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Blick vorwärts, Blick rückwärts
Ein Architektursommer in Dresden
Als Begleitung zum Achthundertjahrjubiläum Dresdens, das in diesem Jahr gefeiert wird, findet hier zum zweiten Mal ein Architektursommer statt. Mehr als 150 Ausstellungen und andere Veranstaltungen und Foren vermitteln dabei Einblicke in das gegenwärtige Baugeschehen der Stadt sowie in die Geschichte der Dresdner Architektur des 20. Jahrhunderts.
20. Juni 2006 - Ursula Seibold-Bultmann
Dresden steht im Ruf einer konservativen Architekturstadt. Und das nicht erst, seit die kriegszerstörte Barockbebauung des Neumarkts um die Frauenkirche rekonstruiert wird: Schon die Betriebszentrale des Konsumvereins «Vorwärts», die der Architekt Kurt Bärbig 1927-30 in der Fabrikstrasse errichtete, stand mit ihrer modernen Formensprache im örtlichen Baugeschehen fast einzig da. Dem Image des Rückwärtsgewandten setzen die zwölf jungen Architekten und Designer, die den jetzigen Architektursommer organisiert haben, ein breites Diskussionsfeld mit zahlreichen Ortsterminen entgegen.
Kristallformen
Man braucht Kondition, um manche der Angebote wahrzunehmen. So rotieren zum Beispiel die thematischen Teilabschnitte der vom Denkmalamt erarbeiteten und in ihren zentralen Bereichen im Kulturrathaus gezeigten Ausstellung zur Dresdner Architektur zwischen 1900 und 1970 in monatlichem Wechsel bis Ende September zwischen sechs weit auseinander liegenden Schauplätzen im Stadtgebiet - mit dem Effekt, dass man auf dem Weg von Ort zu Ort die enormen Brüche in Dresdens urbanem Gefüge unmittelbar erlebt. Einige der Gebäude, in denen die Schautafeln der Ausstellung Station machen, lohnen auch für sich den Besuch - so etwa der UFA-Kristallpalast in der St. Petersburger Strasse, ein 1997 von dem Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au errichteter dekonstruktivistischer Kinokomplex mit kristallin umhülltem Foyer und spitzer Betonnase. Er erscheint derzeit in neuem Licht, weil er sich formal mit dem im Bau befindlichen Erweiterungstrakt des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr von Daniel Libeskind berührt.
Dieses Projekt, das bis 2008 realisiert sein soll, wird bis zum 25. Juni in einer technisch unbefriedigenden Ausstellung ohne Begleitpublikation in provisorischen Räumen hinter dem Bauplatz vorgestellt. Beim Altbau des Museums handelt es sich um das einstige Arsenalhauptgebäude der Albertstadt, Deutschlands um 1880 modernste Militärstadtanlage. Libeskinds Eingriff ist von plakativer Symbolkraft: Aus dem langgezogenen Neorenaissance-Riegel von 1875 will er asymmetrisch hinter dem Mittelrisaliten einen hohen, keilförmigen Baukörper hervorragen lassen, der an einen überdimensionalen Geschosssplitter ebenso erinnert wie an den Bug eines auf ein Riff gelaufenen Kriegsschiffs. Von der gläsernen, durch Screen-Elemente aus Aluminium verschatteten Keilspitze soll sich ein Blick zurück auf die im Krieg tödlich getroffene Innenstadt öffnen.
Maske und Gesicht
Die städtebauliche Schmerzzone, die aus den Zerstörungen von 1945 und den nachfolgenden Abrissen resultiert, wird im Architektursommer durch verschiedene Führungen thematisiert - so etwa zur Situation am Neumarkt, wo als Kulisse um die wiederhergestellte Frauenkirche die Rekonstruktionen der barocken Bürgerhäuser inzwischen weit fortgeschritten sind. Derzeit zeigen bedruckte Planen vor den Baugerüsten, wo den Betonrohbauten als Maske eine Nachbildung der alten Fassade vorgesetzt wird und wo Häuser mit angepasster Kubatur und Dachform ein gemässigt modernes Gesicht erhalten.
