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Der Dorn und die Weltkultur
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Verherrlicht, verteufelt, missverstanden. Vor 80 Jahren verhieß sie eine neue Zukunft, heute steht sie unter Denkmalschutz: die klassische Moderne - in Gestalt der Dessauer Bauhaus-Bauten. Eine Nachschau in der Anhaltischen Provinz.

3. Dezember 2006 - Reinhard Seiß
„Bei heller Sonne und blauem Himmel wirkt das neue Gebäude des Bauhauses als Konzentrationspunkt allen Lichtes, aller Helle. Glas, Glas, und dort, wo Wände aufsteigen, strahlen sie ihre blendend weiße Farbe aus. Ich habe noch nie einen solchen Lichtreflektor gesehen.“ 2000 staunende Gäste aus aller Welt erlebten am 4. Dezember 1926 die Eröffnung von Walter Gropius' kompromisslos modernem und funktionalem Bauhaus-Gebäude, die den Beginn einer kurzen, aber gleichwohl einzigartigen Manifestation des neuen Bauens markierte - und das in der Anhaltischen Provinz, auf halbem Weg zwischen Leipzig und Berlin.

Gegründet wurde das Bauhaus 1919 in Weimar, wo Gropius die großherzogliche Hochschule für bildende Kunst mit der großherzoglichen Kunstgewerbeschule zu einer Ausbildungsstätte völlig neuen Typs vereinigte. Nach der historischen Zäsur des Ersten Weltkriegs setzte sich das Bauhaus zum Ziel, durch neue Gestaltung Gegenstände und Räume für eine künftig humanere und sozial gerechtere Gesellschaft zu modellieren. Im Bauhaus-Programm las sich das so: „Das Endziel aller bildenden Tätigkeit ist der Bau! Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte!“

Entsprechend bunt war die Palette der Meister am Bauhaus, die von Paul Klee über Laszlo Moholy-Nagy und Lyonel Feininger bis hin zu Wassily Kandinsky reichte. Ihr Unterricht in den sogenannten Werkstätten - Tischlerei, Holz- und Steinbildhauerei, Wandmalerei, Glas- und Metallwerkstatt, Töpferei oder Weberei - brachte in nur wenigen Jahren eine Fülle an modernem Design, insbesondere für Alltagsgegenstände, hervor. 1923 präsentierte sich das Bauhaus mit seiner Ausstellung „Kunst und Technik - eine neue Einheit“ erstmals der Weltöffentlichkeit. Doch bereits ein Jahr später erzwangen die erstarkenden rechtsnationalen Parteien im Thüringer Landtag die Schließung der progressiven Kunstschule.

Der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt Dessau bot Walter Gropius daraufhin Bauland und Kapital für ein neues Schulgebäude an - und stellte zudem öffentliche Aufträge in Aussicht. Nicht zuletzt boten sich die Betriebe der aufstrebenden Industriestadt als Partner an für die Umsetzung des ehrgeizigen Bauhaus-Ziels: die künstlerische Durchdringung des Alltags mit Produkten aus kostengünstigen Industriestoffen und rationeller Serienproduktion.

Zunächst galt es allerdings, den Unterricht wieder aufzunehmen. Innerhalb nur eines Jahres entstand das neue Bauhaus-Gebäude. Ausgehend von seiner Außengestalt mit den glatten, weißen Wänden und den großflächigen Festerfronten, war schon bald von einem „Bauhaus-Stil“ die Rede, der für all das stand, was nur irgendwie modern erschien - aber auch für alles, was die breite Bevölkerung angesichts der zunehmenden Technisierung des Alltags als „unmenschlich“ empfand. Ein Beispiel für die ambivalente Rezeption der Bauhaus-Architektur ist die Siedlung Törten in Dessau-Süd. Im Auftrag der Stadt realisierte Walter Gropius zwischen 1926 und 1928 insgesamt 314 ein- und zweigeschoßige Reihenhäuser in vier unterschiedlichen Bautypen. Ziel der Versuchssiedlung war die Senkung der Baukosten durch neue Bauorganisation und Bautechnik. So sollte das Wohnungsproblem der unteren Einkommensschichten gelöst und auch weniger Begüterten der Erwerb eines Eigenheims ermöglicht werden. Normierung, Typisierung und Vorfertigung der Bauteile sowie serielle Montage durch Kräne machten die Siedlung Törten zum Prototyp des industrialisierten Wohnungsbaus.

Das ursprüngliche Erscheinungsbild der Siedlung lässt sich heute nur noch erahnen. Schon wenige Jahre nach Bezug begannen die Bewohner mit dem Umbau der Häuser. Beispielsweise ließ Gropius die straßenseitigen Fenster ursprünglich mit der Decke abschließen, um die Fenstersturze einzusparen und unterhalb der Fenster Stellfläche für Möbel zu schaffen. Die Bewohner allerdings fanden die hochliegenden Fensterbänder weder praktisch noch angenehm - und montierten konventionelle, tiefer liegende Fenster ein.

Anstelle der weißen Fassaden mit schwarzen und grauen Schatten sieht man heute alle Variationen von Heimwerker-Architektur: Holzvertäfelungen, verflieste Fassaden, Eternitverkleidungen und eine Farbvielfalt, die der Wandmalereiwerkstatt des Bauhauses zur Ehre gereicht hätte.

Andererseits betonen die Bewohner von Törten, dass die Wohnanlage auch 80 Jahre nach ihrer Errichtung unbestreitbare Vorzüge biete. Durch fließende Raumfolgen gelang es Gropius etwa, die durchschnittlich nur 70 Quadratmeter großen Wohnungen großzügig erscheinen zu lassen. Die Zimmer waren allesamt hell und verfügten über einen damals hohen Ausstattungsstandard. So findet sich in manchen Häusern noch heute die originale Zentralheizung.

Zeitgleich mit dem Bauhaus-Gebäude hatte Walter Gropius eine kleine Siedlung mit einem Einzelhaus für den Direktor und drei Doppelhäusern für die wichtigsten Meister des Bauhauses entworfen. Die ersten Bewohner waren - neben Gropius selbst - Laszlo Moholy-Nagy und Lyonel Feininger, Georg Muche und Oskar Schlemmer sowie Wassily Kandinsky und Paul Klee. Die sogenannten Meisterhäuser waren großzügig angelegte Stadtvillen mit Terrassen und Balkonen - sowie einer Innenausstattung, die jahrzehntelang für modernes Wohnen Maßstab gebend war.

Trotz zahlreicher Realisierungen architektonischer Projekte und der internationalen Anerkennung der künstlerischen Ausbildung trat Walter Gropius 1928 als Bauhaus-Direktor zurück. Schon bald hatte auch in Dessau politischer Druck eingesetzt - was ihn ebenso zermürbte, wie interne Querelen um die künftige Ausrichtung des Bauhauses. Mit Gropius verließen unter anderen auch Laszlo Moholy-Nagy und Marcel Breuer die Stadt. Neuer Direktor wurde der Schweizer Hannes Meyer, dessen Devise, „Volksbedarf statt Luxusbedarf“, für das Bauhaus nicht nur einen programmatischen Wechsel, nämlich die ausschließliche Hinwendung zu Entwurf und Design für die kostengünstige Massenproduktion, sondern auch eine eindeutige gesellschaftspolitische Positionierung bedeutete.

Meyer, bald als Kommunist verrufen, wurde 1930 durch Ludwig Mies van der Rohe abgelöst, der das Bauhaus zu einer völlig unpolitischen, ganz auf die Architektur bezogenen Ausbildungsstätte umstrukturierte - angesichts der politischen Radikalisierung Deutschlands die einzige Chance, den Betrieb aufrecht zu halten.

