokal.“
Auch die Architekten von „Synn“ (abgleitet aus dem Wort Synergien) machten sich vor über einem Jahr auf die Suche nach einem Büro, nicht irgendeine „konventionelle“ Etage im ersten oder zweiten Stock sollte es sein, sondern etwas mit einem Zeichen nach außen. Bewusst nutzen sie heute ihre Schaufenster als Werbefläche. Auch die orangefarbene Bar, die nachts das Büro beleuchtet, zieht an. Was „Synn“ damit bewirken wollen, ist vor allem eines: Schwellen abbauen, auch jene zu anderen Disziplinen, denn eines ist allen diesen jungen Büros eigen: Sie fühlen sich nicht mehr als Baukünstler. Architektur vermischt sich mit Design, vom Produkt bis zur Grafik.
Etwas differenzierter ist die Haltung von Mascha und Stuart Veech von veech.media.architecture, den Pionieren der Gassenlokal-Bewegung in Wien: „Wir verkaufen nichts, wir kreieren“ lautet ihr Credo. Deshalb geben sie sich im Kontakt zur Außenwelt und dem Bestreben, etwas nach außen zu transportieren, deutlich zurückhaltender. Die Scheiben sind konsequenterweise transluzent, nur Schatten und Licht sind zu erkennen. Aber ganz so abgeschlossen ist auch ihre Wirkungsstätte nicht: Im Sommer steht die Tür offen, und spätestens, wenn Modelle transportiert werden, weiß jeder, welche Art von Büro/Werkstatt sich hinter den semitransparenten Schaufenstern verbirgt. „Wenn alles offen wäre“, ergänzt Stuart Veech, „dann wäre es nicht mehr spannend.“
Die Besetzung dieser Nicht-Orte längst vergangener Nutzungen ist ein positives Zeichen im urbanen Geflecht. Denn man kann diese systematische Inbesitznahme der Straßen auch anders lesen: als individuelle Reparatur an der Stadttextur jenseits der von der Verwaltung verordneten Stadtbehübschung. Jahrzehntelang haben sich Architekturtheoretiker den Kopf zerbrochen, wie man architektonisches Bewusstsein verankern kann. Jetzt ist es dabei, einfach zu passieren: Die Kunden der jungen Architektur-Büros kommen neuerdings von der Straße, um Architektur „einzukaufen“.
Mehr noch: Alle, die sich mit Arbeitseffizienz und ihren Auswirkungen auf unsere Zukunft befassen, schwärmen von flachen Hierarchien und größtmöglicher Transparenz am Arbeitsplatz. Nie war sie größer als mitten drinnen, zwischen den Konsumenten. Designlabors im Gemeindebau? Werbeagenturen, die die repräsentative Villa im Nobelviertel gegen einen leer stehenden Supermarkt im Wohngebiet eintauschen? Noch klingt das utopisch. Aber der Gedanke, dass Konsumenten den Wettbewerb im „Real-Time-Voting“ entscheiden, könnte spannend werden.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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