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Bauen für die Besten
Das Centre for Mathematical Sciences in Cambridge
Die mathematische Fakultät der Universität Cambridge gilt als eine der besten der Welt. Zurzeit baut das Londoner Büro Edward Cullinan Architects eine neue Institutsanlage für diese prominente Bauherrschaft. Der kürzlich erfolgte Abschluss der ersten Bauphase gibt Anlass, einige Parameter universitärer Architektur zu überdenken.
Architektonisch adäquate Arbeitsplätze für Wissenschafter sind ein rares Gut. Die meisten neueren Universitätsgebäude haben den Charakter von Verwaltungsbauten, die im besten Fall eine neutrale Hülle für Forschung und Lehre bieten und im schlechtesten das tätige Denken durch deprimierende Lichtführung, minderwertige Materialien, schematisch gedachte Zirkulationswege und ähnliche Störfaktoren behindern. Auf andere Weise unschön sieht es dort aus, wo gegen den Teufel ästhetischer Nullität der Beelzebub visuellen Overkills ins Feld geschickt wird - Beispiele sind die Computational Engineering Faculty der Rice University in Houston von John Outram Associates (1993-97) oder die jüngst von Carrier Johnson vorgelegten, grell historisierenden Pläne für das Science and Technology Center der Universität von San Diego.
Haus mit Glaskern
Eine funktional ausgefeilte Lösung hat das Londoner Büro Edward Cullinan Architects für die mathematische Fakultät in Cambridge, die auch die theoretische Physik umfasst, erarbeitet. Mathematiker brauchen einerseits die Möglichkeit zur ruhigen Arbeit in abgeschlossenen Räumen, andererseits aber auch Anreize zur Kommunikation. Bei rund 800 ständigen Nutzern und über 20 Arbeitsgruppen verschiedener Grösse, die in unterschiedlich engem Kontakt miteinander sind, steht und fällt der praktische Erfolg eines Baus mit der Grundrissdisposition und den Verbindungswegen. Diagramme, die der Bauherr im Rahmen des Raumprogramms erstellte, veranschaulichten mustergültig den Charakter der wissenschaftlichen Nachbarschaften zwischen diesen Arbeitsgruppen: Die Zahlentheoretiker etwa arbeiten nur mit einer weiteren Gruppe direkt zusammen, die theoretischen Physiker hingegen mit vieren - davon mit einer sehr eng, mit einer lose und mit zwei weiteren bei mittlerer Intensität.
Die Antwort der Architekten auf diese komplizierte Situation ist ein baulicher Organismus aus sechs quadratischen, vierstöckigen und mit je vier mal zehn Büros ausgestatteten Pavillons von 32 Metern Seitenlänge, die sich zusammen mit einem weiteren Pavillon doppelter Grösse zu einer trapezähnlichen Figur zusammenfügen. In deren Mitte liegt ein lang gestreckter, im Grundriss an eine Parabel angelehnter Zentralbau mit grosszügiger Cafeteria, der von einem zur Stirnseite hin ansteigenden Grasdach überwölbt wird. Eine nordöstlich dieses Komplexes gelegene Bibliothek mit kreisförmigem Grundriss bietet Platz für 12 000 Regalmeter Fachliteratur und 200 Leseplätze. Zehn Hörsäle für 40 bis 180 Personen sowie zwei Labors befinden sich teils in den Pavillons, teils unter der Cafeteria. Fast alle Räume verfügen über ein computergesteuertes System natürlicher Belüftung; einzig die Hörsäle haben Air-Conditioning.
Man versteht das Gesamtkonzept der Anlage nur, wenn man auch das von den Cambridger Architekten Annand & Mustoe auf demselben Grundstück errichtete, 1992 eröffnete Isaac Newton Institute kennt. Hier halten sich Mathematiker aus aller Welt für wenige Monate auf, um sich in intensiver Kollaboration bestimmten Forschungsproblemen zu widmen. Das Innere dieses unscheinbaren Baus ist dafür auf innovative Weise massgeschneidert. Wegen der kurzen Verweildauer der Forscher schien es wichtig, dass jeder von ihnen die räumliche Situation auf den ersten Blick übersieht und mit möglichst vielen seiner Kollegen sofortigen Kontakt aufnehmen kann. Im Erdgeschoss ist die über drei Stockwerke reichende, atriumsähnliche Halle inmitten des Instituts deshalb nur durch transparente Glaswände von der Rezeption, den Seminarräumen und der hauseigenen Bibliothek abgetrennt. Die einzige Treppe führt von hier aus direkt zu Balkongalerien, entlang deren die Büros liegen. Inmitten der Halle schwebt zwischen dem zweiten und dritten Geschoss eine Plattform mit Sitzgruppen; um die dort spontan geführten Diskussionen kommen die Forscher im Wortsinne nicht herum.
Rechnen auf der Wiese
In Cullinans benachbarter Anlage beträgt die durchschnittliche Verweildauer der Nutzer etwa drei Jahre, weshalb die räumliche Organisation vielgestaltiger sein sollte. Für jeden Arbeitsplatz gibt es hier drei Zuwege. Will man einen gerade gefassten Gedanken nicht durch ungewollte Ablenkung verlieren, so kann man sein Büro durch die Hintereingänge der Pavillons erreichen. Wählt man hingegen den Weg durch die Cafeteria, die zugleich als Eingangshalle des ganzen Pavillonkomplexes dient, dann bietet sich dort die Chance zum interdisziplinären Gespräch - in dessen Verlauf man mathematische Formeln auf abwischbare gläserne Tischplatten schreiben darf. Und wem es nach frischer Luft zumute ist, der wandert über das Grasdach des durch schmale Brücken mit den Pavillons verbundenen Mittelbaus.
Um Anreize zur Kommunikation in Arbeitspausen zu geben, sind die Räume ausserhalb der Büros in abgestufter Weise attraktiver gestaltet als diese selbst. Die Cafeteria mit ihrem kraftvollen und geschickt beleuchteten Betongerippe, dessen Zwischenfelder durch hölzerne Lattenroste belebt werden, ist der einladendste Ort, während die einfacheren Common Rooms in den einzelnen Pavillons mit starkfarbigem Mobiliar locken. Lange Korridore, an deren Ende Wissenschafter räumlich vom Kommunikationsfluss abgeschnitten wären, gibt es nicht: Stattdessen bietet sich in den Zwickeln um die zylindrischen Treppenhäuser der Pavillons und damit direkt bei den Büros Platz zum Diskutieren vor Wandtafeln.
Die Bausumme für die gesamte Anlage wird 50 Millionen Pfund betragen. Da rund die Hälfte davon aus ausseruniversitären Quellen kommt, bot das gewählte Modulsystem nicht zuletzt Vorteile bei der Mitteleinwerbung: Für private Geldgeber ist es attraktiver, einen benennbaren Pavillon zu finanzieren als eine Etage in einem Grossbau. Viele der Einzelheiten - etwa die Absenkung aller Pavillons um ein Geschoss unter Strassenniveau - erklären sich aus Forderungen der Baubehörde und der Nachbarn. Auf ästhetische Gesichtspunkte kam es laut Aussage des Bauherrn nicht in erster Linie an, doch wirkt die Formensprache Cullinans, die bei anderen seiner Bauten gern winkelreich zwischen Referenzfiguren wie Philip Webb, Gerrit Rietveld und Berthold Lubetkin hin und her springt, hier beruhigt und gestrafft. Der Bau hat optische Schwächen unter anderem bei den Entlüftungsschächten, dem Einsatz von Glasbausteinen oder den unterschiedlichen Farbqualitäten in den Innenräumen. Getroffen ist aber zweifellos die atmosphärische Balance zwischen Formalität und Informalität, die für ein gut funktionierendes Universitätsgebäude unabdingbar ist.
Weltmann am Meer
Bexhill-on-Sea feiert den Architekten Serge Chermayeff
In Grossbritannien fand die moderne Architektur nur zögernd Aufnahme. Viele ihrer Protagonisten hatten ausländische Wurzeln: Das gilt für Lubetkin, Goldfinger und Coates ebenso wie für Serge Chermayeff (1900-96), dessen Schaffen zurzeit im De La Warr Pavilion, einer Ikone der modernen Baukunst, in Bexhill-on-Sea gewürdigt wird.
