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Durch die rote Tür
Neue Zürcher Zeitung

Mit Stadtumbau gegen den Schrumpfungsprozess in Sachsen-Anhalt

Im ostdeutschen Bundesland Sachsen- Anhalt haben die Städte seit 1990 bis zu einem Viertel ihrer Einwohner verloren. Die von der Stiftung Bauhaus Dessau betreute Internationale Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010 soll neue Wege zur Bewältigung des derzeit unumkehrbar scheinenden Schrumpfungsprozesses aufzeigen.

30. Januar 2007 - Ursula Seibold-Bultmann
Unweit von Magdeburg liegt eine Stadt ohne Mitte. Hier, in Stassfurt, wurden 1852 die ersten Kalischächte der Welt eröffnet. Der Wohlstand, den das anfangs brachte, kam teuer zu stehen: Mitten im Stadtzentrum bildete sich ein bis zu sieben Meter tiefes Senkungsgebiet, dem Hunderte von Wohnhäusern, die Stadtkirche und das Rathaus zum Opfer fielen. Jahrzehntelang lag die riesige Wunde im Stadtgefüge brach, aber nun hat man die Leere und das steigende Grundwasser geschickt genutzt. Von den Berliner Landschaftsarchitekten Häfner und Jimenez liess die Kommune in der Schadenzone einen klar konturierten kleinen See anlegen, an dessen Ufern die Bürger im letzten Sommer das 1200-Jahr-Jubiläum ihrer Stadt feierten. Auch andernorts in Sachsen-Anhalt hellt sich die Stimmung ein wenig auf: Als man etwa jüngst in Weissenfels bei Naumburg die hohen Schornsteine des alten Elektrizitätswerks sprengte, wurde der Abschied vom vertrauten Ortsbild nicht in stiller Wehmut, sondern mit einem zünftigen Grillfest begangen.

Strukturwandel als Chance

Vom Himmel fällt die Festlaune allerdings nicht, sondern sie ist Frucht planvoller Arbeit. Stassfurt und Weissenfels beteiligen sich zusammen mit sechzehn weiteren Städten - darunter auch Halle und Magdeburg - an der 2002 ins Leben gerufenen Internationalen Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt (IBA). Von der Stiftung Bauhaus Dessau und der Landesentwicklungsgesellschaft Saleg getragen, ist diese Schau keine Ausstellung im landläufigen Sinne. Vielmehr geht es um unterschiedlichste urbanistische Pilotprojekte in den Teilnehmerstädten, die einen zukunftsweisenden Stadtumbau unter den Vorzeichen von Abwanderung, demographischem Wandel, De- Industrialisierung und Finanzmangel einleiten sollen. Im Jahr 2010 - am Ende der IBA-Laufzeit - werden die Ergebnisse dieser Vorhaben dann vor Ort zu besichtigen sein.

Leere und Umbruch, so betonen die Organisatoren der IBA, sollten umbewertet werden. Der Strukturwandel müsse positiv als Chance zur Stadtgestaltung statt negativ als lähmende Bedrohung begriffen werden, wobei der Erfindungsreichtum ausnahmslos aller Beteiligten gefragt sei. Für jede Stadt peilt die IBA eine je eigene, auf ortsspezifische Qualitäten zugeschnittene Lösung an. Statt hochglanzgestylter Branding-Visionen eines Stadtmarketings «von oben», an die hier niemand so recht glauben würde, sollen attraktive und zugleich für die Bevölkerung plausible Leitbilder zur Perspektive des jeweiligen Ortes vermittelt werden. Allerdings trägt das IBA-Büro diese fraglos sinnvollen Zielvorstellungen in einer Sprache vor, die nicht überall ins Herz der angesprochenen Bürger treffen dürfte. Um kurz den O-Ton anzuschlagen: «Ästhetische Interventionen schaffen mentale Freiräume und Bildangebote zur Selbstaktivierung.»

