Artikel

Eine Skyline wird überholt
Neue Zürcher Zeitung

Zum Stand der Wohnarchitektur in New York

Seit einigen Jahren errichten die Global Players der Architektenszene in Manhattan vermehrt Luxusresidenzen für eine markenbewusste Kundschaft. Ihre Bauten verwandeln die Skyline der Stadt.

7. April 2006 - Beat Aeberhard
Wohnen in New York bedeutet Verzicht. Die Wohnungen sind klein, oft dunkel und durchwegs überteuert. Und dennoch ist New Yorks Anziehungskraft in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Neben jungen, karriereorientierten Arbeitstätigen strömen zunehmend Reiche und Prominente nach Manhattan. Deren Bereitschaft, für das passende Objekt ihres Lieblingsarchitekten fast jeden Preis zu bezahlen, hat zu einem neuen Trend im boomenden Immobilienmarkt geführt. Die Namen berühmter Baukünstler gelten als Verkaufsargument, denn sie sind ein Mittel, um in der auf Statussymbolen fixierten Stadt Reichtum und Geschmack zu demonstrieren.

Himmelstürmend

Der Beginn der auf grosse Namen ausgerichteten Wohnimmobilien-Euphorie lässt sich datieren: 2002 baute Richard Meier zwei schlanke Glastürme im West Village, die lediglich durch den Westside Highway vom Hudson River getrennt sind. Mit ihren voll verglasten Hüllen setzen die 16-geschossigen Gebäude einen weithin sichtbaren Akzent im traditionell von niedrigen Backsteinbauten geprägten Quartier. Die Aufmerksamkeit war Meier gewiss: Denn laut Eigenwerbung konnte er in der von Bohémiens, Künstlern und Studenten bewohnten Gegend - sieht man wohlwollend von seiner missglückten Sozialsiedlung von 1973 in der Bronx ab - sein erstes Projekt in seiner Heimatstadt realisieren. Hier im West Village fanden Meiers luxuriöse Wohnungen reissenden Absatz. Der Einzug von Calvin Klein, Nicole Kidman und Martha Stewart, die sich die millionenteuren Lofts ergatterten, führte zum Bau eines dritten Turms. Das liess die New Yorker Immobilienmoguln aufhorchen. Ganz offensichtlich lassen sich architektonisch anspruchsvolle Bauten in Geld ummünzen, lautete die Botschaft.

Das haben auch ehrwürdige Institutionen wie die Cooper Union gemerkt. Seit den neunziger Jahren lässt sie für ihr Parkplatzareal am Astor Place zusammen mit unterschiedlichen Investoren immer neue Projekte ausarbeiten. Erst einen spektakulären Hotelentwurf (die «Käseraffel») von Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron, dann im Jahre 2000 einen nicht weniger exzentrischen Bau (das «Nachthemd») von Frank Gehry und weiter - unter dem Patronat von Robert de Niro - eine Bleibe für das Tribeca Film Festival und das International Center of Photography. Doch alles schien der Cooper Union finanziell zu risikoreich. Deshalb entsteht nun auf der dreieckigen Parzelle ein 21-geschossiger Wohnturm nach dem Entwurf von Charles Gwathmey.

Auf einem den Strassenraum klar begrenzenden Sockel aus Sandstein wird sich ein ondulierender, verspiegelter Hauptturm erheben, der von einem postmodernistischen, mit Sandstein und Lochfenstern gegliederten Kubus durchstossen wird. Die 39 Lofts werden eine Rundsicht auf die Hochhausgebirge von Manhattan bieten. Vom Grundriss her sind sie aber weder sehr praktisch noch innovativ, was offenbar die Käufer nicht abhielt. Bei Baubeginn im Oktober 2004 waren bereits 11 Wohnungen verkauft. Darüber hinaus hat der Turm mit seinem reichen Material- und Formenvokabular schon vor seiner Vollendung zur Revitalisierung der Gegend zwischen dem trendigen East Village und dem etwas in Vergessenheit geratenen SoHo beigetragen.

Condo Couture

Für Aufsehen dürfte auch der von Santiago Calatrava geplante Wolkenkratzer an der South Street sorgen. Zwölf übereinander gestapelte und leicht gegeneinander versetzte «Wohnhäuser» sollen sich direkt am East River zu einer Gesamthöhe von 254 Metern auftürmen. Die je viergeschossigen Kuben mit einer Kantenlänge von 14 Metern hängen - von Luftraum unterbrochen - am vertikalen Erschliessungskern. Das Projekt erinnert an die Visionen der japanischen Metabolisten, bei denen ganze Häuser Ästen gleich aus vertikalen Stützen wachsen sollten. Gewiss, Calatravas Entwurf ist eleganter. Die über der Stadt schwebenden «Townhouses in the Sky» verströmen durch ihre strukturelle Klarheit eine Aura poetischer Isolation. Noch wird nach den zwölf künftigen Besitzern, die für ein «Stadthaus» 30 Millionen Dollar hinzublättern haben, und nach einer passenden kulturellen Institution gesucht, die im Sockelbereich einziehen will. Der Baubeginn des Prestige-Towers ist für dieses Jahr geplant.

Calatrava scheint mit diesem Entwurf von seinem etwas abgegriffenen organischen Vokabular Abschied zu nehmen. Dank seiner Form, welche die Ingenieurtechnik metaphorisch inszeniert, hat der South Street Tower das Format, ein Wahrzeichen von Manhattan zu werden. Bereits mit den Zwillingstürmen des Time Warner Center am Columbus Circle, für die David Childs von SOM verantwortlich zeichnete, erhielt die Skyline einen neuen Akzent. Damit konnte David Childs sich und das traditionsreiche, aber kommerziell gewordene Büro SOM in Investorenkreisen beliebt machen. Sein geschicktes Lavieren zwischen kreativen Visionen und finanziellen Interessen vermag Childs immer wieder auszunutzen, wie etwa das Gerangel um den Wiederaufbau des World Trade Center zeigte, wo er vom Investor Larry Silverstein mit der Umsetzung des ursprünglich von Daniel Libeskind entwickelten Freedom Tower betraut wurde.

Narzissmus als Entwurfsstrategie

Anders als das boomende Geschäft mit Wohnungen steckt der Markt für Büroräume seit dem 11. September 2001 in der Krise. Mehr als 15 Prozent der Büroflächen in Downtown Manhattan stehen zurzeit leer. Sie werden nun vermehrt in luxuriöse Condominiums umgewandelt, womit das Zentrum der Hochfinanz sich allmählich in ein mondänes Wohnquartier verwandelt. Für diese Entwicklung steht beispielsweise das grossspurige Projekt «Downtown by Philippe Starck». An der Ecke von Broad und Wall Street wird derzeit nach den Plänen des umtriebigen Franzosen das 1913 in solider Neoklassik errichtete 42-stöckige Morgan Building für 135 Millionen Dollar in 326 Wohneinheiten mit gehobenem Ausbau umgestaltet - mit hausinternem Theater. Eine vorgelagerte Dachterrasse mit Swimmingpool bietet einen konkurrenzlosen Blick auf die gegenüberliegende New York Stock Exchange sowie die historische Federal Hall. Als Käufer angesprochen sind vor allem Vertreter des sogenannten Smart Tribe, der es laut Starck begriffen habe, dass sich sein Projekt durch «Ehrlichkeit, Respekt, Zärtlichkeit, Surrealismus und Poesie» auszeichne - alles Werte, welche für die Börse bedeutungslos seien. Doch wird sich weisen müssen, ob die Lage an einer prominenten und schwer bewachten Kreuzung der Vorstellung einer sinnlichen Wohnadresse entspricht.

Wohnungen bauen oder planen sie mittlerweile alle in New York: Jean Nouvel einen Wohn- und Geschäftsturm an der Mercer Street in SoHo, Herzog & de Meuron für Ian Schrager an der Bond Street in NoHo eine Anlage, die ein kleines Hotel und fünf Stadthäuser umfasst, Norman Foster an der Chambers Street einen 258 Einheiten enthaltenden Wohnkomplex, Arquitectonica ein 60-geschossiges Wohnhochhaus an der 42nd Street, Frank Gehry einen 75-stöckigen Turm mit 375 Wohnungen an der Beekman Street, Zaha Hadid ein Wohngebäude mit 6 Apartments an der Charles Street und John Pawson eine partielle Umgestaltung des altehrwürdigen Gramercy Park Hotel in Wohnungen. - Dass Wohnungen berühmter Architekten auf den Markt kommen, erstaunt eigentlich wenig. Warum sollen Menschen, die Markenmode tragen, nicht auch in einer Markenwohnung wohnen. Was hingegen nachdenklich stimmt, sind die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Dimensionen. Die Luxustürme von Calatrava und Gwathmey sind die neuen Herrenhäuser für eine globale Elite, deren Ressourcen schier unerschöpflich zu sein scheinen. Dass da auch grosse Architekten mitverdienen wollen, ist verständlich. Die Strategie der Investoren, diese zu verpflichten, beruht jedoch weniger auf ihrer plötzlich erwachten Liebe zur Baukunst als vielmehr auf knallhartem Kalkül. Die architektonische Einmaligkeit - das mussten schon die Prada-Architekten Koolhaas und Herzog & de Meuron erfahren - soll dabei nur die angepeilte Wertsteigerung garantieren.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: