Artikel
Bauen ohne Hürden
Wenn Lebenssituationen sich ändern, werden die eigenen Lebensbedingungen oft neu hinterfragt. Zwei hier vorgestellte Bauherren nahmen ihr Schicksal zum Anlass, sich mit einer neuen, entsprechenden Architektur zu umgeben.
15. März 2006 - Nora G. Vorderwinkler
Seit der Geburt ihrer körperlich schwer behinderten Tochter hatte Familie F. aus Oberösterreich sechs Jahre in einer Wohnung zugebracht, deren bauliche Gegebenheiten die Pflege und Betreuung des Kindes im Rollstuhl zunehmend erschwerten. Als endlich ein geeignetes Grundstück gefunden war, konnte die Familie ein detailliert durchdachtes Raumkonzept in Form eines eigenen Hauses umsetzen. Um ihrer heranwachsenden Tochter größtmögliche Selbstständigkeit zu ermöglichen, stand ein eigener Bereich für das Kind im Mittelpunkt. Zu einem späteren Zeitpunkt soll dieser in eine eigene Wohneinheit verwandelt werden. Als Leitlinien für die Planung bediente sich die beauftragte Architektin, Helga Flotzinger, der ÖNORM für „barrierefreies Bauen“. Diese beinhaltet Empfehlungen, die für die Errichtung öffentlicher Bauten seit 2003 bindend sind, im privaten Bereich jedoch nach Bedarf eingesetzt werden können. Im Haus F. bezogen sich die Maßnahmen auf eine großzügige Ausgestaltung von Gängen und einer rollstuhlgerechten Durchgangsbreite der Türen. Anstelle von Türgriffen wurden automatische Bodenleisten eingebaut, alle Lichtschalter können bequem vom Rollstuhl aus bedient werden. Wie in allen anderen Bereichen ist auch im Badezimmer das Mobiliar höhenverstellbar. Im Herzen des Hauses befindet sich ein Schwimmbad mit integriertem Therapiebecken. Selbst die Freibereiche sind barrierefrei gestaltet: auf eigens angelegten Wegen kann die Tochter ungehindert den Garten erkunden. „Seit dem Bezug des Hauses hat die Tochter einen extremen Entwicklungsschub gemacht“, freut sich die Architektin, und fügt hinzu: „Wenn bauliche Möglichkeiten vorgegeben werden, reagieren die Betroffenen extrem positiv darauf. Der therapeutische Effekt zieht wiederum eine große Entlastung für die pflegenden Eltern nach sich.“ Eine architektonische Anpassung an neue Lebensumstände vollzog auch Familie D. in Vorarlberg. Noch während deren Sohn sich infolge eines schweren Autounfalls in einem Rehabilitationszentrum an das Leben im Rollstuhl gewöhnen musste, wurden auf dem elterlichen Grundstück in Wolfurt bauliche Maßnahmen in Angriff genommen. Das Architektenduo archetypen (Thomas Burtscher und Wolfram Knall) gestaltete für den 24-Jährigen eine autarke Wohneinheit mit direkter Anbindung an das Elternhaus. Obgleich die Architekten der bereits erwähnten ÖNORM einige Hinweise zur barrierefreien Planung entnehmen konnten, mussten doch zahlreiche rollstuhlgerechte Details gemeinsam mit dem Betroffenen erst erarbeitet werden. So wurden etwa die Höhe der Arbeitsflächen, die Schranktiefe und der erforderliche Raum für unterfahrbare Küchenmöbel eigens vermessen und entsprechend der Bedürfnisse des Nutzers umgesetzt. Da die handelsüblichen Behindertengriffe meist teuer und wenig attraktiv sind, entwickelten die Architekten eigene Möbel- und Türbeschläge aus Flachstahl. Damit gelang ihnen bis ins Detail, Praktisches mit Ästhetischem zu verbinden.
Für den Beitrag verantwortlich: 20er - Die Tiroler Straßenzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Steffen Arora