Kleiner und klüger

Diese neuen Bildangebote beginnen in Eisleben, dem Geburtsort Martin Luthers, bereits aufzufallen. Hier müssen Privateigentümer den Stadtumbau massgeblich mittragen. Trotz einer «Entdichtung» der Innenstadt durch den punktuellen Abriss verfallener Häuser soll die Gesamtwirkung des alten, von mehr als 700 Baudenkmälern geprägten Stadtbilds erhalten bleiben; die Parole lautet «Kontrollierte kleinteilige Perforation». Um geschlossene Strassenfluchten wiederzugewinnen, wurde nun damit begonnen, brachliegende Grundstücke zu den Trottoirs hin mit halbhohen Mauern und Steinkörben, sogenannten Gabions, abzugrenzen. An manchen Mauern sind rote Holztüren angebracht - Signale dafür, wo Zugang zu neuen Nutzungsmöglichkeiten besteht. Und die Touristen, auf deren Zustrom man so hofft? Statt wie bisher unter dem Eindruck schwarzer Fensterhöhlen durch unbelebte Hintergassen den Weg von einer Luther-Stätte zur nächsten suchen zu müssen, sollen sie künftig auf einem Luther-Pfad vom Besucherzentrum, das derzeit beim Geburtshaus des Reformators von Springer Architekten aus Berlin realisiert wird, zu seinem Sterbehaus spazieren können.

Im westlich von Halle gelegenen Aschersleben, dessen Einwohnerzahl zwischen 1990 und 2005 von 34 152 auf 25 909 schrumpfte, erblickt man auf Abrissflächen am stark befahrenen Innenstadtring als neue Raumkanten begrünte Metallgerüste oder eine Wand aus Drahtkörben, die im Stil einer Assemblage mit sauber geschichteten alten Dachziegeln, Waschbecken oder Klinker gefüllt sind. Im Jahr 2010 soll sich der Ring nicht mehr als graue Durchgangszone, sondern als «Drive-thru-Gallery» präsentieren. Die Stadt ermutigt zudem Umzüge aus den Neubauvierteln der Peripherie zurück in den Stadtkern mit seinen vielen schönen Fachwerkhäusern. Um die Altstadt zu stärken, hat man hier schon vor Beginn der IBA auf qualitätvolles Bauen im Bestand gesetzt: So hat die in Wittenberg und Berlin tätige Architektin Mara Pinardi 2003 das direkt an der Stadtmauer gelegene, ehemals preussische Gefängnis in ein Stadtarchiv und stimmungsträchtiges Kriminalmuseum verwandelt.

Manch einer wird sich fragen, ob all die Massnahmen in den schrumpfenden Städten nicht bloss Tropfen auf den heissen Stein sind. Doch wo immer mehr öffentliche Einrichtungen schliessen, Tausende von Wohnungen auf Dauer leer stehen, der Rückbau überdimensionierter Leitungsnetze ansteht und Hoffnungen auf einen Wirtschaftsaufschwung schwinden, geht es zuallererst darum, der Entmutigung und Passivität etwas entgegenzusetzen. Die IBA gibt den beteiligten Städten kein Geld, aber neues Selbstbewusstsein. Sie bietet fachliche Hilfen beim Finden und Präzisieren urbanistischer Strategien sowie - auf dem Wege jährlicher Evaluierungen - eine Erfolgskontrolle. Sie berät bei der Beantragung von Fördermitteln, sie ermöglicht Vergleiche der Städte untereinander, sie gibt Publikationen heraus und veranstaltet Kongresse zu einschlägigen Themen wie etwa der Migration, bei denen sich internationale Horizonte öffnen.

Gegen alte Automatismen

Und noch etwas kommt hinzu. Wenn etwa Halle mittels Aktionen des örtlichen Thalia-Theaters an Leerstellen seiner als DDR-Mustermetropole angelegten Neustadt deren soziokulturelles Profil gegenüber der historischen Altstadt stärkt und so ein Gleichgewicht zwischen beiden Stadthälften herzustellen sucht oder wenn Dessau darauf zielt, mit Hilfe von Bürger-Patenschaften die Pflege stark vergrösserter Landschaftsflächen in der Stadt zu ermöglichen, dann konkretisieren sich dank praktischen Erfahrungen die Punkte, wo alte Automatismen einer auf Wachstum gerichteten Planungskultur versagen. Zwar haben solche Erfahrungen bisher noch nicht zu verwaltungsrechtlichen Anpassungen geführt, doch gibt es dank der IBA jetzt eine Arbeitsgruppe, die das Vorgehen der einzelnen Landesministerien beim Stadtumbau besser zu koordinieren sucht.

Es bleibt anzumerken, dass die Grundidee der IBA weniger neu ist, als sie zunächst scheinen mag. Denn das Konzept einer stabil im Genius Loci verankerten Stadtgestaltung etwa wurde schon von dem lebensklugen schottischen Stadtplaner Patrick Geddes (1854-1932) entwickelt, aus dessen Pragmatismus und Beobachtungsgabe sich auch sonst noch allerhand lernen liesse.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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