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Polierter Vorgeschmack
Zwei Jahre nach ihrem hundertsten Geburtstag hat die Genfer Privatbank Pictet &Cie ihren neuen Hauptsitz bezogen. Die 1800 Backoffice-Arbeitsplätze im polierten Betonpalast sind funktional und banal wie überall; lehrreich ist die Inszenierung der 65 Kundenräume.
Während Ferrari mit einem sich aufbäumenden Pferd auf gelbem Grund die Kraft und Dynamik seiner Boliden im Logo zum Ausdruck bringt, haben es Banken oder Versicherungen bei der Visualisierung ihrer Kompetenz schwerer. Ihre abstrakte, rationale und gefühlsarme Dienstleistung lässt sich kaum so prägnant und unverkennbar symbolisieren, wie es der italienische Sportwagenhersteller kann. Finanz- und andere Dienstleister sind deshalb gezwungen, den Umweg zur Vermittlung ihrer Haltung und Werte über Begriffe wie Solidität, Verlässlichkeit, Tradition oder Dauerhaftigkeit zu nehmen. Sie lassen sich schon eher in Architektur oder Form umsetzen. Der neue Hauptsitz der Genfer Privatbank Pictet & Cie mitten im Genfer Entwicklungsgebiet Acacias ist ein gutes Beispiel für eine solche Übersetzung abstrakter Firmenwerte in Architektur. Andrea Bassi gewann den Wettbewerb für die Fassadengestaltung und die Kundenräume, weil der Architekt innen und aussen unterschiedlich, aber komplementär verknüpft. Von aussen ist das Haus ein monumentaler Edelstein, dessen polierte Steinfassade in der rauen Gegend besonders gut zur Geltung kommt: Die schwere, panzerartige Haut besteht aus einem strengen Raster aus hochpolierten, vorgehängten Betonelementen. Sie fassen in Uhrmacherpräzision sprossenlose, 6,5 auf 2,2 Meter grosse Vitrinenfenster.
Andrea Bassi gibt von aussen keinen Hinweis auf den menschlichen Massstab. Das Haus setzt die Messlatte für die boomende Quartierentwicklung, welche die Stadtväter Acacias in den kommenden Jahren versprechen. Pictet- Teilhaber Jean-François Demole interpretiert die Architektur so: «Mit ihrer Länge von acht Metern und einem Gewicht von sechs Tonnen stehen die Fassadenelemente für Solidität und Beständigkeit, ebenso wie Farbe und Linienführung für Objektivität und Diskretion.»
Spagat zwischen innen und aussen
Andrea Bassi übersetzt aber nicht nur die wichtigen Unternehmenswerte in Architektur, sondern auch das calvinistische Verhältnis zum Geld: Aussen ist das Haus ein Saab, innen ein Bentley. Was auch bedeutet, dass der Spagat zwischen äusserer Zurückhaltung und innerer Luxuswelt gross ist. Aussen der klare, strenge und schwere Stadtmassstab, innen steht der Mensch, also der Kunde im Mittelpunkt der intimen Luxuswelt, die Tradition, Eleganz und Präzision verkörpern soll.
Schnittstelle zwischen den beiden Welten ist die Vorfahrt beziehungsweise die Reception. Die Vorfahrt spricht noch die Sprache der Stadt. Es ist eine karge, aus dem Betonhaus herausgeschnittene polierte Steinnische. Zwei Säulen trennen den Haupteingang zum Bankenmonument vom profanen Strassenraum. Wie in einem Luxushotel halten hier dunkle Limousinen und lassen exklusiv gekleidete Menschen aussteigen. Selbstverständlich können Kunden, die es noch diskreter wollen, also gar nicht gesehen werden möchten, auch auf der Rückseite vorfahren oder den Weg durch die Tiefgarage nehmen. Nicht ungesehen vorbei kommen sie allerdings an der Reception. Der weite, ebenerdige Raum ist durch einen verglasten, aber beschichteten Windfang von der strassen- und rückseitigen Vorfahrt getrennt. Die Ausstattung ist karg und wenig gemütlich – kein Ort zum Verweilen, sondern einerfür Transitpassagiere. Der grösste Teil des Lichts wird durch die mit dunklem Nussbaum verkleideten Wände geschluckt, ein paar Lux wirft der polierte grüne Granit aus Afrika am Boden zurück. Den Schall schluckt der orange Künstlerteppich von Paola Lenti. Nicht nur die reduzierte Eleganz gibt die Augenhöhe an: Hinter dem wie ein schwarzer Steinway-Flügel glänzenden Tresen hängt eine Alpenlandschaft von François Diday aus dem Jahre 1844 in einem matt schimmernden Goldrahmen – die ‹Sicht auf Rosenlaui, Wellhorn und Wetterhorn› ist ein kunstvoller Verweis auf die Gründungszeit der Bank.
Wie im Wohnzimmer
Dass innen und aussen zwei verschiedene Welten sind, merkt man spätestens in den Obergeschossen: Steigt man aus dem Lift, empfängt einen erst ein grosszügiger offener Raum. Er ist eher Lounge als Wartezimmer. Hier ist der Strassenlärm weg, es gibt fast keine Geräusche mehr. Dicke Teppiche am Boden und stoffverkleidete Wände schlucken die wenigen Schritte und Stimmen. Nur die Ventilatoren der hässlichen Iris-Scanner, die wie falsch platzierte Telefonanlagen neben den Türen zum Backoffice-Bereich montiert sind, surren leise vor sich hin. In der Mitte steht jeweils ein flaches Lederhocker-Gebirge, an den Wänden verleiht grossformatige zeitgenössische oder Gründerzeit- Kunst jeder Etage eine eigene Note.
Die intimen Besprechungsräume werden nicht durch Grösse geadelt, sondern durch exklusive Materialien, edle Verarbeitung und diskrete Farben. Die Räume erinnern eher an Wohn- oder Esszimmer und sind zurückhaltend möbliert. Sie bieten einen charaktervollen, aber nicht allzu persönlichen Rahmen fürs Geschäft mit dem Geld. Es gibt je nach Grösse einen Besprechungstisch, an dem manchmal auch gegessen wird, eine bequeme Sitzgruppe fürs lockere Gespräch, immer aber ein dunkles Nussbaumbuffet, in dem alle Anzeichen für ein Büro versteckt sind. Die grossformatigen Fenster, die von aussen die Hauptrolle spielten, haben hier nur noch eine Nebenrolle. Die Fenster sind auf Lichtwände reduziert und unterstreichen die Introvertiertheit der Räume: Wer den weiten Blick über das Industrie- und Gewerbegebiet geniessen will, muss sich durch Vorhang- und Sonnenschutzschichten kämpfen. Der neue Hauptsitz der Bank ist kein Bankenpalast mit Eiffelturm- Qualität, sondern gebautes Understatement. Der konstruktive Kraftakt, den es braucht, um die tonnenschweren Fassadenelemente zu verankern, verlangt genaueres Hinsehen. Auch im Inneren wird nirgends Technik inszeniert, obwohl die siebzig Zentimeter zwischen Decke und Boden zum Bersten voll sind mit Elektronik und Haustechnik und die Ingenieure gern noch mehr Platz gehabt hätten. Das aufwendige, fast vollständige Ausblenden von profanen haustechnischen ‹Nebengeräuschen› macht das klare Bild von Solidität und Beständigkeit von aussen und die wohnliche Eleganz im Inneren erst möglich.
Zweimal anders wohnen
Das Sulzer-Areal in Oberwinterthur ist das grösste Entwicklungsgebiet der Stadt. Die Architekturbüros Burkhalter Sumi und Novaron haben fünf Häuser mit 110 Wohnungen gebaut. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Von frei unterteilbaren Lofts für Eigentümer bis zu Miet-Maisonette- und Geschosswohnungen.
Winterthur hat sich mit seinen durchgrünten Arbeitersiedlungen einen Namen als lebenswerte Wohn- und Gartenstadt gemacht. Einige der Siedlungen wurden und werden nachverdichtet, doch wächst die ehema-lige Industriestadt heute vor allem an den Rändern. 2004 etwa hat der Bauunternehmer Leopold Bachmann in Oberwinterthur die Siedlungen ‹Wässerwiesen› und ‹Im Gern› (HP 9/04) gebaut, insgesamt 840 Wohnungen im unteren Preissegment. Auch das Bauvolumen des Jahres 2005 ist eindrücklich: 850 Millionen Franken wurden in den Wohnungsbau investiert. Das wichtigste und grösste Entwicklungsgebiet der Stadt ist das sechzig Hektaren grosse Sulzer-Areal in Oberwinterthur. Aus der mit dem öffentlichen Verkehr gut erschlossenen Industriebrache soll in den kommenden Jahren eine Wohn-, Dienstleistungs- und Parklandschaft entstehen.
Raffinierte Grundrisse Am nördlichen Rand des Industrieareals liegt das Ensemble Am Eulachpark. Es besteht aus 110 Wohnungen für Besserverdienende. Sie sind zwischen dem Bahnhof Oberwinterthur und dem vom Landschaftsarchitekten Stefan Koepfli geplanten, 60 000 Quadratmeter grossen Eulachpark platziert. Die Überbauung besteht aus fünf Baukörpern: zwei dreigeschossige Stadtvillen entlang der Strasse und drei lange Riegel gegen den Park hin. Durch die Kombination von Punkt- und Langhäusern gliedern sich die Bauten zumindest ansatzweise in die biedere ‹Hüsliwelt› entlang der Strasse ein, gleichzeitig übernehmen die bis zu 75 Meter langen und bis zu sechs Geschossen hohen Riegel im rückwärtigen Teil den Massstab der Industriebauten, die früher hier auf dem Areal standen. Den Arealbonus, welcher der Überbauung wegen der Grösse des Baugrunds zuteil wurde, haben die Architekten aber nicht wie erwartet gleichmässig auf den Dachflächen der Riegel verteilt, sondern das Mehrvolumen als dreigeschossige Türme jeweils versetzt draufgestellt. So geniessen die Turmwohnungen Weit- und Rundsicht.
In die beiden westlichen Riegel haben Burkhalter Sumi achtzig Mietwohnungen eingepasst. Die Grundrisse sind ausgetüftelt und effizient: Insgesamt gibt es zehn Wohnungstypen, und durch die geschickte Kombination von Treppenhaus und Rue intérieure braucht es pro Block nur einen Lift. Wie das geht? Burkhalter Sumi kombinieren Le Corbusiers Rue-intérieure-Typ mit Reihenhäuschen im Erdgeschoss und Geschosswohnungen im Turm. Im Erdgeschoss liegen je acht Reihenhäuschen und ein Studio. Man betritt sie über einen würfelförmigen Windfang. Er ragt zwei Meter in den gemeinschaftlichen Zwischenraum hinein; die Vor- und Rücksprünge verleihen dem Hof einen Rhythmus und signalisieren die Hauseingänge. Grosse Glasscheiben geben den Blick auf den 17 Meter tiefen Küchen-, Ess- und Wohnbereich frei. Er erstreckt sich von der einen Fassade zur andern. Neben dem Badkern in der Mitte führt eine kleine Treppe hinunter zu einem Studio im Untergeschoss und macht die Durchschusswohnung zur abwärts orientierten Maisonette.
Über dem Reihenhäuschen-Geschoss liegen acht aufwärts orientierte Maisonetten auf der einen Seite sowie neun 1- bis 2-Zimmer-Wohnungen auf der anderen. Sie werden über eine knallig gelb gestrichene, 75 Meter lange Rue intérieure erschlossen. Die Rahmen der grauen Wohnungs-türen sind auf die Wand aufgesetzt, sodass die Monotonie des langen Gangs etwas gebrochen wird. Zwei Lichtschächte lassen wenig Tageslicht von oben einfallen, an den beiden Enden geben grosse Fenster den Blick nach draussen frei. Eine enge Rue intérieure erschliesst zwei Duplextypen: Den einen betritt man über einen kleinen fensterlosen Vorraum, den die Architekten zugunsten der Zimmergrösse geopfert haben. Von hier aus werden zwei Schlafzimmer, ein Bad und – über eine interne Treppe – die oberen Räume erschlossen. Darüber wird die Wohnung wieder zum Durchschusstyp: Parallel zum 17 Meter langen Wohn- und Essraum liegen hier Küche, Bad, Waschküche sowie die zwei Zimmer.
Anders der zweite Duplextyp: Man betritt ihn über einen weiten, grosszügigen Raum, der sich über zwei Fenster-achsen erstreckt. Die Nutzungsmöglichkeiten für diesen Raum sind offen: Man kann sich darin ein Fernsehzimmer, einen Fitnessraum oder auch ein grosszügiges Heimbüro vorstellen. An der Rückseite führt eine einläufige Treppe nach oben. Über sie gelangt man in eine Mittelzone, die zwei Schlafzimmer auf der einen vom offenen Wohn- und Essraum auf der anderen Seite trennt. Die gegensätzliche Orientierung der Haupträume im Eingangs- und Obergeschoss macht das Wohnen spannend, scheint aber bei Mieterinnen und Mietern auf wenig Interesse zu stossen: Lange blieben diese Wohnungen frei. Die Turmwohnungen in den Etagen vier bis sechs sind jeweils übers Eck orientierte Geschosswohnungen. Hier sind der weite Blick und die grosszügigen Balkone die Attraktion. Die unterschiedlichen Raumtiefen sind an der Fassadengestaltung ablesbar: Lochfassade für den Aufbau, raumhohe Fenster in den drei Geschossen des Riegels.
Ausgeklügeltes Geschäftsmodell
Das Prinzip der 30 Eigentumswohnungen von Novaron un- terscheidet sich grundsätzlich von den Mietwohnungen. Hier ist nicht die Vielfalt von Typologien auf engem Raum das Thema, sondern die vom Besitzer bestimmte Variante einer immer ähnlichen Grundrissvorlage. Unter dem Label ‹loftprojekt.ch› lancierten die Architekten zusammen mit dem Zürcher Generalunternehmer Halter 2003 einen Bautyp, den sie bis anhin in der Schweiz und in Österreich bereits dreizehnmal realisieren konnten. Die Idee ist einfach und marktorientiert: Wohnraum, bei dem die Käufer die Raumeinteilung und den Ausbaustandard selbst wählen. Die Rationalisierung beim Bauen und Planen eines jeweils ähnlichen Wohnungstyps senkt die Preise, man bekommt verhältnismässig viel Raum fürs Geld: 400 000 bis 890 000 Franken kosten in Winterthur die Lofts in der Basisvariante, 490 000 Franken kostet zum Beispiel ein 155 Quadrat- meter grosser Loft. Im Normalfall, also in Oberwinterthur, bestehen die Loftprojekt-Baukörper aus langen mehrgeschossigen Riegeln, in denen Treppenhauskerne jeweils zwei stützenfreie Wohnungen pro Geschoss erschliessen. Das Konzept ist pragmatisch: Die Abmessungen der Tiefgarage unter dem Haus bestimmen mehr oder weniger die maximale stützenfreie Gebäudetiefe von etwa zwölf Metern. Die Abstände der Stützen entlang der Längsfassade vari- ieren Am Eulachpark zwischen fünf und sechs Metern.
Edelrohbau für jedermann
Die Grundausstattung entspricht einem sogenannten Edelrohbau: Die Lofts besitzen in der Minimalvariante eine rohe Betondecke und einen Anhydrit-Unterlagsboden, eine bestimmte Anzahl raumhoher Lochfenster auf der einen Seite sowie eine Vollverglasung vor der tiefen Balkon-schicht auf der anderen. Im Preis inbegriffen sind je ein Standard-Küchen- und Standard-Badmodul. Den Rest bestimmt der Käufer und sein Budget. Ganz frei sind die Kunden aber in der Grundrissgestaltung nicht. Weil die Steigzonen immer entlang der Treppenhauswände verlaufen, liegen auch Küche und Bad immer links und rechts des Eingangs. Die Lage der Trennwände, der Lochfenster sowie den Ausbaustandard bestimmt der Käufer. Der Rohbau ist so vorbereitet, dass Bodenbeläge, Wände, Bad- und Küchenmodule ohne grossen Aufwand wieder zurückgebaut werden können. So kann bei einem Weiterverkauf oder einer bei einer Umnutzung, etwa von einer Wohnung in ein Büro, der Raum für wenig Geld an die Bedürfnisse der neu-en Nutzung angepasst werden.
Während Burkhalter Sumi versuchten, möglichst viele Grundrisstypen in einen Baukörper einzupassen, konzentrieren sich Novaron darauf, eine grosse Bandbreite an Grundrissen innerhalb eines Typus anzubieten. So reagieren beide Projekte unterschiedlich auf die noch offene Ausgangslage in Oberwinterthur. Denn in welche Richtung sich das Sulzer-Areal entwickelt und welche Art von Bewohner und Nutzer sich hier niederlassen wird, ist derzeit noch völlig unklar. Wie die Räume in zwanzig Jahren genutzt werden, weiss heute noch niemand. Deshalb sind die Grundrisse darauf ausgelegt, auf Schwankungen zu reagieren. Mit kleinen Eingriffen lassen sich beispielsweise die Geschosse der Duplexwohnungen voneinander tren- nen und von mehreren Parteien nutzen. Mit wenig Aufwand können die Wohnungen von Novaron in Büros umgenutzt werden. Dass es im Eulachpark bereits heute Studios für Studenten, Lofts für junge Doppelverdiener, Reihenhäuschen für Familien oder Wohnlandschaften für gut situierte Senioren gibt, hat sich ausbezahlt. Die Vermietung beziehungsweise der Verkauf lief erfolgreich. Das internationale Orthopädieunternehmen Zimmer zum Beispiel, dessen Hauptsitz sich in Gehdistanz auf dem Areal befindet, hat gleich mehrere der neuen Turmwohnungen für seine Kadermitarbeiter gemietet.
Gehversuch in der EU
Am Rand von Köln entwickelt ein Baulöwe ein Gewerbegebiet. Bewusst setzt er auf Architektur und Naturnähe statt gut erschlossene Blechkisten. Nun haben die Zürcher Architekten Giuliani Hönger das erste Haus fertig gestellt: einen flexibel nutzbaren Lager- und Bürobau im Klinkerkleid.
Anton Bausinger ist ein Patron der alten Schule. Wenn der Besitzer der Friedrich Wassermann Bauunternehmung mit seinem neuen schwarzen Audi über die staubige Grossbaustelle neben seinem Werkhof rollt, grüsst er jeden Arbeiter aus dem Fenster heraus mit Namen. Die Firma ist noch heute ein Familienbetrieb, wenn auch die Wassermanns nur noch den Namen geben: Angefangen hat der Gründer 1906 mit Kanalbau und Kiesförderung; nach dem Zweiten Weltkrieg hat diese Firma massgeblich zur ‹Entschuttung› der Innenstadt beigetragen, später war sie am Wiederaufbau beteiligt. Für die Lastwagen, Bagger, Baumaterialien und vor allem für die hohen Schuttberge, die die Arbeiter nach dem Krieg aus der Kölner Innenstadt herausgekarrt haben, hat Friedrich Wassermann ein riesiges Grundstück am Rand des nördlichen Grüngürtel erworben. Das lag damals noch ‹JWD› – also ‹Janz weit draussen›. Heute liegt das Gebiet, durch S-Bahn und Schnellstrasse gut erschlossen, am Stadtrand.
Inspiriert vom Hafen Hamburg
Der gesunkene Platzbedarf und die gut erschlossene Lage waren Anlass für die Entwicklung der zwölf Hektaren grossen Brache. Vor allem aber nutzt der Unternehmer seinen Heimvorteil: Das Land ist abgeschrieben und er kann es als Startkapital einsetzen. Bausinger will die Konkurrenz mit hoher Ausbau- und Raumqualität schlagen, deshalb setzt er einen Teil der eingesparten Landkosten für Architektur und Materialien ein. Das Gewerbehaus von Giuliani Hönger, die Bausinger von seinen Aufenthalten in der Schweiz kennt, ist nun der erste fertig gewordene Baustein im Masterplan. Die Zürcher massen sich an den Ambitionen des Bauherrn und versuchten, einen eigenen Typus Lagerhaus zu entwickeln: In Anlehnung an die hohen Speicher im Hamburger Hafen bauten sie den ersten Schritt zu einer flachen Speicherstadt. Wie in der Hansestadt befinden sich Büro- und Lagerfläche im selben Bau.
