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Jäher Aufbruch aus der Erde
Spectrum

Selbstbewusst und dennoch uneitel fügt sich die Freilicht-Konzertanlage in den Schloss- park von Grafenegg: der „Wolkenturm“, ein Werk der Sorgfalt und des plastischen Gespürs.

24. Juni 2007 - Walter Zschokke
Einer Insel gleich liegt der Schlosspark von Grafenegg in der Weite landwirtschaftlich genutzter Flächen, gesäumt von einer niedrigen Mauer, die vom alten Baumbestand überragt wird. Von Weitem war seit jeher der Turm der neogotisch überformten Schlossanlage zu erkennen, die im Kern gotische sowie Elemente der Renaissance aufweist. Etwas weniger fernwirksam, aber durchaus spektakulär ist nun ein Element des 21. Jahrhunderts dazugekommen: die Freilichtkonzertanlage. Sie liegt östlich des Schlosses in einer Geländevertiefung – „große Senke“ geheißen – die im 2005 abgehaltenen Wettbewerb als Standort festgelegt war.

Besonders daran sind nicht nur die betrieblich optimalen Voraussetzungen für Orchester und Zuhörer, es ist auch nicht allein die ausgewogene, von Müller-BBM, München, betreute Akustik; vielmehr sind es wahrnehmungsästhetisch die von „the next ENTERprise - architects“ mit architektonischen Mitteln erzielte Integration in den Park und zugleich die Verselbstständigung zum Bauwerk im Park, welche die neue Anlage auszeichnen. Im künftigen Dreieck: Schloss, Reithalle/Konzertsaal/Taverne, Freilichtbühne wahrt Letztere trotz ihrer expressiven Kraft jene Angemessenheit, die wirklich guter Architektur eigen ist. Die Entwerfenden wussten um die mittlere Rolle im Kontext und füllten sie selbstbewusst, aber uneitel aus.

Obwohl das Objekt von Weitem zwischen den Baumkronen zu erkennen ist, erscheint es Besuchern, nachdem sie vom Parkplatz durch das alte Tor in der Mauer gelangt sind, vorerst eher geheimnisvoll, da es in der Senke und hinter einem Rasenwall fast – aber eben nur fast – verschwindet. Auf dem kurzen Weg in den Park hinein darf man sich nach der Autofahrt – auf dem Land bleibt das Automobil Hauptverkehrsmittel – die Beine etwas lockern; lateral wird man hingeführt und gelangt auf ein Vorfeld mit wassergebundener Decke, von dem zwei von Stahlbetontafeln flankierte Schneisen durch den Rasenwall führen. Ein wenig erinnert der Beton zuerst an Straßenunterführungen; dieses Anklingen ist Absicht, wird aber von der Formgebung der plastischen Elemente aus dem „gewöhnlichen“ Material gekonnt überspielt. Nicht nur, dass die Flächen geböscht und schräg im Raum – geometrisch gesprochen: windschief – zueinander stehen, sondern auch die Schmalseiten schließen nicht orthogonal ab, sie sind schräg abgeschnitten und weisen exakte Kanten auf. Damit werden Körperhaftigkeit und Masse der Elemente betont, und es wird über eine anspruchsvolle Detailgestaltung subtil Abstand zum ordinären Tiefbau gewonnen. Die Erfahrungen vom Seebad Kaltern mögen eingeflossen sein, jedenfalls hat der Südtiroler Tragwerksplaner Josef Taferner, aus dem Ingenieurteam Bergmeister in Vahrn, auch hier wieder mitgewirkt.

Obwohl wir noch gar nicht am Ort des Geschehens sind, sondern noch in den Zugängen, bringt das Durchschreiten des Rasenwalls ein erstes intensives räumliches Erlebnis. Die Besucherströme werden gleichsam durch Kanäle gespült, die dem Einlauf zu einem Kleinkraftwerk alle Ehre machen würden. Einmal in der Arena angelangt, ob auf halber Höhe oder in der Tiefe der Senke vor der Bühne, steht man vor dem Objekt, das die Architekten bereits im Wettbewerb „Wolkenturm“ nannten.

Das atektonische Gebilde aus tafelartigen und gekanteten Betonkörpern, mit Rippen verstärkten Stahlplatten, verglasten Durchbrüchen und einer dematerialisierend mit walzblankem Blech verkleideten obersten Leichtbaukonstruktion entwickelt sich aus der Senke heraus, ohne dass es architektonische Hinweise gäbe, was wie trägt; aber gerade das macht die Elemente gewichtslos, gibt ihnen architektonisch den Auftrieb zum diffusen Schweben, das den Namen Wolkenturm rechtfertigt.

Die Sitzreihen für die 1670 Plätze steigen aus der Senke und legen sich an den polygonal geformten Rasenwall, von dessen Scheitel der Ausblick auf Bühne, Park, Reithalle/Konzerthalle und zum Schloss wandert, das neben einer Baumgruppe sichtbar wird. Diese Blickbeziehung ist wesentlich, denn die Frage, wie das neue Objekt im Park vom Schloss aus wirken würde, war dem Hause Metternich-Sándor als Eigentümer schon beim Wettbewerb wichtig. Nun steigt die Wiese aus der Ebene des Parks rückenartig leicht an, daraus entwickelt sich eine schräg nach oben gestaffelte Dynamik plastischer Beton- und Stahlelemente, die in dem unregelmäßigen, scharfkantig-spitzwinkligen Körper über der Bühnenöffnung kulminiert. So zeigt sich das Bauwerk von jeder Seite – und davon gibt es mehr als vier – in veränderter Gestalt. Es nimmt Bezug auf den Park und ist eine seiner optischen Attraktionen, denn dieser ist ganzjährig offen, Musikanlässe beschränken sich vorerst auf einige Wochen und einzelne Tage.

Neben dem Standort für hochwertige Konzertdarbietungen, der mit dem voraussichtlich im Frühjahr 2008 fertiggestellten Konzertsaal neben der frühklassizistischen Reithalle weiter ausgebaut wird, ist der 31 Hektar weite Park, eine überregional bedeutende Anlage, einen Besuch wert. Seine Geschichte spiegelt jene des Schlosses. Barocke Rudimente finden sich eingestreut in einem englischen Landschaftsgarten des 19. Jahrhunderts mit zahlreichen Strauch- und Baumarten. Während im 20. Jahrhundert die gestalterischen Ambitionen begrenzt blieben, wurde in jüngster Zeit die lebende dendrologische Sammlung – eine Vielzahl verschiedener Baumarten – ausgebaut. Zusammen mit next ENTERprise gewann das Büro „Land in Sicht“ des Landschaftsarchitekten Thomas Proksch den Wettbewerbsteil „gartendenkmalpflegerische Erneuerungdes Parks“. Das Konzept sah eine sanfte und naturnahe Pflege und vorsichtige Erneuerung vor. Mehrere alte Wege durchziehen den Landschaftsgarten und ermöglichen kürzere und längere Spaziergänge. Wie immer wird es ein paar Jahre dauern, bis alle Maßnahmen sich entfaltet haben und die Pflanzen herangewachsen sind. Da die Substanz reichhaltig war, ist der Park in Grafenegg neu angelegten Anlagen gegenüber im Vorteil und schon jetzt äußerst attraktiv.

Die außerordentliche Sorgfalt, mit der die Konzertanlage in den Park integriert und die Topografie des Ortes gestaltet wurde, macht sie zu einem begehbaren Architekturobjekt, das seinen Sinn aus der räumlichen Erfahrung, die es bietet, gewinnt und damit in vermeintlich toter Zeit belebend wirkt. The next ENTERprise - architects, das sind Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs und ihr Team, demonstrieren damit ein weiteres Mal ihre Kompetenz und ihr plastisches Gespür. Der wiedererwachte Expressionismus mag seine Wurzeln in den frühen 1920er-Jahren haben, damals wurde jedoch mehr gezeichnet als gebaut. Heute sind es „tnE“ und andere, die bauen, und zwar in nachhaltiger Qualität. Da man hört, was man sieht (alte Akustikerregel) dürften die Konzerte fulminant werden.

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