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Panama will Bilbao werden
Panama steht für Drogen und Bauboom - und spielte auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Erde. Daran will man erinnern, mit dem Museo de la Biodiversidad, geplant von FrankGehry.
Emblematischer könnte seine Lage nicht sein. Links die Skyline mit ihren gläsernen, hoch aufschießenden Bürotürmen und der kolonialen Altstadt. Rechts die Einfahrt zum berühmten Kanal. Hier, von der Avenida Amador, fällt der Blick auf die Geschichte Panamas am Schnittpunkt zweier Kontinente: auf seine Entdeckung und Entwicklung, auf seine Perspektiven für die Zukunft. Und genau hier entsteht auch der Ort, der Panamas einzigartige und bis heute nahezu unbekannte Bedeutung für die Evolution der Erde ins rechte Licht rücken soll: Das Museo de la Biodiversidad, Frank Gehrys Museum für Artenvielfalt, ist das erste Projekt des kanadisch-amerikanischen Architekten in Lateinamerika.
Die langgestreckte Form des Museums stelle eine „Brücke des Lebens“ dar, erklärt Museumsdirektor Líder Sucre: „In Panama entstand vor Millionen Jahren die Verbindung zwischen Nord- und Südamerika. Zahlreiche Pflanzen- und Tierarten verbreiteten sich über diese Landbrücke von Nord nach Süd und umgekehrt.“ Diese Geschichte will das Museum von Frank Gehry erzählen. Der bunte Baukörper sei ein Symbol für Panamas vielfältige Flora und Fauna, sagt Sucre.
Man muss kein Prophet sein: Der ungewöhnliche Museumsbau hat das Zeug zum Publikumsmagneten. Gehry gilt als schillernde Figur der internationalen Architekturszene. Mit seinen Entwürfen des Guggenheim-Museums in Bilbao, des Music Experience Project in Seattle, der Walt Disney Hall in Los Angeles oder des Gehry Tower in Hannover hat er sich den Ruf eines Dekonstruktivisten erworben. Seine Museen, Büro- und Wohntürme faszinieren und polarisieren zugleich, unberührt bleibt niemand. Für die einen gehört Gehry zu den großen Baumeistern unserer Zeit. Für seine Kritiker hingegen gleichen die Gebäude hurrikangepflügten Skulpturen. Immer der gleiche Gehry, nur eine andere Stadt, lautet ihr Vorwurf an den Pritzker-Preisträger.
Sein Profil ist asymmetrisch
Hier an der Küstenpromenade in Panama-Stadt erhebt sich kein mächtiges Gehry-Gebäude, das mit Titanplatten eine glitzernde Fassade vorweist, sondern ein verspielt-konstruiertes Bauwerk: „Sein Profil ist asymmetrisch, es gibt eine Art fliegendes Dach mit ungewöhnlichen Farben und Flächen“, sagt Sucre. Dieses Puzzle aus blauen, gelben, grünen und roten Formen sei eine Metapher für das Dach des Regenwaldes. Die Besucher sollten sich fühlen, als ob sie zwischen riesigen Bäumen stünden. Zum Glück fehlen die typischen, weil zum Einheitsoutfit verkommenen Gehry-Wellen, keine blendende Architektur, stattdessen dominieren Ecken und Kanten.
Keine blendende Architektur
Wie alle Gehry-Bauten erschließt sich das Museo de la Biodiversidad nur langsam, zumal der Bau noch nicht ganz fertiggestellt ist. An manchen Stellen liegen Betonteile auf der Baustelle, spitzwinklig zulaufende Stahlträger der Dachkonstruktion ragen in den Himmel. Gehrys asymmetrischer Entwurf sei für Ingenieure wie Bauarbeiter eine große Herausforderung, so Sucre: „Wir mussten uns verpflichten, die gleichen Standards einzuhalten wie bei seinen Entwürfen in Europa, in Japan oder im Nahen Osten.“ Was übersetzt wohl heißen soll: Gehry ist misstrauisch und befürchtet Pfusch am Prestigeprojekt. Auch ein Stararchitekt hat schließlich seinen Stolz.
Dafür hat Gehry die für ihn so typischen Ausstellungsräume entworfen: Es gibt keinen Mittelpunkt, keinen zentralen Raum, um die sich alles gruppiert. Spitze Winkel, Nischen, fallende Wände, schräge Decken und große, asymmetrische Fensterfronten folgen einander in schnellem Wechsel. Hinter jeder Ecke eröffnet sich eine neue Perspektive. Mächtige Steinsäulen und wuchtige Gewölbe prallen auf gekippte Betonwände und Böden - ein Museum ohne 90-Grad-Winkel, aber mit großem Vermarktungspotenzial für Panama.Líder Sucre lächelt, ein Leuchten erstrahlt auf seinem Gesicht, wenn er über Panamas Artenvielfalt spricht, eine der größten weltweit. In den Nebel- und Regenwäldern des Landes wachsen rund 10.000 tropische Pflanzenarten. Das Museum solle vor allem den Amerikanern nahebringen, dass die Natur ein Wert an sich sei, dass der Regenwald nicht nur eine wirtschaftliche Bedeutung habe. Für Europäer sei das selbstverständlich, aber in Nord- und Südamerika gebe es wenig Umweltbewusstsein, erklärt der 43-Jährige, und er weiß, wovon er spricht. Denn Sucre arbeitet auch als Umweltaktivist für die Erhaltung des Regenwaldes.
Brad & Angelina
Die Innengestaltung hat der kanadische Designer Bruce Mau entworfen. In acht Stationen erzählt er die Geschichte der Landbrücke, von der Entstehung und dem Austausch der Tierarten bis zu den Auswirkungen auf Weltklima, Ozeane und Menschheit. 4600 Quadratmeter Fläche stehen dafür zur Verfügung, also weniger als die Größe eines Fußballfeldes. Es gibt Installationen und Skulpturen, einen Garten aus Basaltblöcken, Galerien und Aquarien, eine Rampe des Lebens mit Sensorial Effects. Aber keine Angst, beschwichtigt Sucre, es wer- de keine Multimedia-Überwältigungsästhetik geben. Das sei schließlich ganz im Sinne des Architekten: „Gehry hat uns Folgendes erklärt: Was immer im Museum zu sehen sein wird, der Inhalt muss größer und wichtiger sein als das Gebäude selbst. Die Ausstellungen sollen die Besucher mehr beeindrucken als mein Museum! Ihr müsst mir beweisen, dass ihr dazu in der Lage seid.“ Seines pathetischen Sprachgebrauchs entkleidet heißt das nichts anderes: Hoffentlich wird es nicht so wie in Bilbao! In die baskische Industriestadt pilgern jährlich hunderttausende Touristen, um das Museumsgehäuse zu bestaunen. Die Kunst drinnen ist allenfalls Zugabe. Außen Jahrmarkt, in den heiligen Hallen Kurzbesuch mit Latte macchiato.Das Interesse an dem Projekt ist riesig, nicht nur in Panama selbst. Besucher aus aller Welt kommen schon vor der Museumseröffnung. Touristen, Architekten, Journalisten. Brad Pitt, Angelina Jolie sowie der Nobelpreisträger, Umweltaktivist und ehemalige US-Vizepräsident Al Gore waren bereits hier und haben dem Projekt zu Publicity verholfen. Celebreties für Artenvielfalt, das macht sich immer gut. Vor allem Panama erhofft sich mit der Eröffnung des Museums einen Anstieg der Touristenzahlen. Líder Sucre rechnet mit Mehreinnahmen für Panama von jährlich bis zu 60 Millionen Dollar. Da seien die Baukosten des Museums in gleicher Höhe schnell wieder reingeholt, so seine Rechnung. Taxifahrer, Restaurants, Künstler, Hoteliers, sie alle würden vom Museum profitieren, sagt Sucre, neue Arbeitsplätze würden entstehen. Die gleiche Entwicklung wie in Bilbao erhoffe er sich auch für Panama. Einen Teil der Kosten muss das Museum selbst aufbringen. Es gibt eine Stiftung, die vom Smithsonian Institute unterstützt wird. Den größten Teil aber bezahlt der panamaische Staat, kein Pappenstiel für ein Land mit gerade einmal drei Millionen Einwohnern, erklärt Sucre. Angesichts der Armut unter der Bevölkerung abseits der Metropole würde nicht jeder dem Projekt zustimmen. Auch deshalb gibt es regelmäßig Streit, jede neue Regierung stelle das Projekt wieder infrage wie zuletzt im September 2011. Auch deshalb hinken die Bauarbeiten seit Jahren hinter dem Zeitplan hinterher. Noch immer residieren Sucre und sein Team in einer Lagerhalle neben der Baustelle. Eigentlich sollte das Museum bereits 2010 eröffnet werden - pünktlich zum Uno-Jahr der Artenvielfalt. Doch der Termin musste mehrfach verschoben werden. Zum Jahreswechsel 2012/2013 soll es nun endlich so weit sein.
„Das Militär ist Teil der Demokratie“
Nicht hinter dicken Mauern: Daniel Libeskind meint, dass wir die Augen vor den kriegerischen Auseinandersetzungen in unserer Welt nicht verschließen dürfen.
STANDARD: Mit dem gläsernen Keil haben Sie eine Art „Wahrzeichen“ für die Stadt entworfen. Warum?
Libeskind: Ich wollte kein Gebäude, das über eine eindrucksvolle Fassade verfügt. In einer nichtdemokratischen Gesellschaft kann man „Krieg“ und „Militär“ hinter dicken Mauern verstecken und vorgeben, dass alles in Ordnung sei. Aber in einer Demokratie muss die eigene Militärgeschichte Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein.
STANDARD: Was bedeutet das gläserne V, das sich wie ein stilisierter Jagdbomber in das Gebäude bohrt?
Libeskind: Der gläserne Keil soll einen Dialog zwischen dem historischen Gebäude und dem neuen Teil herstellen. Dort führt eine Aussichtsplattform, von der die Besucher die Schönheit Dresdens bewundern können, seine Topografie, seine Verletzlichkeit und Widerstandsfähigkeit angesichts der Kriegsgeschichte vor. Geschichte ist nicht etwas, was einmal war.
Das Militär ist auch ein Teil unserer Demokratie. Das gilt für Deutschland, die USA, Großbritannien und Frankreich. Es gibt Kriege in Afghanistan, im Irak. Vor diesen Auseinandersetzungen können wir unsere Augen nicht verschließen, besonders nicht in Deutschland mit seiner Vergangenheit. Das MHM beschäftigt sich mit Katastrophen, Kriegsverbrechen und den Folgen: für die Soldaten und die Familien zu Hause. Es ist ein Museum für Menschen verschiedener Generationen und Nationalitäten. Es geht um das Menschsein.
STANDARD: Ihre Entwürfe stehen für Gebäude, die ikonografisch aus dem Stadtbild hervorstechen. Wird die Finanzkrise diesem Trend ein Ende setzen?
Libeskind: Finanzkrisen zeigen eines: Gerade in Krisenzeiten sollte man nicht mittelmäßig werden. Jetzt ist nicht die Zeit, große Ideen fallenzulassen und kleine zu verfolgen. Im Gegenteil. Jetzt ist es Zeit umzudenken, sich größerer Zusammenhänge zu besinnen. Wir haben ja während der Finanzkrise gesehen, dass sehr viel Geld verschwendet wurde, nur um kurzfristige Gewinne zu machen. Jetzt brauchen wir eine nachhaltige Architektur.
Ein Keil für Dresden
Stumpfe Winkel, gekippte Böden, verblüffende Objekte: Das deutsche Militärhistorische Museum geht in jeder Hinsicht neue Wege.
Stauffenbergstraße, Ecke Olbrichtplatz: Hier, im Norden Dresdens, steht das neue Militärhistorische Museum der Bundeswehr (MHM) - mit allem was dazugehört: Panzern, Starfightern und Zinnsoldaten. Nach einer knapp fünfjährigen Umbauphase ist das historische Arsenalgebäude jetzt fertiggestellt worden. Davor entsprach das Museum weder architektonisch noch ausstellungsdidaktisch heutigen Standards. Deshalb investierte die Bundeswehr knapp 58 Millionen Euro in die Erweiterung und Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes, des ersten Kriegsmuseums im vereinigten Deutschland.
Den militärisch strengen Altbaukörper hat der US-amerikanische Museumsspezialist Daniel Libeskind neu gestaltet. Für den spätklassizistischen Altbau hat der Stararchitekt einen vierstöckigen asymmetrischen Glas-Stahl-Keil entworfen. Ein gläsernes V, 140 Tonnen schwer, mit geschoßübergreifenden Innenräumen, das den Altbau rammt, ihn von oben bis unten durchdringt und bis zu sieben Meter überragt. Ein Drittel der alten Bausubstanz wurde abgetragen. Die Triumphgeste des deutschen Kaiserreichs hat Libeskind mit seinem kompromisslosen Stil durchbrochen.
Für Libeskind ist das Gebäude „ein bedeutendes militärisches Symbol“. Es diente der Königlich Sächsischen Armee als Waffendepot. Unter den Nazis und Kommunisten in der DDR wurde es als Museum genutzt. „Deutschland ist ein modernes demokratisches Land“, sagt Libeskind, „die Deutschen müssen ihre Geschichte annehmen und das Museum als etwas Positives verstehen.“
Das MHM wurde Ende des 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt der Dresdener Albertstadt errichtet. Diese gilt als eine der größten noch erhaltenen Militärstädte Europas. Nach der Wiedervereinigung übernahm die Bundeswehr das Museum und beauftragte Libeskind mit der Neugestaltung - nicht zufällig, denn 2002 wurde vom Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille in Manchester sein erstes, international viel beachtetes Kriegsmuseum eröffnet: das Imperial War Museum North. Dort hatte der 65-Jährige einen ungewöhnlichen Gebäudekörper entworfen: eine zerborstene Erdkugel, aus deren Scherben er drei riesige Einzelteile auswählte und neu verzahnt zusammengefügte.
In Dresden musste Libeskind für das MHM ganz anders planen und gestalten. Dort stehen auf 20.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche Analyse und Einordnung geschichtlicher Ereignisse im Zentrum. Von den rund eine Million Exponaten im Museumsdepot werden 9000 zu sehen sein. Zusammen mit 180 großformatigen Schauvitrinen soll das Bundeswehrmuseum vor allem zu einem Ort des Lernens werden.
Dafür hat der US-Architekt die für ihn so typischen (Ausstellungs-)Räume entworfen: Es gibt keinen Mittelpunkt, keine zentrale Fläche, um die sich alles gruppiert. Stattdessen findet man überall Verwinkelungen, große asymmetrische Fensterfronten. Hinter jeder Wand eröffnet sich eine neue Perspektive. Mächtige Steinsäulen und wuchtige Gewölbe prallen auf schräge Betonwände, stumpfe Winkel und gekippte Böden, auf denen man das Gefühl hat umzustürzen. Am höchsten Punkt des gläsernen Keils gibt eine Besucherterrasse den Blick auf die berühmte Frauenkirche, den Zwinger und die Semperoper frei. Nachts wird das Museum durch eine spektakuläre Illumination in Szene gesetzt. Am Tag überlagern Metalllamellen die transparente Glasfassade.