Anders als in der Speicherstadt hingegen ist der Umgang mit den Öffnungen: In die raue, dunkelrot leuchtende Klinkerfassade sind riesige sprossenlose Fenster eingelassen. Die Rahmen und die Lüftungsflügel sind vollständig hinter den Brüstungen respektive Leibungen versteckt. So entsteht ein ausgewogenes Stein-Glas-Verhältnis, was dem Haus Eleganz und Ruhe verleiht. An den beiden Stirnseiten sind Eingang, Treppen und Nebenräume untergebracht. Diese dreigeschossige Raumklammer spannt die 830 Quadratmeter grosse zweigeschossige stützenfreie Lagerhalle ein. Die Materialien sind einfach und in den meisten Fällen unbehandelt. Sie untermalen den industriellen Charakter: torfgebrannter und handverlesener Klinker an der Fassade, Sichtbeton in der Halle, Hartsteinholz am Boden sowie im Obergeschoss Faserplatten an der Decke und Gipswände als Raumteiler.
Die Konstruktion ist Teil der Architektur: Im Inneren überspannen mächtige Vierendeel-Träger in Sichtbeton die gesamte Breite der Halle von zwanzig Metern. Zusammen mit dem Fensterraster versetzen sie den Raum in einen beschwingten, aber strengen Rhythmus. Der architektonische Anspruch des Bauherrn manifestiert sich an der oberen Fensterreihe der Halle: Hier hätte auch eine Anzahl kleinerer und damit deutlich günstigerer Bullaugen gereicht. Doch die Gleichbehandlung mit der Reihe auf Bodenhöhe sieht nicht nur eleganter aus, sie macht den Einzug eines zweiten Lager- oder Bürobodens in die Halle möglich. Damit gewinnt das Haus an Flexibilität und an Raumqualität. Das räumliche Erlebnis ist mit dem weiten Atem der Halle nicht vorbei: In der Mittelachse der darüber angelegten Büroebene liegen zwei Lichthöfe. Einer öffnet sich zum Himmel und dient als Pausenhof und Raucherecke, dem anderen fehlt der Boden – er gibt die Sicht in die darunter liegende Halle frei. So holen die Aussparungen zusätzliches Tageslicht ins Innere der Büroetage, gleichzeitig entstehen unerwartete Durchblicke und Sichtbeziehungen in der Horizontalen wie auch in der Vertikalen.
Bauen nach anderen Normen
Die Architekten sind mit ihrem ersten Gehversuch in einem EU-Land zufrieden. Das Haus ist auch dank einer guten Bauleitung vor Ort so herausgekommen, wie sie es geplant hatten. Gewöhnungsbedürftig war für Giuliani Hönger der Widerstand gegen Sonderlösungen jeglicher Art: Für Bauelemente, die zwar einzeln, aber nicht in Kombination DIN-geprüft und zertifiziert sind, wollten weder die Bauherrschaft, die Behörden noch die Unternehmer die Haftung übernehmen. Und für Einzelzulassungen, die in der Schweiz reine Formsache sind, war keine Zeit: Die kurze Entwicklungs- und Bauzeit von 16 Monaten vom ersten Entwurf bis zum Einzug des Mieters zwang die Architekten, nur zugelassene Elemente zu verwenden. Staunend haben Giuliani Hönger auch erfahren, dass der Statiker jeden Träger einzeln berechnet hat, um den Armierungsstahl minimal zu halten. Dass die Eisenleger dann deutlich mehr Aufwand auf der Baustelle hatten, fiel wenig ins Gewicht; deutsche Arbeit ist deutlich günstiger als Schweizer. Das Gewerbehaus kostet trotz ähnlicher Materialpreise rund zehn Prozent weniger als ein vergleichbares Objekt in der Schweiz.
Ein Thron für den Weltfussball
Tilla Theus hat dem Fussball einen Sitz am Zürichberg gebaut: in Hochgeschwindigkeit, mit opulenten Materialien, brillanten Oberflächen und einem tief in der Erde liegenden Regierungssaal für das Exekutivkomitee. Hier tagt die FIFA, die Fédération Internationale de Football Association.
Bis anhin hatte die FIFA ihre rund 250 Mitarbeiter auf sechs Häuser von Zürich bis nach Zug verteilt. Um sie an einem Ort zu versammeln, hat sich der Dachverband aller Fussballverbände ein einziges ‹Home of FIFA› auf dem Zürichberg geschenkt, gelegen zwischen der Masoalahalle des Zoos und dem ehemaligen Geschäftssitz auf dem Sonnenberg. Das Haus kostete satte 240 Millio-nen Franken und übersetzt das gutschweizerische Verhältnis zum Reichtum in Architektur: von aussen ein VW Golf, innen ein Maybach. Neben den Quadratmetern war auch die geforderte architektonische Augenhöhe für diesen Direktauftrag keineswegs durchschnittlich: Elegant, exklusiv und vor allem repräsentativ sollte der Hauptsitz werden. Und herausragend in geringem Energieverbrauch und bester Haustechnik. Die Architektin Tilla Theus, die bereits den Sitz des Internationalen Hockeyverbands erweitert hat, bewältigte ein Hochgeschwindigkeitsprojekt: Grundstückkauf 2003, dann politische Durchsetzung inklusive Gestaltungsplan, ein komplexer Bauprozess, Bezug im April 2006 und schliesslich Eröffnung im Mai 2007.
Zwei Drittel unter der Erde
Die Architektin hat den Grundriss einfach strukturiert: Er erinnert in seinen Geschossen über der Erde an ein Klos-ter. Entlang der Längsseiten reiht sich ein Büro ans andere. Die Fussball-Verwalter blicken entweder in den Park oder in den geheimnisvollen Urwald im Innenhof – beide hat der Landschaftsarchitekt Günther Vogt gestaltet. Und wie bei einem Kloster bleibt uns Normal-sterblichen nur der Blick auf die Fassade, auf ein silbern schimmerndes Aluminiumgewebe, das den 140 Meter langen und knapp 50 Meter breiten Bau rundherum einwickelt und so die FIFA-Beamten vor zu viel Sonnenlicht schützt. Wer es ins Kloster schafft, darf staunen, wie teure Materialien adeln: kostbare Glasarbeiten, gebrochene Schiefersteinstreifen aus Brasilien und amerikanisches Nussbaumholz an der Wand, Lapislazuli am Boden, von einer eigens konstruierten Maschine gehämmerte, kunstvoll verzogene Aluminiumwände, ein Andachtsraum für die fünf Weltreligionen aus hinterleuchteten Onyxplatten sowie Chromstahlhandläufe als Reflektoren der Lichtinstallationen des amerikanischen Künstlers James Turrell.
Das ‹Home of FIFA› ist nicht nur wegen der exquisiten Lage und der eindrücklichen Materialsammlung ein besonderer Konzernsitz, sondern auch wegen der Art, wie hier Grösse bewältigt wird. Nur ein Drittel des Gebäudes ist sichtbar: 6000 Quadratmeter für Archive und Lager, 3000 Quadratmeter für Technik und 240 Parkplätze hat Tilla Theus in der Erde vergraben. An die Oberfläche kommen also nur die Eingangshalle, ein Auditorium, die rund 300 Arbeitsplätze sowie eine 1750 Quadratmeter grosse Sport- und Fitnessanlage neben dem Haus. Das Raumprogramm, das Budget und die Wucht des Tiefbaus beeindrucken. In der Bearbeitung der Ausstattung stecken Fantasie, Spielfreude und Kunstfertigkeit. Was Raumfolgen und -gefüge angeht, ist das ‹Home of FIFA› kein Meilenstein. Exemplarisch gilt das für den mickrigen Eingang in die riesige Empfangshalle und den banalen Weg von hier über ein Treppenhaus oder einen Glaslift ins Auditorium, dessen gestauchtes Foyer unmittelbar an die Treppen anschliesst. Die Geschichte kennt berauschendere Beispiele, wie der eine Mächtige dem anderen Mächtigen seine Bedeutung mit Raumdramatik und der ‹Dimension princière› zeigt.
Rundleder-Machtzentrale
Die Bedeutung von Architektur und Macht spielt dieses Haus im Untergrund aus. Im dritten Untergeschoss ist der Saal des Exekutivkomitees untergebracht: ein zwei Geschosse hoher, fensterloser Raum, dessen Boden mit dicken Lapislazuliplatten belegt ist und dessen Wände in dunklem Edelholz schimmern. Hier regieren – eingerichtet von einer Frau – 24 hohe Herren unter Leitung von Josef ‹Sepp› Blatter den Weltfussball. Die Funktionäre sitzen auf Polstersesseln unter einem prächtigen Kronleuchter. Der Thron des Königs ist zwei Zentimeter höher als die anderen Sessel, Bildschirme fahren aus und ein, unsichtbare Übersetzer flüstern aus drahtlosen Ohrmuscheln, leise summen versteckte Datenserver – Machtarchitektur pur.
Lernen am Flügeldach
Mit dem Projekt ‹1:1 Metal Works› der Architekturabteilung der ETH Zürich haben rund zwanzig Studentinnen die Chance wahrgenommen, aus dem Elfenbeinturm der Architekturlehre in die Niederungen eines Pausenplatzes im Zürcher ‹Chreis Cheib› herabzusteigen. Dafür haben die Professuren Architektur und Konstruktion sowie CAAD zwei Arbeitswochen zum Thema ‹Materialspektrum Metall› organisiert. In der ersten Woche gab es einen Crash-Kurs fürs Schweissen, Blech-Laserschneiden und Blechabkanten, danach entwarfen die Studierenden in einem internen Wettbewerb ein Pausendach für ein Schulhaus. Während der zweiten Woche konnten sie in der Werkstatt der Firma Blechteam in Rümlang die Bauteile der fünfzehn flügelartig geknickten Dachelemente des Siegerprojekts herstellen. In den Sommerferien haben sie die Teile zusammengesetzt und auf die Stützen montiert. Dann kam der Praxistest: Mit viel Geduld und Feinarbeit haben die angehenden Architekten im Herbst ihre ‹Flügelsäulen› in die Fundamente auf dem Pausenplatz eingepasst. Dabei haben sie die Unterschiede zwischen Planung und Ausführung am eigenen Leib erfahren.
Hüttenarchitektur gibt es genug
Die beiden jungen Architekten Reto Pedrocchi und Beat Meier haben sechs Monate nach Bürogründung einen Volltreffer gelandet. Beim Ausbau zweier Ferienwohnungen in Davos genossen sie fast vollständige gestalterische Freiheit und Geld spielte keine grosse Rolle. Im Interview sprechen die beiden Zürcher in Basel über das Bauen in den Bergen, Gemütlichkeit und den eigenen Stil.
Wie kommt ein junges Büro, das zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe kaum Referenzen vorweisen konnte, zu einem solchen Prestige-Auftrag?
Reto Pedrocchi: Erich Schmid, einer der beiden Bauherren der Erdgeschoss-Wohnung, ist zusammen mit Pius App auch Bauherr des geplanten Schatzalpturms von Herzog de Meuron. Der Davoser Hotelier hat die Projektleiterin des Schatzalpturms nach einem jungen Architekturbüro gefragt, das für die Wohnung eine unerwartete Lösung finden könnte. Die Projektleiterin hat uns dann empfohlen.
Wieso genau dieser Entwurf?
Beat Meier: Wir haben zwei sehr unterschiedliche Vorprojekte für zwei verschiedene Benutzergruppen entworfen: Eine „Massenlager“ für acht jugendliche Wintersportler sowie eine Wohnung für ein junges Paar. Die Bauherren haben sich für die letzte Variante entschieden.
Reto Pedrocchi: Erich Schmid und Peter Thöny haben die Wohnung im Erdgeschoss gekauft, weil es in ganz Davos keine Ferienwohnung mit viereinhalb Meter hohen Räumen gibt. In diese „räumliche Ausnahme“ wollten die beiden Herren keinen konventionellen Grundriss einbauen. Sie erwarteten von uns nicht nur einen unkonventionellen Entwurf, sondern auch einen unkonventionellen Nutzungsvorschlag. Insofern ist unser Projekt auch eine Antwort auf die gesichtslosen Zweitwohnungen, die in den Bergen massenweise entstehen.
Wie kam es zum Auftrag für den Ausbau der beiden Attikawohnungen?
Beat Meier: Schmid hat im Auftrag des Investors die Wohnungen im Haus verkauft. Die neuen Besitzer der Attikawohnungen fragten ihn nach einem Architekten, der aus den zwei Wohnungen eine macht. Da hat Schmid uns empfohlen.
Beide Projekte brechen mit jedem Ofenbänkli-Chalet-Klischee. Sie erinnern eher an Designer-Kleiderläden als an Ferienwohnungen. Was sind das für Wohnwelten, die ihr inszeniert habt?
Reto Pedrocchi: Am Anfang stand die klare, fast schon funktionale Raumaufteilung. Bei der Attikawohnungen war uns der Kontrast zwischen den einzelnen Räumen wichtig. Wir haben intern von Filmsets gesprochen: Verschiedene Wohn- und Badewelten sind nebeneinander aufgereiht, ein neutraler weisser Gang, eine Referenz an Stanley Kubriks Film „A Space Odyssey 2001“, verbindet sie. Wer will, kann auch von einer Kulissen-Architektur sprechen. Damit und mit ungewohnt angewendeten und verarbeiteten Materialien versuchten wir die bestehende, durchschnittliche Architektur auszublenden. So ein Über-Akzentuieren funktioniert natürlich nur bei einer Bauherrschaft, die nur wenige Wochen im Jahr in der Wohnung verbringt. Aber grundsätzlich gilt: Wir haben nichts gegen das Chalet! Unser Ofenbänkli hat einfach eine andere Form.
Beat Meier: Wären die Wohnungen dauerhaft bewohnt, wären die Kontraste nicht so dominant ausgefallen. Vor allem die Attikawohnung ist für die Bauherrschaft Ersatz für die Erlebniswelt Hotel. Wichtig ist aber noch etwas anderes: Beide Ausbauten liegen in Davos – und Davos ist eine Stadt. Mit seiner Flachdacharchitektur gehört sie zu einem der urbansten Orte in den Bergen. Auch die älteren Häuser in Davos entsprechen nicht dem Chalet-Klischee. Deshalb haben auch wir uns nicht an diesen traditionellen Bildern von Bauen in den Bergen orientiert.
Trotzdem: Ich habe immer gedacht, eine Ferienwohnung in den Bergen müsse eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlen. Der kühle Dalmatiner-Terrazzo macht einen aber nicht an, sich mit einem Glas Wein auf ein weiches Kissen vor das Cheminee zu setzen und dem Spiel der Flammen zuzusehen. Welche Bedeutung hat der Begriff „Gemütlichkeit“ für die beiden Ausbauten?
Reto Pedrocchi: „Gemütliche“ Hüttenarchitektur gibt es genug in den Bergrestaurants. Gemütlichkeit war weder für die Bauherrschaft, wie auch für uns kein Thema. Es gibt gemütliche Bereiche in der Wohnung, beispielsweise der Wellnessbereich mit seinem geräucherten Eichenboden und dem groben, platinfarbenen Putz an der Wand.
Fürs Bauen in den Bergen, besonders in Davos, gibt es zahlreiche Beispiele aus der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Spielten sie, die Berge oder die lokale Architekturtradition eine Rolle bei eurem Projekt?
Reto Pedrocchi: Für uns nicht, aber viele Besucher der Wohnungen finden alpine Anknüpfungspunkte: die weissen Punkte im Terrazzoboden erinnern die einen an Schneeflocken, das Relief an der Korridorwand erinnert die anderen an vereiste Topografiemodelle. Solche Referenzen waren nie geplant. Wir freuen uns aber darüber, da uns beim Entwurf keine Bildern geleitet haben.
Die Räume sind sorgfältig bis ins Detail gestaltet, wirken aber sehr unpersönlich, ja sogar unbewohnt. Wo bringt sich die Bauherrschaft ein?
Beat Meier: In der Nüchternheit und im Anspruch an die Ausführungsqualität. Sie wollte klare Formen, eine klare Sprache und eine solide und präzise Ausführung. Nichts sollte zuviel sein. Weil beide Bauherrschaften keine konkreten Bilder für ihre Ferienwohnungen hatten, waren wir im Entwurf sehr frei. Gleichzeitig war es für uns sehr schwierig, anhand dieser abstrakten Vorgaben, das Richtige zu finden.
Reto Pedrocchi: Da uns die Auftraggeber nicht mit Lösung eines konkreten Problems beauftragten, mussten wir uns die Entwurfsaufgabe selber stellen. Das waren eine grosse Chance und ein grosser Luxus.
Verstehe ich das richtig? Beide Bauherrschaften hatten keine konkreten formalen Vorstellungen, sondern nur hohe Ansprüche an Ausführungsqualität und Materialien?
Beat Meier: Ja, so unglaublich das klingt. Mit zwei jeweils gegenteiligen Vorprojekten, also einmal die Attikawohnung als fliessender, offener Raum versus die Aneinanderreihung von unterschiedlich ausgefütterten Kammern, haben wir versucht herauszufinden, wo die Bauherrschaft steht. Das Risiko, nicht zu finden, was der Bauherrschaft gefällt, war zwar gross, trotzdem haben wir einen Volltreffer gelandet.
Dann ist die Attikawohnungen kein Massanzug für die Bauherrschaft sondern ein Pedrocchi-Meier-Designerdress?
Beat Meier: Unsere Auftraggeber haben uns bewusst einen Pedrocchi-Meier-Desingerdress abgekauft. Es passierte zwar nichts ohne vorherige Absprache, aber wir genossen praktisch gestalterische Narrenfreiheit.
Beide Wohnungen sind ein starkes Stil-Statement: Die Farbwahl sowie auch die verwendeten Materialien und ihre Verarbeitung erinnern an die 60er und 70er Jahre. Auch das Ornament ist ein Thema. Ist eure Architektur nun Retro-Design oder besonders zeitgenössisch?
Reto Pedrocchi: Wahrscheinlich ist sie beides. Von den Materialien her lehnt sich der Entwurf an die siebziger Jahre an, von der Ausformulierung her empfinde ich es eher als Statement zur zeitgenössischen Architektur. Die Herstellung der kristallinen Formen zum Beispiel, ist teilweise nur mit modernen computergesteuerten Maschinen möglich.
Beat Meier: Ist Retro-Design heute nicht besonders zeitgenössisch? Es ist doch praktisch unmöglich, etwas Neues zu erfinden. Fast alles, das einem heute als neu verkauft wird, gab es schon einmal, vielleicht in einer anderen Form oder Funktion. Die letzten hundert Jahre Gestaltungsgeschichte sind so gut dokumentiert wie keine anderen. Wir machen, was uns gefällt.
Beat Meier hat bei Buchner Bründler das UNO-Projekt, Reto Pedrocchi hat für HdeM Prada Tokio geleitet. Beide Lehrmeister sind in der vorliegenden Arbeit zu erkennen. Welche Bedeutung haben die Lehr- und Wanderjahre fürs eigene Werk?
Beat Meier: Sie waren sehr wichtig. Dass sie nun in unserer eigenen Arbeit sichtbar sind, verstehen wir als Lob an unsere Arbeit. Die Entwicklung eines eigenen Stils geht nicht von heute auf morgen.
Welche Bedeutung hat der eigene Stil?
Reto Pedrocchi: Der eigene Stil ist wichtig, ich frage mich nur, ob er überhaupt möglich ist. Zumindest bei der ersten Arbeit. Wir wissen noch gar nicht genau, was uns interessiert und wo wir hin wollen. Heute entscheidet sich niemand mehr am Anfang seiner Karriere für einen gewissen Stil. Es werden hoffentlich noch viele Einflüsse kommen, die uns verleiten werden.
Die Ferienhalle
Die Ferienhalle liegt im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses am steilen Schatzalphang. Die Wohnung ist eine typische Restfläche: Sie ist direkt auf die Strasse orientiert und hat weder Blick noch einen attraktiven Aussenraum. Um die schlechte Lage zu kompensieren und um mehr Tageslicht in die Räume zu holen, sind sie viereinhalb Meter hoch. Pedrocchi Meier machen die Raumhöhe zur Hauptattraktion. Dafür unterteilen sie den rechteckigen Grundriss in drei Zonen: Eine dunkle Wellness-Höhle im Hang, eine mittlere Raumschicht mit Entrée, Bad, Schlafzimmer und Gäste-WC sowie die offene, dreiseitig belichtete Wohnhalle. Augenfänger ist der aufgeregt gemusterte Trennvorhang der die Nebenräume vom Wohn-Essbereich trennt: Es ist eine horizontal und vertikal unregelmässig gefaltete Wand aus glasfaserarmiertem Kunststoff. Zusammen mit dem eigens fürs Projekt entworfenen Stoffvorhang, der die restlichen drei Wände einhüllt, schaffen die Architekten einen Raum im Raum. Die feierliche Ferienhalle kommt besonders beim Après-Ski zur Geltung, wenn das Licht hinter der Faltwand die gelben Muster leuchten und einen die biedere Umgebung vergessen lässt.
Das Hotel für zu Hause
Für das elegante Penthouse für eine dreiköpfige Familie haben die Architekten die beiden obersten Dachwohnungen des Mehrfamilienhauses zusammengefasst. Pedrocchi Meier belassen die Rohbau-Infrastruktur und reihen entlang eines langen rückwärtigen Korridors alle Haupträume auf. Die Stimmungen erinnert an ein Designer-Hotel: Auf die weite Terrasse hin das loungeartige Wohnzimmer mit seinem Dalmatiner-Terrazzo-Boden, die beiden mit grauem Teppich und grüngrauen Tapeten ausgekleideten Schlafzimmer sowie der platinfarben getünchte Wellnessbereich mit seinem Boden aus geräucherter Eiche. Zwischen dem weissen Gang und den Haupträumen liegen Küche, Gäste-WC, Bäder, Sauna und Waschküche. Einzig ein Gästezimmer sowie ein kleines Heimbüro sind auf die Rückseite ausgerichtet. Der Empfang ist kühl und geheimnisvoll: Man betritt das Penthouse über das Spiegelkabinett des weissen Korridors: Seine Aussenwandseite ist mit lackierten Holzplatten beplankt. Darin spiegeln sich die gegenüberliegenden, matten Corian-Wände. Sie sind zu einem flachen Prismen-Relief gefaltet, so dass das Licht in den Gang hinein gelenkt wird. An den Enden liegen jeweils Fenster. Sie sind so elegant versteckt, dass man tagsüber meint, die weissen Wände würden sich am Ende des Gangs in Licht auflösen.
Turnen im Glashaus
Der Badweiher ist ein typisches Schulhaus-Ensemble, bei dem die Architektur-Jahrringe gut abzulesen sind: Ein pavillonartiges Schulhaus aus den Fünfzigern, eine Schnellbau-Turnhalle aus den Sechzigern, ein strenges Beton-Schulhaus aus den Siebzigern. Nun haben die beiden jungen Architekten Thomas Schwendener und Peter Habe die sanierungsbedürftige Turnhalle ersetzt und am selben Ort eine neue Doppelturnhalle im Minergiestandard erstellt. Ihr grünes Glashaus passt sich trotz der wuchtigen Grösse in die lockere Anordnung der beschaulichen Solitärbauten ein. Wie das geht? In der Längsachse treppt sich das Volumen mehrfach ab: Auf der Ostseite der hohen Halle liegt das eingeschossige Gerätelager, auf der Westseite staffeln das Foyer, der Mehrzweckraum und darüber die Garderoben die Schnittlinie. So passt sich das Volumen dem Massstab den Nachbarbauten an. Faszinierend ist die Fassade, vor allem im Sommer, wenn das Grün der vorgehängten Profilitgläser im Blattgrün der umgebenden Bäume aufgeht. Ihre Lichtdurchlässigkeit verleiht dem Haus Leichtigkeit und Eleganz. Und für den Fall, dass die neue Turnhalle die Sportlust der Einwohner von Muri über die Massen steigert, haben die Architekten schon vorgesorgt: Auf der Südseite kann die Halle erweitert werden.
«Ich bin ein klassischer Architekt»
Peter Märkli hat für die Novartis in Basel ein Bürogebäude mit Visitor Center gebaut. Der Architekt spricht über Symmetrie und den ‹Märkli-Klassizismus›, über Lampugnanis Masterplan, Kunst-und-Bau-Arbeiten sowie über Materialien, die wie Ornamente verwendet werden, und über direkt auf der Wand verlegte Leitungen.
Waren die städtebaulichen Vorgaben des Masterplans von Vittorio M. Lampugnani Fluch oder Segen?
Weder noch. Ein Masterplan ist das Prinzip eines jeden Städtebaus. Innerhalb der festgelegten Baufelder können sich die Architekten gewisse Freiheiten erarbeiten, doch das einzelne Gebäude soll keine Ausnahme sein, sondern sich dem übergeordneten Plan unterwerfen. Man kann mit einem einzelnen Gebäude nicht die Stadtstruktur ändern.
«Architektur ist keine Sportveranstaltung», haben Sie einmal gesagt. Die Bauten auf dem Novartis-Gelände erinnern trotzdem an eine Architektur-Olympiade. Kümmert sich Ihr Haus um die anderen Bauten?
In grossem Masse! Als wir 2004 mit dem Bau begonnen haben, standen ja nur der steinverkleidete Hauptsitz aus dem Jahr 1939 sowie das Forum 3 von Diener & Diener Architekten. Die Erscheinungsform unseres Hauses wurde durch diese Nachbarschaft determiniert. Auf den Stadtplatz hin, das sogenannte Forum, haben wir die Proportion so gewählt, dass der LED-Screen von Jenny Holzer relativ weit herunterkommt. So steht das Gebäude fest am Platz und wirkt nicht aufgeständert.
Lampugnani sah auf dem Grundstück Fabrikstrasse 6 ursprünglich eine Bibliothek vor. Was ist aus ihr geworden?
Die Bibliothek hat sich zu einem ‹Marktplatz des Wissens› gewandelt. Sie wird ins Zentrum des Campus verlegt. Die Lage am Platz, gleich hinter dem zukünftigen Haupteingang, erwies sich für diesen Zweck als ungeeignet. Deshalb hat die Novartis entschieden, an der Fabrikstrasse 6 das Visitor Center einzurichten.
Was ist ein Visitor Center?
Das Visitor Center empfängt auswärtige Gäste wie auch Mitarbeiter aus aller Welt, es ist eine Art Verteilerzentrale. Hier finden auch Anlässe wie Weihnachtsapéros statt. Man kann sich darin für informelle Sitzungen treffen, auch Schulkassen werden hier empfangen. Deshalb war uns die Art und Weise, wie das Haus Menschen aufnimmt, also wie gastfreundlich es ist, sehr wichtig. Wie und wie viele Informationen über Novartis darin transportiert werden, liegt in der Kompetenz des Auftraggebers.
Die Baueingabe war im April 2004, die Übergabe im Mai 2006. Ist schnelles Bauen ein Vor- oder Nachteil?
Den hohen Takt empfand ich als Vorteil. Denn wenn ich an eine neue Bauaufgabe herantrete, bin ich immer sehr motiviert. Diese Leidenschaft kann ich nicht unendlich lange aufrechterhalten. Zur hohen Realisierungsgeschwindigkeit gehört aber auch eine entsprechende Entwurfsstrategie.
Das heisst, die Grundstruktur eines Hauses, seine Proportionen und die Gliederung der Fassade sind unumstösslich.
Für die Haustechnik hingegen muss ich ein System entwickeln, das auf nachträgliche Änderungen, die zu jedem Bau gehören, reagieren kann, ohne dass sie die Architektur in Frage stellen. Deshalb haben wir sehr wenig einbetoniert. Die Leitungen in den Lager- und Technikräume sind sichtbar montiert und werden so zum Ornament.
Mein erster Eindruck war: ein amerikanisches Haus der Vierzigerjahre. Was für eine Art Architektur ist es?
Es ist eine Architektur, die mir entspricht. Wir wollten ein zeitgemässes, frisches Gebäude machen – ein Haus, das als intim, sinnlich, gelassen und reich empfunden wird. Einige sagen es wirke ‹altneu›. In der Architektur gibt es eine Grundfrage: der Raum. Wie wird er strukturiert, organisiert und proportioniert, wie ausdruckshaft ist er? Wenn der Architekt diese Fragen beantwortet hat, kann er beispielsweise eine gewisse Sinnlichkeit oder Intimität für diese Räume wählen. Sie ist aber nicht auf irgendein Jahrzehnt bezogen, sondern relevant für alle Epochen.
Der Novartis-CEO Daniel Vasella hat den Aus- und Umbau des Novartis Campus zur Chefsache erklärt. Um sich eine genaue Vorstellung von den zukünftigen Gebäuden zu machen, liess er 1:1-Modelle von allen Fassaden erstellen. Wie verlief die Zusammenarbeit?
Unser Beruf setzt ein grosses Abstraktionsvermögen voraus. Das Entscheidungsgremium, dem Daniel Vasella vorsteht,
braucht haptische und visuelle Erfahrungen. Darum die aufwendige Bemusterung und die 1:1-Modelle. Dazu hat der CEO jeweils sehr rasch Stellung bezogen.
An der Fabrikstrasse 6 liegt Marmor auf den Böden, die Wände sind in Eibe, die Handläufe in Olivenholz furniert, die Stützen mit Chromstahl verkleidet. Sie verwenden edle Materialien wie Ornamente. Welche Rolle spielt das Ornament?
Eine grosse Rolle. Das Visitor Center wird durch den weissen Marmor nobilitiert, es ist ein Liebesbeweis an die alten Griechen. Der Materialwechsel zwischen den Geschossen lässt einen ohne Beschriftung merken, wo der Besucherbereich aufhört. In einer zweiten Hierarchieebene haben wir die Zeichnungen der Materialien als ornamentalen Ersatz verwendet. Wir haben aber nur die Richtungen der Adern bestimmt und nicht die Lage der einzelnen Platten. Eine Art kalkulierter Zufall. Ich glaube, dass der Architekt nicht alles bestimmen sollte, sondern dass er dem Arbeiter oder Unternehmer einen Rahmen ausstecken sollte. So kommt Frische in den Bau und man muss nicht immer alles umzeichnen, wenn es Änderungen gibt.
Der Grundriss des Hauses basiert auf einer doppelsymmetrischen Form. Ein Märkli-Klassizismus?
Ich bin ein klassischer Architekt und fühle mich der abendländischen Stadt und Baukunst verpflichtet. Meine Erfahrung ist, dass klassische Grundmuster ein unglaubliches Potenzial beinhalten. Das Haus hat zwei wichtige Seiten: vorne das Forum, hinten der Long-Square, der noch gebaut wird. Wir versuchten in dieser Gebäudetiefe Büros zu organisieren, ohne dass man denkt, wir hätten einfach die Trennwände weggelassen. So ist das symmetrische Raumsystem entstanden. Aber es gibt genügend Abweichungen von der Grundsymmetrie. Man muss die Symmetrie mit Ausnahmen attackieren – sie ist nicht relevant.
Das Budget war beschränkt, aber wohl dotiert. Beim Entwurf kann der Architekt lenken, wo er wie viel Geld investieren will. Wo haben Sie investiert?
Es stimmt nicht, was Sie sagen: Alles ist wichtig! Es geht darum, das Baukonto so zu bewirtschaften, dass ein Maximum an Wirkung entsteht. Ein Gebäude soll doppelt so reich aussehen, als es ist.
Ich war der Meinung, dass Peter Märkli bei Kunst-und-Bau-Projekten nur den Bildhauer Hans Josephsohn an sein Werk ‹heranlässt›. In die Platzfassade aber ist eine Leuchtschrift der Künstlerin Jenny Holzer integriert.
Die Frage muss andersherum gestellt werden: Wie viele Bildhauer könnte der Architekt Peter Märkli finden, die für seine Häuser gut wären? Ich kann mir verschiedene Zusammenarbeiten vorstellen, doch habe ich bis anhin niemanden
gefunden, ausser Hans Josephsohn und Alberto Giacometti, dessen Plastiken mit meiner Architektur so zusammenspielen, wie ich es mir wünsche. Es ist nicht eine Frage der Qualität, sondern es sind die darin widergespiegelten Haltungen zum Leben, die mich ansprechen.
Wie kamen Sie zu Jenny Holzer?
Harald Szeemann war für das künstlerische Konzept auf dem Novartis Campus verantwortlich. Er hat mir Jenny Holzer vorgeschlagen. Ich habe sofort zugesagt. Die Arbeit ist integraler Bestandteil der Fassade, wie es auch ein Relief von Josephsohn wäre. Kunstwerk und Fassade bedingen einander. In diesem Sinne funktioniert ihre Arbeit wie die Reliefs- und Halbfigur-Arbeiten von Josephsohn, wie ich sie bereits in anderen Bauten integriert habe.
Alpine Chic
Seit 1926 ist das Parkhotel ‹Bellevue› in Adelboden im Besitz der Familie Richard. Nach einem Brand des hölzernen Türmchenhotels 1931 liessen die Richards das Haus neu bauen. Ihre Architektenwahl war damals mutig und stiess im Dorf auf Unverständnis: Urfer und Stähli aus Interlaken hatten sich vor allem als progressive Freibadbauer einen Namen gemacht – entsprechend war auch ihr Entwurf für Adelboden bedingungslos modern. Was damals eine weitherum weiss leuchtende Provokation war, geht heute fast lautlos im lärmigen Chaletgestapel unter.
75 Jahre später, nach etlichen Um-, An- und Ausbauten sowie Stilbrüchen, haben die Enkel des Gründerpaars dem Haus ihren Stempel aufgedrückt. Die jungen Richards wollten nicht weniger progressiv als ihre Grosseltern sein und haben sich zur Zusammenarbeit mit dem trendigen Büro Buchner Bründler entschlossen. Die Basler haben in den zwei Monaten, in denen das Hotel jährlich geschlossen ist, zehn Zimmer und zwei Restaurants mit Bar und Lounge umgebaut. Die Forderung der Gastgeber nach ‹zeitgenössischer Gemütlichkeit› lösten die Architekten mit ‹Alpine Chic› ein. Er beginnt im entrümpelten Korridor, dessen Grau und dessen eigens gestaltete Leuchten die verschiedenen Bauetappen wieder zusammenhält. In den Zimmern heisst ‹Alpine Chic›: Weg von ‹Louis Toujours›, hin zu klaren Formen, natürlichen Materialien und diskreten Farbtönen – kunstvoll bespielt mit Schnurgeflecht-Klassikern des dänischen Möbeldesigns aus den Fünfzigerjahren von Hans J. Wegner (in den Doppelzimmern) und Sesselobjek-ten von zeitgenössischen Designern wie Citterio oder Kon-stantin Grcic (in den Suiten). Mit einfachen Details haben die Architekten den kleinen Zimmern Platz für eine Sitzecke abgetrotzt: Fernseher und Schreibtisch können aus der Schrankwand herausgeklappt werden, der sperrige Koffer verschwindet in der Schublade unterm Bett.
Im Erdgeschoss verwandelten die Basler das zudekorierte Bellevue-Stübli in ein luftiges und offenes Restaurant mit Lounge. Buchner Bründler haben den angestauten Muff so stark ausgelüftet, dass einzelne Stammgäste sich von der Adressliste streichen liessen, als sie die ersten Bilder in der Hauszeitung sahen. Dabei haben die Basler den Anbau nur auf seine ursprüngliche Offenheit zurückgeführt. Grosse Panoramafenster geben nun wieder den Blick auf Wildstrubel und Engstlingenfälle frei. Interessant ist, dass die Trompetenhosenzeit auch wieder bei der dunklen Braun-in-Braun-Lounge mitschwingt: Ein kantiger Tresen, verkleidet mit brüniertem Messing, dunkle Mooreiche am Boden, ein offenes Cheminée unter einer riesigen Eisenhaube, aufgeschlitzte Messingleuchten und luftige Holzreliefs als Wände erinnern an die frühen James-Bond-Sets von Ken Adams. Für den Teilumbau ist Andi Bründler von der Zeitschrift Bilanz zum Hoteldesigner 2006 gekürt worden.
Aufgefangen im freien Fall
Das altehrwürdige Ankerhaus in Wien wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mehr schlecht als recht umgebaut. Nun hat die Anker Versicherung das Gebäude erneut renoviert. Neben dem Einbau von 250 Arbeitsplätzen hat sie auch den kruden, mit Keramikplatten verkleideten Innenhof mit einem Glasdach überdacht. Er wird zur siebengeschossigen Haupthalle des Hauses. Um dem neuen Innenraum entsprechendes Gewicht zu verleihen, hat die Versicherung zu einem Kunst-und-Bau-Wettbewerb eingeladen. Fünf Künstler sollten mit Installationen Licht bis ins Erdgeschoss bringen. Eva Afuhs hat die Konkurrenz gewonnen. Die Direktorin des Museums Bellerive in Zürich, die auch Künstlerin ist, lässt sieben Leuchter durch den Hof nach unten purzeln – drei Barockluster-Repliken und vier aus dem Brandschadenfall der Sofiensäle in Wien. Die im freien Fall (mit fast unsichtbaren Seilen) aufgefangenen Leuchter sollen Besucher daran erinnern, dass im Leben nicht alles versicherbar ist. Damit die Lichtobjekte ihre volle Wirkung entfalten, hat Afuhs den Hintergrund entsprechend gestaltet: elfenbeinfarbige Kämmputzwände lassen das weisse Lüsterlicht leuchten, rote Stucco-Lustro-Flächen reflektieren die einzelnen Leuchten matt.
Beton in Steinhausen
Rund zwei Drittel der 8000 Einwohner von Steinhausen sind Mitglieder der katholischen Kirchgemeinde. Den Ausbau ihres Pfarrhauses haben sie deshalb nie in Frage gestellt. Heftig diskutiert haben sie hingegen, ob man das alte Heim des Pfarrers aus den Siebzigerjahren abbrechen dürfe. Sie entschieden: nein. Weil die Architekten aber nur das Untergeschoss, die Tragstruktur im Erd- und Obergeschoss sowie das Treppenhaus rezyklieren konnten, sieht der Umbau trotzdem aus wie ein Neubau. BDE Architekten erweiterten die Struktur gegen den angrenzenden Dorfplatz hin, wo neu auch der Eingang liegt. Neues Zentrum des Hauses ist der Innenhof, um den herum sich Empfang, Foyer, Büros sowie der hohe Gemeinschaftsraum gruppieren. Darüber liegen zwei Wohnungen. Eingefasst haben die Architekten das Haus mit vorgefertigten und sandgestrahlten Betonplatten. Sie sind kunstvoll um die stehenden und liegenden Fenster aus dunkel eloxiertem Aluminium herummontiert. Das gekonnte Platten-Fenster-Spiel macht das Haus von aussen zur massstabslosen Architekturskulptur und verleiht den sanft eingefärbten Innenräumen einzigartige Ausblicke und Lichtspiele.
Viel Raum - wenig Energie
Als Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs hatte die Eawag hohe Nachhaltigkeits-Ansprüche an ihr neues Verwaltungs- und Forschungsgebäude in Dübendorf. Der Architekt Bob Gysin und sein Team haben dem Institut ein Hightech-Ökohaus für 120 Arbeitsplätze gebaut, das keinen Birkenstock-Sandalen-Duft verströmt. Der rundherum mit stramm ausgerichteten blauen Glaslamellen eingefasste Bau liegt am Rand des Hallenensembles der Empa im Niemandsland zwischen Auto-, S-Bahn und Möbelhäusern. Die bedruckten Gläser sind zwischen die Fluchtbalkone eingespannt. Im Winter stehen sie offen, sodass das Haus passiv die Strahlungsenergie nutzen kann, im Sommer sind sie geschlossen und werden zu Schattenspendern.
