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Der Kurator Hans Hollein rückt den Architekten Hans Hollein in den Mittelpunkt einer Aus-stellung für China. Und bedenkt auch seinen Kollegen Wolf Prix, der wiederum bei seinem Architekturbiennale-Beitrag Hans Hollein nicht vergisst. Über das Österreichische in der österreichischen Architektur.

29. Oktober 2006 - Maria Welzig
Architekturproduktion und -aus bildung sind seit den Neunziger jahren zweifelsfrei internationalisiert. Gleichwohl gibt es seit geraumer Zeit auch in der Architektur eine Rückkehr zur Betonung nationaler „Marken“, trotz einer EU-weiten Öffnung des Architekturmarktes. Ein nationales „branding“ ist insofern sinnvoll, als politische Rahmenbedingungen und politisches Interesse ausschlaggebend sind für den Stand der Baukultur; auch hat eine gemeinsame Vermarktungspolitik für den wirtschaftlich höchst unzuverlässigen Berufsstand Sinn.

So haben sich im globalen Wettbewerb nationale Architektur-Labels erfolgreich etabliert: Holland, die Schweiz, Spanien, Frankreich. Auch agieren die dortigen - international agierenden - Architekturvorreiter durchaus selbstbewusst „national“.

Es ist also zu begrüßen, wenn nun auch das offizielle Österreich seine zeitgenössische Architektur propagiert. Dies geschieht zur Zeit mit zwei repräsentativen internationalen Ausstellungen, beauftragt und weitgehend finanziert von der zuständigen Kunstsektion des Bundeskanzleramtes unter Leitung von Staatssekretär Franz Morak.

Als diesjähriger Kommissär des Österreich-Pavillons der Architekturbiennale in Venedig hat der derzeit bedeutendste Global Player der österreichischen Architektur, Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au, vor, „das österreichische Architekturprofil wieder einmal und noch stärker herauszuarbeiten“. Prix untersucht „schon seit Langem, was das Spezifische am österreichischen Architekturdenken sein könnte, also worin wir uns von anderen Architekturebenen in anderen Ländern unterscheiden“, nämlich in einer unverwechselbaren österreichischen Raumexpressivität, deren Tradition ins Barock zurückreicht. Ebenfalls um „skulpturale Ausdrucksform“ geht es Kurator Hans Hollein, wie schon der Titel sagt, in der Ausstellung „Sculptural Architecture in Austria“, einer Schau österreichischer Architektur in China.

Natürlich ist ein unverwechselbares, gut eingeführtes Etikett auch auf dem Architekturmarkt nützlich. Aufschlussreich ist jedoch, welche Tradition hier wieder beschworen wird. Bereits Ende des 19. Jahrhundert wurde der Barock zur typisch österreichischen Kunstrichtung stilisiert und dekretiert. Diese Konstruktion einer barocken österreichischen Kulturidentität nahm bei einem der restriktivsten Kulturpolitiker Österreichs seinen Ausgang: bei Erzherzog Franz Ferdinand, in seinem Antimodernismus so etwas wie ein Prinz Charles der österreichischen Architektur. Die Idee eines barocken Nationalstils baute auf der Behauptung einer typisch österreichischen Wesensart auf: „Das österreichische Wesen ist die leibhaftige Barockfacade: lustig und frisch und immer lächelnd“, der Österreicher „ist gerade so, wie man ihn allein lieb haben kann“, „du kannst ihm nicht bös sein“, so Albert Ilg, kulturpolitischer Berater Erzherzog Franz Ferdinands.

Kulturelle Vormachtstellung sollte Österreichs schwindenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss kompensieren und in Zeiten nationalistischer Paradigmen dazu verhelfen, sich gegenüber Deutschland zu positionieren. Gepaart ist die Formulierung einer spezifisch österreichischen kulturellen Identität seit dem 19. Jahrhundert daher mit einer abwehrenden Vergleichshaltung gegenüber Deutschland.

Auch dieser Aspekt wird aktuell wieder aufgegriffen. Offenbar bedarf Davids Leistung des Vergleichs mit dem vermeintlichen Goliath: „Wenn man vergleicht, wie viele interessante und gute Architekten es etwa in Österreich gibt und in Deutschland, ist das“ - für Hans Hollein - „sehr bemerkenswert.“ Mag sein, aber warum nicht der Vergleich mit größenmäßig eher entsprechenden Ländern, mit der Schweiz, mit den Niederlanden - oder warum nicht mit Belgien, von dessen Beiträgen auf der diesjährigen und auf der vergangenen Architekturbiennale in Venedig Österreich einiges lernen könnte?

Den Rückbezug auf die Barockkunst nahm der autoritäre österreichische Staat der 1930er-Jahre in seiner Kulturpolitik wieder auf, um damit die Kontinuitäten zur Monarchie und die Stellung der Kirche zu untermauern. In der Nachkriegszeit schließlich schien es opportun beim Bild des barocken Österreichers, „dem du nicht bös sein kannst“, wieder anzuknüpfen. Die österreichische - genauer: die Wiener - Architekturrezeption der Zweiten Republik ist gekennzeichnet durch Selbstbetrachtung. Da wird kaum ein Blick nach außen getan, wenig Aufmerksamkeit auf universelle Fragen der Architektur gerichtet, es geht vielmehr vorrangig um die Frage: Ist es österreichisch/wienerisch?

Erstaunlicherweise gilt dies auch für die „progressive Architekturszene“ der Sechziger. Die für eben diese Szene, für damals junge Leute wie Prix und Hollein wichtige Integrationsfigur Günther Feuerstein widmete sich ausführlich der Frage: „Österreichische Architektur - gibt's die?“ Oh, ja, denn von Clemens Holzmeister über Josef Lackner bis Domenig-Huth liefern hierzulande Architekten Beispiele „magischen Barocks, das nur auf österreichischem Boden gedeiht“. Und während Architekturstudenten sich andernorts in jener Zeit mit Stadtentwicklung, neuen Technologien, Gesellschaftspolitik befassen, erblühen an der Wiener Technik „barocke Bouquets von üppiger Fantasie“. Basis der programmatischen Studentenausstellung „Urban fiction“ in Wien, 1967, an der auch Hollein und Prix teilnahmen, waren „nicht komplizierte Theorien, sondern der eruptive Illusionismus einer üppig wuchernden Fantasie“ (Feuerstein).

Bekannte Wien-Bilder werden dabei auch der Architektur beigestellt: „Resignation“, „Hilflosigkeit“, „das Ungewisse“, „kein Versuch einer profunden Analyse, denn das wäre unösterreichisch“. Für das Bauen sind das wenig vertrauensbildende Assoziationen, dafür gibt es „wienerische Geschmeidigkeit“, „Eros zum Detail“, „Preziosität“. Generell hatte die Pflege eines spezifischen Kulturimages für das „kleine Österreich“ immer auch eine wesentliche politische Dimension - bis hin zur neutralen „Insel der Seligen“. Auch heute wird dieses Bild gern gepflegt - etwa in den Werbebotschaften der Wiener Stadtverwaltung, die an den Stadteinfahrten davor warnen, dass Wien anders ist.

Wolf Prix und Hans Hollein zählen zu den internationalen Vorreitern der österreichischen Architektur. Coop Himmelblaus Devise „Architektur muss brennen“ war in den Achtzigern eine Offenbarung. Als nunmehrige Bannerträger eines österreichischen Nationalstils agieren Hollein und Prix, passend zur Barock-Architektur, imperial. Denn das Postulat eines spezifischen Formempfindens - sei es die regional-typische Kiste, sei es das national-typische Barock - erfordert das Prinzip der Ausschließung.