Bei den Zeugnissen der Nachkriegsmoderne stellen sich ganz andere Probleme. Weder der Kulturpalast von 1962-69 noch die Prager Strasse, die ab 1963 als Fussgänger-Magistrale zwischen Hauptbahnhof und Altstadt nach dem Vorbild der Lijnbaan im ebenfalls kriegszerstörten Rotterdam errichtet wurde, stehen bis heute unter Denkmalschutz. Zwar soll der Kulturpalast entgegen früheren Plänen nun doch erhalten und der gewaltige Wohnriegel der Prager Strasse saniert werden; aber ob dem Warenhaus Centrum der Architekten Ferenc Simon und Ivan Fokvari (1973-78), dessen Wabenfassade das Nordende des Boulevards prägt, ein Total- oder nur ein Teilabriss bevorsteht, wird gegenwärtig gerade erst entschieden. Durch Um- und Neubauten hat die Prager Strasse in letzter Zeit bereits viel von ihrem originalen Charakter verloren.
Proportionsfragen
Am Südende der Prager Strasse, direkt gegenüber dem Hauptbahnhof, ist inzwischen der städtebauliche Entwurf der Kölner Architekten Mronz und Kottmaier von 1993, der eine Reihe von fünf nebeneinander gesetzten Wohnhaus- Kuben vorsah, verunklärt worden. In Anlehnung an das Kugelhaus, das 1928 in Dresden bei der Schau «Die technische Stadt» zu bestaunen war, hat der Architekt Siegbert Langner von Hatzfeld zwei dieser Kuben als Geschäftsbauten realisiert und mit einem Treppenhaus zusammengefasst, das eine Kugelform antäuscht. Zu den Proportionen des gegenüberliegenden tortenstückförmigen, soeben eröffneten Geschäftshauses «Prager Spitze» sowie zur räumlichen Wucht der Nachkriegsmoderne in der Prager Strasse ergibt sich ein ungewollt skurriler Bezug.
Aber der Architektursommer zeigt auch Wege zur geklärten Form. So haben Thomas Müller und Ivan Reimann - die Architekten des neuen Flügels am Auswärtigen Amt in Berlin - mit dem sogenannten Lukasareal an der Reichenbachstrasse südlich des Hauptbahnhofs 2004 ein gestalterisch stringentes und ohne öde Nebenwirkungen beruhigtes Wohnquartier realisiert, das von den Zürcher Landschaftsarchitekten Kienast Vogt & Partner mit Witz und Poesie begrünt worden ist. Man sieht: Ein Sommertag in Dresden braucht sich nicht unbedingt barock zu gestalten.
Kristallformen
Man braucht Kondition, um manche der Angebote wahrzunehmen. So rotieren zum Beispiel die thematischen Teilabschnitte der vom Denkmalamt erarbeiteten und in ihren zentralen Bereichen im Kulturrathaus gezeigten Ausstellung zur Dresdner Architektur zwischen 1900 und 1970 in monatlichem Wechsel bis Ende September zwischen sechs weit auseinander liegenden Schauplätzen im Stadtgebiet - mit dem Effekt, dass man auf dem Weg von Ort zu Ort die enormen Brüche in Dresdens urbanem Gefüge unmittelbar erlebt. Einige der Gebäude, in denen die Schautafeln der Ausstellung Station machen, lohnen auch für sich den Besuch - so etwa der UFA-Kristallpalast in der St. Petersburger Strasse, ein 1997 von dem Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au errichteter dekonstruktivistischer Kinokomplex mit kristallin umhülltem Foyer und spitzer Betonnase. Er erscheint derzeit in neuem Licht, weil er sich formal mit dem im Bau befindlichen Erweiterungstrakt des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr von Daniel Libeskind berührt.
