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Schiefer Gartensegen
Lange Zeit war der Wiener Augarten kaiserliches Jagdareal. Heute steht die barocke Natur unter Denkmal-schutz. Mit der Beschaulichkeit ist es nun vorbei, denn der Gartensegen hängt schief.
17. März 2007 - Robert Temel
Die an den Augarten anschließende Leopoldstadt war nach der Revolution 1848 Ziel einer massiven, zu einem guten Teil jüdischen Zuwanderung aus den nordöstlichen Gebieten der Monarchie. Der Bezirk war von Armut geplagt, diente aber gleichzeitig als Vergnügungsviertel, in dem sich eine Szene von Theatern, Kabaretts, Cafés und Kinos entwickelte - befruchtet von der herrschenden Migrantenkultur.
Wohl aufgrund der Widmung des Kaisers an „alle Menschen als Erlustigungs-Ort“ und der damit verbundenen positiven Bilder vom Imperium war der Park nach der Republikgründung Rekonstruktionsort nicht mehr bestehender „Botschafter“ der Monarchie. Namentlich handelte es sich dabei um Augarten-Porzellan und Sängerknaben. Beide fanden nach ihrer Wiedereinrichtung als Reminiszenz an vergangene gloriose Zeiten hier ihren Standort.
Wie bereits zuvor wurde die Leopoldstadt in der Zweiten Republik wieder Migrantenviertel und blieb peripher und verrufen. Diesmal fehlte allerdings das frühere Pendant, das Vergnügungsviertel. In dieser Situation kam es zu einer Neuausrichtung der Stadtplanung. Die Qualität der gründerzeitlichen Stadt war plötzlich öffentliches Thema - und Stadterneuerung trat an die Stelle der bisher vorherrschenden Stadterweiterung. In Wien wurden Gebietsbetreuungen eingerichtet, die zur Verbesserung der heruntergekommenen Viertel beitragen sollten. Eine solche entstand auch unweit des Augartens.
Durch Investitionen in den öffentlichen Raum kam es zur Aufwertung. Aus den „enteren Gründ“ wurde ein aufstrebendes Stadtviertel. Die Entwicklung äußerte sich auch im Entstehen einer Gastronomieszene und reichlichen Kulturangeboten im Augarten. Für viele der hier wohnenden Migranten blieb der Park eine der wenigen Möglichkeiten, öffentlichen Raum in Anspruch zu nehmen.
Es ist klar, dass unter diesen Bedingungen und inmitten eines der dichtest besiedelten Gebiete Wiens enormer Nutzungsdruck auf dem freien Stück Land in der Mitte, dem Augarten, lastet. Am Areal eines „arisierten“ Kinderambulatoriums der Kultusgemeinde wurde in den Siebzigerjahren von Karl Schwanzer ein Pensionistenheim errichtet, daneben 1999 die neue Lauder-Chabad-Schule von Adolf Krischanitz. Später sollte der Hakoah-Sportplatz einen Teil des Parks einnehmen, wurde dann aber in den Prater verlegt. Neue „parkfremde“ Nutzungswünsche sind ein Datenzentrum in einem der Flaktürme sowie ein Filmkulturzentrum und eine Konzerthalle der Sängerknaben.
Solche Projekte werden von vielen Anrainern grundsätzlich abgelehnt. Doch gibt es dazu auch differenziertere Standpunkte. Der Aktionsradius, seit 15 Jahren im Viertel als Kulturverein aktiv, nennt zwei Kriterien: die Parkverträglichkeit und den öffentlichen Nutzen. Von dem einen halben Quadratkilometer großen Areal innerhalb der historischen Augartenmauer sind etwa 60 Prozent öffentlich zugänglich, der Rest wird von Institutionen, den Bundesgärten und vier Sportplätzen belegt. Aus diesem Grund ist ein lange gehegter Wunsch vieler Parkinteressierter die Öffnung weiterer Parkteile. Alle Initiativen dazu scheiterten bisher am Widerstand wichtiger Akteure. Nun gibt es zwei konkurrierende Projekte für denselben Ort, nämlich für die der Innenstadt zugewandte Südspitze des Augartens: das Filmkulturzentrum, geplant von Filmarchiv Austria und Filmfestival Viennale; und eine Konzerthalle der Sängerknaben.
Die beiden Gegner unterscheiden sich in mancher Hinsicht, doch stadtgestalterisch gibt es eine grundsätzliche Differenz. Während der „Konzertkristall“ der Sängerknaben mit den Worten des Architekten Kraus eine „Bugsituation“ schafft und den Augarten als Hochkulturdampfer im Häusermeer der Vorstadt versteht, will das Filmkulturzentrum den Park für sein Umfeld öffnen. Dem entsprechend gingen dessen Protagonisten erst nach ausgiebigen Diskussionen mit Anrainern und Bürgerinitiativen an die Öffentlichkeit. Während das Sängerknabenprojekt auf touristisches Buspublikum zielt, versucht das Filmprojekt ein Angebot an die ganze Stadt und ans lokale Umfeld zu richten.
Letzteres ist Vorschlag für ein kulturpolitisches Signal entsprechend dem aktuellen Regierungsprogramm, das den „Stellenwert der audiovisuellen Medien“ ausbauen will. Es wäre Verortung des Festivals Viennale und des Filmarchivs, weiters Filmausstellung und audiovisuelles Archiv - beides zurzeit eine Lücke in der österreichischen Kulturlandschaft.
Dafür müsste man jetzt unzugängliche Bereiche um das Palais Augarten öffnen und so eine Wegverbindung zwischen den Kulturinstitutionen herstellen. Wenn die Sängerknaben einen Teil des Areals der Porzellanmanufaktur nützten, wie das Bezirksvorsteher Gerhard Kubik und die Bezirksvertretung vorschlagen, wäre das Palais als Konzertgebäude verwendbar und beide Planungen würden kompatibel. Weiters könnte man beide Nutzungen in einem Gebäude integrieren.
Öffnung der „Kulturachse“, Konzerthalle im historischen Bestand und Filmkulturzentrum böten eine große Chance für die Entwicklung des Areals: Der öffentlich nutzbare Raum würde vergrößert und das Angebot verbessert werden. Der Ball liegt bei der neuen Ministerin, in deren Ressort Film und Sängerknaben ebenso wie Denkmalschutz fallen. Nicht zuletzt sind es das Wirtschaftsministerium als Grundeigentümer und die Stadt Wien, die den Segen wieder gerade rücken können.
Wohl aufgrund der Widmung des Kaisers an „alle Menschen als Erlustigungs-Ort“ und der damit verbundenen positiven Bilder vom Imperium war der Park nach der Republikgründung Rekonstruktionsort nicht mehr bestehender „Botschafter“ der Monarchie. Namentlich handelte es sich dabei um Augarten-Porzellan und Sängerknaben. Beide fanden nach ihrer Wiedereinrichtung als Reminiszenz an vergangene gloriose Zeiten hier ihren Standort.
Wie bereits zuvor wurde die Leopoldstadt in der Zweiten Republik wieder Migrantenviertel und blieb peripher und verrufen. Diesmal fehlte allerdings das frühere Pendant, das Vergnügungsviertel. In dieser Situation kam es zu einer Neuausrichtung der Stadtplanung. Die Qualität der gründerzeitlichen Stadt war plötzlich öffentliches Thema - und Stadterneuerung trat an die Stelle der bisher vorherrschenden Stadterweiterung. In Wien wurden Gebietsbetreuungen eingerichtet, die zur Verbesserung der heruntergekommenen Viertel beitragen sollten. Eine solche entstand auch unweit des Augartens.
Durch Investitionen in den öffentlichen Raum kam es zur Aufwertung. Aus den „enteren Gründ“ wurde ein aufstrebendes Stadtviertel. Die Entwicklung äußerte sich auch im Entstehen einer Gastronomieszene und reichlichen Kulturangeboten im Augarten. Für viele der hier wohnenden Migranten blieb der Park eine der wenigen Möglichkeiten, öffentlichen Raum in Anspruch zu nehmen.
Es ist klar, dass unter diesen Bedingungen und inmitten eines der dichtest besiedelten Gebiete Wiens enormer Nutzungsdruck auf dem freien Stück Land in der Mitte, dem Augarten, lastet. Am Areal eines „arisierten“ Kinderambulatoriums der Kultusgemeinde wurde in den Siebzigerjahren von Karl Schwanzer ein Pensionistenheim errichtet, daneben 1999 die neue Lauder-Chabad-Schule von Adolf Krischanitz. Später sollte der Hakoah-Sportplatz einen Teil des Parks einnehmen, wurde dann aber in den Prater verlegt. Neue „parkfremde“ Nutzungswünsche sind ein Datenzentrum in einem der Flaktürme sowie ein Filmkulturzentrum und eine Konzerthalle der Sängerknaben.
Solche Projekte werden von vielen Anrainern grundsätzlich abgelehnt. Doch gibt es dazu auch differenziertere Standpunkte. Der Aktionsradius, seit 15 Jahren im Viertel als Kulturverein aktiv, nennt zwei Kriterien: die Parkverträglichkeit und den öffentlichen Nutzen. Von dem einen halben Quadratkilometer großen Areal innerhalb der historischen Augartenmauer sind etwa 60 Prozent öffentlich zugänglich, der Rest wird von Institutionen, den Bundesgärten und vier Sportplätzen belegt. Aus diesem Grund ist ein lange gehegter Wunsch vieler Parkinteressierter die Öffnung weiterer Parkteile. Alle Initiativen dazu scheiterten bisher am Widerstand wichtiger Akteure. Nun gibt es zwei konkurrierende Projekte für denselben Ort, nämlich für die der Innenstadt zugewandte Südspitze des Augartens: das Filmkulturzentrum, geplant von Filmarchiv Austria und Filmfestival Viennale; und eine Konzerthalle der Sängerknaben.
Die beiden Gegner unterscheiden sich in mancher Hinsicht, doch stadtgestalterisch gibt es eine grundsätzliche Differenz. Während der „Konzertkristall“ der Sängerknaben mit den Worten des Architekten Kraus eine „Bugsituation“ schafft und den Augarten als Hochkulturdampfer im Häusermeer der Vorstadt versteht, will das Filmkulturzentrum den Park für sein Umfeld öffnen. Dem entsprechend gingen dessen Protagonisten erst nach ausgiebigen Diskussionen mit Anrainern und Bürgerinitiativen an die Öffentlichkeit. Während das Sängerknabenprojekt auf touristisches Buspublikum zielt, versucht das Filmprojekt ein Angebot an die ganze Stadt und ans lokale Umfeld zu richten.
Letzteres ist Vorschlag für ein kulturpolitisches Signal entsprechend dem aktuellen Regierungsprogramm, das den „Stellenwert der audiovisuellen Medien“ ausbauen will. Es wäre Verortung des Festivals Viennale und des Filmarchivs, weiters Filmausstellung und audiovisuelles Archiv - beides zurzeit eine Lücke in der österreichischen Kulturlandschaft.
Dafür müsste man jetzt unzugängliche Bereiche um das Palais Augarten öffnen und so eine Wegverbindung zwischen den Kulturinstitutionen herstellen. Wenn die Sängerknaben einen Teil des Areals der Porzellanmanufaktur nützten, wie das Bezirksvorsteher Gerhard Kubik und die Bezirksvertretung vorschlagen, wäre das Palais als Konzertgebäude verwendbar und beide Planungen würden kompatibel. Weiters könnte man beide Nutzungen in einem Gebäude integrieren.
Öffnung der „Kulturachse“, Konzerthalle im historischen Bestand und Filmkulturzentrum böten eine große Chance für die Entwicklung des Areals: Der öffentlich nutzbare Raum würde vergrößert und das Angebot verbessert werden. Der Ball liegt bei der neuen Ministerin, in deren Ressort Film und Sängerknaben ebenso wie Denkmalschutz fallen. Nicht zuletzt sind es das Wirtschaftsministerium als Grundeigentümer und die Stadt Wien, die den Segen wieder gerade rücken können.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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