Mit dem Entwurf will Libeskind auf die Brüchigkeit der Welt anspielen. Man könnte auch sagen: Ein Blitz hat in das Militärmuseum eingeschlagen. Denn der V-förmige Neubau („Libeskind-Keil“) weist in die Dresdner Innenstadt, dorthin, wo alliierte Bomber 1945 ihr Zerstörungswerk angerichtet hatten. Etwa 650.000 Brandbomben wurden auf Dresden abgeworfen. Im Feuersturm starben bis zu 25.000 Menschen. Der NS-Propaganda bot der militärisch unsinnige Angriff noch einmal Gelegenheit für Durchhalteparolen.
In Dresden ist Libeskind wieder zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt, denn es waren Museumsbauten, die ihm internationale Reputation einbrachten: das Felix-Nussbaum-Haus (1998), das Jüdische Museum Berlin (1999), das Imperial War Museum North (2002), das Jüdische Museum Kopenhagen (2003), The Spiral in London (2004), das Denver Art Museum (2006), das Royal Ontario Museum (2007) und das Jüdische Museum San Francisco (2008) - Bauten, die zugleich faszinieren und polarisieren: zickzackförmige Grundrisse mit labyrinthischen Räumen, schiefen Ebenen und spitzwinklig zulaufenden Wänden, die oftmals ein beklemmendes Gefühl der Enge und Leere hinterlassen.
Geplant ist ein neues Ausstellungskonzept, erklärt der wissenschaftliche Projektleiter für die Neugestaltung der Ausstellung, Gorch Pieken. Besucher werden keine Leistungsschau deutschen Soldatentums zu sehen bekommen, sagt Historiker Pieken, sondern ein Haus der kritischen Reflexion. Im Fokus stehe dabei die anthropologische Seite von Gewalt: „Wir wollen zeigen, was der Mensch im Allgemeinen ist - mit seinen Trieben, seiner Vernunft, seinen Hoffnungen, seinen Erinnerungen, aber auch mit seiner Aggressionsbereitschaft.“
Dafür hat Chefkurator Pieken das Kettenhemd der britischen Designerin Vivienne Westwood ausstellen lassen und die Husarenuniform des deutschen Reggae-Sängers Patrice - um zu verdeutlichen, dass die Militarisierung des Alltags auch in Mode und Popkultur Einzug gehalten hat. Ausgestellt ist auch das berühmte Selbstbildnis des deutschen Malers Felix Nussbaum. Der jüdische Künstler floh vor den Nazis nach Belgien. Er wusste, dass ihn der Geruch der Farben in seinem Versteck verraten würde. Dennoch gab er das Malen nicht auf. Nussbaum starb in Auschwitz. Daneben zeigt ein Video den langsamen Tod einer Katze durch Giftgas. Solche Objekte verblüffen, weil sie niemand in einem Militärmuseum vermuten würden.
Nach dem Eingangsbereich können die Besucher dann mit einem Fahrstuhl bis unter das Dach des Gebäudes fahren. Von dort geht es ähnlich wie im New Yorker Guggenheim-Museum auf einem gewundenen Vitrinenparcours hinunter. Er gliedert sich in Themen wie „Krieg und Gedächtnis“, „Tiere beim Militär“, „Leiden am Krieg“, „Schutz und Zerstörung“. Die Bundeswehr will sich als moderne Institution präsentieren, die sich selbst reflektiert. Ist der Mensch böse? Gibt es gerechte Kriege? Wie entsteht Gewalt? Mit diesen Fragen werden die Besucher im Museum konfrontiert. Und Pieken wird nicht müde zu wiederholen: „Der Krieg ist nur die Spitze des Eisbergs“.
Die Botschaft, die der Besucher aus dem neuen Bundeswehrmuseum mitnimmt, ist eine widersprüchliche. Erstens: Kriege sind grausam, unmenschlich, mörderisch. Sie müssen verhindert werden. Und zweitens: Frieden gibt es mitunter nur durch Gewaltanwendung. In dieser Welt braucht man auch das Militär, um das Böse zu bekämpfen. Die unterlassene militärische Intervention kann so verwerflich sein wie der Krieg. Dabei hat der Bundeswehrauftrag auch Libeskinds eigene Biografie berührt. Fast seine ganze jüdische Familie wurde während des Holocaust von Deutschen ermordet. „Das ist kein Museum, das militärische Konflikte glorifiziert“, erklärt Libeskind, „dies ist ein Museum, in dem man lernt, warum Kriege so wichtig sind.“
Man könnte sagen: Der Blitz hat in das Militärmuseum eingeschlagen, der V-förmige Neubau weist in die Innenstadt, wo 1945 alliierte Bomber ihr Zerstörungswerk anrichteten.
Zu Hause im Weltfußball
Außen schlicht, innen ein Hochhaus. Die 208 Fifa-Mitgliedsländer haben am noblen Zürichberg ein neues Zuhause bekommen - realisiert von der Architektin Tilla Theus.
Fifa-Straße am Zürichberg: Hier, wo die Grundstücke am teuersten sind, steht das Vereinsheim des Weltfußballverbandes. Für umgerechnet 145 Millionen Euro haben sich die 208 Mitgliedsländer ein Zuhause gegeben. Das „Home of FIFA“ erscheint von außen wie ein dunkler, drahtverhangener Monolith, der sich „in die Waldlichtung duckt, bereit zum Sprung“. So zumindest beschreibt die Zürcher Architektin Tilla Theus ihren Entwurf. Und sie erklärt: „Es ist ein Privathaus für die Familie.“
An seinen abgesenkten, 134 Meter langen Seitenflügeln reihen sich die gläsernen, wabenartigen Büroparzellen der Belegschaft. Manchem Fifa-Exekutiv-Mitglied muss dieser architektonische Gestus ein Dorn im Auge gewesen sein: So wenig machtvolle Erhabenheit strahlt das Gebäude aus. „Das Haus, wo wir früher waren, war natürlich viel schöner“, sagt Fifa-Präsident Joseph Blatter, „da hatte ich Ausblick auf den See. Aber wir wollen ja nicht imponieren, sondern in einem Haus leben, wo man sich wohlfühlt.“
Dass es sich bei dem Gebäude um ein Hochhaus handelt, erkennt man erst von innen, denn Zwei Drittel der Fifa-Zentrale liegen unter der Erde. Dazu gehören Archiv und Dokumentationszentrum, Parkplätze, Technik-, Parlaments- und Andachtsraum. Von außen sichtbar sind allein die Empfangshalle, die Büros für 300 Mitarbeiter und der Konferenzsaal mit seinem zu kleinen Foyer. Dagegen wurde die Einfahrt in die Tiefgarage so großzügig bemessen, dass selbst Lkws und Stretch-limousinen schwungvoll hineinfahren können.
