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Willkommen in Disneyville
Ende der sechziger Jahre beschloss die französische Regierung den Ausbau ihrer Hauptstadt. Acht sogenannte Villes nouvelles wurden in den siebziger Jahren in der Grossregion Paris gebaut.
1. April 2003 - Roderick Hönig
Die meisten dieser Trabantenstädte, die damals mit viel Pomp eingeweiht wurden, geniessen heute keinen guten Ruf mehr. Zu funktional und zu verkehrslastig orientiert war diese Art des Städtebaus, der sich als äusserst unwohnlich erwies. Gemeinden wie Cergy-Pontoise im Westen von Paris sind heute triste Pendlerstädte, in denen bereits erste Anzeichen von Verslumung sichtbar werden.
Marne la Vallée, die fünfte der Villes nouvelles im Osten der Hauptstadt, ist zwanzig Kilometer lang und vier Kilometer breit. Ihre Entwicklung wurde 1973 durch die Ölkrise jäh gestoppt und kam nie wieder in Schwung. Erst als 1984 die Walt Disney Company mit der französischen Regierung Kontakt aufnahm, änderte sich die Situation.
Der Unterhaltungskonzern präsentierte Pläne, für 915 Millionen Euro mitten in Marne la Vallée den grössten Vergnügungspark Europas zu bauen, und stellte 30 000 Arbeitsplätze in Aussicht. 1987 wurden die Verträge unterschrieben, 1992 wurde in Anwesenheit der gesamten französischen Politprominenz Disneyland Resort Paris eingeweiht.
Für den Vergnügungspark wurden fünf Gemeinden von Marne la Vallée zusammengelegt und in Val d'Europe umbenannt. Bis heute hat Disney über vier Milliarden Euro in Disneyland Resort Paris (Disneyland Park, Walt Disney Studios, Disney Village, Hotels und Golfplatz) und Umgebung investiert. Im Rückblick haben sich die Ausgaben gelohnt - die Themenparks gehören zu den erfolgreichsten Tourismusregionen Europas. 16 Millionen Menschen besuchen sie jährlich, die fast 6000 Hotelzimmer sind zu über 80 Prozent ausgelastet.
Der Betreiber Eurodisney kümmert sich mit der Mischung aus historisierender Inszenierung und modernem Serviceangebot nicht nur um die Bedürfnisse und Wünsche der Besucher, sondern auch um seine 13 000 Mitarbeiter: Nach dem Vorbild von Celebration, der ersten Disneystadt bei Disneyworld in Florida, baut Eurodisney seit 1987 in Zusammenarbeit mit der staatlichen Planungsgesellschaft EPA und den fünf Gemeinden eine völlig neue Stadt rund um die Themenparks.
Und dieses Manifest des «New Urbanism» boomt: 1992 hatte Val d'Europe 5000 Einwohner, heute sind es rund 15 000, im Jahr 2015 sollen 40 000 Menschen rund um das Disneyland Resort Paris leben und arbeiten.
Der amerikanische Städteplaner Jacquelin Robertson, der 1996 zusammen mit Robert A. M. Stern auch schon die Pläne für Celebration gezeichnet hatte, liess sich für Val d'Europe wieder von historisierend-romantisierenden Ideen leiten: Im Zentrum der konzentrisch angelegten Stadt stehen die Themenparks mit ihren riesigen Parkplatzflächen sowie der TGV-Bahnhof, der die Verbindung zum Flughafen und in die grossen französischen Städte herstellt.
Rund einen Kilometer daneben liegt das derzeit noch verwaiste neue Stadtzentrum, das sich mit seiner pariserisch anmutenden Place d'Ariane vergeblich gegen die Sogwirkung der an den Platz anschliessenden, eineinhalb Kilometer langen Shopping-Mall durchzusetzen versucht. Unter der Place d'Ariane liegt ein zweiter Bahnhof, von dem aus man mit den Pariser Vorortszügen in nur 30 Minuten die Champs-Elysées erreicht.
Rund um die Ringstrasse, die das Zentrum und die Themenparks weitläufig einkreist, schiessen mehrere verstreute Einfamilienhausquartiere aus dem Boden. Sie sind durch kleine künstliche Seen, einen Golfplatz, unzählige Verkehrskreisel, einen durchgrünten Businesspark, weite Felder und kleine Waldstücke miteinander verbunden.
Alles ist lieblich: Die Strassen sind geschwungen wie Wege in einem romantischen Park, die Häuser herausgeputzt, als gelte es, einen Nettigkeitswettbewerb zu gewinnen. Noch warten die gut ausgebauten Velowege entlang den Alleen auf den Ansturm der Arbeiter, die ins Büro radeln. Val d'Europe versucht, mit Architektur und Landschaftsplanung ein Gefühl von Harmonie, Sicherheit, Ruhe und Stabilität auszulösen. Die neue Siedlung ruft das Bild einer durchgrünten Stadt hervor, die nicht von den Gefahren und Irritationen der Moderne betroffen ist.
