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Schaffen neue Räume neue Kunst?
Neue Zürcher Zeitung

Ein fruchtbarer Sommer und ein entschiedener Schritt

Lucerne Festival – das ist nach wie vor eine Reihe glanzvoller Orchestergastspiele mit mehrheitlich spätromantischer Musik. Stärker denn je ist diesen Sommer aber deutlich geworden, welche Rolle der Moderne zukommt. Nicht zuletzt zeugt davon das Projekt der Salle Modulable.

19. September 2007 - Peter Hagmann
Die Sommerausgabe 2007 von Lucerne Festival ist zu Ende. Der Erfolg darf sich sehen lassen – in quantitativer Hinsicht ohnehin, aber auch in qualitativer. Wohl noch nie wie in diesem Jahr wurde deutlich, wie fruchtbar sich hier Kreation und Interpretation begegnen. Zentrum des Angebots bilden nach wie vor die Sinfoniekonzerte, in denen das Podium den wichtigen Orchestern und bedeutenden Dirigenten gehört – wobei hier allerdings zweierlei ins Auge fällt.

Modern, aber gefühllos?

Zum einen gibt es bei den Sinfoniekonzerten immer mehr Abende, die das Motto des Festivals verwirklichen; Beispiel dafür war das Programm der Wiener Philharmoniker, das von Bartók zu Ligeti führte und dabei andeutete, wie sehr die Klangflächen von «Atmosphères» auch in der «Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta» wurzeln – das war «Herkunft» pur. Zum anderen war in der direkten Abfolge der Gastspiele wieder zu erleben, wie sehr sich das Feld des Orchestralen in Bewegung befindet. Besonders gut geht es jenen Orchestern, die sich für einen künstlerisch im Hier und Jetzt lebenden Dirigenten entschieden haben – etwa den Berliner Philharmonikern mit Simon Rattle oder den Bamberger Symphonikern mit Jonathan Nott, die in Luzern einen ähnlich vitalen Eindruck hinterliessen wie vor vier Jahren das Staatsorchester Hamburg mit Ingo Metzmacher.

Dann wäre das ein Weg in die Zukunft? Gerne wird moniert, dass bei den in der Moderne verankerten Dirigenten eine strukturelle Deutlichkeit herrsche, die zulasten des grossen Bogens und der Atmosphäre gehe. Allein, da wird ein Widerspruch konstruiert, der auf überkommenen Vorstellungen von musikalischer Interpretation basiert – das erwiesen die Auftritte der Altmeister Claudio Abbado, Pierre Boulez und Bernard Haitink. Mahlers Dritte mit Abbado und Bruckners Achte mit Haitink waren bis in die letzte Verästelung verständlich und zugleich von zutiefst musikalischem Leben erfüllt. Und die hinreissende Aufführung von Stockhausens «Gruppen» mit Boulez, Peter Eötvös und Jean Deroyer liess zutage treten, dass auch die vermeintlich gefühllose neue Musik erst zu atmen beginnt, wenn sie von Könnern in Schwingung versetzt wird.

Oder umgekehrt: dass neue Musik den Hörer vielleicht auch darum oft nicht direkt anspricht, weil sie zu wenig gut interpretiert wird. Genau daran arbeitet die von Boulez geleitete Lucerne Festival Academy, die mit ihrer gezielt auf die Moderne ausgerichteten Nachwuchsförderung im Rahmen eines prestigeträchtigen Festivals weltweit nicht ihresgleichen hat. Hier kommt es zu Wechselwirkungen, die unmerklich die Horizonte weiten, auch beim grossen Publikum, das heute in Luzern dem Neuen offener gegenübersteht als in früheren Zeiten. Davon zeugt etwa der Erfolg der Serie «Moderne», die dieses Jahr von den in Residenz eingeladenen Künstlern ganz besonders profitierte. Der Pianist Pierre-Laurent Aimard ist ein hinreissender Vermittler neuer Musik, während Peter Eötvös als Komponist so fasslich und eigen schreibt, wie er als Dirigent warmherzig und kompetent nach aussen wirkt.

In diese Richtung soll es nun entschieden weitergehen. Wenn alles klappt, soll Luzern im Jahre 2012 – die nüchterne Nachricht bildete den heimlichen Höhepunkt des Festivals – über die erste voll ausgebaute Salle Modulable der Welt verfügen: einen Raum, der sich den verschiedensten künstlerischen Bedürfnissen anpassen lässt. Oper soll dort ebenso möglich sein wie modernes Musiktheater, Kammermusik, die intimere Säle erfordert, ebenso wie eines der Werke neueren Datums, die den Klang im Raum verteilen. Die Idee ist formuliert, eine architektonische Skizze ausgeführt; vor allem aber liegt von privater Seite eine Zusage in der Höhe von 100 Millionen Franken für die Baukosten vor – wobei es, wie Michael Haefliger als Intendant von Lucerne Festival und Initiant des Projekts unterstreicht, hinsichtlich dieser Summe durchaus Flexibilität gibt. – Drei Wochen sind seit der Ankündigung vergangen, und bereits stehen zwei Grundstücke in Aussicht, eines in nächster Nähe zum Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL), eines etwas weiter entfernt, aber durch öffentlichen Verkehr gut erschlossen. Nur: Bauen ist das eine, der Betrieb mit seinen regelmässig anfallenden Kosten aber das andere – der Fall des Zürcher Schiffbaus mag dafür als Beispiel dienen. Leitlinien zu einem Betriebskonzept, analog der architektonischen Skizze, gibt es noch nicht. Fest steht aber, so Haefliger, dass Lucerne Festival weder auf einen Ganzjahresbetrieb zielt wie das Baden-Badener Festspielhaus, wo die private Finanzierung auch im Programm sichtbar wird, noch eine beherrschende Stellung in Luzern erringen möchte. Bestimmend ist im Gegenteil der Gedanke der Synergie – und über die Kooperation mit den subventionierten Luzerner Institutionen sollen auch die Betriebskosten im Griff behalten werden.

Angesprochen ist hier, neben dem Luzerner Sinfonieorchester und der Musikhochschule, vor allem das Luzerner Theater – dessen Direktor Dominique Mentha die Salle Modulable nicht als Bedrohung, sondern als Chance sieht. Als Chance, der Enge des Hauses an der Reuss zu entfliehen, der Oper neue Möglichkeiten zu erschliessen und damit dem Schauspiel Raum zu öffnen. Und Haefliger fügt bei, die Salle Modulable könnte für das Luzerner Theater werden, was das KKL für das Luzerner Sinfonieorchester wurde: die Plattform für einen Schritt nach oben. Sind dann aber 1000 Plätze nicht doch zu wenig? Mehr als 1000 Zuschauer, so entgegnet Haefliger, liessen sich auf einer einzigen Ebene nicht sinnvoll placieren und Galerien oder Balkone seien ausgeschlossen; das letzte Wort dazu sei jedoch nicht gesprochen.

Frisch voran

Das Projekt der Luzerner Salle Modulable mag riskant erscheinen. Es hat ästhetische Wurzeln: in der Moderne. Und es ist umgekehrt verankert in der am KKL gewonnenen Erfahrung, dass ein neuer Saal auch neue Kunst hervorbringen kann. Ebenso visionär wie pragmatisch denkt Haefliger vom Raum her – der seine eigene Welt kreieren, zu erhöhtem Erlebnischarakter führen und damit eine besondere Attraktion schaffen solle. Andernorts quält man sich mit Vorentscheidungen; Zürich tut sich schwer mit seinem neuen Kongresshaus, Basel hat den Umbau des Stadtcasinos begraben und eine weitere Stufe der kulturellen Agonie erreicht, das katholische Luzern schreitet dagegen fröhlich zur Tat. Und an Vorstellungen, was sich dereinst in der Salle Modulable ereignen könnte, fehlt es wahrhaft nicht.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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