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Meister-Bilderstürmer der Moderne
Der Standard

So nannte die Architekturkritikerin Ada Louise Huxtable den 1938 in die Neue Welt geflüchteten Architekten Bernard Rudofsky. Diese Bezeichnung ist einiger- maßen paradox, sind doch seine überaus sinnlichen Bauten und Gärten, Zeichnungen und Fotos, Ausstellungen und Bücher alles andere als puritanischer Ikonoklasmus

10. März 2007 - Robert Temel
Ganz im Gegenteil können viele Werke des „International Style“, der Architektur der klassischen Moderne, die Huxtable als Rudofskys Feindbilder identifizierte, das Attribut bildfeindlich für sich in Anspruch nehmen. In den polemischen Gefechten zu Beginn des 20. Jahrhunderts positionierten sich die Architekten der neuen Zeit als ornament- und bildlos, jenseits jeden Stils und nichts als der Funktion verpflichtet. Sie wollten eine universelle, für überall gleich gültige Formensprache entwickeln. Einer solchen Sicht stand der im Mähren der Donaumonarchie geborene Bernard Rudofsky diametral entgegen, obwohl er selbst ein dezidiert Moderner war. Sein Hang zu Purismus, moderner Technologie und der den Dingen eigenen Vernunft lagen ganz auf der Linie der modernen Architektur.

Rudofsky studierte an der Technischen Hochschule in Wien und promovierte dort über „eine primitive Betonbauweise“ in Griechenland. Sein Doktorvater war Siegfried Theiss, an dessen Hochhaus in der Herrengasse er im Büro Theiss & Jaksch mitentwarf. Wie viele seiner Studienkollegen unternahm er regelmäßige Reisen. Doch seine führten nicht ins Italien der Antike und der Renaissance, sondern vor allem in die östliche Mittelmeerregion. Die Skizzenbücher zeigen die Auseinandersetzung mit alltäglichen, regionalspezifischen Bauten und nicht so sehr mit dem Kanon der Architekturgeschichte.

Der Abstand zum architektonischen Mainstream sollte während Rudofskys ganzen Lebens bestimmend bleiben. Er war immer neugierig auf kulturelle Differenzen und ständig auf Reisen, mit Ausnahme von ein paar Jahren in den 1940ern, als er keinen österreichischen Pass mehr besaß und noch keinen amerikanischen. Bei seinen Erkundungen interessierten ihn nicht nur Architektur- und Wohnfragen, sondern alle Formen der Alltagskultur: Kleidung, Essen und Trinken, Hygiene und Baden. Rudofsky verstand mit dem Zivilisationstheoretiker Norbert Elias Kultur als einen Prozess, der über Jahrhunderte Fremdzwänge in Selbstzwänge wie zum Beispiel Schamgefühl transformiert. „Was ist Kultur? Oft nur unkritisch akzeptiertes Erbe“, schrieb er einmal. So benützte er die Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Kulturen und ihren Differenzen als Folie einer Kritik an der westlichen, modernen Kultur und an den „fremden“ USA, wo er lebte. In diesem Sinne unterschied sich Rudofsky grundsätzlich von den anderen europäischen Architekten seiner Generation, die vor dem Nationalsozialismus in die USA flüchten mussten. Er wurde nicht Amerikaner, sondern Kosmopolit. Seine Inspirationsquellen waren der Mittelmeerraum und Japan. Diese Perspektive gründete sich wiederum auf ein Wiener Architekturklima der Beschäftigung mit dem „Orient“ und mit Asien während der Zeit seiner Ausbildung.

Dafür steht die damals zentrale Figur des Architekten Josef Frank. Frank war wie Oskar Strnad und, eine Generation früher, Adolf Loos Vertreter einer kritischen, undogmatischen Moderne - Strnad wird ab Ende März in einer von Iris Meder und Evi Fuks kuratierten Ausstellung im Jüdischen Museum Wien gewürdigt. Er schrieb, dass der Wohnraum nicht nur gesehen, sondern auch gefühlt werden müsse, „gerochen, gehört und getastet“. In dieser Tradition kann Rudofskys Haltung verortet werden. Doch da er seine „Leistungsfähigkeit nicht mit einer so genannten Karriere verplempern“, sondern seine „besten Jahre genießen“ wollte, wurde er nicht Architekt, sondern Kulturanalytiker. Seine Medien waren Fotografie, Buch und Ausstellung. Damit machte er seine von einer spezifisch Wiener reflexiven Moderne geprägte Haltung produktiv für neue Ideen. Das kulturelle Umfeld der 1920er-Jahre führte Rudofsky ins Klima der gesellschaftlichen Befreiung der 60er- bis 80er-Jahre über, insbesondere durch seine bahnbrechenden und kontroversiellen Ausstellungen im Museum of Modern Art in New York. Zu diesem Klima gehörten beispielsweise die Kritik an der modernen und die Wiederentdeckung der historischen Stadt der Stadtforscherin Jane Jacobs, die Schriften des Architekturtheoretikers Christopher Alexander sowie die vielfache Beschäftigung mit „anonymer Architektur“ und mit Ökologie.

Im deutschsprachigen Raum wurde Rudofsky bis kurz vor seinem Tod kaum wahrgenommen. 1987 richtete er die Antrittsausstellung des neuen Direktors Peter Noever am Museum für angewandte Kunst in Wien ein, die auf die österreichische Szene großen Eindruck machte: „Sparta/Sybaris“. Der Untertitel dieser breit angelegten kulturkritischen Schau lautete: „Keine neue Bauweise, eine neue Lebensweise tut not.“ Er starb 1988 in New York.

Sein spezifischer Architekturbegriff geht jedoch über die Diskussion der 1960er-Jahre hinaus. Deshalb ist es kein Zufall, dass seine Arbeit mit der Ausstellung „Lessons from Bernard Rudofsky“ des Architekturzentrums Wien und des Getty Research Institute, kuratiert von Monika Platzer und Wim de Wit, nun wieder öffentlich thematisiert wird. Die aktuelle Debatte um das Atmosphärische und Immaterielle in der Architektur stellt ganz ähnliche Fragen ins Zentrum, wie sie in Rudofskys Büchern und Ausstellungen behandelt werden. Der Philosoph Gernot Böhme schreibt etwa von einem neuen Humanismus in der Architektur. Der Mensch als Benutzer werde heute als zentraler Bezugspunkt des Bauens verstanden, „der sich in und in der Umgebung von Gebäuden in bestimmter Weise befindet.“ Das ist genau Rudofskys Auffassung: der Mensch in seiner Leiblichkeit und Sinnlichkeit und in deren veränderlichem kulturellen Ausdruck als Fokus der Architektur.

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