Als Landpächter hat der amerikanische Konzern das letzte Wort auch in Gestaltungsfragen: Nur wer die traditionalistische Architekturhaltung mit Disney teilt, darf in Val d'Europe bauen. So soll verhindert werden, dass die Dörfer zu modernen Städten werden. Zeitgenössische Architektur bleibt auf öffentliche Gebäude wie Schulen oder Bahnhöfe beschränkt. Umgeben von Retroarchitektur, wirken sie wie Meteoriten aus einer anderen Zeit. Für den Rest gilt eine wilde Stilmix-Vorschrift, welche Stadthäuser fordert, die sich an der Pariser Gründerzeit orientieren, farbige niederländisch-venezianische Siedlungen am Kanal und putzige Cottages am Rand des Golfplatzes.
Es werden vor allem grosse Appartements gebaut, denn in die lieblichen Arbeitersiedlungen sollen in erster Linie mittelständische Familien ziehen. Die Preise sind für französische Verhältnisse hoch: Eine Dreizimmerwohnung kostet rund 250 000 Euro, ein Haus mit 160 Quadratmetern Fläche zwischen 300 000 und 350 000 Euro.
Die Architektur erinnert an die gute alte Zeit. Mit dem Erscheinungsbild von Val d'Europe will Disney garantieren, dass die Häuser nicht eines Tages aus der Mode kommen wie die Bauten der anderen sieben Villes nouvelles. Alle wichtigen gestalterischen Entscheide, wie etwa Fassadenverkleidungen oder die Pflästerung der Place d'Ariane, werden deshalb Michael Eisner vorgelegt, dem Geschäftsführer der Walt Disney Company.
Mit den rigiden Gestaltungsregeln für Wohnhäuser und den öffentlichen Raum macht der Disney-Konzern klar, dass er nicht nur ein gigantisches Unterhaltungs- und Tourismusunternehmen ist, sondern sich auch als moralische Instanz versteht. Wie zur Zeit der Industrialisierung, als die Patrons ihre Arbeiter mit Fabriksiedlungen ans Unternehmen banden, um sie besser kontrollieren zu können, hat auch Disney eine genaue Vorstellung, wie seine Angestellten zu leben haben.
Der amerikanische Unterhaltungsmulti bleibt mit der Architektur für diese neue Stadt bei seinem Kerngeschäft, der Kreation künstlicher Welten: Val d'Europe ist ein kostenlos zu betretender, reaktionärer Themenpark fürs Wohnen. Mit seiner starken Ausstrahlung ist er den zeitgenössischen Architekten ein Dorn im Auge, doch entspricht er angesichts seines Erfolges anscheinend den Vorstellungen vieler Menschen von Wohnen zwischen Stadt und Land.
Marne la Vallée, die fünfte der Villes nouvelles im Osten der Hauptstadt, ist zwanzig Kilometer lang und vier Kilometer breit. Ihre Entwicklung wurde 1973 durch die Ölkrise jäh gestoppt und kam nie wieder in Schwung. Erst als 1984 die Walt Disney Company mit der französischen Regierung Kontakt aufnahm, änderte sich die Situation.
Der Unterhaltungskonzern präsentierte Pläne, für 915 Millionen Euro mitten in Marne la Vallée den grössten Vergnügungspark Europas zu bauen, und stellte 30 000 Arbeitsplätze in Aussicht. 1987 wurden die Verträge unterschrieben, 1992 wurde in Anwesenheit der gesamten französischen Politprominenz Disneyland Resort Paris eingeweiht.
Für den Vergnügungspark wurden fünf Gemeinden von Marne la Vallée zusammengelegt und in Val d'Europe umbenannt. Bis heute hat Disney über vier Milliarden Euro in Disneyland Resort Paris (Disneyland Park, Walt Disney Studios, Disney Village, Hotels und Golfplatz) und Umgebung investiert. Im Rückblick haben sich die Ausgaben gelohnt - die Themenparks gehören zu den erfolgreichsten Tourismusregionen Europas. 16 Millionen Menschen besuchen sie jährlich, die fast 6000 Hotelzimmer sind zu über 80 Prozent ausgelastet.
Der Betreiber Eurodisney kümmert sich mit der Mischung aus historisierender Inszenierung und modernem Serviceangebot nicht nur um die Bedürfnisse und Wünsche der Besucher, sondern auch um seine 13 000 Mitarbeiter: Nach dem Vorbild von Celebration, der ersten Disneystadt bei Disneyworld in Florida, baut Eurodisney seit 1987 in Zusammenarbeit mit der staatlichen Planungsgesellschaft EPA und den fünf Gemeinden eine völlig neue Stadt rund um die Themenparks.