Schlicht erscheint dagegen der mit schwarzen Türen gestaltete Eingangbereich, der in die riesige, elegante Empfangshalle führt. Von hier aus gelangt man über ein Treppenhaus oder einen spektakulär beleuchteten Glaslift ins Auditorium. Es gibt gewiss berauschendere Beispiele, wie sich institutionelle Größe mit Raumdramatik inszenieren lässt. Aber „nicht das Gold, sondern der leere Raum ist der Luxus“, hält Tilla Theus entgegen. „Wo ist es noch möglich, Leere zu bauen, die nicht gleich dekorativ gefüllt wird? Sie sehen es hier in der Fifa: Sie wirkt nicht dekorativ gefüllt.“
Während das Gebäude sich nach außen unscheinbar der Landschaft anpasst, harmonisch integriert in ein Naherholungsgebiet und eine Parklandschaft mit heimischer und exotischer Vegetation, herrscht im Inneren filigran inszenierte Pracht: kostbare Glasarbeiten, Schiefersteine aus Brasilien und edles US-amerikanisches Nussbaumholz. An der Wand: gehämmerte Aluminiumwände, Chromstahlhandläufe, die das Licht kunstvoll reflektieren. Bescheidenheit war sicher nicht das leitende Prinzip des Bauherrn. Zumal es die Fifa unter Blatters straffer Führung von einem kränkelnden Unternehmen zu einem weltweit operierenden Konzern geschafft hat - sicher auch dank der erfolgreichen WM in Deutschland.
Hausmeister Blatter
Wo sonst Transparenz im Vordergrund steht, wo beispielsweise Glas in Parlamentsbauten das Gefühl vermitteln soll, den gewählten Vertretern kontrollierend bei der Arbeit zuschauen zu können, da verschließt sich die Fifa der Öffentlichkeit: Das Nervenzentrum des Weltverbandes liegt versteckt unter der Erde. Im dritten von fünf Untergeschoßen tagt, abgeschottet von der Außenwelt, im Sitzungssaal das Exekutivkomitee. Die Verkleidung aus Aluminium-Platten, der kühle Lapislazuli-Boden - alles besitzt die Aura eines hermetisch abgeriegelten Schweizer Banktresors und fördert den Mythos oder das Vorurteil von den geheimen Fifa-Geschäften.
„Ein Raum, wo man Entscheidungen trifft, der darf dort sein, wo nur indirektes Licht hinkommt“, sagt Blatter, „denn das Licht sollte ja von den Leuten kommen, die da drinnen sind.“ Und von einem Kristallleuchter, der, einer Fußball-Arena nachempfunden, wie ein Ufo über den Köpfen der Funktionäre schwebt. Kunstlicht dominiert - auch wenn jeder Korridor ans Licht führt, in kleinen Lounges mündet, mit Blick in die Landschaft. In der Mitte des Raums, im Boden eingelassen, liegt der Grundstein des „Home of FIFA“: ein Betonkubus, der einen überdimensionalen Fußball umfasst. Darin hat man Säcke mit Erde aus Ländern aller Fifa- Verbände verstaut. Man zitiert gerne das medienwirksame Bild einer glücklichen, einträchtigen Familie.
Hier, im unzugänglichen Herzen des Fifa-Baus, wird im kleinen Kreis über die Vergabe von Weltmeisterschaften, Reformen und Sanktionen entschieden, über rechtliche Angelegenheiten und neue Spielregeln - manchmal über Dinge, die die Grundpfeiler des weltweiten Fußballs erschüttern. Dann redet Präsident Blatter Klartext. Und manch einer sehnt sich nach Frischluft und Sonnenlicht: „Es ist mir wichtiger, dass die Angestellten der Fifa direkten Zugang zum Licht haben und nicht die Exekutivmitglieder, die nur periodisch in der Fifa sind“, erläutert Blatter und ergänzt: „Wir haben dort auch noch etwas anderes arrangiert: Der ist abgeschlossen, damit das Resultat einer Abstimmung nicht schon bekannt ist, bevor man aus dem Saal kommt.“ Vertrauen sieht anders aus.
Zu den Kuriositäten des Gebäudes gehört der im Untergeschoß gelegene Meditationsraum: „Mitten in der Bausituation wurde ein Meditationsraum gewünscht, der für alle fünf Weltreligionen Gültigkeit haben sollte“, erzählt Theus. Im Fifa-Andachtsraum steht ein sich nach oben öffnender Onyxkörper, der durch indirektes Licht wie ein überdimensionaler Edelstein leuchtet. Er ist hineingestellt in einen mit grauen Steinwänden ausgekleideten Raum und auf zwei Seiten begehbar. Türen fehlen. Dafür weist ein grüner Pfeil des US-Land-Art-Künstlers James Turrell, der sowohl für die sechs Innenhöfe, die Fassade als auch für die Innenräume ein eigenes Lichtspiel geschaffen hat, in den Durchgängen gen Mekka - als Service für die islamischen Fifa-Mitglieder. Ansonsten ist der Raum nackt. „Alle fünf Religionen haben auf die eigenen Zeichen verzichtet, um Gültigkeit für alle zu erreichen“, sagt die Architektin. Lediglich zwei Bänke suggerieren klösterliche Ruhe und Einkehr.
Im „Home of FIFA“ sind jetzt erstmals alle Mitarbeiter unter einem Dach vereint. Bisher verteilten sich die Beschäftigten in Zürich auf sechs verschiedene Gebäude. Durch ständig wachsende Mitarbeiterzahlen und Aufgaben reichte der erst 2000 bezogene Hauptsitz am Sonnenberg nicht mehr aus. Heute liegt das neue Domizil des Weltfußballverbandes an der „Fifa-Straße“, die von der Stadt eigens für den Neubau bewilligt wurde. „Hier baut die Fifa im Auftrag von 207 Nationen“, so stand es vor der Fertigstellung auf einem Schild. Heute hat die Fifa 208 Mitglieder, die Uno bringt es nur auf 192.
„Wir sind nicht wichtiger“, so Blatter, sondern „populärer als die Uno.“ Und erklärt auch, warum: Wenn die Uno Resolutionen verabschiedet, dann würden diese ja nicht immer angewendet. In der eigenen Familie läge die Quote der angewendeten Entscheidungen hingegen bei 99 Prozent. „Da bin ich ja sehr stolz, dass ich irgendwie der Hausmeister von diesem ,Home of FIFA' bin“, bemerkt Blatter und schmunzelt. Man kann nicht anders, als ihm zu glauben.
Fertighaus mit Seele
Ästhetisches Experiment und Blickfang zugleich: Daniel Libeskind hat seine Vorstellung einer Serienvilla aus der Luxusklasse vorgelegt.
Nun auch Daniel Libeskind. Der US-amerikanische Architekt hat ein Fertighaus entworfen. Nach dem Jüdischen Museum Berlin und seinem Masterplan für Ground Zero in New York hat Libeskind seine Version einer luxuriösen Serienvilla vorgelegt
Datteln am Rande des deutschen Ruhrgebietes: Hier steht der Prototyp. Kein Museum und keine Gedenkstätte, die zum Markenzeichen des in New York lebenden Architekten gehören, sondern ein Fertighaus. „Es schaut gar nicht wie ein Fertighaus aus“, sagt der 63-Jährige im Interview. Zu Recht, denn schon von weitem ist der typische Libeskind-Baustil erkennbar: Die Silhouette des zweistöckigen Wohnhauses ähnelt einem Kristall, der aus über- und ineinander geschachtelten Boxen besteht und mit einer silbrig schimmernden Fassade aus Zink überzogen ist.
Kein Mittelpunkt
Kein Zweifel, der Bau ist ein Blickfang und ästhetisches Experiment zugleich, ein Luxusheim, kein Massenprodukt der Marke X-beliebig. Im Inneren hat man das Gefühl, Fremder und Entdecker zugleich zu sein. Der Grundriss ist alles andere als quadratisch, praktisch, modern. „Ich wollte die Unterscheidung zwischen einem Wohnhaus, einem Museum und einer schönen Villa auflösen. Das fängt mit einem Kinderzimmer an und hört auf mit einem eindrucksvollen Raum, wo man seine Freunde empfangen kann“, erklärt Libeskind.