Da man von aussen nichts über das Innere erfährt, ist beim Eintritt die Überraschung gross: Es empfängt einen ein riesiges fünfgeschossiges Atrium. Es ist der kommunikative und haustechnische Kern des Gebäudes. Kommunikativ, weil es auch Ausstellungsraum ist und drumherum über alle Geschosse grosszügige Galerien mit offenen Besprechungs- und Arbeitsplätzen laufen. Haustechnisch, weil das Atrium Klimapuffer, unbeheizte Kühlzone sowie Licht- und Entlüftungskamin ist. Die automatischen Luken im Doppeldach unterstützen die Nachtauskühlung und Querlüftung. Die versetzte Anordnung der Sitzungszimmer bricht die Monumentalität des Luftraums. Nur der Vortragssaal, die Bibliothek, die Mediathek, die Seminarräume sowie einige wenige Büros auf der Nordseite sind nicht zweiseitig belichtet. Die meisten haustechnischen Anlagen sind offen geführt. Das hat zwar einen aufgeregten Materialmix zur Folge, doch so bleiben die Installationen jederzeit für die Wartung zugänglich.
Das Forum Chriesbach ist ein ‹Nullenergiehaus›. Nur das Personalrestaurant, die gemeinsam mit der Empa genutzte Bibliothek sowie der Empfang haben - für den Notfall - eine herkömmliche Heizung. Für die restlichen Räume reicht die Wärme der Mitarbeiter, der Computer, der Lampen sowie der Sonne für eine angenehme Raumtemperatur. Es hilft dabei die kontrollierte Lüftung: Die Zuluft wird im Sommer durch das Erdregister abgekühlt und im Winter vorgewärmt. Dank dieser und weiterer technischer Massnahmen soll das Forum nur rund 50 MJ/m²a verbrauchen und den Minergie-P-Standard um rund 40 MJ/m²a unterschreiten. Mit ihrem Haus statuiert die Eawag ein Exempel im nachhaltigen und energiesparenden Bauen. Trotzdem sei die Frage erlaubt, ob ein Haus für 120 Arbeitsplätze mit einer Energiebezugsfläche von 11000 Quadratmetern und einer Nutzfläche von 8400 Quadratmetern zu den effizientesten Raumnutzern gehört.
Viel Raum, wenig Details
Die F + F Schule für Kunst- und Mediendesign hat nach 34 Jahren Nomadentum und Provisorien endlich alle Räume unter einem Dach. Das neue Heim in Zürich Altstetten ist ein unspektakuläres Gewerbehaus, aus dem der Architekt Stephan Rutz mit wenig Geld viel Raum herausgeholt hat. Entstanden ist ein Schulhaus, aber auch eine Kunsthalle, eine Partybühne oder ein Atelier.
Die private Kunstschule F + F (Form und Farbe) wurde 1971 als Alternative zur staatlichen Kunstgewerbeschule gegründet. Der Unterricht in den Räumen des Jugendzentrums Drahtschmidli (heute Dynamo) brachte kunstpolitische Auseinandersetzungen und einigen frischen Wind in die Schweizer Kunstschullandschaft. In der Achtziger-Bewegung gehörte die F + F mit zu den Besetzern der Roten Fabrik. Die Malateliers in der ehemaligen Seidenspinnerei direkt am Zürichsee sind zwar immer noch in Betrieb, doch die vielen späteren Schulräume an den verschiedenen Adressen in Zürich sind Vergangenheit: Heute hat sich die F + F – nicht nur in der Szene – als Alternative zu den Fachhochschulen etabliert. Im Jahr 2006 studieren rund 220 junge Männer und Frauen vollzeitlich Kunst und Mediendesign an der F + F, zahlreiche Abendkurse ergänzen das Angebot. Der Umzug an die Flurstrasse in Zürich Altstetten reduziert die Schuladressen von sechs auf zwei. Er vereinfacht nicht nur die Verwaltung und Logistik, sondern manifestiert die Etablierung der Kunstschule auch räumlich.
Das unscheinbare Haus, in dem ein Händler ursprünglich Gemüse, später die UBS Kunst lagerte, ist keine Perle der Architektur. Gebaut hat es der Baumeister Gottlieb Welti 1949 als profanes, aber funktionales Lager- und Bürohaus. Der Grundriss des 46 auf 20 Meter grossen Baus basiert auf einem regelmässigen fast quadratischen Stahlbeton-Stützenraster mit einem Abstand von rund sechseinhalb Metern. Auf der Nordseite zeigt ein aus dem Grundriss heraustretender Treppenhausturm den Haupteingang und die Erschliessung gegen aussen an. Zwei in den diagonal gegenüberliegenden Ecken liegende Treppenhäuser sowie ein zentral gelegener Lastenlift verbinden die fünf Ebenen miteinander. Entlang der beiden Längsfassaden lassen lange Fensterreihen Licht von Osten und Westen in die 20 Meter tiefen Räume fallen. Kurz: Ein Gewerbehaus aus den Fünfzigerjahren – nicht schlecht, aber auch nicht besonders gut – einfach so, wie es in manchem Vorort einer grösseren Schweizer Stadt mehrfach steht.
Zwei Eingriffe: Gang und Treppe
Nach einigen Handänderungen rutschte der Bau ins Immo-bilien-Portefeuille der von der Zahnradfabrik zur Immobi-lienbesitzerin geschrumpften Maag. Ende 2003 zog die UBS aus und es wurden drei Etagen frei. Kurz darauf präsentierte der Zürcher Architekt Stephan Rutz zum ersten Mal Kurt Weber von der Maag Property Company sein in enger Zusammenarbeit mit der Schulleitung der F+F und mit Unterstützung des Präsidialdepartements der Stadt Zürich entwickeltes Umnutzungskonzept. Rutz schlug vor, das nördliche Treppenhaus in den Keller sowie das südliche ins Dach zu verlängern – eine Grundvoraussetzung, um aus den etwas mehr als 3700 Quadratmeter Lagerfläche zusammenhängende Schulräume zu machen. Zweites Element des Entwurfs ist der innen liegende Gang im Erd- und in den beiden Obergeschossen. Er verbindet die drei Erschliessungskerne horizontal. Seine Ausformung richtet sich nach dem Öffentlichkeitsgrad und seine Lage nach den Nutzungen – immer eingepasst in die bestehenden Strukturen. Im Erdgeschoss nimmt er rund einen Drittel der Fläche ein, in den Obergeschossen mit zunehmender Höhe immer weniger. Der Raum ist mit seinen unterschiedlich grossen ‹Ausstülpungen› zur Fassade hin mehr als Korridor. Er ist auch erweitertes Schulzimmer, Pausenplatz, Kritik-Koje oder Ausstellungsraum.
140 Franken pro Kubikmeter
Sorgfältig gelöste Details oder Konstruktionskapriolen sucht man bei der F + F vergebens. Sie treten zugunsten des Raums und des minimalen Budgets in den Hintergrund: Es gibt keine Sockelleisten, keine Plättli in den WCs, die Leitungen sind offen verlegt und die Wände in den bestehenden Treppenhäusern wurden nicht noch einmal gemalt, denn sie waren schon weiss. Der rohe Charme passt zum Haus und zur Schule: Die Zementböden zeigen ihre Narben aus fünfzig Jahre Nutzung, die Waschbecken hat der Hausmeister auf Baustellen zusammengesucht, die Stahlzargen der neuen Türen sind nicht gestrichen, weil sie unbehandelt schöner und authentischer sind. Der Architekt hat an den Räumen und nicht am Ausbau geschliffen und hat sich wegen des knappen Budgets nicht auf die Entwicklung von Details konzentriert, sondern auf deren Kontrolle. Das Resultat ist wohltuend unprätentiös: Es ist eine rohe, dafür aber massgeschneiderte Leinwand, auf die das Schulleben malen kann.
Mit einem Budget von knapp zwei Millionen Franken hat Stephan Rutz rund 12 500 Kubikmeter Schule aus dem alten Lagerhaus geholt. Den tiefen Umbau-Kubikmeterpreis von 140 Franken (BKP 2) konnte er, auf der einen Seite, dank der Bereitschaft der Bauherrschaft erreichen, die Raumnutzung vor Ausbaustandard stellte. Auf der anderen Seite konnte der Architekt seine eigenen Aufwände vor allem im Bereich Planung und Devisierung minimieren: Es fielen beispielsweise keine Fachplanerhonorare an, weil Stephan Rutz direkt mit dem Elektriker oder dem Sanitärinstallateur durch die Baustelle lief und vor Ort die Schacht- und Leitungsverläufe festlegte. Auch konnte er Freymit der Bauherrschaft vereinbaren, dass die Aufträge ohne Submission direkt an Unternehmer vergeben wurden, mit denen Stephan Rutz schon einmal zusammengearbeitet hatte. Einen Freipass bei der Vergabe hatte der Architekt trotzdem nicht, denn schien ihm oder der Bauherrschaft eine Offerte zu hoch, lud er zwei weitere Handwerker ein und der günstigere erhielt den Auftrag. Wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Umnutzung bleibt allerdings die Substanz selbst: So unspektakulär das Lager- und Bürohaus auch ist, die Räume sind dank der grosszügigen Raumhöhe und des eher kleinen Stützenabstands auch beinahe sechzig Jahre nach der Erstellung noch anpassungsfähig und gut umnutzbar.
Dreimal 130 Quadratmeter Atelier
Den architektonischen Umbau konnte der Rektor Sandi Paucic noch um eine soziale Dimension erweitern, die heute für das stimmige Bild mitverantwortlich ist. Denn als Paucic erfuhr, dass die Stadt Räume für Austausch-ateliers suchte, nahm er mit Jean-Pierre Hoby, dem Leiter der städtischen Kulturabteilung Kontakt auf. Schnell wurden sich die Parteien handelseinig: Die Stadt gab grünes Licht für den Ausbau des bis dahin ungenutzen Estrichs in drei grosszügige Künstlerateliers. Das Resultat: Nicht nur die Räume, auch die internationalen Gäste – gegenwärtig bespielt die Kulturstiftung Pro Helvetia eines der Ateliers – sind eine Bereicherung für die Schule. Sie profitiert so auch von der Ausstrahlung als Ort der Kultur.
Aufgrund des stimmigen Projekts war die Maag Property Company sogar bereit, die Eigeninvestitionen in die Substanz deutlich aufzustocken. Die Besitzerin der Liegenschaft leistete damit aber keinen Sozialdienst, sondern bekam dafür einen langfristigen und prestigeträchtigen Mieter für bis anhin schlecht vermietbare Räume. Der Umbau für die F + F zeigt, dass man auch ohne aufwändige und teure Konstruktionsdetails stimmigen Raum gestalten kann. Er zeigt auch, dass es sich lohnt, wenn der Architekt wieder vermehrt an Spezialisten abgegebenes Terrainzurückerobert: Rutz hat sich nicht nur als formaler Entwerfer im Auftrag der Bauherrschaft verstanden, sondern auch als Nutzungsgestalter für den Vermieter und Flächenoptimierer für den Mieter
Der Dick- und Dünnhäuter
Das AZ Medienhaus ist auf den ersten Blick ein fragiler Dünnhäuter. Doch unter der Glashaut liegt ein dickwandiges Holzmöbel. Burkard Meyer Architekten spielen bei ihrem Geschäftshaus in Aarau souverän mit den Materialien und der Wahrnehmung – das Haus ist aber auch ein passgenauer Lückenfüller, der feine Wurzeln in den Stadtkörper schlägt.
Spiegeln die Gläser nun oder verzerren sie? Je nach Verhältnis, das man zu den Medien hat, stimmt beides. Auf der Glasfassade des Wohn- und Geschäftshauses der AZ Mediengruppe tanzen die Nachbarhäuser auf und ab. Die kristalline Haut verwirrt das Auge des Passanten, weil die linke obere Ecke der schweren Scheiben jeweils – wie ein Eselsohr in einem Buch – nach innen geknickt ist. Das Bild zwischen den weissen Deckenelementen wird deshalb nur teilweise parallel zurückgeworfen. In der Ecke rutscht es quasi in den Spalt hinein und mischt sich mit Himmel und Wolken. Der faszinierende optische Effekt macht das Haus leichter und luftiger und aus einer auf den ersten Blick profanen Glas- eine überraschende Medienfassade, die ohne Elektronik auskommt.Fragile Bänder aus Verbund-Sicherheitsglas hüllen den rund 70 Meter tiefen Block an der Aarauer Bahnhofstrasse geschossweise ein. Sie übernehmen die Fassadenlinien der mächtigen Nachbargebäude, die tragende Schicht liegt bis zu einen Meter hinter der Fassadenlinie. Diese Trennung in Innen- und Aussenhülle spielt Oberfläche und Tiefe aus und lässt dem gewichtigen Nachbarn, dem steinernen Bankhaus von Robert Curjel und Karl Moser aus dem Jahre 1913, den Vortritt.
Entschleunigter Windkanal
Die Hülle ist aber nicht nur ein abstraktes Prachtgewand, sondern auch Klimapuffer und Konvektionsgehäuse: Der Raum zwischen der Glashaut und dem Holzmöbel ist eine Art entschleunigter Windkanal in den sich die Büro- und Wohnungsfenster bei jedem Wetter öffnen lassen. Draussen bleiben (zumindest teilweise) der Strassenlärm, UV-Strahlen und ein Teil der Wärmelast. Die Trennung und räumliche Staffelung der Klima- und Wetterschicht machen sich Burkard Meyer immer wieder zum Thema: Für den Swisscom Tower (2000) in Winterthur entwickelten die Architekten raumhohe Kastenfenster mit Lichtumlenker und Sonnenschutz im Zwischenraum, beim Wohn- und Geschäftshaus Falken (2006) in Baden sind es vom Wind bewegte Vorhänge zwischen den Schichten, die in Kombination mit dem innen liegenden Blendschutz helfen, die Tageslicht- und passive Sonnenenergie zu nutzen. Die Badener Architekten pendeln lustvoll und mit zunehmendem Interesse zwischen Dick- und Dünnhäuter.
Kleid und KörperJedes glitzernde Ballkleid ist aber wertlos, wenn es keinen eleganten Körper inszenieren kann. Hinter den Bogengläsern in Aarau leuchtet ein Körper, der mit rötlich lackierten Holzzementplatten verkleidet ist. Sie bilden die innere Aussenhaut des Hauses. Erst in den Innenräumen sind die Leibungen mit massiver, rot gebeizter Eiche ausgeschlagen. Der Effekt ist vielschichtig: Je nach Tageszeit und Lichtverhältnis schimmern die Platten mal bordeauxrot, mal kastanienbraun, mal sind sie deutlich zu sehen, mal verschwommen. Die Erinnerung an ein hochpoliertes Stil-Möbel in der Glasvitrine ist gewollt: Die seidige Lackierung der roten Tafeln ist eine Referenz an die ausgetäfelten Sitzungszimmer der historischen Bankgebäude in der unmittelbaren Nachbarschaft.
Der Unterschied ist, dass diese eleganten Gründerzeit-Sitzungszimmer in der Regel mit edlen Hölzern und nicht mit Holzzementplatten ausgekleidet sind. Weil die Brandschutz-Vorschriften während des Bauprozesses beim AZ-Haus geändert wurden, war die geplante Edelholzverkleidung der Klimafassade plötzlich nicht mehr erlaubt. Die Architekten machten aus der Not eine Tugend und gaben dem Maler Bruno Giuliani in Wettingen einen unkonventionellen Auftrag: Giuliani sollte die 2000 Quadratmeter Duripanelplatten von Hand und in sechsfacher Lasur maserieren.
Ob des unerwarteten Pragmatismus reibt sich der verwunderte Architekturflaneur die Augen: Was ist mit der ‹konstruktiven Ehrlichkeit›, die jahrelang hoch aufs Schild der Schweizer Architektur gehoben wurde, fragt er sich. Wieso erlauben sich Burkard Meyer in Aarau einfach nur so zu tun, wie wenn? Der Architekt Adrian Meyer verweist auf die Tradition der optischen Verwischung im Barock, bei der die Imitation von Materialien nicht nur ökonomische Ursachen hatte, sondern oftmals zur Überhöhung einer expressiven Absicht diente. Nicht nur damals suchten die Architekten nach den Beziehungen zwischen Wirklichkeit und Realität. Zum Beispiel auch beim Barcelona Pavillon von Mies van der Rohe aus dem Jahre 1929 ist nicht alles so, wie es scheint. Die schweren Steinwände beispielsweise scheinen das Dach zu tragen. Tatsächlich sind die Wände aber alle Hohlkonstruktionen und die sich selbst wegspiegelnden Kreuzstützen tragen die Deckenlast ausserhalb der Wände durch den ebenfalls hohlen Sockel auf die Fundamente ab. «Ein wunderbares und heu-te noch zeitgemässes Beispiel der optischen Verwischung, wie es auch der Barock schon kannte», sagt Meyer dazu.
Ein Stück Stadt
Kein Schein, sondern städtebauliche Präzisionsarbeit ist die Form und die Platzierung des rund 70 Meter langen und 25 Meter breiten Baukörpers. Ins schmale Grundstück, auf dem früher das Haus des Aargauer Tagblatts stand, passt sich das mächtige Volumen mit sorgfältig gesetzten Knicken ein und lässt den Umgebungsbauten Luft zum Atmen. Auch mit seiner Traufhöhe von 19 Metern übernimmt das Haus den städtischen Massstab. Das und die Glasfassade lassen den neuen Stadtblock trotz seines beachtlichen Volumen nicht sperrig wirken. Dazu kommt, dass die neue Ladenpassage quer durchs Haus neue Fussgängerverbindungen schafft. Die Knicke in der Fassade schaffen einen Platz vor der Bar und einen Gassenraum, der für mehr als nur für den einfachen Durchgang dient. Das Gefüge ist aber nicht nur ein räumlich exakt austariertes, sondern auch die Nutzungen (Buchladen, Restaurant, Büros und Wohnungen) sind städtisch und klug verteilt. In seinem Buch ‹Stadt und Architektur› (HP 6-7/04) schreibt Adrian Meyer über die beiden Fassadentypen, die das Bü-ro immer wieder thematisiert: «Dick- und Dünnhäuter stehen für ein scheinbar gegenläufiges Interesse bei einigen unserer Projekte (…) Der Dickhäuter entzieht sich in aller Regel einer Mehrdeutigkeit seiner Wahrnehmung. Er vertritt viel eher das Körperliche, Dauerhafte und Widerstandsfähige (…) Dünnhäuter lassen mehrfache Lesbarkei-ten zu. Sie spielen das Spiel des Uneindeutigen durch ihren Wechselbezug von Tiefe und Oberfläche.» Das AZ-Medien-haus wäre demnach eine Mischform, ein Kind beider Eltern: Ein Dick- und Dünnhäuter.
Im Rhythmus der Stadt
Die ‹Vereinigung Zürcher Bahnhofstrasse› hat sich zum fünfzigsten Geburtstag eine neue Weihnachstbeleuchtung geschenkt. Lange haben die Architekten Gramazio & Kohler mit Spezialisten getüftelt, um bei ihren Lichtröhren Technik, Stabilität und Lichtdurchlässigkeit zu synchronisieren.