Dennoch ordnete die nationalsozialistische Mehrheit im Dessauer Stadtrat 1932 die Schließung des Bauhauses an, worauf Mies van der Rohe es in Berlin als Privatinstitut weiter führte. Nach einer Durchsuchung durch die Gestapo im Juli 1933 entschied sich das Lehrerkollegium allerdings für die Selbstauflösung der Kunstschule. Der Mythos des Bauhauses besagte lange Zeit, dass seine Protagonisten allesamt vor den Nazis fliehen mussten. Erst in den Neunzigerjahren brachte der Münchner Architekturhistoriker Winfried Nerdinger zutage, dass dies zwar für den großen Teil der jüdischen und sozialistischen Bauhäusler zutraf, mitnichten aber für die Protagonisten Gropius und Mies van der Rohe. Beide dienten sich dem NS-Regime an, versahen ihre Architekturentwürfe mit Hakenkreuzfahnen und hofften, dass die Moderne in Hitler-Deutschland eine ähnliche Rolle spielen könnte wie in Mussolinis Italien. Erst als sich der Antimodernismus des Nationalsozialismus als unumstößlich erwies, verließen auch die zwei ehemaligen Bauhaus-Direktoren das Land.

Die Missachtung der Bauhaus-Architektur setzte sich nach 1945 durch das DDR-Regime fort, sodass die im Zweiten Weltkrieg teils schwer zerstörten Bauten in Dessau - wenn überhaupt - nur notdürftig und ohne architekturhistorische Bedachtnahme instand gesetzt wurden. Die klassische Moderne schien jedweder totalitären Ideologie ein Dorn im Auge zu sein. So dauerte es bis in die Siebzigerjahre, dass man sich dazu durchrang, zumindest das Bauhaus-Gebäude adäquat zu renovieren oder vielmehr zu rekonstruieren - wobei sich die ostdeutschen Experten am Klischee der weißen Moderne orientierten und es damit noch verfestigten. Erst nach Wende und Wiedervereinigung war der Weg frei für eine fundierte Aufarbeitung des baulichen Erbes - sowie für teure Sanierungsmaßnahmen, zumal die Politik inzwischen das touristische Potenzial des Bauhauses entdeckt hatte.

Von den Wissenschaftlern am Bauhaus wird der heutige Umgang mit den Zeugnissen der Moderne durchaus ambivalent bewertet. Denn seit die Unesco 1996 das Bauhaus-Gebäude und die Meisterhäuser - respektive das, was nach den Bomben des Zweiten Weltkriegs davon übrig geblieben ist - zum Weltkulturerbe erklärt hat, kennt der Rekonstruktionseifer lokaler Politiker und potenter Sponsoren kaum noch Grenzen. So gibt es inzwischen Pläne, unter anderem auch das Direktorenhaus neu zu errichten. Doch steht auf den Grundfesten der einstigen Villa von Walter Gropius seit den Fünfzigerjahren ein biederes Wohnhaus, das dafür abgerissen werden müsste. Vorsorglich hat die Stadt Dessau es bereits angekauft. Das Pikante daran ist allerdings, dass sich der Bauherr ursprünglich gern an den Stil der Gropius-Villa angelehnt hätte, das Rathaus ihm dies damals aber verwehrt - und ein konventionelles Gebäude mit Walmdach verordnet hatte. Damit stellt sich die Frage, was das wichtigere Denkmal für das Bauhaus wäre: ein Gropius-Remake à la Dresdner Frauenkirche und Berliner Stadtschloss - oder ein authentisches Zeichen des bis heute währenden Kampfs der Moderne gegen eine reaktionäre Gesellschaft und eine opportunistische Politik. [*]

[ 1970 in Oberösterreich geboren. Studium der Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien, Dipl.-Ing. Arbeitet als Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien. Kommenden Jänner erscheint im Verlag Anton Pustet sein Buch „Wer baut Wien?“. ]

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