Es gibt keinen Mittelpunkt, keinen zentralen Raum, um den sich alles gruppiert. Stattdessen findet man überall Verwinkelungen, große asymmetrische Fensterfronten. Hinter jeder Wand eröffnet sich eine neue Perspektive. Libeskinds typischen schrägen Wände und stumpfen Winkel kommen sogar in diesem Einfamilienwohnhaus zur Geltung. „Ich wollte mit der Fertighaus-Villa eine Antwort darauf geben, was es heute bedeutet, ein Haus zu entwerfen, das man auf einem Lkw verladen, quer durch Europa oder sonst wohin transportieren und innerhalb kürzester Zeit aufbauen kann“, sagt Libeskind und fügt hinzu: „Ich wollte ein Fertighaus gestalten, dass so etwas wie eine Seele hat, ein Gespür für Licht, für die Umgebung und das zeitgemäß ist, das heißt, es sollte einen niedrigen Energieverbrauch haben, die Erdwärme und Sonnenenergie nutzen.“
Büro ohne Schrägen
Im New Yorker Stadtteil Lower Manhattan, direkt neben der Wallstreet, residiert Libeskind hoch oben in einem altmodischen Wolkenkratzer. Hier residiert der 63-jährige, in Polen geborene Architekt in seinem Büro.
Etwa 70, vor allem jüngere Mitarbeiter sind hier in New York für Libeskind tätig. In einem Groß-raumbüro zwischen Computern, Entwurfszeichnungen und kleinen Holzmodellen herrscht rege Betriebsamkeit. Von hier aus laufen die Fäden zusammen für Libeskinds Projekte in aller Welt: Kürzlich wurde ein riesiges Unterhaltungs- und Einkaufszentrum in Las Vegas eröffnet. Derzeit arbeiten Libeskind und sein Team an einen Theaterkomplex für Dublin, dem militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden und der Stadtuniversität Hongkong. Ehefrau Nina leitet das Ar-chitekturbüro. An den Wänden hängen Libeskinds Neuentwürfe für das ehemalige World Trade Center.
Libeskind lächelt, ein Leuchten erstrahlt auf seinem Gesicht, wenn er über seine Entwürfe und architektonischen Visionen spricht. In rasender Geschwindigkeit redet da einer, der sehr gut Deutsch versteht, aber nur auf Englisch antwortet; einer, der mit Hingabe auf Fragen antwortet, stets freundlich, im schwarzen Ledersakko und mit einer feinen Designerbrille.
Spätberufener Architekt
Bevor er im Alter von 52 Jahren sein erstes Bauvorhaben fertiggestellt hatte, war Libeskind fast ausschließlich in der universitären Lehre tätig und hat mit seinen dekonstruktivistischen Ideen eine ganze Architektengeneration beeinflusst: „Mein Leben hat sich in einer umgekehrten Reihenfolge entwickelt. Es war zuerst vom Nachdenken und Theoretisieren bestimmt. Erst danach bin ich als praktischer Architekt tätig und arbeite in der ganzen Welt. Das ist gut, weil die Theorie praktisch wird und man nicht umgekehrt aufgrund der Praxis theoretisiert.“
Sein neuster Entwurf entspricht überhaupt nicht der gängigen Vorstellung eines Fertighauses: 515 Quadratmeter Wohnfläche, vier Zimmer, diverse Bäder, Weinkeller, Sauna und eine 100 Quadrat-meter große Empfangshalle mit integrierter Küche. Der Käufer kann zwischen zwei Varianten wählen: dem kargen Libeskind-Stil mit weißem Fußboden oder einem weicheren Casual-Stil, bei dem der Architekt den Bewohnern Parkettböden und gedämpftes Licht zubilligt. Dass dies ein Zugeständnis an die zahlungswillige, aber konservative Fertigluxushaus-Klientel sei, streitet Libeskind vehement ab: „Wenn jemand ein Marmorbad möchte, dann soll er auch sein Marmorbad bekommen. Aber ich habe das Haus so entworfen, wie ich mir ein Zuhause wünsche. Ich habe mir überlegt, wie die Dusche beschaffen sein sollte, wie ich gerne aufwachen würde, wie die Haustür aussehen sollte. So gesehen ist es ein Künstlerdomizil geworden.“
Ein Kunstwerk soll das Haus sein, eine Skulptur, behauptet Libeskind vollmundig, eine, die obendrein den energetischen Ansprüchen unserer Zeit genügt, mit Wärmepumpe und Solarthermie-Anlage dazu noch wohnlich und alltagstauglich ist. Sogar das Regenwasser wird für die Spülung der Toilette genutzt. Die Bauzeit beträgt gerade einmal sechs Monate. Der Preis für das zweistöckige Fertighaus liegt zwischen zwei und drei Millionen Euro. Die Kosten für den Bauplatz nicht mitge-rechnet.
Mit einem Bausparvertrag wird sich dieses Designer-Eigenheim sicher nicht realisieren lassen. Finanzkräftige Käufer ködert man damit, dass Libeskinds Fertighaus auf 30 Exemplare limitiert ist. Weltweit versteht sich.
Selten ein Verkaufsschlager
Zudem darf das Eigenheim innerhalb eines bestimmten Umkreises nur einmal verkauft werden. Die Berliner Firma Proportion GmbH vermarktet das Haus und garantiert eine schlüsselfertige Ausstattung - von der Küche bis zu den Türklinken und den Möbeln, die Libeskind gleich mitentworfen hat. Spannend ist, ob diese Rechnung aufgeht. Denn in der Vergangenheit war Fertighäusern von Stararchitekten zwar eine große Aufmerksamkeit beschieden, ein Verkaufsschlager waren sie allerdings selten.
Dass seine Villa eine Antwort auf die Finanzkrise ist, hält Libeskind für Unsinn: „In Krisenzeiten sollte man nicht mittelmäßig werden. Jetzt ist nicht die Zeit, große Ideen fallen zu lassen und kleine zu verfolgen. Im Gegenteil. Jetzt ist es Zeit zum Umdenken, sich auf größere Zusammenhänge zu besinnen. Wir haben ja während der Finanzkrise gesehen, dass sehr viel Geld verschwendet wurde, nur um kurzfristige Gewinne zu machen. Jetzt brauchen wir eine nachhaltige Architektur. Wir müssen so planen, dass Dinge Bestand haben.“
Nicht in Manhattan, nicht in Paris und schon gar nicht auf irgendeiner Trauminsel, sondern in der deutschen Provinz steht Libeskinds Prototyp. Bisher hat sich kein Bauherr bereitgefunden, für ein Fertighaus zwei bis drei Millionen Euro auszugeben. Die Verhandlungen laufen aber weiter, heißt es offiziell. Möglicherweise wird die erste Villa im Schweizer Tessin am Lago Maggiore gebaut.
Monument und Meditationsraum
Die jüngst geweihte Kirche Santo Volto von Mario Botta in Turin
Kein anderer Baukünstler hat sich in den vergangenen Jahren so intensiv mit der Sakralarchitektur befasst wie Mario Botta. Sein uvre umfasst eine Kathedrale, eine Synagoge sowie mehrere Kapellen und Kirchen. Jetzt hat er in Turin sein dreizehntes Gotteshaus verwirklicht.