Mit dieser Tatsache war man schon bei der Konstruktion eines österreichischen Nationalstils unter Erzherzog Franz Ferdinand konfrontiert: „Aber an Einem scheint's zu straucheln. Zuweilen kommt es Einem vor, dass der Österreicher gar nicht mehr in diesem Sinne ,liebgehabt' sein will, dass er sich seiner Schnörkel und Scherze als Leichtsinn, seiner Prachtliebe als Verschwendung schäme. Für diesen ganz neumodischen Österreicher, dem wir leider ziemlich häufig begegnen, passt unser obiger Vergleich“ - mit dem Barock - „allerdings nicht“ (Albert Ilg, 1880).

Die Kreation eines österreichischen Nationalstils heute kann nur als Marketing-Aktion verstanden werden. Aber wer wird damit eigentlich vermarktet? Der Kurator Hans Hollein stellt den Architekten Hans Hollein in der China-Ausstellung mit bei Weitem den meisten Projekten aus. Mit sieben gezeigten Arbeiten ist Hollein absoluter Spitzenreiter. Die übrigen Architekten, so sie ausgewählt wurden, müssen sich in der Regel mit ein bis zwei Projekten begnügen. Das ist dann schon wieder weniger lustig. Denn schließlich geht es bei dieser Schau, in die nahezu ein Viertel des Architektur-Jahresbudgets der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes geflossen ist, nicht nur um persönliche Eitelkeiten, sondern China ist „jetzt ein Markt . . . und es soll hier auf die dominierenden und wichtigen Architekten aufmerksam gemacht werden“, so Hollein.

Coop Himmelb(l)au schließen mit fünf in China gezeigten Projekten allerdings knapp auf. Prix wiederum stellt, in geübtem Doppelpass, Hollein prominent in Venedig aus. Die Stoßrichtung ist bei beiden Kuratoren dieselbe: „Österreich ist führend in Bezug auf eine neue Idee in der Architektur - zwar funktionell, aber auch als Zeichen, als Gestalt, als freie Form. Die Funktion muss zwar vom Objekt klarerweise erfüllt werden, aber es stecken auch andere Überlegungen dahinter - wie etwa bei der BMW-Welt von Coop Himmelb(l)au oder meinen Museumsbauten“ (Hollein über die Ausstellung „Sculptural Architecture in Austria“).

Und Prix über die Bespielung des Österreich-Pavillons in Venedig mit Beiträgen von Friedrich Kiesler, Hans Hollein und Gregor Eichinger: „Hier wird verdeutlicht, wo die österreichische Architektur maßgebliche und fast führende Exponenten hat.“

Der Österreich-Beitrag für die Architekturbiennale Venedig ist schlüssig. Laut Prix steht sein Beitrag „im krassen Gegensatz zu den geäußerten Thesen der Hauptausstellung“, welche den komplexen und universellen Herausforderungen heutiger Großstädte gewidmet ist. Tatsächlich ist das eigentliche Thema des Österreich-Pavillons nicht die Stadt, sondern die Kunst der (Selbst)Vermarktung. Hans Hollein und Friedrich Kiesler - das, was seine Nachlass-Verwalter aus dem schmalen Werk gemacht haben - sind faszinierende Anschauungsbeispiele für die Schaffung eines Stararchitekten-Nimbus, der weitgehend losgelöst vom eigentlichen architektonischen Werk existiert. Im dritten Beitrag, dem „Netz“ von Gregor Eichinger, wird schließlich zur Anschauung gebracht, worauf es auf dem österreichischen Weg zum Stararchitekten ankommt: mit den richtigen Leuten am richtigen Tisch zu sitzen.

Wenn sich ein Land oder eine Stadt seiner Architektur rühmen möchte, dann ist es an den Verantwortlichen, Strukturen zu schaffen, die den vielen hervorragenden österreichischen Architekten die Realisierung hervorragender Projekte ermöglichen. Also bitte eine innovative Schulbau-Initiative, eine großzügige Wohnbauforschung und eine groß angelegte Initiative für neue öffentliche Räume! Die Werbelinie dazu wird dann ohne das Klischee eines „österreichischen Formempfindens“ auskommen.

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