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Urbanisierung im Marchfeld
Der Standard

Ende Mai beschloss der Wiener Gemeinderat einstimmig den Masterplan für die Stadtentwicklung auf dem Flugfeld Aspern. Das lässt aufhorchen: Stadtplanungsthemen sind in Wien häufig Anlass für oppositionellen Widerstand, warum also hier die plötzliche Einigkeit?

18. August 2007 - Robert Temel
Jüngste Prognosen kündigen für Wien ein Wachstum um 20 Prozent auf mehr als zwei Millionen Einwohner bis 2035 an. Stadt- er weiterung ist somit ein wichtiges Thema, um ausreichend Raum für Neo-Wiener schaffen zu können. Zwar gibt es eine ganze Reihe von nutzbaren Flächen in Innenstadtnähe, meist auf nicht mehr benötigten Bahnarealen. Doch sind die ÖBB schwierige Grundeigentümer, sodass die Stadt versucht, eigene Flächen zu entwickeln. Das Flugfeld Aspern in Donaustadt, am Rand des Marchfelds, ist eine solche. Es liegt an der östlichen Besiedelungsgrenze Wiens, an einer Bahnlinie nach Bratislava und an geplanten Autobahn- und U-Bahn-Trassen. Eigentümer sind der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF), der Wohnfonds Wien und die Bundesimmobiliengesellschaft, also die öffentliche Hand. Das erlaubt schnelle Entwicklung, und es bietet die Chance, durch steuernde Eingriffe jene Fehler zu vermeiden, die in anderen Wiener Stadterweiterungsgebieten gemacht wurden.

Der neue Stadtteil am Flugfeld ist für Wiener Verhältnisse ein gewaltiges Projekt. Hier sollen Wohnungen für 20.000 Menschen und 25.000 Arbeitsplätze entstehen. Das Flugfeld wird somit ungefähr so groß wie Mödling oder Amstetten - mit so vielen Arbeitsplätzen wie diese beiden Städte zusammen. Damit ist klar, dass es um eine Entwicklung über zumindest zwanzig Jahre geht. Mit der Planung wurde 2005 das schwedische Atelier von Johannes Tovatt beauftragt, dem langjährigen Partner des kurz zuvor verstorbenen britisch-schwedischen Architekten Ralph Erskine, der bereits in den 1950er-Jahren für Kritik an der Moderne stand. Das Tovatt-Projekt scheint eher dem New Urbanism als einem rigorosen Modernismus verpflichtet.

New Urbanism ist eine US-amerikanische Bewegung gegen die Zersiedlung des suburbanen Raums und stellt dieser Prinzipien wie Fußläufigkeit, Nutzungsmischung und brauchbare öffentliche Räume gegenüber, das Ideal ist die historische Kleinstadt. Der New Urbanism wird in Europa als konservative Bewegung rezipiert. Wenn man sich bekannte Realisierungen wie Disneys Celebration ansieht, kann man dem nur beipflichten: Hier ist Kommunalpolitik durch ein Unternehmen ersetzt, es sind allein vermögende Schichten angesprochen, und wichtige Ziele wie Nutzungsmischung und Autofreiheit werden nur bedingt erreicht. Allerdings ist die Situation in den USA eine andere als in Europa. Unter Wiener Bedingungen mit gefördertem Wohnbau, öffentlichem Verkehr und Grund im öffentlichen Eigentum wird keine zweite Disney-Stadt entstehen können.

Damit kommen wir zum Kern der Sache: Am Asperner Masterplan kann manches kritisiert werden. Er weist aber auch eine Reihe positiver Aspekte auf, die hoffen lassen, dass Besseres entsteht als in der Donau-City, der Wienerberg-City oder in Monte Laa, obwohl die dortigen Planungen fern jeden New-Urbanism-Verdachts sind. Das Flugfeld ist jedenfalls in einigen Jahren mit U-Bahn, S-Bahn, Straßenbahn und Bus wesentlich besser erschlossen als viele Entwicklungsgebiete im Wiener Süden. Und der Masterplan von Tovatt orientiert sich dezidiert auf Nutzungsmischung - eine Forderung, die von Erskine und vielen anderen seit den 1950er-Jahren gegen die städtische Funktionstrennung der Moderne erhoben wurde. In Aspern sollen die Erdgeschoßzonen der Gebäude durch hohe Räume auf attraktive Nutzungen ausgerichtet sein. Kultur, Bildung, Gewerbe, Büro und Wohnen werden innerhalb der Gebäude und in räumlicher Nähe so gut wie möglich gemischt.

Die Asperner Flugfeld Süd Entwicklungs- und Verwertungs-AG will sich ganz massiv dieses Themas annehmen. Hier sollen nicht Baugründe für gesichtslose Bürotürme verscherbelt werden, sondern laut WWFF-Geschäftsführer Bernd Rießland geht es um Fragen wie Erdgeschoßzonen-Management, innovative Bürohauskonzepte für Klein- und Mittelbetriebe und neue Wohnbauideen wie Bauherrenmodelle und Baugruppen. Statt nur Grund zu verkaufen, wollen die Eigentümer Leitprojekte selbst entwickeln und betreiben. Die Ausrichtung auf funktionale und typologische Innovation macht Hoffnung auf einen Stadtteil, der viele Fehler der jüngeren Vergangenheit vermeidet.

Weiteres zentrales Thema des Masterplans ist der öffentliche Raum. Während in der Wienerberg-City darauf komplett vergessen wurde und in Monte Laa immerhin ein zentraler Park realisiert ist, der aber leider an den Grundgrenzen zu den Wohnhäusern ebenso abrupt wie sinnlos abbricht, stellt Tovatt die Freiräume ins Zentrum seiner Planung. Der Masterplan enthält viele Ideen, wie eine hohe Qualität des öffentlichen Raumes erreicht werden kann - von Grünraumtypologien und differenzierten Straßenprofilen bis zu Bezügen zwischen öffentlichen und halb öffentlichen Flächen. Wenn auch nur ein Teil dieser Vorgaben von den Bauträgern eingehalten wird, ist einiges erreicht.

Schließlich gibt es einen Plan zur schrittweisen Realisierung des neuen Stadtteils. Am Anfang entstehen Gewerbe- und Wohnbereiche im Süden des Areals, die auch schon vor U-Bahn-Fertigstellung hochwertig erschlossen sind. Dann folgt die Entwicklung der urbanen Kernzonen bis zum neuen Bahnhof im Norden, wobei Teilbereiche freigehalten bleiben, um später, neuen Bedürfnissen entsprechend, nachverdichten zu können. All diese Ansätze zusammen mit der vom WWFF geplanten Orientierung auf Nachhaltigkeit erklären vielleicht, warum Regierungspartei und Opposition geschlossen für den Masterplan stimmten. Dazu kommt, dass in Aspern Anrainer-Stellvertreter in die Planung einbezogen waren und deren Wünsche teils berücksichtigt wurden.

Doch die Begeisterung war nicht einhellig, Architekturkritiker zeigten problematische Aspekte des Projektes auf. Zentraler Kritikpunkt ist die städtebauliche Figur der Ringstraße, die das Projekt zu einem introvertierten machen könnte. Während der in Gründerzeit und Moderne übliche rechtwinkelige Stadtraster Durchlässigkeit in alle Richtungen signalisiert und ermöglicht, bildet die kreisförmige Anlage in Aspern ein sich abschließendes Quartier, das tendenziell nur von einer Seite her zugänglich ist. Einerseits folgt das Projekt damit dem heutigen Standard außerhalb der Kernstädte, weil in diesen heterogenen Arealen, wo gegensätzliche Nutzungen hart aufeinander treffen, eine gleichberechtigte Vernetzung kaum möglich ist.

Andererseits ist klar: Genau hier liegt eines der größten Probleme dieser Zonen. Es bleibt die Frage, ob die stadträumliche Figur des Rings tatsächlich den befürchteten Effekt haben wird, wenn Aspern als neues transdanubisches Zentrum weiterwächst.

Ebenfalls negativ aufgenommen wurde die Blockstruktur. Während der moderne Städtebau Zeilen, Punkthäuser und Cluster präferierte, ist der wichtigste Typus bei Tovatt ein geöffneter Block, er ist auf etwa 40 Prozent der Bauflächen geplant. Damit greift er auf die Stadt des 19. Jahrhunderts oder die Wohnbauten des Roten Wien zurück, also auf traditionelle Städtebauformen. Wenn man den Vorwurf der Rückwärtsgewandtheit einmal zur Seite lässt, obgleich er nicht unberechtigt ist, kann man sich fragen, was der Einsatz von Blocks hier bewirkt. Einerseits erlaubt er den Vorrang des Stadtraums vor dem Einzelgebäude, andererseits führt er dazu, dass es besser und schlechter orientierte Wohnungen gibt. Ein Problem des Rückgriffs auf den Block ist, dass man heute nicht mehr in der kleinteiligen Parzellenstruktur des 19. Jahrhunderts baut, wodurch Blocks zu Megastrukturen werden. In Aspern plant man zumindest, hier anders vorzugehen.

Schließlich bleibt die Frage des Umsetzungsprozesses. Ob die Phasenplanung robust genug für die Realität ist, bleibt abzuwarten. Es gibt zwar die Idee der freizuhaltenden Flächen für Nachverdichtung - vorerst unprogrammierte, flexible Flächen sind allerdings nur in geringem Ausmaß vorhanden, etwa in Form von Erdgeschoßzonen.

In Aspern kann man somit bei aller Kritik viel Positives erwarten, wenn die anspruchsvollen Pläne die Überformung durch Bauordnung, Förderrichtlinien, Bauträger und Investoren aushalten - Experimente auch mit diesen Einflussfaktoren und hinsichtlich nachhaltiger Bauweisen wären wichtig. Der Haupteigentümer WWFF nimmt das Projekt jedenfalls sehr ernst und möchte in den kommenden Jahren eine kritische Diskussion darüber führen. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen.

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