Artikel

Im Segelflug über Wien
Der Standard

In exquisiter Wiener Innenstadtlage schwebt der dreiseitig verglaste Querriegel über dem Gründerzeithaus. Darin findet eine ökobewusste Familie mit fünf Kindern luftigen Platz auf drei Etagen, die ein Hightech-Energiekonzept vor sommerlichem Hitzekoller schützt.

26. Mai 2006 - Isabella Marboe
Der Luftraum über der Innenstadt ist der feinst gesponnene Stoff für Dachausbauträume, die exquisite Höhenschicht über der Wollzeile 16 ein klarer Fall für den Gestaltungsbeirat. Direkt in der Einflugschneise der Sichtachsen zum Stephansdom erstreckt sich das 1902 erbaute Haus bis zur Schulerstraße. Die Bauherren haben fünf Kinder, stets Gäste und ein starkes Ökologiebewusstsein. Sie wollten den Altbau energetisch sanieren, für Büros nutzen, selbst aber modern und offen wohnen. Drei neue Dachgeschoße waren möglich, das unterste sollte für die Kinder flexibel in bis zu vier Einheiten teilbar und später zu vermieten sein, darüber wollte das Elternpaar an viel Panorama leben.

Architekt Georg Reinberg vermutete zwischen Wienfluss und Donaukanal viel Grundwasser und fand so zum hocheffizienten Energiekonzept: Im Keller wurden ein Schluck- und ein Entnahmebrunnen gebohrt. Sie bilden den Energiekreislauf für alle Bürokühldecken und den bauteilaktivierten Dachaufbau, der auch die Abluft zur Energiegewinnung nutzt. Bei drohender Überhitzung kühlt das Brunnenwasser über einen Wärmetauscher das Gebäude, im Winter heizt es die Räume per Wärmepumpe. Mit seinen armaturbestückten Rohren wirkt der Keller wie die Schaltzentrale eines Mini-Kraftwerks.

Die Wollzeilenfassade ist klassisch komponiert: zwei Ladengeschoße unter der dreistöckig ruhigen Mitte, deren abschließende Ziergirlanden zum risalitgekrönten Traufgeschoß überleiten. Eine später eingezogene Zwischenebene hatte das ursprünglich im Erdgeschoß durchgängige Stiegenhaus geschlossen, nun kann man auf offenem Flur neben der Treppe wieder zur Schulerstraße durchgehen.

Lauschige Pawlatsche

Durch den Innenhof fällt Licht in die Traktmitte, wo sich die neue Wohnebene der Kinder mit zwei Balkonen ins Freie weitet. Über den Hof mit der lauschigen Pawlatsche hinweg kommunizieren die zwei Haushälften miteinander, der Straße zeigen sie raumhohe Glasflächen zwischen Stahlstützen, deren Neigung sich Nachbardächern anpasst.

Über der Kinderebene das Loft, dezent lugt seine Schmalseite über Wollzeile und Schulerstraße, um sich als schwebender Längsriegel über die Trakttiefe zu legen und so hoch über den Dächern die Flucht der Grünangergasse wieder aufzunehmen. Vorm betonkernaktivierten südöstlichen Wandrückgrat am Treppenaufgang scheint der dreiseitig verglaste Einraum leicht wie ein Segelflieger dem greifbar nahen Stephansdom entgegenzugleiten.

Die weiß verputzte Längsscheibe bildet mit ihren Nischen für Bad, Sanitäreinheit, Vorraum, Küche gleichsam das Infrastruktur-Panel des Wohnens, vor dem sich an ein paar Stützen der pure Luxus von fließendem Raum am fulminanten Rundumblick über die Innenstadt entfaltet, mit zwei Terrassen ins Freie weitet und so großzügig Abstand zum Nachbarn wahrt.

Chill-out auf dem Dach

Betonkernaktivierung und Grundwasserkühlung, außen liegender Sonnenschutz, Dreifach-Isolierglas, nächtliche Durchlüftung, große Speichermassen u. Ä. bieten transparente Weite ohne Hitzekoller. In der cockpitartig darüber gesetzten Chill-out-Zone mit Podest steigert sich die Hochcitylage zum Fluggefühl: Über verwinkelte Gassen, Kuppeln und verborgene Oasen auf den Dächern Wiens sieht man bis zum Schneeberg.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: