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Platz für Picasso & Co
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Eine hierzulande noch kaum genutzte Möglichkeit, mehr Raum für ein Museum zu gewinnen: Die Mäzene Jeanne und Donald Kahn sponsern den Ausbau der Wiener Albertina.

17. September 2006 - Walter Zschokke
Das Mitte 18. Jahrhundert als Palais Tarouca erbaute, zur Empirezeit erweiterte und von Josef Kornhäusel 1822 bis 1824 mit mehreren prächtigen Innenräumen ausgestattete Bauwerk hoch auf der Augustinerbastei enthält eine der drei größten grafischen Sammlungen der Erde: die Albertina. Nachdem vor wenigen Monaten die Musiksammlung der Nationalbibliothek in das erneuerte Palais Mollard an der Herrengasse neun übersiedelte, wurden im vierten Obergeschoß Räume frei. Die Chance, die Ausstellungsflächen im dritten Obergeschoß (1000 Quadratmeter, damals mitgesponsert von der „Propter Homines Stiftung“, Vaduz, und nach ihr benannt) im Geschoß darüber um 700 Quadratmeter zu erweitern, wollte sich der Direktor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder, nicht entgehen lassen. Denn sein Konzept, neben Grafikwerken aus der eigenen Sammlung auch thematisch verwandte Ölbilder internationaler Leihgeber zu zeigen und damit ein breiteres Publikum anzusprechen, erforderte mehr Raum.

Da ohne öffentliche Mittel umgebaut werden sollte, galt es, einen Sponsor zu finden. Der Amerikaner Donald Kahn, der in Österreich beträchtliche Summen für die Salzburger Festspiele bereitstellte und in den USA sowie in Großbritannien mehrere Museen unterstützt, ließ sich über das Entwicklungspotenzial informieren und ermöglichte den Umbau mit einer siebenstelligen Summe. Dieses in den USA verbreitete Mäzenatentum ist in Europa noch wenig üblich. Voraussetzung sind allerdings ein guter Name und attraktive Perspektiven der unterstützten Institution. Kleinere und bloß regional bedeutsame Häuser haben meist das Nachsehen. Doch wäre es einfältig, der Albertina ihren internationalen Rang vorzuwerfen, lassen sich doch in ihrem Strahlungsfeld auch die Marktchancen anderer verbessern.

Zum Dank an die Sponsoren erhalten die neuen Räumlichkeiten deren Namen: „Jeanne & Donald Kahn Galleries“. Die neuen Ausstellungsräume können separat oder gemeinsam mit der Propter Homines Ausstellungshalle bespielt werden. Eröffnet werden sie mit einer breiten Darstellung des Spätwerks von Pablo Picasso.

Abgesehen von zeitgemäßer Technik für ein stabiles Klima, ultraviolettfreier Beleuchtung und Sicherheitseinrichtungen nach neuesten Standards, ohne die heute weder die Kunstwerke aus der Sammlung noch hochwertige Leihgaben gezeigt werden könnten, sind die Konfiguration und die innenräumliche Gestaltung der Ausstellungssäle interessant. Zuerst galt es allerdings, einige statisch wenig wirksame, aber die Raumhöhe einschränkende Verstärkungen des alten Holzdachstuhls konstruktiv zu ersetzen sowie zur Erhöhung der Erdbebensicherheit eine geschoßhohe Stahlkonstruktion einzuziehen, die als Raumtrennung mit mittigem Durchgang statisch wie eine Scheibe wirkt und auch einen Teil der Dachlasten abfängt.

Die von der Sphinxstiege her - oder mit dem zentralen Aufzug - zugänglichen Ausstellungssäle sind bezüglich ihrer Oberflächen gleich gestaltet wie jene der Propter Homines Ausstellungshalle darunter: geöltes Eichenparkett, glatte Wände, deren Farbe der Ausstellungsdramaturgie entsprechend und sogar Bezug nehmend auf einzelne Bilder bestimmt und jeweils neu aufgebracht wird. Die Decke ist hell, an den auf die Wände gerichteten Leuchtbändern fehlen auf den Baustellenfotografien noch die Abdeckungen. Was man aber darauf gut erkennen kann, ist das Konzept des selber gestaltenden Direktors, in den mehrheitlich schmallangen Räumen durch „points de vue“, sowohl im Raum selbst als auch beim Übergang zum nächsten Saal, die Möglichkeit zur Platzierung starker Bilder zu schaffen, die als Blickfang dienen, thematisch durch die Ausstellung leiten und die Besuchenden in den nächsten Raum ziehen. Daher wurden gerade Raumfluchten vermieden oder beispielsweise in den Raum hineingreifende Flügelwände eingebaut, die ihn zonieren, aber den Raumfluss nicht hemmen.

Die als Glanzlichter der Ausstellungsdramaturgie eingesetzten Bilder lassen sich auf diese Weise noch besser zur Geltung bringen. Wie man diese Möglichkeiten nützt, ob ein- oder mehrdeutig, ist einer Frage des jeweiligen Ausstellungskonzepts. Die Räume als solche bieten vor allem verschiedene Kategorien von Hintergründen.

Da wegen der konservatorisch empfindlichen Grafiken alle fünf Säle ausschließlich mit Kunstlicht beleuchtet sind, obwohl sich hinter manchen Wänden Fenster befinden, gibt es keine Ausblicke in die Stadt. Zur Kompensation bietet sich in einem Nebenbereich nahe dem Aufzug eine Pausenzone an mit Fensterblick in den glasüberdeckten Albertinahof.

An der Nordost- und der Südostseite des vierten Geschoßes entstehen die neuen Büros der Kustoden. Damit wird im neuen Studiengebäude hinter der Augustinerbastei Raum frei für den dringend benötigten externen Studiensaal. Wir verlassen daher die gleißende Oberfläche der Albertina, die ihrem Ruf, der internationalen Bedeutung gemäß, öffentlich gerecht werden muss, und begeben uns in die tiefsten Tiefen der Augustinerbastei, vor das weltweit erste vollautomatische Hochregallager für grafische Kunstwerke. Hier ruht seit Anfang Jänner dieses Jahres das kulturelle Kapital des Hauses: die Sammlung mit zirka 1,5 Millionen grafischen Kunstwerken. Vollklimatisiert, staubfrei, nicht zugänglich für Menschen, es sei denn zu Revisionszwecken der Anlage, ausgerüstet mit einer Intergen-Löschgasanlage. Volldigitalisiert kann jeder Kupferstich, jede Zeichnung, die sich jeweils mit anderen in Schachteln aus säurefreiem Karton befinden, in maximal 58 Sekunden in den Kommissionierungsraum geholt werden. Bestellungen von Forschenden werden vorbereitet, aber eine Nachbestellung aus dem Studiensaal ist innerhalb von Minuten erledigt. Mit fortlaufender Digitalisierung können immer mehr Werke an hochwertigen Bildschirmen betrachtet werden, sodass sie nicht in jedem Fall behoben werden müssen. Damit ist für die interne Arbeit und die internationale und universitäre Forschung eine neue Ära angebrochen, die wegweisend ist und auch auf diesem Gebiet einen nachhaltigen Schub auslösen wird. Bloß von außen ist davon nichts zu erkennen.

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