Im Winter 1970 konnten Willi Walter und Charlotte Schmid ihr Meisterwerk über der Bahnhofstrasse in Zürich einweihen. Die vertikal hängenden, mit einfachen 12-Watt-Glühbirnen bestückten Lichterketten lösten plumpe Sterne und traditionelle Konturbeleuchtung ab. Doch nicht nur radikal abstrakt war der Entwurf, sondern auch poetisch: Die Kabel der Low-Tech-Anlage drehten sich sachte im Wind und vermittelten so das Gefühl, sie würden an- und ausgehen. Der unberechenbare Faktor Wind war es, der den geometrisch-abstrakten Lichtraum zu einer sinnlichen Skulptur machte. Im internationalen Wettbewerb vor zwei Jahren stachen Fabio Gramazio und Matthias Kohler mit ‹The World’s Largest Timepiece› ihre zehn Konkurrenten aus. Die zur Vereinigung Zürcher Bahnhofstrasse zusammengeschlossenen Ladenbesitzer und -betreiber waren begeistert, denn die High-Tech-Leuchtstäbe der jungen Zürcher Architekten erfüllten alle Prämissen: Sie erinnern nicht an die alte Weihnachtsbeleuchtung, nutzen die Möglichkeiten neuster (und damit langlebiger und unterhaltsarmer) Leuchtmittel und sind individuell programmierbar. Seit dem Wettbewerb ist es zwei Jahre her, sind etliche Projektphasen vergangen und über ein Dutzend Prototypen entstanden. 275 Stäbe mit einer Länge von sieben Metern und einem Durchmesser von 15 Zentimetern hängen über die gesamte Länge von 1080 Metern in der Bahnhofstrasse. Der Abstand zwischen den Stäben beträgt rund vier Meter. Geändert gegenüber dem Wettbewerbsprojekt hat sich das Material und die Konstruktion der Leuchtröhren: Als eine im Schnitt quadratische Hülle aus Polycarbonat geplant, sind die Stäbe nun rund und bestehen aus siebzig Prozent Glasfasern und dreissig Prozent Epoxi-Harz. Die elegante Oberflächenstruktur ist sorgfältig gestaltet: Die Fasern sind nicht wie herkömmliche gewickelt, sondern rhombenartig übers Kreuz. Die Stäbe sind das Ergebnis einer aufwändigen interdisziplinären Teamarbeit: Lange haben die Architekten und die Projektpartnerin Industrial Micro Systems aus Winterthur mit dem Glasfaser-Produzenten Cowex daran getüftelt, das Lastprofil und das gewünschte Wickelmuster sowie eine grosse Lichtdurchlässigkeit unter einen Hut zu bringen. Das Resultat: Die Fasern sorgen trotz einer Wandstärke von nur 1,2 bis 1,9 Millimeter für genügend Stabilität und Lichtdurchlässigkeit – und das bei einem Gewicht von nur rund dreissig Kilogramm (inkl. Innenleben) pro Stab. Auch das Statikproblem ist elegant gelöst: Das sieben Meter lange Rohr trägt sich selbst, was den Vorteil hat, dass keine Tragkonstruktion von Innen ihren Schatten auf den transluzenten Fiberglas-Mantel wirft. Der Effekt: Die Hülle selbst scheint zu leuchten.
Temperaturbeständig und störungssicher
Dem Diodenträger und der Steuerungselektronik im Kopf sieht man die intensive Entwicklungsarbeit nicht an: Rund um ein Aluminium-Rohr sind 32 Lichtelemente auf federleichten Folien (mit je 28 LED-Leuchten) über die gesamte Länge geklebt. Dass Blitze, die im Winter zwischen Stromabnehmer und Tramleitung entstehen, die Steuerung nicht stören, ist die Koppelelektronik nicht mit Strom, sondern mit Licht gesteuert. So kann der Stab unabhängig von atmosphärischen elektromagnetischen Störungen bis zu 25 Mal pro Sekunde angesteuert werden – und das bei Temperaturen von Minus 45 bis zu Plus 80 Grad Celsius. Die Leuchtröhre wird oben und unten von einem Kopf- und Fussteil aus Aluminium abgeschlossen. Aufgrund des Gewichts und der Länge von sieben Metern ist auch das Seiltragwerk in der Bahnhofstrasse ein Neues: Ein Stahlseil, das jeweils zwischen die Fassaden gespannt ist, trägt oben und fixiert unten. Die runde Querschnittform des Rohrs hat nicht nur statische Vorteile, sondern kann auch Windlasten besser aufnehmen. Die ganze Aufhängung hat ein wenig Spiel, das macht ein minimales Pendeln möglich und verleiht den Stäben eine gewisse Leichtigkeit.
Das Einzelrohr braucht das Ensemble
Die 32 dynamisch dimmbaren Lichtelemente pro Stab machen – über die Länge von 1080 Metern gesehen – aus der Stabreihe eine Art Bildschirm mit insgesamt 8800 Pixel. Diese Zahl scheint hoch, doch die Auflösung ist viel kleiner als die eines Handydisplays. Dank des Sehwinkels des Betrachters auf der Strasse kann diese Leuchten-Matrix trotzdem als eine Art Bildträger bespielt werden. Denn der Passant sieht von der Strasse aus immer rund hundert Stäbe gleichzeitig. Das erhöht auch das subjektive Lichtvolumen. Wie kann dieser ‹Bildschirm› bespielt werden? Die Bilder, die Gramazio & Kohler entwickelten, sind abstrakt und das System bleibt offen. Ähnlich der alten Weihnachtsbeleuchtung bestimmt ein nicht terminierter Algorithmus die einzelnen Stimmungen und die Abfolge der Bilder, beispielsweise sanfte Lichtwogen. Zwei Parameter beeinflussen das System von aussen: Die Fussgängerdichte und das Datum. Sensoren messen die Passantenströme in der Bahnhofstrasse und geben ihre Daten an den Zentral-computer weiter. Die drei Messstationen reagieren aber nicht auf Einzelpersonen, sondern nur auf Bewegungen im Stadtmassstab, beispielsweise Menschenmassen am Sonntagsverkauf oder auf einen Umzug. Gleichzeitig ist die Anlage eine Art Weihnachtskalender, der sich mit den immer näher rückenden Festtagen ändert. Doch nicht – wie man es erwarten würde – steigern soll sich die Lichtintensität oder die Geschwindigkeit der Veränderungen gegen Weihnachten hin, sondern ruhige und gelassene Stimmungen wechseln sich ab.
Die neue Weihnachtsbeleuchtung inszeniert den prächtigen Zürcher Stadtraum elegant und bedient sich zeitge-mässer und – heute eine Selbstverständlichkeit – energiesparender Leuchtmittel, die noch einen Drittel des früheren Strom brauchen. Dies macht ‹The world’s largest Timepiece› einzigartig und vielleicht so beispielhaft wie die vorhergehende Weihnachtsbeleuchtung. Und: Wie beim Low-Tech-Vorgänger lässt auch das neue System den Zufall zu. Die Zeit und der Rhythmus der Stadt beeinflussen die Bilder und bringen eine poetische Unschärfe ins hochtechnisierte System.
[ Einweihung der neuen Weihnachtsbeleuchtung in der Bahnhofstrasse: 23. November 2005, 19 Uhr. ]
Kantonales Brandschutz-Pilotprojekt
Zürich ist nicht bekannt für seine Holzbauten. Das wollen die Behören ändern und haben deshalb die Siedlung Hegianwandweg zum Pilotprojekt erklärt und damit die erste vier- bzw. fünfgeschossige Holzbausiedlung auf Stadtgebiet ermöglicht. Gelungen ist das Projekt dank eines frühzeitigen und intensiven Planerpingpongs zwischen Holzbauingenieuren, Architekten, Haustechnikplanern und Behörden.
Hegianwandweg klingt nach herausgeputzen Vorgärten, braun geteerten Gartenzäunen, putzigen Reiheneinfamilienhäuser und strammen Pflanzgartenkommissionen. Und so ist es auch am Hegianwandweg in Zürich. Doch seit der Fertigstellung der Genossenschaftssiedlung von EM2N Architekten nicht mehr nur. Ein frischer Wind weht durchs Quartier. Nur elf Tramminuten vom weltberühmten Paradeplatz entfernt, haben die Architekten Mathias Müller und Daniel Niggli fünf Mehrfamilienhäuser aus Holz gebaut. Die Siedlung ist ein Pilotprojekt der Kantonalen Feuerpolizei Zürich, denn bis anhin gab es im Kanton keinen Holzbau in diesen Dimensionen.
Feuerpolizei als Partner
Schon früh banden die beiden Holzbauingenieure Pirmin Jung aus Rain sowie der Brandschutzspezialist Reinhard Wiederkehr aus Beinwil am See die Behörden ein und überzeugten Jürg O. Neeracher, den Leiter der Kantonalen Feuerpolizei Zürich, vom Projekt. Die Siedlung bot sich als Prüfstein für die damals geplante Überarbeitung der Brandschutzvorschriften geradezu an. Neeracher wurde der Dritte im Bunde und erklärte das Bauvorhaben zum kantonalen Brandschutz-Pilotprojekt. Wiederkehrs Brandschutz-Konzept wurde durch die Kantonale Feuerpolizei bewilligt.
Massivbau oder Mischbauweise
Beim Holzbausystem standen Massivbau und Mischbauweise, also Holzkonstruktion mit aussteifenden Betonkernen, zur Wahl. Die Architekten planten mit den Spezialisten je ein Haus im jeweiligen System bis ins Detail. Das Ergebnis: Die Mischbauweise überzeugt gegenüber der Massivbauweise vor allem durch eine bessere Ökobilanz, einen tieferen Wärmedurchgangskoeffizienten, kleinere Lasten und größere Flexibilität in der Grundrissgestaltung. Außerdem sprachen kurze Bau- und Austrocknungszeiten dafür. Dagegen standen die höheren Kosten: Sie überstiegen den Massivbau um rund 3,8 Prozent, doch für die Bauherrschaft überwogen die Vorteile des Mischbaus.
Brettstapel und Rahmenbau
Für die Deckenkonstruktion verglichen sie Brettstapel, Holzbetonverbund, Hohlkasten sowie einfache Balkenlage miteinander. Die Brettstapeldecke überzeugte am meisten, weil damit am vielseitigsten und kostengünstigsten auf die gestellten Anforderungen reagiert werden konnte. In Kombination mit dem Trockenanhydritunterlagsboden und der abgehängten Gipskartonverkleidung verhält sie sich trittschalltechnisch optimal. Mit den daraus hervorstoßenden Balken konnten die weit auskragenden Balkone einfach realisiert werden. Das Wandsystem ist ein speziell angepasster Rahmenbau. Er ist problemlos mit der Brettstapeldecke kombinierbar und nutzt die Ressourcen effizient: Wo Lasten anfallen, sind die Pfosten massiv und verlaufen über alle Geschosse hindurch, wo nur wenig Kräfte in den Boden abgeleitet werden, sind die Wände gedämmt und mit Gipsfaserplatten beplankt. Die einzelnen Elemente können ohne Spezialmaschinen hergestellt und einfach montiert werden.
Logistik im Mischbau
Zuerst wurde die Tiefgarage in den Hang gebaut. Aus der flachen Betonschachtel wuchsen bald fünf Betonkerne. Darin liegen Entree, Liftschacht und Treppenhaus sowie die Bäder. Baumeister vor Ort überprüften regelmäßig Plan und Realität der Baustelle, um Abweichungen auf ein Minimum zu reduzieren. Die Wand- und Bodenelemente wurden im Winter in Gehdistanz zur Baustelle vorgefertigt. Im darauf folgenden Frühling haben Lastwagen alle Elemente auf die Baustelle transportiert. Die Transportwege blieben kurz und damit die Ökobilanz positiv. Die Montage dauerte pro Haus nur rund zwei Wochen.
Ständerkonstruktion mit Vorsatzschale
Die Wandelemente sind bis zu 14 Meter lang und drei Meter hoch. Sie bestehen im Kern aus einer 18 Zentimeter breiten Ständerkonstruktion, die beidseitig mit Gipsfaserplatten verkleidet ist. Auf der Baustelle haben die Arbeiter die Elementstöße statisch verbunden und luftdicht abgeklebt. Dann wurden die Sanitär- und Elektroleitungen verlegt. Erst zum Schluss haben die Gipser die Wandinnenseiten mit einer zweiten Mineralfaserschicht und einer Gipsvorsatzschale verkleidet. Mit dieser Zusatzschale konnten die Fachingenieure auf die Planung der Elektroleitungen verzichten und die Installateure wie gewohnt arbeiten.
Brettstapel-Deckenbalken
Nicht hohl wie die Wandelemente, sondern durch und durch massiv sind die Deckenplatten: Sie bestehen im Kern aus einem 20 Zentimeter starken Fichtenholz-Brettstapel. Darauf liegt ein feucht eingebrachter Trockenanhydritunterlagsboden. Mit dieser Konstruktion wird das beste Verhältnis betreffend Masse, Querlastverteilung und Kosten erreicht.
Das gewählte System muss auch bezüglich Schallschutz den Vergleich mit einem herkömmlichen nicht scheuen. Zuletzt wurden die Zimmertrennwände eingezogen: Es sind dünne Leichtbauwände zwischen Decke und Boden. Weil alle Lasten entweder über die Außenwände oder den Betonkern abgetragen werden, können sie frei im Raum verteilt werden.
Brandschutzkonzept Hegianwandweg
* Fluchttreppenhäuser in nichtbrennbarer F 60-Bauweise
* Garage und Untergeschosse in nichtbrennbarer F 60-Bauweise
* Tragende und brandabschnittsbildende Bauteile (pro Wohnung) in Holzbauweise mit 60 Minuten Feuerwiderstand
* Nichttragende Außenwandverkleidung in Holzbauweise F30bb (F30 brennbar)
* Außenwandverkleidung grundsätzlich nichtbrennbar; im Bereich der Balkone Holz möglich, wenn Balkonuntersicht nichtbrennbar verkleidet
* Optimale Zufahrt für die Feuerwehr
* Ausreichende Löschversorgung und optimale Hydrantenstandorte
* Blitzschutzanlage für jedes Gebäude
* Haustechnikanlagen gemäß Brandschutzvorschriften
Neue Brandschutzvorschriften in der Schweiz
Bei der Bauteilklassierung wird dieses Jahr die europäische Klassierung nach den Kriterien Tragfähigkeit (R), Raumabschluss (E) und Wärmedämmung (I) auch in der Schweiz eingeführt. Holz-Außenwandverkleidungen sind deshalb neu auch bei mehr als dreigeschossigen Bauten (ohne Hochhäuser) mit entsprechenden Maßnahmen (z.B. Begrenzung der Holzflächen, Sprinklervollschutz, Maßnahmen im Hinterlüftungsbereich, Schürzen usw.) möglich. Daraus ergeben sich zwei Standardkonzepte für Holzbau in der Schweiz:
1. Brandschutz mit vorwiegend baulichen Maßnahmen
Für tragende und/oder brandabschnittsbildende Bauteile für Wohn-, Büro- und Schulbauten gilt:
* Eingeschossige Gebäude: R0/EI30 Holzbau
* Gebäude bis 3 Geschosse: R30/EI30 Holzbau
* Gebäude bis 4 Geschosse: R60/EI60 Holzbau
* Gebäude bis 6 Geschosse: R60/EI60 Holzbau mit nichtbrennbarer EI30 Verkleidung
* Gebäude über 6 Geschosse: nicht brennbare Bauweise, dh. kein Holzbau
2. Brandschutz mit vorwiegend technischen Maßnahmen
Wird in einem Gebäude in Holzbauweise eine Sprinkleranlage installiert, kann der oben festgehaltene Feuerwiderstand für tragende und / oder brandabschnittsbildende Holzbauteile auf bis zu 30 Minuten reduziert werden.
Der Luxus des Blicks in Manhattan
In New York ist Wohnen ein Dauerthema. Wie wohl nirgends auf der Welt geht es in dieser Stadt darum, zur richtigen Zeit im richtigen Quartier an der richtigen Strasse zu wohnen. Da aber fast jede Woche ein neues Quartier zum neusten Trendquartier wird, ist die eigene Wohnlage - ehe man sich's versieht - schon wieder out. Im fiebrigen Immobilienpoker gibt es trotzdem zwei feste Werte: erstens die zentrale Lage, das heisst Manhattan, noch genauer, alles, was südlich der Mitte vom Central Park liegt.
Der zweite sichere Wert ist der unverbaubare Blick: am besten natürlich auf den Central Park oder auf die Flusslandschaften des East River oder des Hudson River. Denn wer seinen Tag in den tiefen und schattigen Strassenschluchten Manhattans verbringt, weiss, wie wertvoll der weite Atem einer Wohnung mit Aussicht sein kann.
Wenn nun der Blick auf die Flusslandschaft und die New Jersey Skyline sogar vom beliebten Wohnquartier West Village aus möglich ist, dann ist das finanzielle Risiko für den Investor eines Bauprojekts an dieser Lage klein: Reiche New Yorker - oder solche, die sich hier eine Zweitwohnung leisten - zahlten zwischen 2,4 und 4,5 Millionen Dollar für eine Wohnung in den zwei von Richard Meier und Partner entworfenen Glastürmen an der Perry Street.
Das lauschige West Village ist wegen seiner gemütlichen Kleinstadtatmosphäre, seiner edlen Restaurants, der kopfsteinbepflasterten und alleengesäumten Seitenstrassen beliebt. Das Quartier stösst auf der Westseite an den Hudson River. Dessen Uferpromenade wird derzeit mit viel Aufwand in einen über zehn Kilometer langen Park umgebaut, der sich von Midtown bis an die Südspitze Manhattans erstrecken wird. Der sogenannte Hudson River Park hat nun bereits vor seiner Fertigstellung mit dem Bau von Richard Meier einen markanten Referenzpunkt erhalten: Die beiden Glastürme liegen ziemlich genau in der Mitte der langgezogenen Parkanlage und ragen mit 57 Metern Höhe unübersehbar aus dem vorwiegend viergeschossigen Quartier heraus.
Für den amerikanischen Stararchitekten Richard Meier, der seit 1963 ein eigenes Büro in Manhattan hat, sind die Glastürme ein spätes Heimspiel. Denn Meier hat fast überall auf der Welt schon seine typisch weiss strahlenden Lichtkathedralen errichtet, doch noch nie in New York. So hat der Architekt beispielsweise in Los Angeles - sich immer treu an der klassischen Moderne orientierend - das Getty Center, in Barcelona das Museum für zeitgenössische Kunst oder an der Viaduktstrasse beim Bahnhof Basel ein weiss leuchtendes Bürohaus entworfen. Umso programmatischer ist sein erstes Projekt, das er für seine Heimatstadt von Grund auf realisieren konnte.
In ihrer Sowohl-als-auch-Bauweise haben die beiden Türme in der hiesigen Architekturszene für Diskussionsstoff gesorgt. Denn bis anhin gab es in New York eigentlich nur zwei Typen von Wohnhochhäusern: zum einen den weit verbreiteten, behäbigen Backsteinbau. Dort liegt die massive Tragstruktur hinter der schweren, meist dunklen Backsteinwand, in die kleine Lochfenster eingeschnitten sind. Zum anderen den eleganteren, aber auch teureren Curtain-Wall-Bau, wie man ihn von den Bürohochhäusern aus dem Financial District her kennt. Bei dieser transparenten «Leichtvariante» sind Tragstruktur und Glashaut sichtbar voneinander getrennt.
Die Türme von Meier sind eine Mischform der beiden Fassadensysteme. Gegen den Fluss hin sowie im Norden und Süden sind sie von einem filigranen, feingewobenen Glasvorhang eingekleidet. Schmale Aluminiumschwerter fassen die geschosshohen Scheiben rundherum ein. Auf der Flussseite betont ein weiss gestrichener Stahlrahmen die Geschosseinteilung. Wer genauer hinsieht, sieht hinter der transparenten Fassade die runden weissen Pfeiler des Stahlbetonskeletts, die eigentliche Tragstruktur. Die Gläser haben einen Pazifikblaustich. Die ausgewogene Hellblau-Weiss-Komposition verleiht den Häusern einen mediterranen Charme - und das mitten in Manhattan.