Es erstaunt immer wieder, dass selbst Mario Bottas grosse Bauten wie das Museum of Modern Art in San Francisco oder die Kathedrale von Evry bei Paris in ihrem Innern meditative Ruhe verströmen. «Das Bedürfnis nach Spiritualität ist nicht an religiöse Gefühle gebunden», sagt der 63- jährige Tessiner Architekt im Gespräch. «Wenn ich wählen könnte zwischen dem Bau eines Kaufhauses, eines Museums oder einer Kirche, so würde ich das Gotteshaus bevorzugen. Es hat sein eigenes Gedächtnis, seine eigene Tradition und ist nicht an den Konsum gebunden.» Das gilt auch für den mächtigen, expressiven Bau der Kirche Santo Volto im Nordwesten Turins. Der Kontrast zwischen dem roten Veroneser Stein des Sakralbaus und dem Betongrau der umliegenden Bürohäuser und Arbeitersiedlungen ist überwältigend. Aus einem sternförmigen Grundriss erheben sich sieben 35 Meter hohe Türme. «Ich bin von der Idee eines Zeltes ausgegangen, das an sieben Türmen festgemacht ist», erklärt Botta: «Sieben ist eine magische Zahl mit einem besonderen Gewicht in der Geschichte.»
Spiritueller Glanz
Dass es sich bei der Kirche Santo Volto um ein Gotteshaus handelt, erkennt der Besucher von aussen einzig am freistehenden Glockenturm - und an einer schmalen Linie an einer Aussenmauer. Diese mit Glas überzogene Vertikale führt Botta bis an den höchsten Punkt der Kirche und formt sie dort zu einem Kreuz. Im Innern besticht Santo Volto durch seine schlichte Gestalt. Die mit Holzpaneelen aus Ahorn verkleideten Wände und Decken verleihen dem Raum einen warmen, spirituellen Glanz. Licht fällt ausschliesslich von oben durch die Glasdächer der Aussentürme ein. Botta orientiert sich in der Lichtführung an seinem Lehrer Louis Kahn und dessen nie realisierter Hurva-Synagoge in Jerusalem.
In den religiösen Mittelpunkt von Santo Volto stellt Botta das Turiner Grabtuch, das in Form eines am Computer berechneten Pixelreliefs aus Marmor hinter dem Altar erscheint. Das «Heilige Antlitz», nach dem die Kirche benannt ist, beherrscht den kreisrunden Gebetsraum. «Wir leben in einer säkularisierten Gesellschaft, in welcher sich die spirituellen Bedürfnisse nicht mehr so stark bemerkbar machen. Wenn man aber einen Raum der Stille, der Meditation anbietet, dann kommen die Leute.» Mit seiner Ästhetik des Erhabenen will Botta in den Menschen wieder das Gefühl der Ehrfurcht wecken. Deshalb verzichtet er hier - wie bei allen seinen Gotteshäusern - auf augenfällige sakrale Erkennungsmerkmale oder frömmelnden Kitsch und arbeitet stattdessen mit Licht- und Schattenzonen. Der Rundbau erschwert zudem den Versuch, die fensterlose Kirche hierarchisch in Schiff und Chor einzuteilen: «Die Reaktion der einfachen Leute ist positiver als die der kirchlichen Würdenträger, in deren Kommissionen es manchmal ein vielsagendes Schweigen gab», resümiert Botta.
Vor der Kirche erinnerte ein Industriekamin an das Fiat-Werk, das hier einst stand. Botta hielt am knapp 60 Meter hohen Schornstein fest und liess ihn mit Beton ummanteln. An der Aussenseite wurden reflektierende Stahlkugeln gehängt, die spiralförmig wie auf einer Jakobsleiter nach oben gleiten. Nachts stellen sich durch die Beleuchtung wunderbare Lichteffekte ein. Botta will so zwischen Gotteshaus und industrieller Umgebung vermitteln. Santo Volto soll das Vorurteil widerlegen, Turin sei noch immer eine graue Autostadt. Denn dort, wo einst Fabrikschlote qualmten, gibt es heute Technologieparks, Museen und - mit Santo Volto - ein neues Wahrzeichen der piemontesischen Hauptstadt.
Botta träumt von der Wiederbelebung einer mittelalterlichen Tradition, als die Kirche noch in den städtischen Alltag eingebunden war. So soll Santo Volto zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens werden. Warum aber sollte in einer urbanen Landschaft des 21. Jahrhunderts ausgerechnet die Stadtmitte von einer Kirche besetzt werden? Und ist es nicht problematisch, ein religiöses Gebäude, das mehr einem gigantischen Tempel denn einer herkömmlichen Kirche ähnelt, für ein ehemaliges Industriegebiet zu entwerfen? «Nein», erwidert Botta vehement. Es gehe hier nämlich um die Frage, wie ehemalige industrielle Zentren heute genutzt werden: «Diese Stadtviertel brauchen eine neue Bedeutung, sie müssen zu neuem Leben finden. Die Ausstrahlung von Santo Volto wird dem Viertel neue Aufmerksamkeit bringen.»
Aber warum sollte man in einer Zeit, da beispielsweise in Deutschland, Grossbritannien oder den Niederlanden aus manchen Kirchen Restaurants und Orte der Event-Gesellschaft entstehen, überhaupt noch Sakralräume gestalten? Botta hält den Kirchenbau für keinen Anachronismus, schliesslich «baue ich ja keine Gotteshäuser aus eigenen Stücken, sondern weil ich beauftragt werde. Natürlich gibt es Fälle, in denen Kirchen leer bleiben und keine Besucher kommen. Aber das gilt auch für andere Gebäude, wenn sie ihre Funktion verloren haben.»
Wahrzeichen für Urbanität
Santo Volto ist Blickfang und Fremdkörper zugleich, ein Wahrzeichen für Urbanität und ein architektonisches Experiment. Damit ist diese Kirche genau das Gegenteil all jener gesichtslosen, multifunktionalen Seelsorgezentren, die für die siebziger Jahre kennzeichnend waren. Santo Volto besteht aber nicht nur aus einer Kirche. Hier findet man auch ein Kongresszentrum für 700 Personen, Büros der Kurie, Kardinalsgemächer und das Pastorat. Stolze 25 Millionen Euro soll der Kirchenkomplex gekostet haben. Das sei selbst innerhalb der katholischen Kirche nicht ohne Widerspruch geblieben, weiss Marco Bonatti, Chefredaktor des Kirchenblattes «La Voce del Popolo», zu berichten. In Turin habe es nach 1968 eine starke Tradition von Arbeiterpriestern gegeben. Diese hätten in der industriellen Produktion mitgearbeitet und auf der Seite der Gewerkschaften gestanden: «Diese Arbeiterpriester waren gegen den Bau einer imposanten Kirche, wie sie Santo Volto darstelle. Sie lehnten die Idee ab, an diesem Ort Arbeit und spirituelles Leben zusammenzuführen. Eine einfache Kirche, eine Hütte, hätte ihnen gereicht.» Ohne Architekturwettbewerb hatte der Turiner Kardinal Severino Poletto das Projekt durchgesetzt. Um sich und dem in Italien sehr populären Architekten ein Denkmal zu setzen, behaupten Kritiker. Zu einem Monument im besten Sinne des Wortes ist Santo Volto nun auch geworden.
