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Baukulturelle Schnittstelle
20er - Die Tiroler Straßenzeitung
15. April 2005 - Nora G. Vorderwinkler
Mit den „Grands Ateliers de l’Isle d’Abeau“ in Villefontaine entstand nahe Lyon eine Institution, die europaweit einzigartig ist. Die – wörtlich übersetzt – „großen Werkstätten“ sind eine interdisziplinäre Bildungs- und Forschungsstätte, die zur praktischen und theoretischen Annäherung der Fachgebiete des Bauwesens geschaffen wurde. Durch die Wiedervereinigung der einst eng miteinander verknüpften Disziplinen Architektur, Kunst, Design und Ingenieurwesen wird hier der drohenden Isolation einzelner Fachbereiche entgegengesteuert. Ziel ist es, Nutzern und Studenten das Bauen in seiner Gesamtheit erfahrbar zu machen.

Die Gründung der „Grands Ateliers“ geht auf eine Initiative von elf Architektur- und Kunsthochschulen der Region Rhône-Alpes und dem französischen Bauforschungszentrum CSTB (Centre Scientifique et Technique du Bâtiment) im Jahr 1995 zurück. Die Architekten der Grands Ateliers, Florence Lipsky und Pascal Rollet, konzipierten den 2002 fertig gestellten Bau als „Arbeitswerkzeug“, das neben einer 2 300 m² großen, technisch hochgerüsteten Werkhalle und einer Freiluftwerkstatt auch Unterrichtsräume, Forschungslabors und großzügige Ausstellungsflächen im Innen- und im Außenbereich beherbergt.

Die Hauptaufgabe der Grands Ateliers, die didaktischen Vermittlung von fachübergreifenden Themen aus Architektur, Kunst und Ingenieurwesen, wird als Ergänzung zum konventionellen Unterricht an den Universitäten verstanden. Im Mittelpunkt steht dabei die Lehre und Erforschung von Baumaterialien und der Qualität von bewohnten Räumen. Neben den über 40 Unterrichtsmodulen, die hier von den einzelnen Partneruniversitäten angeboten werden, runden praktische Experimente in den Labors und Werkstätten den Lehrinhalt ab. Die Ergebnisse des „überdachten Werkunterrichts“ werden anschließend in Form von Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert. Die Betreiber der Grands Ateliers sind auch um die Bildung eines Netzwerkes von Forschern und professionellen Partnern aus der Bauwirtschaft bemüht. Zu diesem Zweck können sich Künstler, Wissenschaftler und Forscher – nach dem Prinzip des „Artist in Residence“ – temporär in den Ateliers niederlassen und die vorhandene Infrastruktur nutzen. Dank der Unterstützung namhafter Firmen aus der Baubranche können meist auch die benötigten Materialien zur Verfügung gestellt werden.

Die Idee, die Baukultur unter Berücksichtigung all ihrer Komponenten als Gesamtheit zu vermitteln, stößt in der Fachwelt wie auch in der Öffentlichkeit auf reges Interesse. Seit der Entstehung der Institution nutzen zahlreiche Universitäten aus ganz Europa das Angebot, darunter Finnland, Belgien, Italien, Irland und Liechtenstein. Es kann als Erfolg gewertet werden, dass es den Verantwortlichen in Villefontaine mit ihrem disziplinübergreifenden Ansatz gelang, eine Plattform für den grenzüberschreitenden Wissensaustausch zu schaffen.

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Für den Beitrag verantwortlich: 20er - Die Tiroler Straßenzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Steffen Arorasteffen.arora[at]zwanzger.at

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