Auf die flussabgewandte Seite hat Meier den massiven Erschliessungskern mit Treppen und Liften gesetzt. Es ist ein scharf geschnittener, dunkelgrauer Sichtbetonturm, der dem luftigen Glasturm den Rücken zu stärken scheint. Auf dem Dach liegt jeweils eine zweigeschossige Glasbox - darin untergebracht ist der Maschinenraum, der nachts wie ein Leuchtturm strahlt. Die elegante Mischung aus Beton, Aluminium und Glas hebt das Projekt aus der Masse der schweren Backsteinbauten hervor.
Alle Wohnungen gehen über ein ganzes Stockwerk. Es sind grosse, aber unspektakuläre Lofts, in deren Mitte sich die Küche und die Bäder befinden. Neben dem offenen Wohn-und-EssBereich gibt es ein bis zwei Schlafzimmer, die jeweils gegen den anderen Turm, der nur 13 Meter entfernt ist, orientiert sind. Die Raumhöhe ist mit rund 3 Metern für New Yorker Verhältnisse sehr grosszügig.
Der nördliche, schlankere Turm misst im Grundriss rund 16 auf 12 Meter, seine Apartments sind rund 170 Quadratmeter gross. Im südlichen Turm (21 auf 16 Meter) haben sie mit 350 Quadratmetern fast doppelt so viel Fläche. Die Wohnungen sind individuell gestaltet, denn sie werden nicht - wie in der Schweiz üblich - fertig ausgebaut, sondern im Rohbau verkauft. Die Türme sind zwar seit letztem Jahr fertiggestellt, doch viele Käufer sind derzeit noch daran, sich ihre Traumwohnung von ihrem eigenen Innenarchitekten schneidern zu lassen.
Einzigartig ist der spektakuläre Ausblick aufs Wasser, den Meier mit seiner reduzierten Architektur in Szene setzt. Tagsüber fahren Kreuzfahrtschiffe vorbei, nachts verschwindet der Fluss, und die New Jersey Skyline beginnt zu leuchten.
Der weite Atem hat wahrscheinlich auch Nicole Kidman darüber hinweggetröstet, dass die beiden Türme an der achtspurigen West Street liegen. Die australische Schauspielerin hat sich gleich mehrere übereinanderliegende Etagen gekauft, die sie sich derzeit von Richard Meier ausbauen lässt.
Sozialer wohnen in klösterlicher Strenge
Häuser
In Andalusien steht im Sommer das öffentliche Leben am Nachmittag still.
Im August ist es in der südspanischen Weite tagsüber durchschnittlich 36 Grad Celsius heiss, und im Winter fallen die Temperaturen kaum unter 15 Grad. Abends spielt sich das gesellschaftliche Leben - wie oft in südlichen Ländern - nicht in den Wohnungen ab, sondern auf den Strassen, Plätzen und in den Bars.
Die Wohnung ist weniger Kuschelhöhle als kühler Schutzraum und Möbeleinstellplatz. Die Hitze und das trockene Klima haben ihren Einfluss auf die Architektur: Wohnhäuser in Andalusien, die vor der Erfindung der Klimaanlage gebaut wurden, haben kaum Fenster nach aussen. Fenster sind zum Lüften da und nicht für die Aussicht oder um Sonne ins Haus zu lassen.
In alten Häusern öffnen sich die Wohnräume zu einem schattigen Innenhof, wo es kühler ist als auf der Strasse. Das Hofhaus ist in Südspanien aber nicht nur klimatisch, sondern auch historisch bedingt. Es findet seinen Ursprung in der islamischen Baukunst, für deren Verbreitung in Spanien die arabische Herrschaft während über 500 Jahren sorgte. Dass die daraus entstandene maurische Bauweise auch fast 800 Jahre nach der Reconquista, der Rückeroberung der Iberischen Halbinsel durch die Spanier, noch in der zeitgenössischen Architektur nachwirkt, zeigt eine Wohnanlage in Carmona.
Im 25 000 Einwohner zählenden Städtchen, das rund 30 Kilometer ausserhalb der Provinzhauptstadt Sevilla liegt, haben sich die beiden Architekten Oscar Gil Delgado und José Daroca Bruño bei der Gestaltung von 56 Sozialwohnungen von der Architektur arabischer Städte und Hofhäuser inspirieren lassen. Die Anlage am Rand von Carmona baut auf dem Bild des labyrinthischen Stadtgeflechts auf, wie man es beispielsweise von marokkanischen Städten her kennt: von geschlossenen Fassaden gesäumte Strassen, die zu Wegen werden, die sich immer weiter verästeln und schliesslich in kleine Wohnhöfe auslaufen.
Die Entscheidung der Architekten für diese Typologie hat aber auch einen funktionalen Grund: Die kantigen Häuser liegen auf einer sehr ungünstig geschnittenen Restparzelle, welche die Stadt für Sozialwohnungen ausgeschieden hat. Die besseren Parzellen auf dem Areal einer ehemaligen Textilfabrik hat die Gemeinde privaten Investoren verkauft. Für die von der Provinzregierung sehr stark subventionierte Wohnanlage - die Wohnungen kosten den symbolischen Preis von 100 Euro pro Monat - blieb nur noch das 25 Meter breite und 200 Meter lange Grundstück am Rand übrig.
Es machte die Planung nicht einfacher, dass die Erschliessung nur von einer Seite her möglich war, denn auf der anderen Seite beginnt bereits die Landwirtschaftszone. Die maximale Bautiefe von 25 Metern - sie ist bei der geforderten Ausnutzung für eine einzelne Hausreihe zu breit, für zwei Reihen aber zu schmal - sowie der Zugang nur von einer Seite her waren eine planerische Knacknuss.
Delgado und Daroca Bruño haben einen rechtwinkligen Raster aus schmalen, zweigeschossigen Wohneinheiten über die gesamte Parzelle gelegt und ihn anschliessend mit Erschliessungs- und Innenhöfen ausgehöhlt. Auf diese Weise ist ein komplexes System aus Maisonnette-Wohnungen, gepaart mit Erschliessungs-, Licht- und Küchenhöfen, entstanden.
Von aussen ist der räumliche Reichtum nur andeutungsweise zu erkennen. Wie bei maurischen Herrschaftshäusern ist die Fassade geschlossen, das Innenleben bleibt unsichtbar. Um die drohende Monotonie einer 200 Meter langen fensterlosen Strassenfassade zu brechen, haben die Architekten übergrosse Löcher in die Wände und hohe Schlitze in die Dachsilhouette geschnitten. Sie sind das Gegenstück zu den biederen Fensterchen und Minibalkonen der Nachbarhäuser. Die sich regelmässig abwechselnden Öffnungen machen aus der Wand ein mäandrierendes Band.
Mit diesem Gestaltungstrick nehmen die Architekten auch elegant die Höhenunterschiede auf. Weil das Terrain abfällt, liegen immer zwei Einheiten mit je fünf Wohnungen auf einem Niveau. Die Einschnitte in der Dachsilhouette nehmen die versetzten Höhen auf und sorgen dafür, dass die sanft die Strasse herunterplätschernde Architekturskulptur nicht aus dem Rhythmus fällt.
Geht man durch einen der tunnelartigen Hauseingänge, empfängt einen ein weiter Innenhof von klösterlicher Strenge. Der fünfeinhalb Meter breite und knapp zwanzig Meter lange „Innen- sowie Aussenraum“ lässt einen die lärmige und heisse Quartierstrasse vergessen. Schmale Betonlamellen, hinter denen jeweils ein kleiner (Wasch-)Küchenhof liegt, betonen seine Länge. Es gibt keine Beziehung nach aussen, nur am Kopf des Hofes ist der Olivenhain durch die Schlitze knapp sichtbar. Obwohl dieser Hof noch nicht zur Wohnung gehört, hat man das beklemmende Gefühl, ein fremdes Zimmer zu betreten.
Rundherum sind die Wohnungen nebeneinander aufgereiht, insgesamt neun Vierzimmerwohnungen mit je 70 Quadratmetern und eine Fünfzimmerwohnung mit 90 Quadratmetern. Die Hauseingänge liegen hinter Einschnitten im Lamellengitter. Öffnet man die Wohnungstür, ist die Überraschung gross: Man betritt einen Wohn- und Essraum ohne Fenster, der trotzdem hell und luftig ist. Er grenzt auf der Eingangsseite an die Küche und gegen das Hausinnere an einen drei auf drei Meter grossen, übereck verglasten Lichthof. Vier Stufen führen auf das nächste Niveau, auf dem ein Bad und ein Schlafzimmer liegen. Das Zimmer besitzt nur ein kleines Fenster auf den Lichthof. Von diesem Zwischengeschoss aus geht es in den oberen Stock zu den restlichen Schlafzimmern. Auch in ihnen hat man keinen Ausblick, sondern sie sind auf den grossen Erschliessungshof orientiert - trotzdem kommt kein Gefühl von Enge auf.
Was für Schweizer Verhältnisse undenkbar ist - eine Wohnung ohne Fenster nach aussen -, ist in Südspanien notwendig und normal. Denn im Gegensatz zu ihren Schweizer Kollegen sollen Oscar Gil Delgado und José Daroca Bruño bei ihrer Arbeit nicht möglichst viel Sonnenlicht oder einen weiten Blick in die Innenräume der Häuser holen, sondern müssen eine Architektur finden, die der Hitze trotzt. Dass diese dennoch räumlichen Reichtum und damit spannendes Wohnen auch armen Leute ermöglicht, ist das Verdienst der Architekten. Sie haben es geschafft, dass man am Rande von Carmona zwar sehr nahe beieinander wohnt, aber trotzdem genügend attraktive Rückzugsmöglichkeiten hat.
Luxuswohnungen im Solarhaus
Am äussersten Rand von Zürich, beim Rütihofquartier im Stadtteil Höngg, liegt direkt am Waldrand das Mehrfamilienhaus „Sunny Woods“.
Auf den ersten Blick sieht der viergeschossige Holzbau des Zürcher Architekten Beat Kämpfen aus wie viele andere Mehrfamilienhäuser. Dass sich hinter der schnörkellosen Architektur ein Null-Heizenergie-Haus versteckt, ist aber auch auf den zweiten Blick nicht zu erkennen: Das Haus wirkt weder selbstgestrickt noch hemdsärmlig und schlägt das Vorurteil, dass zeitgenössische Architektur und hoher Wohnstandard mit energiesparendem Bauen nicht unter einen Hut zu bringen seien, in den Wind. Dafür wurde es im Dezember 2002 mit dem schweizerischen und dem europäischen Solarpreis ausgezeichnet.
Die sechs Sechs-Zimmer-Maisonnettewohnungen mit je 230 Quadratmetern Wohnfläche haben eine ausgeglichene Energiebilanz. Das heisst, das Haus verbraucht übers Jahr gerechnet nicht mehr Energie, als es selbst produziert. Der wenige Strom, den es für Heizung, Lüftung und Warmwasser braucht (rund zehn Prozent eines vergleichbaren herkömmlichen Neubaus), wird von der 300 Quadratmeter grossen Photovoltaikanlage auf dem Dach produziert. «Sunny Woods» erreicht damit Passivhausstandard, das heisst, es verbraucht maximal 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr und produziert diese Energie gleich selbst.
«Sunny Woods» heisst also höchster Wohnkomfort ohne die Zuführung fossiler und nuklearer Energie. Wie das funktioniert? Durch das geschickte Zusammenspiel des Architekten mit dem Energieingenieur und durch das Einhalten einiger grundsätzlicher Regeln. Wichtigstes Prinzip: maximale Ausschöpfung der passiven Sonnenenergie. Diese nutzt Beat Kämpfen nicht mit Hilfe von Hightech-Maschinen, sondern durch architektonische Mittel.
Alle Wohnräume sind gegen Süden orientiert und fast vollständig verglast, gegen Norden gibt es kaum Fenster. Die Dreifachverglasung lässt die Sonnenstrahlen herein, aber die Wärme nicht mehr hinaus: Eineinhalb Stunden Sonne pro Tag reichen aus, um das Haus im Winter auf eine Durchschnittstemperatur von 20 bis 21 Grad zu bringen. Die Sonne heizt den schwarzen Schieferboden auf, der speichert die Wärme wie ein Kachelofen und gibt sie im Lauf des Tages langsam wieder ab. In den Wohnungen gibt es deshalb weder Radiatoren noch eine Bodenheizung. Wenn die Sonnenenergie nicht ausreicht, übernimmt die Luft-Wasser-Wärmepumpe die Energieversorgung. Sie heizt die Räume über die Luft, welche über ein Erdregister unter dem Garagenboden vorgewärmt, im hangseitigen Technikraum auf die benötigte Temperatur gebracht und dann in die Wohnräume geblasen wird.
Die Thermoskanne funktioniert nur optimal in Kombination mit einer kontrollierten mechanischen Lüftung. Diese sorgt tagtäglich lautlos für frische Luft im Haus, ohne die geheizte Luft über das offene Fenster wieder nach draussen ziehen zu lassen. Selbstverständlich können die Fenster trotzdem nach Belieben geöffnet werden. Dank dem effizienten achtfachen Luftaustausch pro Tag ist dies aber nicht nötig, und nach einer gewissen Zeit gewöhnt man sich an diese neue Nutzungsregel.
Wie sieht es nun in einem Haus aus, das nach dem Prinzip einer Thermoskanne gebaut ist? Eigentlich wie in anderen Häusern auch. An der Rückseite des Hauses führen drei kleine Betonbrücken in den Kubus hinein. Immer zwei Maisonnettewohnungen sind übereinandergestapelt. Die Eingangstüren liegen jeweils ein halbes Geschoss höher oder tiefer als Strassenniveau.
Man betritt alle Wohnungen im Schlafgeschoss, wo einen ein grosses Entrée empfängt. Verheissungsvoll schraubt sich in der oberen Wohnung die grosszügige offene Treppe ins luftige Wohngeschoss hinauf und bringt von dort etwas Tageslicht in den eher dunklen, hangseitigen Bereich des Hauses. Vier je 17 Quadratmeter grosse Zimmer, ein grosser Abstellraum und zwei Bäder sind sternförmig um das Entrée angeordnet.
Nicht kleinteilig, sondern weit ist das Wohngeschoss: Der Raum ist bis zu 11 Meter breit und 10 Meter tief und kann frei eingeteilt werden. Loft oder Wohnzimmer mit Büro - alles ist möglich. Atemraubend ist das Panorama: Der Blick öffnet sich übers Limmattal, und bei klarem Wetter sieht man sogar die Gipfel der Berner und der Glarner Alpen. Hier ist die Stadt kaum mehr spürbar. Man meint, auf dem Land zu wohnen. «Aufs Land» führt in der unteren Wohnung auch ein kleines Holzdeck direkt vor dem Wohnzimmer; dort ist das Landschaftserlebnis noch intensiver. Die oberen Wohnungen von «Sunny Woods» besitzen eine grosse Terrasse mit einer kleinen Laube vor dem Wohngeschoss.
Ganz im Sinn des Hauses sind die Balkongeländer: Sie bestehen aus grossen Glasröhren, in welche Warmwasserkollektoren eingebaut sind. Diese Kollektoren sind Kupferröhren mit feinen Metallflügeln, durch die das Brauchwasser geschleust und so von der Sonne erwärmt wird. Die Brüstung ist dank dem Glas halbtransparent, so dass die Durchsicht trotzdem einigermassen gewährleistet ist.
«Sunny Woods» ist ein wichtiger architektonischer Beitrag zum energiesparenden Bauen. Es zeigt eindrücklich, dass weite und helle Räume, hoher Ausbaustandard, wohlkomponierte Raumdramaturgie, kurz: höchster Wohnkomfort auch in einem Energiespar-Mehrfamilienhaus zu verwirklichen sind. Der Wohnkomfort hat seinen Preis: Eine Luxuswohnung im prämierten Solarhaus kostet rund 1,2 Millionen Franken.
Energiesparend heisst aber noch nicht umweltfreundlich. Denn dafür sind neben energetischen Kriterien auch ökologische massgebend. Das Mehrfamilienhaus ist wegen seiner Lage am Stadtrand von Zürich nicht optimal ans öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen. Bis zur nächsten Busstation sind es rund zehn Minuten zu Fuss. Einer konsequent zu Ende gedachten ökologischen Idee widerspricht auch die grosse unterirdische Parkgarage hinter dem Haus und das darin parkierte Sportauto für den Sonntagsausflug.
«Sunny Woods» ist, trotz allen Anstrengungen im Energiebereich, kein richtiges Ökohaus. Denn ein Drittel der Energie, die in der Schweiz verbraucht wird, wird verfahren. Energiesparendes Bauen heisst deshalb auch, die Stadt dort weiterzubauen, wo sie ans öffentliche Verkehrsnetz gut angeschlossen ist. Denn erst wenn wir bereit sind, den Traum des eigenen Hauses im Grünen aufzugeben, wird ökologischer Städtebau möglich.
Willkommen in Disneyville
Ende der sechziger Jahre beschloss die französische Regierung den Ausbau ihrer Hauptstadt. Acht sogenannte Villes nouvelles wurden in den siebziger Jahren in der Grossregion Paris gebaut.
Die meisten dieser Trabantenstädte, die damals mit viel Pomp eingeweiht wurden, geniessen heute keinen guten Ruf mehr. Zu funktional und zu verkehrslastig orientiert war diese Art des Städtebaus, der sich als äusserst unwohnlich erwies. Gemeinden wie Cergy-Pontoise im Westen von Paris sind heute triste Pendlerstädte, in denen bereits erste Anzeichen von Verslumung sichtbar werden.
Marne la Vallée, die fünfte der Villes nouvelles im Osten der Hauptstadt, ist zwanzig Kilometer lang und vier Kilometer breit. Ihre Entwicklung wurde 1973 durch die Ölkrise jäh gestoppt und kam nie wieder in Schwung. Erst als 1984 die Walt Disney Company mit der französischen Regierung Kontakt aufnahm, änderte sich die Situation.
Der Unterhaltungskonzern präsentierte Pläne, für 915 Millionen Euro mitten in Marne la Vallée den grössten Vergnügungspark Europas zu bauen, und stellte 30 000 Arbeitsplätze in Aussicht. 1987 wurden die Verträge unterschrieben, 1992 wurde in Anwesenheit der gesamten französischen Politprominenz Disneyland Resort Paris eingeweiht.
Für den Vergnügungspark wurden fünf Gemeinden von Marne la Vallée zusammengelegt und in Val d'Europe umbenannt. Bis heute hat Disney über vier Milliarden Euro in Disneyland Resort Paris (Disneyland Park, Walt Disney Studios, Disney Village, Hotels und Golfplatz) und Umgebung investiert. Im Rückblick haben sich die Ausgaben gelohnt - die Themenparks gehören zu den erfolgreichsten Tourismusregionen Europas. 16 Millionen Menschen besuchen sie jährlich, die fast 6000 Hotelzimmer sind zu über 80 Prozent ausgelastet.
Der Betreiber Eurodisney kümmert sich mit der Mischung aus historisierender Inszenierung und modernem Serviceangebot nicht nur um die Bedürfnisse und Wünsche der Besucher, sondern auch um seine 13 000 Mitarbeiter: Nach dem Vorbild von Celebration, der ersten Disneystadt bei Disneyworld in Florida, baut Eurodisney seit 1987 in Zusammenarbeit mit der staatlichen Planungsgesellschaft EPA und den fünf Gemeinden eine völlig neue Stadt rund um die Themenparks.
Und dieses Manifest des «New Urbanism» boomt: 1992 hatte Val d'Europe 5000 Einwohner, heute sind es rund 15 000, im Jahr 2015 sollen 40 000 Menschen rund um das Disneyland Resort Paris leben und arbeiten.
Der amerikanische Städteplaner Jacquelin Robertson, der 1996 zusammen mit Robert A. M. Stern auch schon die Pläne für Celebration gezeichnet hatte, liess sich für Val d'Europe wieder von historisierend-romantisierenden Ideen leiten: Im Zentrum der konzentrisch angelegten Stadt stehen die Themenparks mit ihren riesigen Parkplatzflächen sowie der TGV-Bahnhof, der die Verbindung zum Flughafen und in die grossen französischen Städte herstellt.
