Artikel
Linien und skulpturale Formen
Die Architektin Zaha Hadid im Londoner Design Museum
Die Irakerin Zaha Hadid zählt zu den Architektenstars unserer Zeit. In ihrer britischen Wahlheimat kam sie bis anhin aber kaum zum Zug. Nun widmet ihr das Design Museum London eine Megaschau.
28. Juli 2007 - Georges Waser
Zwar wurden sowohl Hearst's Castle im kalifornischen San Simeon als auch das Shakespeare Memorial Theatre in Stratford-on-Avon von Frauen erbaut. Nebst deren Namen – Julia Morgan und Elizabeth Scott – haben in der Architekturgeschichte auch diejenigen von Aino Aalto oder Lilly Reich sowie, in unserer Zeit, von Kazuyo Sejima oder Benedetta Tagliabue ihren Platz. Dennoch ist ihre Profession – eine der ältesten – noch immer ein ausgesprochener Männerberuf. Umso erfreulicher daher, dass jetzt die bisher wohl aufwendigste Ausstellung des Design Museum in London einer Architektin gilt: der Wahllondonerin Zaha Hadid. Der Moment ist gut gewählt, schloss doch Hadid vor genau dreissig Jahren ihr Studium an der Londoner Architectural Association ab. Diesem waren eine Kindheit in Bagdad – «im Banne von Perserteppichen und deren kniffligen Mustern», wie sich Hadid erinnert – sowie ein Mathematikstudium an der Amerikanischen Universität in Beirut vorausgegangen. Kein Zweifel, Hadid reifte in einem ebenso privilegierten wie kosmopolitischen Milieu heran. Und doch war sie alles andere als eine Senkrechtstarterin. Noch im Jahr 2004, als sie als erste Frau den begehrten Pritzker Prize gewonnen hatte, kam von ihr das Geständnis, sie erwäge mit ihrem in London domizilierten Büro – das damals immerhin schon rund 60 Leute beschäftigte – den Auszug in ein anderes, ihrem Schaffen gegenüber offeneres Land.
Zwischen Kunst und Technik
Ist das, was der Besucher in der Londoner Schau zu sehen bekommt, eine Story der gewonnenen Wettbewerbe und der daraufhin nicht realisierten Projekte? So fragt man sich im ersten Grossraum – und folgert dann, dass Hadid in der bizarren britischen Tradition des Berühmtseins von Architekten für das, was sie nicht gebaut haben, lange Zeit einzig das jüngste Glied war. Vorgänger lassen sich insbesondere unter den einstigen Protagonisten der Architectural Association finden: Cedric Price zum Beispiel, weiter auch die Gruppe Archigram. Und in der Tat ist mit Modellen, Plänen und Gemälden aus Hadids Hand die Liste des Unrealisierten lang. Das längst legendäre Peak-Projekt für Hongkong, ein Wohnkomplex mit Klub, gehört dazu und ebenso das Cardiff Bay Opera House sowie eine bewohnbare Themsebrücke. Mit dieser Brücke – sie wäre seit der von Robert Adam erbauten Pulteney Bridge in Bath die erste Wohnbrücke in Grossbritannien gewesen – wird auch schon klar, weshalb Hadid Grossbritannien vor kurzem noch verlassen wollte. Ihr Durchbruch hier, sieht man von Schottland ab, kam erst vor zwei Jahren mit dem Auftrag, für die Architecture Foundation in London ein permanentes Zuhause zu bauen. Allerdings, wenn auch aus vielen von Preisgerichten gutgeheissenen Projekten nichts wurde: mit den dabei getesteten Ideen und Methoden schuf sich Hadid die Basis für ihren heutigen Höhenflug.
Zum Kern von Hadids bisherigem Schaffen gehören neben dem früh realisierten Vitra-Feuerwehrhaus in Weil am Rhein das Rosenthal Centre for Contemporary Art im amerikanischen Cincinnati, das Phæno-Wissenschaftsmuseum in Wolfsburg sowie das Zentralgebäude des BMW-Werks in Leipzig, und diese Arbeiten werden in der Londoner Ausstellung denn auch besonders gewürdigt. Erlauben einem die Modelle – im Gegensatz zum fertiggestellten Bau – stets auch den Blick von oben, sorgt auf einer die gesamte Galerie begrenzenden Wand ein Videofilm für visuelle Spaziergänge durch das Innere der jeweiligen Architektur. Dann, im zweiten Grossraum, folgt das, was von Hadid demnächst kommen wird – darunter ein Opernhaus in China, ein Museum in Rom, ein Büroturm und ein Opernhaus in Dubai, ein Schifffahrts-Terminal in Salerno und das Aquatics Centre für die Londoner Olympics im Jahr 2012. Augenfällig an allem ist die starke physische Präsenz – der einst hartnäckige Vorwurf, Hadid sei mehr eine Malerin denn eine Architektin, ist damit wohl ein für alle Mal entkräftet. Hadids Bauten erlebt nur jener wirklich, der sich ihnen voll hingibt – der sich hineinsinken lässt in skulpturale Formen und Linien.
Kaum führten Hadid ihre Aufträge vom einen Ende der Welt ans andere, kam aus dem Lager der modernen britischen Klassizisten ein neuer Vorwurf: Die Irakerin beliefere ihre Klientel mit «globalen Statusobjekten», und ihren Bauten fehle ein Zusammenhang mit dem jeweiligen Standort. Blosser Neid? Denkt man daran, dass Zaha Hadids Entwurf für die Londoner Architectural Foundation gerade deshalb gutgeheissen wurde, weil er nicht nur funktionell überzeugte, sondern im Dialog mit den hohen Bauten der Umgebung den richtigen Ton traf, erscheint die Kritik jedenfalls fragwürdig. Hadid hatte schon früher bewiesen, dass sie für ihre Projekte Formen aus dem dafür bestimmten landschaftlichen Rahmen zu schöpfen vermochte. Was jetzt in der Londoner Schau ins Auge springt, ist ein – verglichen mit den linearen und zackigen Elementen früher Arbeiten – schwungvollerer Stil. Sei es der für Hochgeschwindigkeitszüge bestimmte Bahnhof Napoli Afragola, seien es das Projekt der Innsbrucker Nordkettenbahn oder die Signature Towers von Dubai. Man mag im sinnlich anmutenden Ineinanderfliessen der Formen einen Ausdruck von Hadids Weiblichkeit sehen. Dies umso mehr, als es auch der vorherrschende Aspekt in Hadids malerischem Werk ist.
Zaha Hadids Universum
Das Œuvre von Zaha Hadid, die heute in ihrem Architekturbüro rund 250 Leute beschäftigt, reicht vom Hochhaus bis zum Haushaltgegenstand und vom Möbelstück bis zum «Konzept-Auto». All dem zollen die Londoner Aussteller im letzten Sektor ihrer Show Tribut. Zu sehen sind vornehmlich Hadids Stühle: Experimente, so scheint es, mit architektonischen Formeln, Einfälle im Grenzgebiet zwischen Design und Kunst. Und damit ist auch schon ein Stichwort gegeben, das den Besucher zurückführt zum Eingang der Ausstellung. Hier hängt Hadids «Swarm Chandelier»: ein für die Firma Established & Sons konzipierter Leuchter, der aus über 16 000 schwarzen, von Hand aneinandergeknüpften Kristallen besteht. Diese Arbeit hat auf die Bezeichnung Kunst mehr Anspruch als das meiste von dem, was man in London alljährlich von den Anwärtern auf den Turner Prize vorgesetzt bekommt.
Zwischen Kunst und Technik
Ist das, was der Besucher in der Londoner Schau zu sehen bekommt, eine Story der gewonnenen Wettbewerbe und der daraufhin nicht realisierten Projekte? So fragt man sich im ersten Grossraum – und folgert dann, dass Hadid in der bizarren britischen Tradition des Berühmtseins von Architekten für das, was sie nicht gebaut haben, lange Zeit einzig das jüngste Glied war. Vorgänger lassen sich insbesondere unter den einstigen Protagonisten der Architectural Association finden: Cedric Price zum Beispiel, weiter auch die Gruppe Archigram. Und in der Tat ist mit Modellen, Plänen und Gemälden aus Hadids Hand die Liste des Unrealisierten lang. Das längst legendäre Peak-Projekt für Hongkong, ein Wohnkomplex mit Klub, gehört dazu und ebenso das Cardiff Bay Opera House sowie eine bewohnbare Themsebrücke. Mit dieser Brücke – sie wäre seit der von Robert Adam erbauten Pulteney Bridge in Bath die erste Wohnbrücke in Grossbritannien gewesen – wird auch schon klar, weshalb Hadid Grossbritannien vor kurzem noch verlassen wollte. Ihr Durchbruch hier, sieht man von Schottland ab, kam erst vor zwei Jahren mit dem Auftrag, für die Architecture Foundation in London ein permanentes Zuhause zu bauen. Allerdings, wenn auch aus vielen von Preisgerichten gutgeheissenen Projekten nichts wurde: mit den dabei getesteten Ideen und Methoden schuf sich Hadid die Basis für ihren heutigen Höhenflug.
Zum Kern von Hadids bisherigem Schaffen gehören neben dem früh realisierten Vitra-Feuerwehrhaus in Weil am Rhein das Rosenthal Centre for Contemporary Art im amerikanischen Cincinnati, das Phæno-Wissenschaftsmuseum in Wolfsburg sowie das Zentralgebäude des BMW-Werks in Leipzig, und diese Arbeiten werden in der Londoner Ausstellung denn auch besonders gewürdigt. Erlauben einem die Modelle – im Gegensatz zum fertiggestellten Bau – stets auch den Blick von oben, sorgt auf einer die gesamte Galerie begrenzenden Wand ein Videofilm für visuelle Spaziergänge durch das Innere der jeweiligen Architektur. Dann, im zweiten Grossraum, folgt das, was von Hadid demnächst kommen wird – darunter ein Opernhaus in China, ein Museum in Rom, ein Büroturm und ein Opernhaus in Dubai, ein Schifffahrts-Terminal in Salerno und das Aquatics Centre für die Londoner Olympics im Jahr 2012. Augenfällig an allem ist die starke physische Präsenz – der einst hartnäckige Vorwurf, Hadid sei mehr eine Malerin denn eine Architektin, ist damit wohl ein für alle Mal entkräftet. Hadids Bauten erlebt nur jener wirklich, der sich ihnen voll hingibt – der sich hineinsinken lässt in skulpturale Formen und Linien.
Kaum führten Hadid ihre Aufträge vom einen Ende der Welt ans andere, kam aus dem Lager der modernen britischen Klassizisten ein neuer Vorwurf: Die Irakerin beliefere ihre Klientel mit «globalen Statusobjekten», und ihren Bauten fehle ein Zusammenhang mit dem jeweiligen Standort. Blosser Neid? Denkt man daran, dass Zaha Hadids Entwurf für die Londoner Architectural Foundation gerade deshalb gutgeheissen wurde, weil er nicht nur funktionell überzeugte, sondern im Dialog mit den hohen Bauten der Umgebung den richtigen Ton traf, erscheint die Kritik jedenfalls fragwürdig. Hadid hatte schon früher bewiesen, dass sie für ihre Projekte Formen aus dem dafür bestimmten landschaftlichen Rahmen zu schöpfen vermochte. Was jetzt in der Londoner Schau ins Auge springt, ist ein – verglichen mit den linearen und zackigen Elementen früher Arbeiten – schwungvollerer Stil. Sei es der für Hochgeschwindigkeitszüge bestimmte Bahnhof Napoli Afragola, seien es das Projekt der Innsbrucker Nordkettenbahn oder die Signature Towers von Dubai. Man mag im sinnlich anmutenden Ineinanderfliessen der Formen einen Ausdruck von Hadids Weiblichkeit sehen. Dies umso mehr, als es auch der vorherrschende Aspekt in Hadids malerischem Werk ist.
Zaha Hadids Universum
Das Œuvre von Zaha Hadid, die heute in ihrem Architekturbüro rund 250 Leute beschäftigt, reicht vom Hochhaus bis zum Haushaltgegenstand und vom Möbelstück bis zum «Konzept-Auto». All dem zollen die Londoner Aussteller im letzten Sektor ihrer Show Tribut. Zu sehen sind vornehmlich Hadids Stühle: Experimente, so scheint es, mit architektonischen Formeln, Einfälle im Grenzgebiet zwischen Design und Kunst. Und damit ist auch schon ein Stichwort gegeben, das den Besucher zurückführt zum Eingang der Ausstellung. Hier hängt Hadids «Swarm Chandelier»: ein für die Firma Established & Sons konzipierter Leuchter, der aus über 16 000 schwarzen, von Hand aneinandergeknüpften Kristallen besteht. Diese Arbeit hat auf die Bezeichnung Kunst mehr Anspruch als das meiste von dem, was man in London alljährlich von den Anwärtern auf den Turner Prize vorgesetzt bekommt.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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