Ein Modell für die Komplexität der Welt
Daniel Libeskind und die Fragwürdigkeit der Architektur
Vielen gilt Daniel Libeskind als renommiertester Vertreter des Dekonstruktivismus. Gleichwohl hat er bisher erst das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück und das Jüdische Museum Berlin verwirklichen können. Zurzeit arbeitet er an Grossprojekten wie dem Erweiterungsbau des Victoria & Albert Museum in London, der JVC-Universität in Guadalajara, Mexiko, und dem Imperial War Museum in Manchester. Nun hat er für das Freizeit- und Einkaufszentrum «Nexus» in Bern Brünnen den Zuschlag bekommen. Mit Libeskind in Berlin sprachen Michael Marek und Matthias Schmitz.
Erinnern Sie sich noch an Ihre Kindheit?
Natürlich, bis zu meinem elften Lebensjahr lebte ich in Lodz. Dort ging ich zur Schule. Ich spreche noch immer Polnisch, lese und schreibe polnisch. Polen stand in der Nachkriegszeit unter kommunistischer Herrschaft. Meine Eltern waren Juden, ich war Jude. Es gab einen starken Antisemitismus in Polen. Wir gehörten nicht zur Kommunistischen Partei oder zu ihren Sympathisanten. So wurden wir zur Zielscheibe. Ja, es war eine interessante Kindheit.
Ihre Familie wanderte dann nach Israel aus.
Ende der fünfziger Jahre stimmte die polnische Regierung erstmals zu, dass Juden Polen verlassen durften. Ich war mir von Kindheit an bewusst, was es heisst, in einem politischen Zusammenhang zu stehen. Als Juden in Polen wurde uns nicht gerade Wohlwollen entgegengebracht. Wie überlebt man mit einer jüdischen Identität unter solchen Bedingungen? Als Kind hatte ich keine Familie. Meine Tanten, Onkel und Cousinen wurden während des Holocausts ermordet. Nur wir waren übrig geblieben. Wir kamen uns einsam vor, und das traf ja auch zu. Natürlich gab es noch andere Juden in Polen. Die jüdische Gemeinde zählte einst drei Millionen Menschen, nach dem Krieg waren es aber nur noch einige tausend. Das war eine gewaltige historische Veränderung.
Shoah und Architektur
Haben diese Erfahrungen Sie beeinflusst?
Ich denke, dass die Shoah nicht nur für mich persönlich auf Grund meiner Familiengeschichte sehr wichtig ist. Dass ich jetzt vor Ihnen sitze, habe ich in gewisser Weise nur einem Zufall zu verdanken. Der Holocaust beeinflusst jeden Menschen, denn nach Auschwitz ist eigentlich jeder ein Überlebender, egal, was ihm widerfuhr oder wer er ist. Was das genau bedeutet, das wird für Europa, für die Gesellschaft insgesamt zur zentralen Frage. Deshalb ist der Holocaust keineswegs etwas, das tragischerweise einmal passiert und nun vorbei ist, sondern eher ein Horizont, der einen anderen Blick auf die Welt eröffnet.
Wie haben Ihre Verwandten darauf reagiert, als Sie nach Berlin umzogen?
Als ich mit dem Museumsprojekt in Berlin begann, haben mich viele meiner Verwandten verleugnet. Sie konnten nicht verstehen, dass meine Frau und ich mit den Kindern nach Deutschland zogen, um hier zu leben und zu arbeiten. Die haben uns für verrückt gehalten.
In Ihrem Buch über das Jüdische Museum Berlin gibt es eine Widmung für Ihren Vater.
Heute ist mir klar, dass mein damals über achtzigjähriger Vater als Überlebender des Holocausts meine Entscheidung, nach Berlin zu gehen, nicht verstehen konnte. Als er aber nach Deutschland kam, sah er, dass sich etwas zum Positiven gewendet hat.
Disneyland oder Geniestreich?
Denken Sie bei Ihren Entwürfen auch an die späteren Nutzer?
Als Architekt muss man daran interessiert sein, wie Gebäude auf Menschen wirken und wie diese damit umgehen. Bezogen auf das Jüdische Museum habe ich nie an ein bestimmtes Verhalten gedacht, also wie die Leute auf etwas reagieren könnten. Es ist ein Werk, bei dem man nicht nur an die konkreten Nutzer denkt, sondern gerade auch an jene, die nicht in einem physischen Sinne, sondern in einer Art potenzieller Anwesenheit mit da sind, das heisst all die jüdischen und nichtjüdischen Bewohner Berlins, die Anteil am Kulturerbe der Stadt haben.
Wie stehen Sie zum Vorwurf der Zweckfeindlichkeit des Jüdischen Museums im Besonderen und Ihrer Bauten allgemein?
Ich denke, man muss anerkennen, dass Hunderttausende von Menschen das Gebäude besucht haben, obwohl es leer ist. Das heisst, sie haben eine Verwendung dafür gefunden - auch ohne Ausstellungsstücke, ohne Museumsführer. Sie haben es mit Sinn erfüllt, weil es nicht nur von einer geistigen Beziehung abhängt, dass man es für sich nutzen kann, sondern auch von Gefühlen, von Hoffnungen. Ich würde deshalb bestreiten, dass diese Architektur weniger nützlich ist als einige dieser geistlosen Bauten am Potsdamer Platz. Vielleicht ist sie sogar nützlicher.
Bietet das Jüdische Museum mehr als nur ästhetisierende Betroffenheitsarchitektur oder eine didaktische Manipulation der Sinne?
Wenn man sich der Architektur bewusst wird, dann geht es um etwas anderes als um Manipulation oder Erziehung. Ich glaube, es ist gut, dass man zu fragen beginnt, dass Menschen sich über die Beziehung von Architektur und Raum wundern und sich kritisch ihrer eigenen Sichtweise innerhalb des Gebäudes stellen müssen. Das ist genau jener Funke, der zu etwas ganz anderem führt als zu jener Trägheit, mit der man Gebäude wie Konsumartikel in der Art von Autos oder anderen Industrieprodukten ansieht.
In Ihren theoretischen Arbeiten monieren Sie einen Mangel an «mythischer Erfahrung» in der zeitgenössischen Architektur. Gibt es in Ihrer Architektur einen geistigen Bezug, oder ist das nur eine sprachliche Projektion?
Man sollte Rationalität nicht mit Vernunft verwechseln, denn diese muss von instrumenteller Rationalität unterschieden werden. Natürlich gibt es einen geistigen Aspekt in der Architektur - in jeder Architektur, auch dann, wenn sie ohne Ausdruck ist und nichts als geformte Banalität darstellt. Dort ist es unglücklicherweise eher ein zerstörerischer, negativer Geist. Wenn man aber Architektur als Teil der menschlichen Beziehungen zur Welt betrachtet, dann gibt es diesen geistigen Aspekt wie in der Literatur oder der Musik.
Welche Bedeutung hat dann für Sie der technische Aspekt in der Architektur?
Architektur hat immer etwas Technologisches an sich: von der Art, wie man die Fundamente gräbt, bis hin zur Konstruktion eines Gebäudes. Die meisten Architekten sind geradezu besessen von der Technik. Für sie ist der Grund zu bauen letztlich ein technischer. Dagegen ist in meiner Architektur Technik nicht der Endpunkt, sondern ein Mittel, um einen Raum, eine Atmosphäre, einen Ort zu schaffen - also nicht etwas Abstraktes, sondern etwas sehr Konkretes.
Kriegsmuseum und Monumentalität
Die Grösse Ihrer Bauten erscheint uns problematisch. Das Imperial War Museum in Manchester etwa wirkt im Modell fast übermächtig und beherrscht mit seiner Geste geradezu die Umgebung.