In den zwanziger Jahren brachte Serge Chermayeff, damals Berufstänzer und international ausgezeichneter Tango-Champion, in Nachtklubs zwischen London und Buenos Aires den Atem des Publikums zum Stocken. Kaum liess sich da ahnen, dass er innert Kürze dank autodidaktischem Elan zum Architekten mutieren und zusammen mit dem grossen Erich Mendelsohn ein Büro in der britischen Hauptstadt leiten würde. 1930 lernte Mendelsohn den aus Grosny stammenden Chermayeff (1900-96) kennen und gewann ihn für den Plan, gemeinsam mit dem Architekten Hendricus Wijdeveld, dem Maler Amédée Ozenfant sowie anderen humanistisch gesinnten Intellektuellen als Alternative zum Bauhaus eine «Académie Européenne Méditerranée» in Südfrankreich zu gründen. Als die politische Situation und ein Waldbrand auf dem schon erworbenen Grundstück das Projekt 1934 zunichte machten, hatten sich Chermayeff und der im Jahr zuvor aus Berlin emigrierte Mendelsohn bereits auf ihre bis 1936 bestehende Londoner Geschäftspartnerschaft geeinigt.
Weisse Dynamik
Mendelsohns noch in Deutschland ausgeführte Bauten - darunter der Einsteinturm in Potsdam sowie die Schocken-Kaufhäuser in Stuttgart und Chemnitz - wurden damals international bewundert, während Chermayeff 1933/34 erst einen einzigen Bau vorweisen konnte: ein Wohnhaus für einen Biologielehrer in Rugby. Zuvor war er drei Jahre lang Direktor des Modern Art Studio bei der Londoner Innendekorationsfirma Waring and Gillow gewesen und hatte eine Reihe mondäner Interieurs geschaffen, in denen Elemente des Kubismus und des Art déco zielsicher anglifiziert waren. Recht erfolglos blieb demgegenüber sein Versuch, Möbel wie Walter Knolls neuartig konstruierte Sessel aus dem Stuttgarter Bahnhofshotel in England nachbauen zu lassen und unter dem Markennamen «PLAN» zu verkaufen.
Aber das zählte wenig, denn kaum hatten Mendelsohn und Chermayeff ihre Partnerschaft begonnen, gewannen sie gegen 229 Konkurrenten den Wettbewerb für den De La Warr Pavilion in Bexhill. Die deutsche Bedeutung von «Pavillon» entspricht der Funktion dieses Gebäudes nicht: Es ging um ein Kurhaus mit Restaurant, Tanzfläche, Gesellschaftsraum, Lesesaal, Sonnenterrassen, kleiner Konferenzhalle sowie einem Theater mit 1500 Plätzen, wobei der Ausschreibungstext die Wahl einer modernen Formensprache indirekt ermutigte. Promotor des Projekts war der junge Bürgermeister von Bexhill, Earl De La Warr - ein adliger Sozialist, der mit der Kraft zeitgemässen Bauens neuen Atem in das ziegelrote Küstenstädtchen bringen wollte. Mendelsohn und dem hauptsächlich für die Innenausstattung verantwortlichen Chermayeff gelang ein Meisterwerk: In jedem ästhetischen Kontrast steckt hier eine derartige Energie, dass der von feinster Klarheit ebenso wie von wuchtiger Stärke sprechende weisse Bau auf seinem bis ins Letzte funktionalen Grundriss fast zu federn scheint.
Angestrengte Denkmalpflege
Schon lange allerdings kommen kaum noch zahlungskräftige Touristen ins südenglische Bexhill. Stattdessen verschlingt der Pavilion heute jährlich Hunderttausende von Pfund an Betriebs- und Unterhaltskosten, die das ohnehin knappe Budget der Bezirksverwaltung als seiner Eigentümerin schwer belasten. Die 1991 begonnene, von verschiedensten Stellen mitfinanzierte und vom Londoner Architekturbüro John McAslan & Partners durchgeführte Gesamtrenovation geht denn auch nur zäh voran. Nachdem im vergangenen Jahr eine Übergabe des streng geschützten Baudenkmals an die Pub-Kette «Wetherspoon» in letzter Minute abgewendet worden ist, soll seine Rolle als regionales Kultur- und Veranstaltungszentrum nun endgültig gesichert und weiterentwickelt werden. Zurzeit sieht ein noch hängiger Antrag auf rund fünf Millionen Pfund Lotteriegelder zwei räumlich abgetrennte Erweiterungsbauten westlich des Pavilions sowie Änderungen in seinem Innern vor, über die weder vom Bauherrn noch von den Architekten Näheres zu erfahren war.
Kaum wird der Besucher auf den ersten Blick erkennen, was bei der bisherigen Restaurierung schon alles geleistet worden ist. Alte Schäden und Verunstaltungen entlang der stadtseitigen Fassade und im Volumen des dortigen Treppenhauses, notdürftige sekundäre Einbauten anstelle des ursprünglich zum Meer hin offenen Sonnenraums im ersten Stock sowie das hinter Fenstern gestaute Gerümpel zeugen deutlich von der Überforderung der Betreiber. Doch ist inzwischen das Stahlskelett des Baus von Korrosion befreit und das halbzylindrische südliche Treppenhaus mit seiner majestätisch geschwungenen Treppe einschliesslich des zentralen Beleuchtungskörpers wiederhergestellt, die langgestreckten seeseitigen Balkone sind statisch gesichert, Gesellschaftsraum und Lesesaal im ersten Stock konnten nach der Entfernung grober Entstellungen zu einem der ursprünglichen Gestalt angenäherten Café gemacht werden, und das Theater ist trotz sichtbaren Abstrichen fertig renoviert.
Ausstellung als Hoffnungszeichen
Die Chermayeff-Ausstellung, die in der von McAslan zur Kunstgalerie verwandelten ehemaligen Konferenzhalle gezeigt wird und die zuvor schon in Kettle's Yard - dem Museum für moderne Kunst der Universität Cambridge - zu sehen war, setzt ein weiteres Hoffnungszeichen. Der Architekturhistoriker Alan Powers, der sie kuratiert und die begleitende Monographie verfasst hat, konnte auf reichliche Materialien insbesondere aus dem Besitz von Chermayeffs Familie zurückgreifen. Kombiniert sind diese mit zwei neuen Modellen, vor allem aber mit zeitgenössischen Publikationen sowie mit Text- und Bildtafeln, die Leben und Werk des weltmännischen, sozialkritisch und früh auch schon ökologisch denkenden Architekten in sorgsam detaillierter Weise dokumentieren. Beim Besucher setzt das einiges Wissen über die grösseren Zusammenhänge voraus - und zwar nicht nur im Hinblick auf die europäische Moderne, sondern auch auf die akademische Szene in den USA, wohin Chermayeff 1940 emigrierte und wo er unter anderem am Chicago Institute of Design, in Harvard und in Yale Architektur und Stadtplanung lehrte.
In seinem Buch «Community and Privacy» (1963, Co-Autor: Christopher Alexander) zitiert Chermayeff Le Corbusier: «Architektur ist Organisation. Als Architekt ist man Organisator, nicht Künstler am Zeichenbrett.» Obwohl er durchaus in der Lage war, schön zu bauen - mit seinem aus Holz errichteten Landhaus Bentley Wood in Sussex (1936-38) hat er das auf sachliche Art bewiesen -, liegt Chermayeffs eigentliche Bedeutung in seiner Rolle als scharfer Analytiker unterschiedlichster Probleme. Seine Pläne für einstöckige Wohnhäuser etwa, in denen schleusenartige Räume und Patios die Aktivitätssphären der Familienangehörigen gegeneinander abpuffern, dürften gestressten Eltern noch heute wie das Licht am Ende des Tunnels vorkommen. Und seine urbanistischen Vorschläge zu hierarchischer Gliederung von Baugruppen nach Funktionen sowie zur Balance zwischen öffentlichen und privaten Bereichen bei hoher Besiedlungsdichte müssen schon deshalb interessieren, weil zu seinen Studenten in Yale Richard Rogers und Norman Foster zählten: Architekten, die heute dabei sind, eine Stadt wie London zu organisieren.
[Bis 15. Juli. Begleitpublikation: Alan Powers: Serge Chermayeff. Designer, Architect, Teacher. RIBA Publications, London 2001. 298 S., £ 24.95 (ISBN: 1 85946 075 5). ]
Raum für Augenblicke
Der japanische Architekt Fumihiko Maki in London
In seinem 1993 mit dem Pritzker Prize ausgezeichneten Schaffen verbindet Fumihiko Maki Elemente der Moderne mit solchen des Hightech und mit japanischen Traditionen. Das Londoner Victoria and Albert Museum zeigt in Zusammenarbeit mit dem Royal Institute of British Architects derzeit eine von Makis Tokioter Büro gestaltete Ausstellung, die seine urbanistischen Ideale und jüngsten Projekte vorstellt.
Architekten - so Fumihiko Maki - gleichen Filmregisseuren. Denn das Wichtigste an einem Film sei nicht die Handlung, sondern die Szene oder Szenerie, die für den kritischen Moment des Geschehens gewählt sei (zu seinen Lieblingsfilmen zählt Alain Resnais' «L'année dernière à Marienbad»). In diesem Sinne lassen sich seine Bauten als Kompositionen aus verschiedenen Bühnen für flüchtige Episoden und aus Rahmen für Momentaufnahmen verstehen. Ausser mit bestimmten filmischen Verfahren darf man dieses Interesse am Vorübergehenden auch mit den Holzschnitten aus dem Genre des Ukiyo-e in Verbindung bringen. Makis Arbeit steht unter dem Zeichen des japanischen Begriffs «Oku», was Tiefe oder einen Sinn für Tiefe meint und sich zugleich auf ein Innerstes, am wenigsten Zugängliches oder auch weit zurück Erstreckendes bezieht. Fassadenschirme aus perforiertem Metall, Jalousien, reflektierende Oberflächen, halb opake Trennwände, beiläufige Durchblicke und versteckte Passagen zählen zu den Mitteln, mit denen der Architekt solche Tiefe anklingen lässt.
Nun befasst sich das Londoner Victoria and Albert Museum mit dem 1928 in Tokio geborenen Architekten. Die Ausstellung veranschaulicht mit Text- und Bildtafeln, elf Modellen sowie einem Video insgesamt zehn Projekte, leider ohne diese in ein Verhältnis zur Geschichte der Moderne oder zur neueren japanischen Architektur zu stellen. Im Zentrum stehen Hillside Terrace und Hillside West in Tokio - gemischt genutzte Komplexe mit Geschäften, Wohnungen, Gastronomie, Büros sowie kleineren Räumen für kulturelle Veranstaltungen, die Maki für ein und denselben Bauherrn zwischen 1969 und 1998 in mehreren Phasen errichtet hat und die sein Bemühen um die Belebung städtischen Raumes sowie um eine sorgfältige Verzahnung von öffentlicher und privater Sphäre verdeutlicht. Die formale Zurückhaltung und die abwechslungsreiche räumliche Erschliessung lassen den Einfluss von Josep Lluís Sert ahnen, der in den fünfziger Jahren Makis Mentor in Harvard war; es gibt aber auch Berührungen mit Aldo van Eyck und den urbanistischen Interessen des Team X.
Die für die Londoner Präsentation ausgewählten Projekte reichen quer durch alle Bauaufgaben: vom schwimmenden Pavillon für Theateraufführungen (Groningen, 1997) über den Wettbewerbsbeitrag für ein Hochhaus in Helsinki (Vuosaari Tower, 1999) bis hin zum umfangreichen Erweiterungsbau der Medien-Labors am MIT in Cambridge/Massachusetts (1998-2004). Gern verwendet Maki in seinem Werk Materialien wie im Schiffsbau oder greift maritime Motive auf: In ihrem Grundriss und in einzelnen Ansichten ähnelt die Kirishima International Concert Hall (1994) einer im Gebirge gestrandeten Motorjacht, wobei sich die prismatischen Formen ihres stahlschimmernden Daches zugleich aus akustischen Berechnungen ergeben. Andere Projekte zeigen, dass Vergleiche zwischen Maki und europäischen Hightech-Architekten wie Norman Foster oder Nicholas Grimshaw zu kurz greifen: Ähnlich einer stillen Laterne leuchtet die Tokyo Church of Christ (1996) des Nachts an einer belebten Strasse der Metropole, und mit dem Kazeno-Oka-Krematorium in Nakatsu (1997) ist eine vom Statischen zum Stürmischen gespannte Landschaft zwischen Tod und Leben entstanden.
Die szenographischen Eigenschaften von Makis Bauten können in Modellen und Plänen kaum zum Ausdruck kommen. Will man die Qualitäten seiner Entwürfe würdigen, so muss man zudem in Rechnung stellen, dass in Japan von der Architektur weniger starke formale Präsenz als vielmehr Leichtigkeit und die Schichtung von Raum erwartet wird. Makis Eleganz streift häufig die Grenze zur Anonymität, wozu die Glätte und das kühle Spektrum seiner in Kombination mit Beton bevorzugten Materialien - Stahl, Glas, Aluminium, Kacheln - wesentlich beitragen. Für westliche Augen besteht sein vielleicht nachhaltigstes Verdienst darin, innerhalb der Reichweite einer modernen Formensprache immer wieder den Wert des Fragmentarischen und Vieldeutigen untersucht und damit die Polarität zwischen Moderne und Postmoderne relativiert zu haben.
[Bis 22. Juli. Anschliessend im Deutschen Zentrum für Architektur in Berlin (12. Oktober bis 9. November), in Kopenhagen und Paris. Begleitpublikation: 86 S., 10 £. - Ausserdem liegt die Werkmonographie Fumihiko Maki: Buildings and Projects, Thames & Hudson, London 1997 (ISBN 0-500-28031-2) vor. ]
Im roten Auditorium
Die Tate Modern als Diskussionsforum für Architektur
Seit ihrer Eröffnung im Mai dieses Jahres bietet die Tate Modern in London ein reges öffentliches Vortrags- und Konferenzprogramm, das nicht nur die bildende Kunst abdeckt. sondern auch in das Gebiet der Architektur ausgreift. Damit wird geschickt die magnetische Kraft genutzt, mit welcher der neue Museumsbau - von Herzog & de Meuron in die frühere Bankside Power Station eingefügt - das Publikum anzieht. Mit ihrem roten Auditorium im Erdgeschoss, das wie das pulsierende Herz des Hauses wirkt, sowie mit dem glasklar proportionierten East Room hoch oben über der Themse verfügt die Tate Modern über schönere Räume für Debatten über Architektur als das Royal Institute of British Architects, die Architectural Association und das Institute of Contemporary Arts (ICA) zusammengenommen.
Inhaltlich wagt sich die Tate mit solchen Veranstaltungen auf ein für sie neues Gebiet. Das naheliegende Leitthema dieses Sommers waren international bedeutende Museumsbauten der letzten Jahre: Im Rahmen einer längeren Vortragsserie sprachen pro Abend jeweils ein Museumsdirektor und ein Architekt über ihre Zusammenarbeit. Nun werden urbanistische, kommerzielle, militärische und imaginäre Konzepte von Raum im digitalen Zeitalter untersucht oder junge Architekten wie muf, die für die Regeneration der südlich der Tate Modern gelegenen Southwark Street verantwortlich sind, vorgestellt.
Hinzu kam am 11. und 12. November ein international besetztes Symposium über gemeinsames Terrain zwischen Architektur, Installationskunst und Performance, bei dem Architekten und bildende Künstler zu gleichen Teilen ihre Arbeit präsentierten. Hier ging es einerseits um die direkte Zusammenarbeit - etwa zwischen dem Architekten Heidulf Gerngross und dem Bildhauer Franz West aus Wien -, andererseits aber auch um konfliktträchtige Kontraste. Diese kamen im unmittelbaren Nebeneinander von Zaha Hadids techno-dynamischer Präsentation eigener Projekte und einem Vortrag des Londoner Künstlers Julian Maynard-Smith über das in seinen Performances ausgedrückte Misstrauen gegenüber abstrakten Raumkonzepten zutage. Einen unbekümmerten Begriff von Performance vertrat Christophe Egret, der Projektarchitekt der soeben mit dem Stirling Prize gewürdigten Peckham Library von Alsop & Störmer in London: Deren bunte gläserne Aussenwand mache für den Betrachter die Nutzung des Baus selbst zum visuellen Event. Zwar blieb der Abstraktionsgrad der Diskussionen gering, und es mangelte an einer systematischen kunst- und architekturtheoretischen Übersicht zu den angeschnittenen Themen. Aber ein Anfang ist gemacht, und man darf hoffen, dass das Tate-Architekturprogramm auf nützlichem Niveau fortgesetzt wird.
Von Blau zu Rosa
Neue Akzente in der Londoner Museumsarchitektur
In London stösst man neuerdings allenthalben auf neue Museen oder Museumsanbauten. Die Tate Modern als das grösste dieser jüngst realisierten, in erster Linie durch Lotteriemittel finanzierten Projekte setzt ein massgebendes architektonisches Zeichen an der Themse. Aber wie sind die anderen Gebäude und musealen Räume zu beurteilen, die seit kurzem Londons Image als Kulturmetropole auffrischen?
