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Künstliche Hügel und Inseln
Neue Zürcher Zeitung

Toyo Itos Parkgestaltung auf «Island City» bei Fukuoka

Der japanische Architekt Toyo Ito strebt in seinen jüngsten Projekten nach einer stärkeren Verbindung zwischen Mensch und Natur. Dies gilt ganz besonders für die Parkgestaltung auf «Island City», einer neu aufgeschütteten Insel in der Bucht von Fukuoka.

7. Juli 2006 - Marco Rossi
Der Begriff «Natur» ist im Japanischen vergleichsweise jung. Feuer, Erde, Wasser oder Pflanzen werden schon lange mit zahlreichen Schriftzeichen beschrieben. Doch die abstraktere Vorstellung von «Natur» wurde erst während der Meiji-Zeit (1868-1912) aus dem Westen übernommen. Für Natur wurde um 1880 mit «shizen» ein im Japanischen bekanntes Wort gewählt, das sich mit «so wie es ist» übersetzen lässt. Akira Yanabu meint in seinem Buch «Modernisierung der Sprache», das auch auf Deutsch vorliegt: «In seiner herkömmlichen Bedeutung stellt ‹shizen› eine Welt dar, in der der Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben ist.»

Inszenierte Natur

Heute weist das Neben- oder Miteinander von Mensch und Natur in Japan - wie in anderen Ländern auch - verschiedenste Facetten auf. Neben dem Buddhismus ist der Shintoismus, ein polytheistischer Natur- und Ahnenkult, im Alltag noch immer gegenwärtig. Dem Shintoismus gemäss können Götter und Geister überall sein: in Bäumen, Lebewesen oder in der Erde. Trotz gesellschaftlichem Wandel werden sie weiterhin in überlieferten Riten verehrt. In den Metropolen verweisen Namen von Stadtteilen oft auf einstige Felder oder Bäume.

Heute stehen an deren Stelle kompakte Konglomerate von Gebäuden. Zwischen diesen Bauten finden sich aber mitunter raffiniert inszenierte Gärten auf kleinstem Raum. Im Gegensatz zu diesen künstlichen Naturräumen trifft man ausserhalb der Städte inmitten sanfter Hügel- und Insellandschaften immer wieder auf überdimensionierte Strassen- und Infrastrukturbauten. Doch allmählich wächst bei der japanischen Bevölkerung und bei den Politikern wieder ein ökologisches Bewusstsein.

Die grossen japanischen Städte dehnen sich - mit Ausnahme von Kyoto - in den Ebenen entlang des Meeres aus. Die Küstenlinien wurden dort über Jahrhunderte den Bedürfnissen der Menschen angepasst. Mit Landaufschüttungen schuf man immer wieder neuen Raum für die beengten Städte. In diesem Kontext sind auch die von Kenzo Tange, Kisho Kikutake oder Kisho Kurokawa in den sechziger Jahren vorgeschlagenen Stadterweiterungen in Form von ins Meer ausgreifenden Metastrukturen zu verstehen. Die in den vergangenen Jahrzehnten von Menschenhand geschaffenen Inseln brachten Landgewinne, waren aber mit immensem Aufwand verbunden. Auf ihnen sind Lager- und Industriezonen oder Freizeit- und Einkaufszentren wie auf der noch immer halb unbebauten Insel Odayba vor Tokio sowie grosse Flughäfen wie vor Osaka und Nagoya entstanden.

Teiche und Follies

Mit der Aufschüttung von «Island City» bei Fukuoka wurde 1994 begonnen. Die 400 Hektaren grosse Anlage, von der heute erst etwa die Hälfte existiert, wird vom Staat, von der Stadt Fukuoka und privaten Bauträgern finanziert. Bereits ist eine moderne Hafenanlage in Betrieb, von der schnelle Transportschiffe nur noch 27 Stunden bis nach Schanghai benötigen. Im mittleren Bereich der Insel befindet sich ein von Toyo Ito und dem Sogho Design Laboratory konzipierter Park. Sonst ist «Island City» bis auf wenige mittelmässige Wohnhäuser noch weitgehend unbebaut. In den kommenden Jahren sollen Industrie-, Geschäfts- sowie Wohnbauten entstehen und ab 2009 eine Bahnlinie die Insel besser erschliessen.