Sicher ist es ein grosses Museum, aber es ist nicht grösser als die Fabriken und Lagerhäuser der Umgebung. Es ist nicht grösser als das nahe liegende Fussballstadion oder das Shopping-Center. Es ist Teil der neuen urbanen Orientierung.
Aber steht die Grösse des Gebäudes in einem angemessenen Verhältnis zu den Besuchern?
Es handelt sich hier um ein öffentliches Gebäude, ein Museum, das für die Bedürfnisse eines sehr grossen Publikums geschaffen wird. Natürlich ist es beeindruckend, aber ich denke, es wird räumlich gleichwohl eine sehr intime Beziehung zu ihm geben, weil das bis zu 22 Meter hohe Dach so gekrümmt sein wird, dass es seitlich fast den Boden berührt. Das macht einen Teil der Freude und des Interesses an der Architektur aus: wie sie auf Menschen bezogen ist, wie sich diese Beziehung bei grossen Gebäuden herstellt. Das hängt aber nicht von der Grösse allein ab, sondern vom architektonischen Ganzen. Man sollte sich deshalb nicht zur Annahme verführen lassen, dass grosse Gebäude schlecht sein müssen.
Nostalgie am Potsdamer Platz
Welche Bedeutung hat für Sie die Trennung von öffentlichen und privaten Räumen?
In Zukunft wird diese Unterscheidung keine Bedeutung mehr haben. Deshalb muss man erneut über Bauwerke nachdenken und diese banalen Trennungen aufheben. Denn wir leben im Horizont der ganzen Welt.
Sie haben in Ihrer Kritik am Potsdamer Platz gesagt, man könne Geschichte nicht simulieren. Stattdessen solle man sich der Geschichte erinnern und sich ihrer Dynamik bewusst sein. Was heisst das für die Architektur?
Man sollte der Öffentlichkeit nicht vortäuschen, man könne einen beliebigen Abschnitt der Geschichte herausgreifen und nur auf ihn hin eine Stadt ausrichten. Diese Vorstellung von einem selektiven Gedächtnis hat niemals funktioniert - bei keinem Entwurf, Masterplan oder irgendeiner Stadtidee. Wir müssen stattdessen die Architektur wieder auf die Ökonomie abstimmen, auf die Gesellschaft und die Kultur. Wir sollten aber nicht allzu nostalgisch auf den Pfaden einer illusionären Vergangenheit wandeln, sondern die Probleme so nehmen, wie sie sich stellen, und in einer Weise behandeln, die weiter reicht, interessant ist und von einer menschlichen Haltung zeugt, aber nicht diese gesichtslose Architektur produziert.
Wie erklären Sie sich in diesem Zusammenhang Ihren Erfolg bei Investoren oder Grossunternehmen wie - im Fall des für Bern Brünnen geplanten Einkaufszentrums - der Migros?
Ich bewerte meine Erfolge nicht nach den Kriterien eines Investors und auch nicht nach der Anzahl von Anrufen in meinem Büro. Erfolg heisst für mich, etwas einem grösseren Zusammenhang hinzufügen zu können. Es geht hier also nicht nur um einzelne Gebäude, die eine bestimmte Form haben. Eigentlich ist dies nur ein Mittel für das Ziel eines guten, interessanten und gedankenreichen Lebens. Und ich bin froh, dass ich das kann. Masse interessiert mich nicht.
Lange waren Sie in der universitären Lehre tätig. Jetzt arbeiten Sie als Architekt mit eigenem Büro. Was hat Sie zu diesem Wechsel bewogen?
Ich sehe dies nicht als einen Wechsel an. Nur weil man seine Adresse ändert, heisst das noch lange nicht, seine Tätigkeit zu ändern. Die Lehrtätigkeit, die Welt des Diskurses ist nicht wirklich von der der Arbeitswelt verschieden. Natürlich, von aussen sieht das vollkommen anders aus. Die heutige Trennung zwischen Diskurs, Philosophie, Ökonomie usw. ist falsch. Die Bereiche sind nicht klar getrennt, ihre Grenzen eher verworren, unscharf. In Zukunft werden wir sehen, dass es sich dabei um künstliche Kategorien handelt, ohne Bezug zum Leben, das wir führen.
Hatte Ihr Erfolg Auswirkungen auf Ihre konkrete Arbeit und Ihr Konzept von Architektur?
Man muss jeden Tag aufs Neue voller Zweifel und kritisch gegenüber dem sein, was man tut. Und ich bin sehr kritisch. Man muss die Gefahren sehen, die in der Anerkennung durch Kommissionen oder in öffentlichen Auszeichnungen liegen. Deshalb muss ich heute darüber anders nachdenken und zudem sehr viel Zeit mit Politikern, Stadtregierungen oder Vertretern der Kommunen verbringen, mehr als ich jemals für möglich gehalten habe. Das ist sicher etwas, was ich mir anfangs unter Architektur nicht so vorgestellt habe. Doch mittlerweile verstehe ich dies als kritischen Bestandteil meiner Arbeit. Seit dem Beginn der Moderne wurde Architektur nur als ein Ergebnis von Abstraktion gesehen, der menschliche Zusammenhang dagegen vernachlässigt.
Die Demokratie des Raums
Stimmt es, dass Ihrer Meinung nach Architektur im Gegensatz zu anderen Künsten starke moralische Implikationen hat?
Man muss immer an die anderen denken, stets die Tür öffnen und schauen, ob sich nicht dahinter jemand aufhält. Architektur ist eben nicht exakt. Sie ist kein Luxus, sondern notwendig, und das macht sie zu einem so schönen Arbeitsfeld. Es ist beinahe unmöglich, sie aus ihrem Kontext herauszunehmen oder zu delokalisieren, weil sie letztlich immer an einen bestimmten Ort gebunden bleibt und ihre Grenzen hat. Egal, wie frei Architektur auch erscheint, sie ist begrenzt. Deshalb ist Architektur ein gutes Modell für die Komplexität und Menschlichkeit der Welt jenseits aller Philosophien, radikalen Ansätze und aller Ideen von totaler Kontrolle.
Für Ihren Erweiterungsbau des Victoria & Albert Museum in London wählten Sie die Form einer Spirale und stellten diese in Beziehung zu den veränderten Bedingungen der Architektur im demokratischen Staat. Könnten Sie das erläutern?
Es ist keine klassische Spirale, die sich auf einen sicheren Blickpunkt ausrichtet oder zu einem Zentrum hinstrebt, sondern eine, die nach möglichen Koordinaten in einem unendlichen, möglichen demokratischen Raum sucht. In einer Demokratie kann man nicht einfach eine Alternative produzieren, weil es stets andere Möglichkeiten geben wird. Nach meiner Einschätzung ist diese Offenheit und Spannung von Alternativen Teil eines neuen räumlichen Ganzen. Dieses ist nicht länger auf einen einzelnen Blickpunkt oder eine einzige Perspektive hin ausgerichtet, nicht mehr bezogen gewissermassen auf die Macht einer Flugbahn, die bei Alpha beginnt und bei Omega endet. Es handelt sich stattdessen um ein Feld von Möglichkeiten. Was ich herausstellen möchte, ist die Fragwürdigkeit der Architektur. Sie steht nicht ausser Frage, sondern alles an ihr ist «fragwürdig». Und ich denke, dass Bauwerke diese Ansicht befördern müssen, anstatt die Leute zu betäuben, indem man sie glauben macht, in einer stabilen Welt zu leben, in der sich nichts ändert und alles in Ordnung ist. Wir leben in keiner stabilen Welt, sie ist es nie gewesen.