Artikel

Sie wünschen, wir planen
Der Standard

Am äußersten südlichen Rand von Wien, nahe der in Niederösterreich gelegenen Shopping City Süd, kann man nach Wienerberg City und Monte Laa einem neuen Beispiel von Investorenstädtebau beim Entstehen zusehen. Noch dazu handelt es sich um einen, den die Stadt Wien und ihr Bürgermeister selbst mitbetreiben.

17. Februar 2007 - Robert Temel
Rothneusiedl ist Teil des letzten großen, zusammenhängenden Grüngebietes im Süden Wiens und bisher ausschließlich landwirtschaftlich genutzt. Das Areal liegt abgeschottet zwischen Großmarkt Inzersdorf, Liesingbach und den Dörfern Oberlaa und Unterlaa. Die nahe Regionalbahnstation wird stündlich angefahren, die nächste Straßenbahn ist mehr als einen Kilometer entfernt, und per Auto muss man einen Bahnübergang queren, um dorthin zu gelangen. Eine recht beschauliche Gegend, die allerdings ein Problem hat: Sie liegt an der neuen Südumfahrung Wiens, der S1, und in Reichweite der geplanten Verlängerung der U-Bahnlinie U1. Die beschaulichen Zeiten werden also bald vorbei sein.

Bürgermeister Häupl einigte sich nun mit Austria-Wien-Sponsor Stronach darauf, dass Wien das Gelände an Magna verkauft, um dort einen neuen Stadtteil zu errichten. Es geht um ein Stadion für 31.000 Besucher mit 9000 Parkplätzen (das Praterstadion hat 3000); zusätzlich um ein Shopping Center mit 120.000 Quadratmetern - das wäre Österreichs zweitgrößtes, nach der drei Kilometer entfernten Shopping City Süd, und wesentlich größer als die bisherige Nummer zwei, das Donauzentrum, zu dem es ein paar Stationen mit der U1 sind; und um ein bisschen Garnitur wie Wohnungen, einen Golfplatz und ein Rehazentrum, was nach Wiens erster Gated Community nach dem Vorbild Fontana in Ebreichsdorf klingt. Stronach erhält eine Kaufoption für die Flächen, die im Stadtbesitz stehen. Was soll daran falsch sein?

Die Grundfrage ist, wie ein Acker am Stadtrand zu lukrativem Grund werden kann und welchen Anteil die öffentliche Hand an dem Gewinn hat, der aus der Nutzungsänderung folgt. Planungsentscheidungen mit solch drastischen Auswirkungen können nicht zwischen Tür und Angel getroffen werden. Basis dafür wären fundierte Prognosen. Darauf aufbauend könnten die Planungsabteilungen Szenarien ausarbeiten, die dann wiederum dazu führten, notwendige Entwicklungsgebiete im so genannten Flächenwidmungsplan auszuweisen, etwa für Wohnbau und Betriebsansiedlung. Nach der öffentlichen Auflage zur Stellungnahme durch die Stadtbürger würde der Wiener Gemeinderat diesen Flächenwidmungsplan beschließen. Bei so großmaßstäblichen Nutzungen, wie Magna sie anstrebt, müssten zusätzlich Verfahren wie Umweltverträglichkeitsprüfung, Raumverträglichkeitsprüfung oder sogar Strategische Umweltprüfung durchgeführt werden. All das existiert im Falle Rothneusiedls bisher nicht. Aber in der Zeit von „speed kills“ sind diese Instrumente zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit viel zu langwierig.

Stronach bekommt eine Kaufoption für Grundstücke, die derzeit als landwirtschaftliche Fläche gewidmet sind. Die Option sagt natürlich, dass eine Umwidmung Voraussetzung für den Kauf ist: Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz, weil eine andere Widmung als nun - ohne jede legitimierte Planung - festgelegt, wird am Schluss nicht herauskommen.

Dass Stadtentwicklung nicht immer nach dem Idealschema abläuft, ist kein Wunder. Raumplanung funktioniert heute leider zusehends seltener so, wie es die beschriebene Prozedur vorgibt. Grund dafür sind die quer durch das Parteienspektrum zunehmend neoliberale Politik und die immer beschränkteren öffentlichen Ressourcen. Heutige Stadtplanung kann Entwicklungen nicht allein finanzieren, sondern muss darauf hoffen, Investoren zu aktivieren. Und die lassen sich nur dann einspannen, wenn die Planung ihren eigenen Interessen dient. Doch auch in solchen Fällen, den so genannten Public-Private-Partnerships, muss doch klar ein Vorteil für die Allgemeinheit erkennbar sein - wozu sonst sollte sich die Stadt beteiligen?

Was spricht nun gegen das Projekt in Rothneusiedl? Ein erster Grund ist, selbst wenn man die fehlende Planungsmacht der Stadtverwaltung akzeptierte, die demokratiepolitisch fragwürdige Vorgangsweise. Auch wenn Flächenwidmung heute eher Anlassplanung ist, könnte deutlich mehr auf die Interessen der Bevölkerung Rücksicht genommen werden, als das hier der Fall ist.

Dazu kommt das Grünraum-Argument: Der 1905 beschlossene Wald- und Wiesengürtel ist eine politische Leistung, von der Wien bis heute zehrt. Mit dem Stadtentwicklungsplan 1984 wurde festgelegt, dass dieser Gürtel rund um die Stadt weitergeführt werden sollte, insbesondere im Süden wäre er zu verstärken. Deshalb wurde Rothneusiedl damals zum Grüngebiet erklärt. Mittlerweile ist es damit wieder vorbei, das Areal wurde Entwicklungsgebiet. Der aktuelle Stadtentwicklungsplan 2005 weist Rothneusiedl zwar als Zielgebiet aus, stellt aber lapidar fest: „Durch den Ausbau der Straßen- und Schieneninfrastruktur ist eine Entwicklungsdynamik zu erwarten, die nicht kompatibel mit den prioritären räumlichen Zielen der Stadtentwicklung ist.“ Diese Gefahr wird umso einsichtiger, wenn man bedenkt, dass die geplante Entwicklung durch stadtnähere Areale übernommen werden könnte, etwa am Nord- oder Südbahnhof, in Erdberg oder entlang der neuen U2. Nicht zuletzt scheint es derzeit darauf hinauszulaufen, eine Entscheidung zwischen dem U-Bahnbau zum Flugfeld Aspern oder nach Rothneusiedl zu fällen. Dies wäre angesichts des großen Grundbesitzes der Stadt in Aspern eine leichte Wahl - nur hat das offensichtlich noch niemand dem Bürgermeister gesagt.

Dann das Verkehrsargument: Für die geplante Verbindung S1-A23 bei Rothneusiedl gibt es bisher keine Finanzierung (350 Mio. Euro für etwa drei Kilometer), und die U1 wird nach aktuellen Schätzungen nicht vor 2015 hierher reichen. Und selbst wenn diese Anschlüsse realisiert sind, ist nicht alles paletti. Die Wiener Wirtschaftskammer-Präsidentin Jank rechnet mit 54.000 zusätzlichen Kfz-Fahrten täglich, allein durch das Einkaufszentrum. Selbst mit S1 und geplanter Verbindungsspange ist das nicht zu bewältigen, und für die Südost-Tangente wird es dadurch auch nicht lockerer - auf ihr fahren täglich bis zu 200.000 Fahrzeuge.

Und schließlich das Kaufkraft-Argument: Bereits jetzt besitzt Österreich eine der höchsten Verkaufsflächendichten in Europa. Nun soll fast in Sichtweite der Shopping City Süd, übrigens das größte Einkaufszentrum am Kontinent, ein weiteres Flächenmonster errichtet werden. Die Auswirkungen auf die Favoritenstraße und andere Einkaufsstraßen kann man sich vorstellen. Aber dieses Argument ist für die Stadtregierung sekundär, solange das Monster nur innerhalb der Stadtgrenze steht und Steuern bezahlt statt knapp draußen, wie das bei der SCS der Fall ist.

Im Fall Rothneusiedl kommt demnach eine ganze Reihe von Verstößen gegen zentrale Planungsprinzipien zusammen, wie es ja auch im Stadtentwicklungsplan zu lesen ist. Es stellt sich die Frage, ob man nicht von der Illusion der flächendeckenden Beplanung der Stadt vor jeder Projektentscheidung abgehen sollte. Das würde bedeuten, Anlasswidmungen zwar einerseits zu akzeptieren - andererseits für diese aber sinnvolle und vor allem demokratisch legitimierte Prozeduren festzulegen und vonseiten der Stadt verstärkt Projektgebiete zu betreuen. Die grüne Gemeinderätin Sabine Gretner meint: „Für die völlig unterschiedliche Planungssituation in der Gründerzeitstadt und am Stadtrand bräuchte es differenzierte Instrumente, die es abhängig von der jeweiligen Situation erlauben, für die Allgemeinheit wichtige Rahmenbedingungen festzulegen.“ So könnte man hier, an der Peripherie, manches festschreiben, was Flächenwidmungsplan und Bauordnung heute nicht ermöglichen, weil das Vorbild dafür immer die historische Stadt war.

Das Projekt zeigt die typischen Merkmale des Investorenstädtebaus: Flächenwidmung nach Vorgabe der maximalen Verwertbarkeit statt nach den Erfordernissen der Allgemeinheit; Ignoranz gegenüber mangelhaften Verkehrsanschlüssen, die nachträglich um viel Geld von der öffentlichen Hand finanziert werden müssen; und keinerlei Rücksicht auf öffentliches Interesse an Grünraum und einer Stadt der kurzen Wege. Wien fördert all das durch billige Grundstücke, wunschgemäße Widmungen, üppige Wohnbauförderung und, als Draufgabe, Autobahn- und U-Bahnbau bis vor die Haustür. Die Kosten bleiben bei der öffentlichen Hand, die Gewinne privat - ob das wirklich die richtige Definition von Public-Private-Partnership ist?

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: