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Akzente in der Gebirgslandschaft
Neue Zürcher Zeitung

Mit Architektur gegen die Idee der alpinen Brache ankämpfen

Das vor einem Jahr vom ETH-Studio Basel erstellte städtebauliche Porträt der Schweiz hat vor allem bei den Architekten des alpinen Raums für Aufregung und Diskussionen gesorgt. Das ist verständlich, sehen doch die Planer im Alpenraum ihr Tun in Frage gestellt.

5. Januar 2007 - Christian Dettwiler
Hier Förderung der Zentrumsbildung und der Entwicklung urbaner Agglomerationen, da alpines Brachland, so knapp und unvollständig zusammengefasst präsentiert sich vornehmlich bei den Betroffenen in den zur Brache bestimmten Berggegenden die Rezeption der vom ETH-Studio Basel erarbeiteten Studie «Die Schweiz - ein städtebauliches Porträt» (NZZ 5. 11. 05). Marcel Meili, neben Jacques Herzog, Pierre de Meuron und Roger Diener Hauptautor der Studie, nennt sie eine Reise in die physische und psychische Wirklichkeit der Schweiz an der Jahrtausendwende. Resultat dieser Reise ist die Demontage von tradierten Mustern im Selbstbewusstsein der schweizerischen Bevölkerung wie auch der Förderungspolitik des Bundes für Randregionen.

Die Sicht der anderen

Die Schweiz soll sich neu definieren mit den Metropolitanregionen Zürich, Basel und Genf- Lausanne. Diesen soll sich die «Restschweiz» (mit Städtenetzen wie Bern, Luzern und Lugano) unterordnen. Im hochalpinen Raum sollen einige Resorts überleben können, die andern Berg- und Voralpenregionen werden zu «Brachland» und «stillen Zonen» deklariert. Damit wird in unserm Land einer Entwicklung das Wort geredet, die anderswo längst stattgefunden hat, insbesondere im italienischen und französischen Alpenraum. Dort sind schon vor Jahrzehnten die Weichen für Tourismuszentren mit urbanem Charakter (auch bezüglich einer selten überzeugenden Architektur) gestellt worden, während sich andernorts ganze Täler mangels touristischer Qualitäten oder Initiativen praktisch entleert haben.

Es versteht sich von selbst, dass diese - zum Teil polemisch geführte - Debatte eine neue Sicht der Topographie unseres Landes hervorbringt und letztlich auch das traditionelle Solidaritätsmodell der Schweiz herausfordert. Und gerade hier sind sich die Architekten uneins. Einer der vehementesten Befürworter dieser Studie (als Arbeitsgrundlage) und zugleich einer der schärfsten Kritiker ist Gion A. Caminada aus Vrin. Denn er, wie die Autoren der Studie auch ETH-Professor, lebt mitten in der neu deklarierten Brache weitab von den touristischen Resorts. Seine Bautätigkeit im Lugnez basiert auf einer ökonomischen Analyse des Machbaren und Notwendigen, das letztlich von einer Bevölkerung getragen wird, die mit Selbstbewusstsein sowohl der Qualität des Bauens nachlebt als auch mit weiteren Bauprojekten an die Chancen einer Existenz in den Bergen glaubt und deshalb nicht abwandert.

Ähnliches gilt für das Engadin und speziell das Unterengadin, wo verschiedene Projekte am Entstehen sind, die der Brache-Vision diametral entgegenlaufen. Dass St. Moritz in der Diktion der Basler Studie ein Resort ist, steht ausser Zweifel. Dass sich dort architektonisch einiges bewegt (etwa beim Personalhaus des Hotel Palace), hat mit der Erkenntnis zu tun, dass die Zeiten der Profitmaximierung mit touristischen Bauten im Stile von Mammut-Chalets zu Ende gehen. Erst recht gilt dies dort, wo bisher kaum touristische Tradition vorhanden war und die architektonische Intervention zur «unique selling proposition» (USP) wird - so bei der Therme in Vals oder den Hotelprojekten von Vnà und Tschlin im Unterengadin.

Architektur als Chance?

Die autonome italienische Provinz Bozen-Südtirol (die gemäss der Basler Studie wohl teils als Resort, teils als Brache einzustufen wäre) hat seit zwei Jahren einen Landesbeirat für Baukultur und Landschaft, dessen Aufgabe es ist, alle Baueingaben auf Qualität und Verbindung mit der Landschaft zu begutachten und allenfalls beratend einzugreifen. Ziel soll es vor allem sein, die Zersiedelung der alpinen Landschaft zu verhindern, wodurch auch die kommunalen Behörden gefordert - und allenfalls in ihrer Autonomie eingeschränkt werden. In der Tat sind denn auch zahlreiche bemerkenswerte Gebäude entstanden wie Matteo Thuns Vigilius-Bergresort bei Lana oder Walter Angoneses Weinkellerei Manincor am Kalterersee.

Mit all diesen Massnahmen versuchen Alpenschützer und Architekten der Alpenregion eine Perspektive zu geben. Sie fordern architektonische Qualität, die gerade in Caminadas Heimat eine bemerkenswerte Dichte hat, und den sorgfältigen Umgang mit landschaftsplanerischen Massnahmen, welcher heute bei manchen Gemeindeverwaltungen im alpinen Raum eine rare Tugend darstellt. Letztlich - und das ist das Interessante an dieser Kontroverse - fordert das ETH-Studio mit seiner Propagierung eines Paradigmenwechsels bezüglich der topographischen Betrachtung des Landes die Architekten und Planer im alpinen Raum heraus: Was, wenn - wie eben von Avenir Suisse erneut postuliert - die Förderung der Randregionen und der Landwirtschaft radikal zurückgestuft werden sollte? Reichen dann die Architektur und das gute, neue Bauen in den Alpen zur autonomen Existenz?

Caminada, aber auch Conradin Clavuot in Graubünden oder Angonese in Südtirol haben im Diskurs mit Marcel Meili diese Frage unlängst an den Tagen für Neues Bauen in den Alpen in Sexten klar bejaht; alle begrüssen sie die Analyse der Basler Studie, treten aber entschieden gegen die Resort-Bildung und ein alpines, folkloristisches Disneyland an. Sie sehen die Chance in der Bildung von Mikrokosmen, die autark wirtschaften und sich durch eine eigenständige, landschaftsbewusste Architektur auszeichnen. Ob dies allerdings ohne die Fördergelder für die Randregionen funktioniert, ist die offene Frage.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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