Und dieses Manifest des «New Urbanism» boomt: 1992 hatte Val d'Europe 5000 Einwohner, heute sind es rund 15 000, im Jahr 2015 sollen 40 000 Menschen rund um das Disneyland Resort Paris leben und arbeiten.
Der amerikanische Städteplaner Jacquelin Robertson, der 1996 zusammen mit Robert A. M. Stern auch schon die Pläne für Celebration gezeichnet hatte, liess sich für Val d'Europe wieder von historisierend-romantisierenden Ideen leiten: Im Zentrum der konzentrisch angelegten Stadt stehen die Themenparks mit ihren riesigen Parkplatzflächen sowie der TGV-Bahnhof, der die Verbindung zum Flughafen und in die grossen französischen Städte herstellt.
Rund einen Kilometer daneben liegt das derzeit noch verwaiste neue Stadtzentrum, das sich mit seiner pariserisch anmutenden Place d'Ariane vergeblich gegen die Sogwirkung der an den Platz anschliessenden, eineinhalb Kilometer langen Shopping-Mall durchzusetzen versucht. Unter der Place d'Ariane liegt ein zweiter Bahnhof, von dem aus man mit den Pariser Vorortszügen in nur 30 Minuten die Champs-Elysées erreicht.
Rund um die Ringstrasse, die das Zentrum und die Themenparks weitläufig einkreist, schiessen mehrere verstreute Einfamilienhausquartiere aus dem Boden. Sie sind durch kleine künstliche Seen, einen Golfplatz, unzählige Verkehrskreisel, einen durchgrünten Businesspark, weite Felder und kleine Waldstücke miteinander verbunden.
Alles ist lieblich: Die Strassen sind geschwungen wie Wege in einem romantischen Park, die Häuser herausgeputzt, als gelte es, einen Nettigkeitswettbewerb zu gewinnen. Noch warten die gut ausgebauten Velowege entlang den Alleen auf den Ansturm der Arbeiter, die ins Büro radeln. Val d'Europe versucht, mit Architektur und Landschaftsplanung ein Gefühl von Harmonie, Sicherheit, Ruhe und Stabilität auszulösen. Die neue Siedlung ruft das Bild einer durchgrünten Stadt hervor, die nicht von den Gefahren und Irritationen der Moderne betroffen ist.
Als Landpächter hat der amerikanische Konzern das letzte Wort auch in Gestaltungsfragen: Nur wer die traditionalistische Architekturhaltung mit Disney teilt, darf in Val d'Europe bauen. So soll verhindert werden, dass die Dörfer zu modernen Städten werden. Zeitgenössische Architektur bleibt auf öffentliche Gebäude wie Schulen oder Bahnhöfe beschränkt. Umgeben von Retroarchitektur, wirken sie wie Meteoriten aus einer anderen Zeit. Für den Rest gilt eine wilde Stilmix-Vorschrift, welche Stadthäuser fordert, die sich an der Pariser Gründerzeit orientieren, farbige niederländisch-venezianische Siedlungen am Kanal und putzige Cottages am Rand des Golfplatzes.
Es werden vor allem grosse Appartements gebaut, denn in die lieblichen Arbeitersiedlungen sollen in erster Linie mittelständische Familien ziehen. Die Preise sind für französische Verhältnisse hoch: Eine Dreizimmerwohnung kostet rund 250 000 Euro, ein Haus mit 160 Quadratmetern Fläche zwischen 300 000 und 350 000 Euro.
Die Architektur erinnert an die gute alte Zeit. Mit dem Erscheinungsbild von Val d'Europe will Disney garantieren, dass die Häuser nicht eines Tages aus der Mode kommen wie die Bauten der anderen sieben Villes nouvelles. Alle wichtigen gestalterischen Entscheide, wie etwa Fassadenverkleidungen oder die Pflästerung der Place d'Ariane, werden deshalb Michael Eisner vorgelegt, dem Geschäftsführer der Walt Disney Company.
Mit den rigiden Gestaltungsregeln für Wohnhäuser und den öffentlichen Raum macht der Disney-Konzern klar, dass er nicht nur ein gigantisches Unterhaltungs- und Tourismusunternehmen ist, sondern sich auch als moralische Instanz versteht. Wie zur Zeit der Industrialisierung, als die Patrons ihre Arbeiter mit Fabriksiedlungen ans Unternehmen banden, um sie besser kontrollieren zu können, hat auch Disney eine genaue Vorstellung, wie seine Angestellten zu leben haben.
Der amerikanische Unterhaltungsmulti bleibt mit der Architektur für diese neue Stadt bei seinem Kerngeschäft, der Kreation künstlicher Welten: Val d'Europe ist ein kostenlos zu betretender, reaktionärer Themenpark fürs Wohnen. Mit seiner starken Ausstrahlung ist er den zeitgenössischen Architekten ein Dorn im Auge, doch entspricht er angesichts seines Erfolges anscheinend den Vorstellungen vieler Menschen von Wohnen zwischen Stadt und Land.
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