Rund einen Kilometer daneben liegt das derzeit noch verwaiste neue Stadtzentrum, das sich mit seiner pariserisch anmutenden Place d'Ariane vergeblich gegen die Sogwirkung der an den Platz anschliessenden, eineinhalb Kilometer langen Shopping-Mall durchzusetzen versucht. Unter der Place d'Ariane liegt ein zweiter Bahnhof, von dem aus man mit den Pariser Vorortszügen in nur 30 Minuten die Champs-Elysées erreicht.
Rund um die Ringstrasse, die das Zentrum und die Themenparks weitläufig einkreist, schiessen mehrere verstreute Einfamilienhausquartiere aus dem Boden. Sie sind durch kleine künstliche Seen, einen Golfplatz, unzählige Verkehrskreisel, einen durchgrünten Businesspark, weite Felder und kleine Waldstücke miteinander verbunden.
Alles ist lieblich: Die Strassen sind geschwungen wie Wege in einem romantischen Park, die Häuser herausgeputzt, als gelte es, einen Nettigkeitswettbewerb zu gewinnen. Noch warten die gut ausgebauten Velowege entlang den Alleen auf den Ansturm der Arbeiter, die ins Büro radeln. Val d'Europe versucht, mit Architektur und Landschaftsplanung ein Gefühl von Harmonie, Sicherheit, Ruhe und Stabilität auszulösen. Die neue Siedlung ruft das Bild einer durchgrünten Stadt hervor, die nicht von den Gefahren und Irritationen der Moderne betroffen ist.
Als Landpächter hat der amerikanische Konzern das letzte Wort auch in Gestaltungsfragen: Nur wer die traditionalistische Architekturhaltung mit Disney teilt, darf in Val d'Europe bauen. So soll verhindert werden, dass die Dörfer zu modernen Städten werden. Zeitgenössische Architektur bleibt auf öffentliche Gebäude wie Schulen oder Bahnhöfe beschränkt. Umgeben von Retroarchitektur, wirken sie wie Meteoriten aus einer anderen Zeit. Für den Rest gilt eine wilde Stilmix-Vorschrift, welche Stadthäuser fordert, die sich an der Pariser Gründerzeit orientieren, farbige niederländisch-venezianische Siedlungen am Kanal und putzige Cottages am Rand des Golfplatzes.
Es werden vor allem grosse Appartements gebaut, denn in die lieblichen Arbeitersiedlungen sollen in erster Linie mittelständische Familien ziehen. Die Preise sind für französische Verhältnisse hoch: Eine Dreizimmerwohnung kostet rund 250 000 Euro, ein Haus mit 160 Quadratmetern Fläche zwischen 300 000 und 350 000 Euro.
Die Architektur erinnert an die gute alte Zeit. Mit dem Erscheinungsbild von Val d'Europe will Disney garantieren, dass die Häuser nicht eines Tages aus der Mode kommen wie die Bauten der anderen sieben Villes nouvelles. Alle wichtigen gestalterischen Entscheide, wie etwa Fassadenverkleidungen oder die Pflästerung der Place d'Ariane, werden deshalb Michael Eisner vorgelegt, dem Geschäftsführer der Walt Disney Company.
Mit den rigiden Gestaltungsregeln für Wohnhäuser und den öffentlichen Raum macht der Disney-Konzern klar, dass er nicht nur ein gigantisches Unterhaltungs- und Tourismusunternehmen ist, sondern sich auch als moralische Instanz versteht. Wie zur Zeit der Industrialisierung, als die Patrons ihre Arbeiter mit Fabriksiedlungen ans Unternehmen banden, um sie besser kontrollieren zu können, hat auch Disney eine genaue Vorstellung, wie seine Angestellten zu leben haben.
Der amerikanische Unterhaltungsmulti bleibt mit der Architektur für diese neue Stadt bei seinem Kerngeschäft, der Kreation künstlicher Welten: Val d'Europe ist ein kostenlos zu betretender, reaktionärer Themenpark fürs Wohnen. Mit seiner starken Ausstrahlung ist er den zeitgenössischen Architekten ein Dorn im Auge, doch entspricht er angesichts seines Erfolges anscheinend den Vorstellungen vieler Menschen von Wohnen zwischen Stadt und Land.
Das Eigenheim als Karikatur
Die frischeste und frechste Architekturszene findet sich derzeit in Holland. Häuser, die in der Schweiz allenfalls als Objekte einer Ausstellung über Architekturutopien vorstellbar wären, gehören in den Niederlanden zum gebauten Alltag.
Vor allem im Wohnbausektor haben dank staatlicher Förderung viele junge Architekten die Chance, ihren Visionen Form zu geben. Denn die Bevölkerung des dichtbesiedelten Landes braucht Platz: bis 2015 sollen im Rahmen des Vinex-Bauprogramms eine Million neue Häuser rund um die urbanen Zentren gebaut werden!
So entstehen vor den Toren Amsterdams, Rotterdams oder Utrechts end- und zentrumslose sowie oft auch monotone Häusermeere. Sie verweben die niederländischen Städte zu einem ringförmigen Siedlungsteppich. Die holländische Version des Schweizer Mittellands heisst Randstad und frisst sich wie dieses grossflächig in die Landschaft.
Das Resultat: Wie zwischen Boden- und Genfersee hört auch in Holland zwischen Amsterdam, Den Haag, Rotterdam, Dordrecht, Eindhoven, Nimwegen und Utrecht die Zersiedelung nirgends und nie wirklich auf.
Eine der vielen neuen Vinex-Vorstädte heisst Ypenburg und liegt etwa 15 Tramminuten ausserhalb von Den Haag. Im einstigen Niemandsland wurden innert weniger Jahre mehrere tausend Wohnungen aus dem Boden gestampft. Eine neue Tram- und Buslinie und ein Autobahnanschluss dienen dem Monokultur-Satelliten als Nabelschnur zum Stadtzentrum. Die weitläufige Siedlung wird mit grossen Alleen entlang trister Kanäle strukturiert. Schmale Nebenstrassen führen von den Hauptachsen zu den einzelnen Quartieren, die jeweils nach einem Thema gestaltet sind.
In Waterwijk ist das Thema Wasser. Die vom Rotterdamer Architekturbüro MVRDV entworfene Anlage liegt auf fünf künstlichen Halbinseln in einem künstlichen See. Rund 900 Wohnungen werden hier gebaut. Die jungen Architekten haben versucht, ähnlich einer Wohnbauausstellung möglichst viele Varianten des Wohnens nebeneinanderzustellen. So gibt es beispielsweise eine Hofhausinsel und eine Gartenhausinsel und grosse Blöcke, die rund um einen gemeinsam genutzten Innenhof angeordnet sind. Der drohenden Monotonie wird begegnet, indem jede Halbinsel von einem anderen Architektenteam bebaut wird.
Am frechsten sind die Häuser von MVRDV auf Hageneiland, der Gartenhausinsel. Das mit dem holländischen Pavillon an der Weltausstellung Expo 2000 Hannover und mit visionären Studien über die Bebauungsdichte in Holland weltweit berühmt gewordene junge Architektenteam überrascht mit einem provokativen Entwurf: Hageneiland ist die gebaute Karikatur des Eigenheimtraums. Die 119 Wohnhäuser sind bunte Lego-Häuschen, die Erschliessungen romantische Weglein und die Vorgärten so putzig, dass man am liebsten eine Gartenzwergsammlung darin unterbringen möchte.
Die kraftvoll auf die Urform des Hauses reduzierten Skulpturen bieten den idealen Hintergrund für architektonische Elemente wie Zäune, Gartenhäuschen, Vorgärten oder Strassenlampen. Die Häuser unterscheiden sich nur im Material und in der Länge. In den Vordergrund tritt also nicht die Architektur, den Blick ziehen vielmehr Elemente auf sich, die die Architekten normalerweise aus ihren Plänen verbannen und aus den Publikationsfotos herausretouchieren lassen.
So ruft der Spaziergang durch Hageneiland Bilder einer hyperindividuellen Schrebergartensiedlung hervor, nur dass die Häuser irgendwie irritieren: Die roten Ziegel, silbernen Zinkplatten, die braunen Holzschindeln, schwarzen Eternitpaneele, die blauen oder grünen Kunststoffplatten hören nicht etwa am Dachrand auf, sondern kleiden die Häuser rundherum vollkommen ein. Auch fehlen typische Elemente wie Dachtraufen.
Dieser subtile Trick macht aus dem Häuschen eine kunstvolle minimalistische Plastik und aus der Anlage ein vieldeutiges Muster. Und um kein Reihenhaussiedlungsgefühl aufkommen zu lassen, haben die Architekten die Häuser nicht zu langen Riegeln zusammengeschoben. Meist sind es Zweifamilienhäuser, die in gebührendem Abstand nebeneinander oder gegeneinander verschoben stehen. Das erzeugt immer wieder neue Aussenräume, und MVRDV gelingt es so, trotz den strengen niederländischen Planungsrichtlinen eine dorfähnliche Siedlungsstruktur herzustellen.
Das Häuser-Layout auf Hageneiland war es denn auch, und nicht die Architektur, was die Jury des NAI- Preises am meisten überzeugt hat. Der Preis, mit dem das renommierte holländische Architekturinstitut jährlich Projekte von holländischen Architekten unter 40 Jahren auszeichnet, ging im Dezember letzten Jahres zum ersten Mal an MVRDV.
Im Inneren sind die Häuschen konventionell gestaltet: Man betritt sie ebenerdig und wird von einem weiten Raum empfangen, der in der Mitte vom Küche/WC/Treppe-Kern in ein Wohn- und ein Esszimmer unterteilt ist. Mit 2,55 Metern sind die Räume für holländische Verhältnisse relativ hoch. Im oberen Stock liegen drei mittelgrosse Schlafzimmer und ein Bad. Von hier führt die schmale Treppe ins offene Dachgeschoss. Aus Kostengründen wurden die Häuser nicht unterkellert, als Stauraum teilt man sich mit dem Nachbar jeweils eines der transparenten Gartenhäuschen im Vorgarten. Diese gewächshausartigen Häuschen im Häuschenpark überspitzen die Karikatur noch.
Die Mietpreise für ein zwischen 121 und 130 Quadratmeter grosses Haus betragen zwischen 541 und 707 Euro pro Monat, die Kaufpreise lagen zwischen 164 000 und 237 000 Euro. Mit dem unterschiedlich grossen Wohn- und Ausbauangebot gelingt es, Mieter aus unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen nach Ypenburg zu locken. Diese Durchmischung der sozialen Schichten soll der Gefahr entgegenwirken, dass aus Ypenburg ein Wohnghetto für einen sozial und finanziell schlechter gestellten Bevölkerungsteil wird.
In der radikalen und provokativen Architektur steckt eine betont familienfreundliche Anlage: Alle Häuser sind mit einem Netz kleiner, autofreier Fusswege miteinander verbunden, dazwischen sind Spielplätze eingestreut, und jedes Haus hat einen eigenen (Pflanz-)Garten, entweder vor oder hinter dem Haus.
Die zu gross geratene Schrebergartensiedlung hat nicht nur die Diskussion in der Nachbarschaft, sondern auch den internationalen Architekturdiskurs angeheizt: Darf man beim Wohnungsbau vor allem von den Vertretern der Moderne zu einer sozialen Bauaufgabe deklariert mit Ironie agieren?, fragen die Kritiker. Sind die Häuschen gar eine zynische Antwort auf den Traum vom Eigenheim?
MVRDV waren bei diesem Projekt in der Zwickmühle. Einerseits hatten sie im Jahr 2001 in ihrer vielbeachteten Studie «Pig City» vorgeschlagen, der drohenden ökologischen Katastrophe und baulichen Zersiedlung mit einer ungewöhnlichen Verdichtungsmethode entgegenzuwirken: In 600 Meter hohen Türmen entlang der Maasflanke soll die landraubende Nutztierzucht übereinandergestapelt werden, lautete ihr provokativer Vorschlag, Land zu sparen. Gleichzeitig realisieren sie in Ypenburg nun selbst ein landverschleissendes Ein- und Mehrfamilienhausquartier.
MVRDV begegnen der ungemütlichen Situation mit Ironie und hoffen so, auf das Problem der gedankenlos und uniform geplanten Streusiedlungen ausserhalb der Zentren aufmerksam zu machen.
Trotzdem bleibt die Sache zweischneidig. Gelungen ist dem Büro jedenfalls, die Diskussion auf eine Frage zu lenken, die im Häuserbaugetöse offenbar wirklich untergegangen und auch für die Schweiz aktuell ist: Ist das Einfamilienhaus die richtige Strategie, auf die gestiegenen Wohnraumbedürfnisse zu reagieren?
New York zu Füssen
Häuser
Nicht nur die Stadt ist einmalig, auch ihr Immobilienmarkt ist es: New York erlebt derzeit - trotz dem 11. September - einen regelrechten Luxusimmobilienboom.
Nach einem kurzen Einbruch der Preise im letzten Herbst hat sich der Luxuswohnungsmarkt erstaunlich schnell erholt. Die Verkaufspreise für Wohnungen zwischen der 42. und der 86. Strasse in Manhattan betrugen diesen Sommer schon wieder 10 135 Dollar pro Quadratmeter - nur vier Prozent unter dem Höchstpreis von 10 555 Dollar vom Sommer 2001. Im vierterljährlich erscheinenden «Trump Report», der diese Zahlen veröffentlichte, wird der Boom einerseits auf die tiefen Hypothekarzinsen und andererseits auf das verloren gegangene Vertrauen der Anleger in die Börse zurückgeführt.
Und wirklich: Derzeit herrscht in New York eine Art Goldgräberstimmung. An fast jeder Ecke Manhattans werden teure Wohnungen gebaut. Viele Quartiere sind gleichzeitig im Aufwind: Nach dem Ausverkauf von Soho - das ehemalige Künstlerviertel ist zur riesigen Shopping Mall verkommen - etablierte sich die arrivierte Kunstszene in zu Galerien umgebauten Lagerräumen und in kostspieligen Neubauwohnungen in Chelsea. Auch Harlem wird trotz seiner weniger zentralen Lage nördlich des Central Park eine grosse Zukunft vorausgesagt - und das nicht erst, seit Bill Clinton sein Büro dort eröffnet hat.
Gleichzeitig werden Quartiere jenseits des East River, etwa Williamsburg oder Brooklyn Heights, wegen des Blicks auf Manhattans Skyline und der guten Metroverbindung bei den New Yorkern immer beliebter. Doch wer etwas auf sich hält und, vor allem, wer es sich leisten kann, bleibt in Manhattan selbst. Am beliebtesten sind grosse Wohnungen mit weitem Blick: über den Central Park, auf den Hudson oder den East River.
Donald J. Trump, der wohl reichste, berühmteste und auch berüchtigtste Immobilien-Tycoon Manhattans, reitet schon lange und erfolgreich auf der Luxusimmobilienwelle. Mit seinem jüngsten Projekt, dem Trump World Tower, hat er sich vorgenommen, alle Rekorde zu brechen: Trump nennt seinen neusten Wolkenkratzer das grösste, höchste, luxuriöseste und eleganteste Wohnhochhaus der Welt. Auf einem Grundstück, angrenzend ans Uno-Hauptquartier und direkt am East River gelegen, hat er vom New Yorker Architekten Costas Kondylis und seinem siebzigköpfigen Team auf einer Fläche von 43 mal 23 Metern einen schlanken Glasbarren von 262 Metern Höhe bauen lassen. Der gläserne Monolith erinnert in seiner Einfachheit und Ausgewogenheit an die New Yorker Stahl-Glas-Türme von Philip Johnson oder von Mies van der Rohe. Auch mit der Höhe spielt der Trump World Tower in der obersten Liga mit: Nach dem Empire State Building und dem Chrysler Building ist er wohl nun das dritthöchste Hochhaus Manhattans.
Doch der Bau, der heute scheinbar selbstverständlich die Skyline von New York neu bestimmt, bewegte die Gemüter und viele Anwälte schon während der Planung heftig. Denn gemäss Zonenordnung hätte das Hochhaus nur rund 140 Meter hoch werden dürfen. Die Vorschrift besagt nämlich, dass die Höhe eines Gebäudes in Relation zur Grösse der Bauparzelle stehen muss - also je grösser der Baugrund, desto höher das Gebäude.
Doch Trump baute nicht zum ersten Mal in Manhattan und kannte das Kleingedruckte der Reglemente genau: Zuerst forderte er einen Ausnützungsbonus von 20 Prozent ein, indem er einen Teil des Baugrundes in einen öffentlichen Park verwandelte. Dann kaufte er den sieben Besitzern der anliegenden Gebäude ihre sogenannten Air Rights ab und übertrug sie auf sein eigenes Bauprojekt. (Die Air Rights umfassen die ungenutzen Ausbaumöglichkeiten eines Gebäudes.) Noch mehr Gebäudehöhe gewann Trump, indem er die Raumhöhe der 70 Wohngeschosse um fast 20 Prozent über den New Yorker Durchschnitt erhöhte. Denn es steht nirgends geschrieben, dass auch die Raumhöhe mit der Nutzfläche in Relation stehen muss.
Vielen der äusserst betuchten Nachbarn im Quartier war das neue Baumonument ein Dorn im Auge: Sie formierten sich zu einem Komitee gegen den Trump World Tower. Ein Mitglied spendete sogar eine Million Dollar für die Anwaltskosten. Die Klage gegen die Bauverwaltung New Yorks wurde bis vors Bundesgericht gezogen und dort abgeschmettert.
Noch vor diesem Entscheid waren an der United Nations Plaza die Bagger aufgefahren und hatten das nur 20 Jahre alte und völlig intakte 24-stöckige Bürogebäude, das auf dem Baugrund stand, zu demontieren begonnen. Schon bald wuchs eine gewaltige Tragstruktur in die Höhe. Während in den oberen Stockwerken noch die Stützen und Decken aus speziell belastbarem Stahlbeton in ihre Form gegossen wurden, wurde in den unteren Geschossen bereits die im Windkanal auf besondere Belastungen getestete «Curtain Wall»-Glasfassade montiert und mit dem Innenausbau begonnen.
Nach nur neunmonatiger Planungs- und zwanzigmonatiger Bauzeit konnte das grösste Wohnhochhaus der Welt in Betrieb genommen werden. Die reinen Baukosten für das 376 Appartements umfassende Gebäude betrugen 180 Millionen Dollar. Spezialisten schätzen, dass Trump sich den Baugrund, die Anwälte sowie die Honorare noch einmal so viel kosten liess.
Doch nicht nur beim Bau setzt das Hochhaus neue Massstäbe, auch das Angebot für die Bewohner ist ausserordentlich. Der Trump World Tower ist eine Art Fünfstern-Appartementhotel: eine zehn Meter hohe Marmor-Eingangshalle mit rund um die Uhr besetzter Empfangsloge, ein hauseigener Fitnessclub, ein Gourmetrestaurant, private Weinkeller, ein Sicherheitsdienst, ein privater Garten, Konferenzräume - das alles steht den Bewohnern zur Verfügung.
Die 376 Wohnungen sind sehr unterschiedlich geschnitten; in den unteren Stockwerken liegen vor allem Studios und kleinere Wohnungen. Sie sind zwischen 50 und 180 Quadratmeter gross und ab 520 000 Dollar zu haben. Dazu kommen monatliche Unterhalts- bzw. Nebenkosten, die zum Beispiel für eine Einzimmerwohnung rund 900 Dollar betragen. Viele, die sich oben eine Wohnung erwarben, kauften ein Studio oder eine kleine Wohnung für ihre Hausangestellten oder für ihre erwachsenen Kinder dazu. Je höher im Haus gelegen, desto grösser und teurer die Wohnungen.