Dieses Projekt, das bis 2008 realisiert sein soll, wird bis zum 25. Juni in einer technisch unbefriedigenden Ausstellung ohne Begleitpublikation in provisorischen Räumen hinter dem Bauplatz vorgestellt. Beim Altbau des Museums handelt es sich um das einstige Arsenalhauptgebäude der Albertstadt, Deutschlands um 1880 modernste Militärstadtanlage. Libeskinds Eingriff ist von plakativer Symbolkraft: Aus dem langgezogenen Neorenaissance-Riegel von 1875 will er asymmetrisch hinter dem Mittelrisaliten einen hohen, keilförmigen Baukörper hervorragen lassen, der an einen überdimensionalen Geschosssplitter ebenso erinnert wie an den Bug eines auf ein Riff gelaufenen Kriegsschiffs. Von der gläsernen, durch Screen-Elemente aus Aluminium verschatteten Keilspitze soll sich ein Blick zurück auf die im Krieg tödlich getroffene Innenstadt öffnen.
Maske und Gesicht
Die städtebauliche Schmerzzone, die aus den Zerstörungen von 1945 und den nachfolgenden Abrissen resultiert, wird im Architektursommer durch verschiedene Führungen thematisiert - so etwa zur Situation am Neumarkt, wo als Kulisse um die wiederhergestellte Frauenkirche die Rekonstruktionen der barocken Bürgerhäuser inzwischen weit fortgeschritten sind. Derzeit zeigen bedruckte Planen vor den Baugerüsten, wo den Betonrohbauten als Maske eine Nachbildung der alten Fassade vorgesetzt wird und wo Häuser mit angepasster Kubatur und Dachform ein gemässigt modernes Gesicht erhalten.
Bei den Zeugnissen der Nachkriegsmoderne stellen sich ganz andere Probleme. Weder der Kulturpalast von 1962-69 noch die Prager Strasse, die ab 1963 als Fussgänger-Magistrale zwischen Hauptbahnhof und Altstadt nach dem Vorbild der Lijnbaan im ebenfalls kriegszerstörten Rotterdam errichtet wurde, stehen bis heute unter Denkmalschutz. Zwar soll der Kulturpalast entgegen früheren Plänen nun doch erhalten und der gewaltige Wohnriegel der Prager Strasse saniert werden; aber ob dem Warenhaus Centrum der Architekten Ferenc Simon und Ivan Fokvari (1973-78), dessen Wabenfassade das Nordende des Boulevards prägt, ein Total- oder nur ein Teilabriss bevorsteht, wird gegenwärtig gerade erst entschieden. Durch Um- und Neubauten hat die Prager Strasse in letzter Zeit bereits viel von ihrem originalen Charakter verloren.
Proportionsfragen
Am Südende der Prager Strasse, direkt gegenüber dem Hauptbahnhof, ist inzwischen der städtebauliche Entwurf der Kölner Architekten Mronz und Kottmaier von 1993, der eine Reihe von fünf nebeneinander gesetzten Wohnhaus- Kuben vorsah, verunklärt worden. In Anlehnung an das Kugelhaus, das 1928 in Dresden bei der Schau «Die technische Stadt» zu bestaunen war, hat der Architekt Siegbert Langner von Hatzfeld zwei dieser Kuben als Geschäftsbauten realisiert und mit einem Treppenhaus zusammengefasst, das eine Kugelform antäuscht. Zu den Proportionen des gegenüberliegenden tortenstückförmigen, soeben eröffneten Geschäftshauses «Prager Spitze» sowie zur räumlichen Wucht der Nachkriegsmoderne in der Prager Strasse ergibt sich ein ungewollt skurriler Bezug.
Aber der Architektursommer zeigt auch Wege zur geklärten Form. So haben Thomas Müller und Ivan Reimann - die Architekten des neuen Flügels am Auswärtigen Amt in Berlin - mit dem sogenannten Lukasareal an der Reichenbachstrasse südlich des Hauptbahnhofs 2004 ein gestalterisch stringentes und ohne öde Nebenwirkungen beruhigtes Wohnquartier realisiert, das von den Zürcher Landschaftsarchitekten Kienast Vogt & Partner mit Witz und Poesie begrünt worden ist. Man sieht: Ein Sommertag in Dresden braucht sich nicht unbedingt barock zu gestalten.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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