Zu einer Attraktion von «Island City» dürfte Itos Parklandschaft werden. Erstmals zu besuchen war sie im vergangenen Herbst während einer «urban greenery fair». In diesem Frühjahr wurde sie nun offiziell eröffnet. Um einen nierenförmigen Teich breiten sich wie Wasserringe künstliche Hügel und Mulden aus. Follies genannte Pavillons sind frei über den Park verteilt, weitere sollen in Workshops von jungen Architekten und Künstlern zusammen mit Toyo Ito entwickelt werden.

Auffallendstes bauliches Element in Itos Parklandschaft ist ein Gebäude, das sich in der Form dreier Hügel von der Insel abhebt. Geschwungene Schalenformen aus armiertem Beton definieren ein Raumkontinuum, bei dem Inneres und Äusseres wechselweise ineinander übergehen. Es sind offene Schalenformen, die an jene von Eero Saarinens TWA Terminal in New York und Heinz Islers Tankstelle in Deitingen erinnern. Auf diese beiden Bauten bezieht sich denn auch der am Bau beteiligte Ingenieur Mutsuro Sasaki, der mit Ito schon die international vielbeachtete Mediathek in Sendai realisierte. Jüngst entwickelte Sasaki eine Methode für Bauten mit geschwungenen Formen. Eine erste formale Idee der Architekten wird dabei am Computer stufenweise ganz minim verändert und so deren Kräftefluss und Form optimiert. Auf diese Weise können die meisten Kräfte in Längsrichtung der Betonschalen abgetragen werden, fast wie bei einem römischen Mauerwerksbogen. Nur so ist es - wie bei Itos Neubau im Park von «Island City» - möglich, bis zu 50 Meter stützenfrei zu überspannen. Das Projekt von Ito bildet gleichsam eine Vorstufe für jenes von Sejima & Nishizawa vom Büro Sanaa für das «Learning Center» der ETH Lausanne, das nach der gleichen Methode entwickelt wurde.

Die Betonschalen sind mit einer dünnen Erdschicht sowie mit Pflanzen bedeckt und werden auf diese Weise in die Landschaft eingebunden. Über grossflächig verglaste Öffnungen in den oberen Bereichen der «Hügel» fällt Tageslicht in die Räume darunter, wo sich drei Gewächshäuser befinden. Im Gegensatz zu den frei fliessenden Formen der Hülle wirken diese Glasabtrennungen sehr technisch. Schmale Stege winden sich in Kurvenformen durch die Gewächshäuser und nach draussen über das Gebäude. Es ergeben sich abwechslungsreiche Wegabfolgen, die plötzlich den Blick aufs Meer freigeben. Trotz diesen fliessenden Formen entsteht insgesamt der Eindruck, dass bei diesem Bau verschiedenste bauliche Idiome etwas hart aufeinander treffen.

Mit Sand und Kies aus Fukuokas Flüssen und Baustellen wurde die Insel aufgeschüttet. Darüber sind Landschaften mit geometrisch kontrollierten Konturen entstanden. Das Architektenteam um Toyo Ito schuf einen Aussenraum, der in seiner Künstlichkeit mit alten Themen der japanischen Gartengestaltung spielt. So faszinierend die freien Formen der von Pflanzen bewachsenen Betonschalen auch das Bild von Hügeln erwecken, so bleibt doch ein zögernder Vorbehalt. Wenn Ito wiederholt betonte, mit seiner Architektur nach einer verstärkten Nähe von Mensch und Natur zu suchen, kann diese künstliche Insel der passende Ort dazu sein?

Instabiler Grund

Das Verhältnis zum gewachsenen Terrain ist in Japan zwiespältiger als in Westeuropa, wo der Boden mit Stabilität und Festigkeit assoziiert wird. In dem oft von Beben heimgesuchten Inselreich werden die im Erdinneren wirkenden Kräfte immer wieder am eigenen Leib erfahren. Die Bauwerke müssen neben den Erdbeben aber auch den herbstlichen Taifunen standhalten. Leichte Holzkonstruktionen schienen dafür lange am besten geeignet. Heute werden deren statische Prinzipien in die Stahlbauten übertragen, aber auch mit Beton hat man gute Erfahrungen gemacht. Technisch gute Bauten wie jene von Ito und Sasaki können den im Erdinnern wirkenden Kräften und Verwerfungen meist trotzen. Interessant ist dabei, dass sich in Fukuoka die Betonschalen wie eine dünne Kruste vom instabilen Untergrund lösen. Der zweite, künstliche Boden wird zur in sich verdrehten Decke. Auf diese Weise haben Ito und Sasaki eine Hügellandschaft gebaut, die es in der Natur nicht gibt: von komplexer Geometrie, stabil und lichtdurchflutet.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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