Unüberbietbaren Luxus bieten die vier Penthouses in den obersten beiden Stockwerken: Die zwei grösseren, mit Blick auf das Chrysler und das Empire State Building, sind rund 500 Quadratmeter gross; jenes im obersten Geschoss kostet annähernd 17 Millionen Dollar. Die Räume sind hier an die fünf Meter hoch, und die vollverglasten Aussenwände reichen fast bis zum Boden. Aber solche Wohnungen dienen in New York nicht in erster Linie als Behausung, sondern als Statussymbol. Es geht weniger um eine besonders ausgefeilte Architektur als darum, hier abends seine Gäste über das Lichtermeer blicken zu lassen.
Für europäische Verhältnisse sind die Preise schwindelerregend, und das Design würde hier manchem Bauchweh machen. Doch scheint Donald J. Trump einmal mehr seine Klientel gut eingeschätzt zu haben: Schon vor der Fertigstellung konnte er rund 70 Prozent der Wohnungen verkaufen.
Es gibt offenbar genug Leute, die fast jeden Preis für eine gute Adresse in New York zahlen. Zumindest für jenen Käufer, der gleich zwei Penthouses des Trump World Tower zusammenlegen und sich für 38 Millionen Dollar die wahrscheinlich teuerste Wohnung im Land kaufen wollte, währte der Traum allerdings nicht lange. Er musste den Vertrag unter Verlust einer Anzahlung in Millionenhöhe wieder rückgängig machen, denn seine mit Internetgeschäften generierten Millionen hatten sich an der Börse ebenso schnell aufgelöst, wie sie sich gebildet hatten.
Deutsche Italianità
Vor nicht allzu langer Zeit wurde einem in Berlin noch eine dünne braune Brühe in einer ebenso dünnen weissen Tasse als Espresso verkauft. Doch seit Berlin Hauptstadt ist, ist vieles anders geworden, auch der Kaffee.
Der Italiener um die Ecke (und es gibt davon unzählige) weiss um die Italophilie seiner anspruchsvoll gewordenen Kundschaft und zelebriert ihr zuliebe Italianità - meist italienischer als in Italien. In den Berliner Ristoranti wird einem heute hervorragender Caffè serviert, rabenschwarz und in dickwandigen Tassen.
Die Liebe der Deutschen zu Italien und seiner Kultur geht jedoch weit über Caffè, Linguine und Rosso di Montepulciano hinaus - zumindest unter den Architekten. Denn die Architektur der italienischen Renaissance ist, neben jener der klassischen Moderne, immer noch gültige Referenz für viele zeitgenössische Architekten. Idealtypische Städte mit ihren am Reissbrett entworfenen Grundrissen, ihren klar gegliederten Palazzi und wohlgeformten Piazze haben nicht nur den Dichterfürsten Goethe vom «Land der Formen» schwärmen lassen, sondern beispielsweise auch den grossen Berliner Baumeister Karl Friedrich Schinkel auf seiner ersten Italienreise derart fasziniert, dass er über 400 Zeichnungen mit nach Hause brachte.
Bei der Überbauung «Leibnitzkolonnaden» in Berlin hat nun die Sehnsucht nach dem mediterranen Leben den kühlen Geist des Nordens getroffen. Der international renommierte Berliner Architekt Hans Kollhoff hat mit seiner Partnerin Helga Timmermann und seinem Team unter einen Hut gebracht, was unvereinbar schien: die italienische Piazza und die Neuinterpretation des Berliner Gründerzeithauses. Auf dem fast 10 000 Quadratmeter grossen Grundstück in unmittelbarer Nähe des Kurfürstendamms konnten die Architekten einen 32 Meter breiten und 100 Meter langen Stadtplatz bauen, den Walter-Benjamin-Platz. Er wird von zwei imposanten U-förmigen Riegeln gefasst. In den sieben- und achtgeschossigen Bauten befinden sich, verteilt auf insgesamt acht Häuser, 108 Wohnungen, 22 Läden, eine Kindertagesstätte im Dachgeschoss sowie grosse Büroflächen in drei Häusern.
Selbstverständlich gab das architektonische Schwergewicht mit der monumentalen Palazzofassade in Berlin schon vor Baubeginn Anlass zu Diskussionen: Zum einen bangte die Auto- und Gewerbelobby um die zentralen Parkplätze, die sich bis anhin auf der Baubrache befanden, zum andern wollten die Initianten einer Bürgerinitiative nicht verstehen, dass statt einer introvertierten Wohnhofbegrünung, wie sie in Berlin allgemein üblich ist, nun ein monumentaler Stadtplatz mitten in Charlottenburg entstehen sollte, den erst noch kein Grün zierte. Zu guter Letzt stimmten die Architekturkritiker in den Kanon ein und bemängelten, was sie bei den Bauten von Kollhoff und Timmermann immer bemängeln: dass die Fassadengestaltung einem Stadtbild aus der Gründerzeit Leben einhauche - wo man sich doch im 21. Jahrhundert befinde!
Knapp ein Jahr nach Bezug sind 95 der nicht eben günstigen 108 Wohnungen vermietet oder verkauft, und die Aufregung um den Bau hat sich gelegt. Geblieben sind die strenge Raster-Natursteinfassade, die das Gebäude rundherum einhüllt, und das fehlende Grün. Nur zu einem leicht aus der Mittelachse geschobenen Baum und zu einem Wasserspiel auf der gegenüberliegenden Seite konnten sich die Architekten auf dem Walter-Benjamin-Platz durchringen.
Sonst ist alles aus Stein, wie es sich für eine italienische Piazza gehört. Die Fassade besteht aus einem grüngrauen Sandstein, der dem Bau Schwere und damit Wichtigkeit und Autorität verleiht. Die Pflasterung der Piazza mit grauen Granitplatten setzt sich unter den Kolonnaden fort, wird dort jedoch kleinteiliger, fast mosaikartig und damit wohnlicher. Hauptmerkmal der Überbauung sind die eher für Turin oder Bologna typischen Kolonnadengänge. Sie erweitern den Aussenraum ins Haus hinein und umgekehrt. Sie funktionieren für die Bewohner als Portale zu diesem riesigen steinernen Salon.
Die beiden Riegel sind nach klassischer Manier in einen hohen Sockel, einen dominanten Mittelteil und eine kurze Balustrade als Dachabschluss unterteilt. Wie auch bei anderen Bauten von Kollhoff und Timmermann zerlegt die ausgeklügelte Fassadengestaltung die Grossform in einzelne Hauseinheiten, ohne dass das gemeinsame Fassadenthema verloren geht.
Die Architekten beherrschen die Kunst, den Eindruck eines steinernen Hauses zu erwecken und trotzdem den heutigen Ansprüchen an Grösse und Anzahl der Öffnungen gerecht zu werden. Es geht ihnen darum, dass die Wand und damit die kubische Geschlossenheit bei dieser Menge Fenster nicht verloren geht. Der Trick liegt in der Tiefenstaffelung der Fassade: Die zurückversetzten Gesimse rund um jede Öffnung lassen das Haus schwerer und mächtiger erscheinen, als es in Wirklichkeit ist. In den Leibnitzkolonnaden herrscht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Öffnung und Stein, was dem Bau eine elegante Note verleiht.
Die Eleganz dieses öffentlichen Salons mit seinem Steinteppich setzt sich im Foyer der Wohnhäuser fort: Schwere Bronze-Eiche-Türen öffnen sich auf einen langgezogenen hohen Raum, der zur einen Seite den Blick auf den begrünten Hinterhof freigibt. Seine Wände sind mit Holz verkleidet, der Boden ist mit in Flechtmuster ausgelegtem Naturstein belegt - das Entrée eines Stadtpalais. Diese Grandezza steigert die Erwartungen, doch die werden nicht erfüllt: Die Räume der Standardwohnungen sind nur gerade zweieinhalb Meter hoch, die Wohnungen zwischen 54 und 169 Quadratmeter gross. Sie haben oft eine sehr grosse Raumtiefe, worunter die natürliche Belichtung leidet und oft auch die Psyche der Bewohner. Sie erinnern eher an die Neben- als an die Haupträume eines Stadtpalais. Prächtig ist einzig der Blick auf den Platz mit seinen mächtigen Fassaden. Den für Berliner Verhältnisse hohen Preis der Eigentumswohnungen rechtfertigt hauptsächlich die zentrale Lage. Zu haben sind derzeit noch Wohnungen zwischen 167 000 Euro (54 Quadratmeter) und 640 000 Euro (182 Quadratmeter).
Die Leibnitzkolonnaden sind in erster Linie ein städtebaulicher Wurf: Kollhoff und Timmermann haben mit viel Hartnäckigkeit gegen den begrünten Schmückplatz und für den «leeren» Stadtplatz gekämpft. Sie haben deshalb dieses heterogene Bauprogramm nicht, wie das derzeit sehr viele Architekten in Berlin tun, wie in einem Shoppingcenter rund um eine introvertierte Mall gebaut, sondern Tiefgarage, Restaurants, Wohnungen, Appartements, Büros und Kindergarten dem öffentlichen Raum untergeordnet. So kommt beim Caffè auf der Piazza ein bisschen Ferienstimmung auf - und das gleich hinter dem Kurfürstendamm.
Fertighaus nach Mass
In Japan werden pro Jahr rund eineinviertel Millionen Häuser gebaut. Diese Zahl ist unter anderem deswegen so unglaublich hoch, weil die durchschnittliche Lebensdauer eines Hauses auf dem Archipel nur etwa 25 Jahre (in der Schweiz 90 Jahre) beträgt.
Trotz hohen Preisen und beschränktem Bauland (das Land besteht zu 80 Prozent aus Bergen) träumen immer noch unzählige Japaner in wehmütiger Erinnerung an das kleine Dorf der Reisbauerngemeinschaft den Traum vom Einfamilienhaus.
Da nun zwölf Jahre nach der Wirtschaftskrise die Bodenpreise in Japan um rund 80 Prozent gefallen und bei den Banken variable Hypothekarkredite mit einer Laufzeit von bis zu 40 Jahren zu unter 2 Prozent zu haben sind, können sich auch jüngere Familien wieder Wohneigentum leisten. 90 Prozent der Nachfrage nach Einfamilienhäusern befriedigen Multis wie Mitsubishi, Toyota oder Panasonic mit Fertighäusern im sogenannten Western Style.
Darunter muss man sich langweilige gleichförmige Baukastenhäuser mit wenigen Grundrissvariationen vorstellen, die im Prospekt immer frei stehend und mit Umschwung dargestellt werden, sich in Wirklichkeit aber im Meterabstand an end- und gesichtslosen Peripherie-Quartierstrassen aufreihen - mit direkter Sicht auf die kahlen Wände des Nachbarn.
Aber auch ein solches Haus, das nicht mehr bietet als eine grosszügige Mietwohnung, ausser dass man mit dem Nachbarn die Wände nicht teilt, kostet, trotz Vorfertigung und Standardisierung, immer noch die stolze Summe von rund 450 000 Dollar, ohne Land. Dieses Missverhältnis hat den wendigen Architekten Katsu Umbeyashi vom Büro F.O.B Architecture aus Kyoto zusammen mit seinem Kollegen Kazuo Kobayashi dazu bewogen, ein ähnliches Produkt mit mehr Stil zum selben Preis anzubieten. Die beiden Architekten gründeten 1999 in Tokio die Firma F.O.B Homes, deren Slogan sinngemäss «Eigener Stil zum angemessenen Preis» lautet.
Was, ausser dem modernistischen Stil, unterscheidet die beiden von den andern Fertighausanbietern? Es ist die individuelle Architekturleistung. Denn auch bei traditionellen Fertighausproduzenten zahlt man rund 15 Prozent der Bausumme fürs individuelle Design und kann dennoch nur aus zwei bis drei Grundrissvarianten wählen.
Diese «Marktlücke» machte F.O.B Homes zum Verkaufsargument: Die Firma geht beim Design speziell auf die Kundenwünsche ein. In Japan war das bis anhin nur in den oberen Segmenten der Architektur eine Selbstverständlichkeit.
Das Vorgehen ist einfach: Der Architekt besucht mit dem interessierten Kunden eines der Musterhäuser in Tokio oder Osaka. Dann arbeitet er mit seinem Team ein auf stets demselben Grundtypus basierendes Projekt aus. Die Kunden können Gebäudevolumen und Raumaufteilung vom hauseigenen Designerteam gegen eine Pauschalsumme von 3000 Dollar ihren individuellen Ansprüchen anpassen lassen. Den Entwurf präsentiert Umbeyashi wenig später mit Plänen und einem Modell. Ist ein Grundstück gefunden, wird das Haus innert eines halben Jahres in traditioneller Bauweise an Ort und Stelle gebaut.
Der Prototyp, das F.O.B Home 1, steht in einem typischen Vorstadt-Einfamilienhausquartier vor den Toren Osakas. Wie ein vom Himmel gefallener Monolith liegt der weisse Kubus in der biederen Nachbarschaft. Die verschlossenen Wände sind bis ans Äusserste der Parzellengrenzen geschoben. Von der Strasse her ist nicht viel zu sehen: Eine kleine Öffnung in der weissen Wand deutet den Eingang an. Entlang einem kleinen Quartierweg auf der Südseite ist ein grosses Fenster bis zum Boden ausgeschnitten - eine eingeschossige Wand aus Milchglasscheiben verwehrt den Einblick. Sonst strahlt der im Sonnenlicht gleissende Block makellos.
Im Inneren ist dann die Überraschung gross: Ein luftiges Wohn- und Esszimmer empfängt den staunenden Besucher. Das Haus mit 128 Quadratmetern Wohnfläche scheint auf den ersten Blick nur aus grosszügigen Leerräumen zu bestehen: Da gibt es das doppelstöckige Wohn- und Esszimmer und gleich daran anschliessend, nur durch eine breite Glaswand getrennt, den nach oben offenen Gartenhof.
Diese beiden riesigen Leerräume verschaffen dem Haus eine für Japan eher ungewohnte Grandezza, viel Licht, Luft und Atem. Für Schlafzimmer, Bäder und Nebenräume bleiben nur zwei schmale Raumtranchen entlang der Vorder- und der Rückfassade. Diese Räume werden als das behandelt, was sie in Japan sind: als Nebenräume, in denen man sich nur in zweiter Linie aufhält.
F.O.B Homes finden selbstverständlich nicht beim gemeinen Fertighauskunden Zuspruch. Sie sprechen den bis anhin kleinen, aber laufend wachsenden Prozentsatz derer an, die trendbewusst und «stylish» sind und sich auch getrauen, Individualität gegenüber den Nachbarn auszudrücken.
Trendbewusst bedeutet in diesem Fall: modernistische Gestaltung, ein auf einen makellosen Kubus reduzierter introvertierter Baukörper und ein kontinuierlicher Innenraum. Die Häuser bieten eine räumlich wie auch finanziell attraktive Alternative zum unansehnlichen Fertighaus-Einheitsbrei in Japan.
Denn zwar viele, aber noch lange nicht alle Japaner wollen dasselbe Haus.
Eine zweite Haut aus Glas
Am östlichen Stadtrand von St. Gallen franst die Siedlungsstruktur langsam aus.
Eine heruntergekommen wirkende Sichtbeton-Hochhaussiedlung aus den siebziger Jahren, ansatzweise begonnene Reihenhausstrukturen aus den fünfziger Jahren und eine Handvoll lieblos placierter Einfamilienhäuser neueren Datums verzahnen hier Stadt und Land. Um dem scheinbaren Wildwuchs an Bauten Einhalt zu gebieten, hat die Stadt 1987 einen Gestaltungswettbewerb für ein dazwischen gelegenes, rund 36 000 Quadratmeter grosses Hanggrundstück ausgeschrieben. Das rigide Gewinnerprojekt aber blieb in der Schublade liegen. Sieben Jahre später wurde die Baubewilligung einem anderen Büro erteilt. Die Architektengemeinschaft Baumschlager-Eberle aus dem Vorarlberg und Senn Architektur aus St. Gallen sollte die erste Etappe des vor Jahren prämierten Vorschlags umsetzen.
Der Plan sah eine monumentale, senkrecht zum Hang verlaufende Kammstruktur für das gesamte Grundstück vor. Nur drei von dreizehn Baukörpern wurden in einer ersten Etappe 1996/97 realisiert. Insgesamt 55 Wohnungen in über 60 m langen, mehrgeschossigen Riegeln. Trotz der Fertigstellung erst gegen Ende der neunziger Jahre ist dieser erste Teil der Überbauung mit seiner aus heutiger Sicht verspielten Architektur, mit den gemeinsam genutzten Laubengängen und dem aufwendigen Erschliessungssystem exemplarisch für die Architektur der achtziger Jahre.
Ganz anders präsentiert sich die dieses Jahr fertiggestellte zweite Bauetappe. Die Architekten konnten die Behörden von einem planerischen Neuanfang überzeugen: Anstatt die Riegelstruktur weiterzuziehen, verteilen sie nun acht kompakte Baukörper, schachbrettartig versetzt, über die gesamte Grundstücksfläche. Die Überbauung reagiert subtil auf die Topographie: Der Hang fliesst sozusagen frei durch die Siedlung hindurch, und die Häuser verzahnen sich mit dem Grundstück. Trotz der hohen Zahl von Wohnungen (120) schaffen sie es mit einer geschickten Disposition in der Ebene und durch die Staffelung der Häuser in der Höhe, den notwendigen Abstand zwischen den Häusern, die Durchsichten, die Besonnung und die Aussicht auf den Bodensee zu gewährleisten.
Die acht Baukörper sind jeweils um ein gemeinsames Treppenhaus herum organisiert. Es ist nicht grosszügig, hat aber dennoch Grandezza: Weisser Marmor am Boden und die eleganten skulptural gestalteten Treppengeländer aus schwarzem Stahl machen diesen halböffentlichen Ort zu einem veritablen Entrée. Um diesen Kern herum sind jeweils die Nebenräume und Nasszellen der Wohnungen gelagert. Alle Zimmer liegen entlang der Fassade und haben französische Fenster auf die umlaufenden Balkone.
Der Ausbau ist einfach und funktional. Ein schönes Detail: In die Schicht mit den Nasszellen sind begehbare Schränke eingepasst. Die tragenden Böden und Decken liegen auf den Aussenwänden und auf dem Erschliessungskern auf, was erlaubt, die Wohnfläche ohne Probleme in ein Loft oder in eine Fünf-Zimmer-Wohnung einzuteilen. Man kann Zimmerwände einziehen oder weglassen, je nach Bedarf. Matte, geschosshohe Glasscheiben hüllen den Kubus wie eine zweite Haut ein. Sie schützen die grosszügige Balkonzone vor Wind, Wetter und Blicken. Durch die leichte Verschiebbarkeit der Gläser verändern die Bewohner das Bild der Gebäude ständig.
An den beiden Bebauungsstrategien - Zeilenbau und Punkthaus - ist eine generelle Entwicklung im Wohnungsbau abzulesen. Nicht ästhetische, sondern wirtschaftliche, energetische und soziale Gründe sprachen gegen die Vollendung der Ende der achtziger Jahre geplanten Kammstruktur. Heute sind möglichst kompakte und einfach strukturierte Bauten gefragt. Das wirkt sich in St. Gallen auch auf die Miete aus: Eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung mit 104 Quadratmetern beispielsweise kostet 1685 Franken pro Monat. Auch die Nebenkosten sind geringer, denn eine kompakte Gebäudehülle spart Energie: je weniger Aussenfläche, desto weniger Wärme verliert ein Haus. Punkthäuser sind zudem flexibler in der Grundrisseinteilung; Wohnbauten müssen heute bis zum letzten Augenblick auf Schwankungen des Marktes reagieren können. Gesellschaftliche Veränderungen sind am Achslengut insofern abzulesen, als gemeinsam genutzte Zonen minimiert werden: Auf öffentliche Laubengänge oder Gemeinschaftsräume wird zugunsten eines privaten Aussenraums verzichtet.
Denn es sind derzeit vor allem Wohnungen gefragt, die den Mieter den Traum des Eigenheims träumen lassen: Am besten, man merkt gar nicht, dass man das Haus mit anderen Menschen teilt.