Wer ein Museum baut, will etwas präsentieren: Identität, Tradition, Gedanken, Objekte. Wo ein solcher Bau glückt, steigert er die Präsenz des Gezeigten. So in der National Portrait Gallery, wo es den Architekten Jeremy Dixon und Edward Jones gelungen ist, einer alten Kunstgattung zu neuer Unmittelbarkeit zu verhelfen. Im schmalen einstigen Hinterhof des Museums haben sie einen 15,9 Millionen Pfund teuren, fünfstöckigen Neubau errichtet, der sich innen wie selbstverständlich zum Altbau öffnet und der das Haus um erhebliche Ausstellungs- und Zirkulationsflächen sowie um eines der schönsten Panoramarestaurants von London bereichert. Durch einen Obergaden belichtet, reicht das Foyer dieses «Ondaatje Wing» über drei Stockwerke. Eine der längsten Rolltreppen Englands führt hier direkt zur obersten Ausstellungsebene, wo die Porträts der Tudor-Zeit Platz gefunden haben. Damit ist der Besucherstrom neu kanalisiert: Der Schwerkraft folgend, erkundet man 500 Jahre britischer Geschichte nun von oben nach unten, statt sich wie früher mühsam hochzuarbeiten. Unter das dunkel gehaltene Tudor-Geschoss haben Dixon und Jones eine helle Balkongalerie gehängt, wo schräg gestellte Schauwände Durchblicke zum Foyer ermöglichen und wo Persönlichkeiten der Zeit zwischen 1960 und 1990 ins Bild rücken. Architektur und kuratorische Regie greifen in diesem Neubau mit eleganter Präzision ineinander.
Mystifizierung
Für den «Wellcome Wing» im Science Museum (Baukosten: 50 Millionen Pfund) verfolgte das Architekturbüro MacCormac Jamieson Prichard ein gänzlich anderes Konzept, nämlich das einer Mystifizierung von Raum und Exponaten durch farbiges Licht. Inmitten einer 10 000 m² grossen rechteckigen Halle halten hier lateral ansetzende Stahlträger drei technizistisch anmutende Ausstellungsdecks, die an der Westseite des Raumes von einem tiefblau strahlenden, 32 m hohen Fenster hinterfangen werden. Der Nord- und der Südwand der Halle hingegen ist eine Haut aus Glasfasergewebe vorgehängt, durch die blaues Kunstlicht schimmert. Nach eigenen Worten will Richard MacCormac die Besucher dieses emotional gestimmten, visuell unfixierbaren Raumes in staunend gehobene Stimmung versetzen - unter Bezug auf Künstler wie Robert Irwin, James Turrell und Yves Klein. Die Frage, ob heutige Naturwissenschaft so in erhellender Weise zur Geltung kommt oder in eher verschwimmender Perspektive erscheint, kann hier nur angetönt werden.
Angesichts stetigen Drucks zur Erwirtschaftung von mehr Eigenmitteln sind attraktive Restaurants wie dasjenige in der National Portrait Gallery für englische Museen eine Notwendigkeit. Im Falle der Wallace Collection, wo dieser Faktor bei der Planung des Umbaus durch Rick Mather Architects eine dominante Rolle spielte, betrübt das Ergebnis. Die Ziegelwände des viktorianischen Innenhofes sind hier rosa wie in einem Boudoir gestrichen und mit einem schwerfällig geformten Glasdach überspannt worden. So entstand reichlich Raum für Palmen, Porphyrvasen und das Café Bagatelle, das sich nun mit seinem pudrigen Flair als Mittelpunkt der im Hause verwahrten, international bedeutenden Kunstwerke des Barock und Rokoko aufdrängt. Die 10,6 Millionen Pfund teuren Baumassnahmen erschlossen dem Haus im teilweise neu ausgehobenen Keller jedoch auch einige dringend benötigte Flächen für museale und museumspädagogische Zwecke. Unter anderem findet man zwei kleine neue Räume für Wechselausstellungen; in einem davon sind bis zum 1. Oktober Aquarelle des frankophilen Romantikers Richard Bonington zu sehen.
Belebte Altbauten
Als Nächstes darf man sich auf die Eröffnung des von Norman Foster umgebauten Innenhofes des British Museum im Dezember freuen. Aber nicht nur alte Museen erscheinen in London in neuem Licht, sondern alte Architektur lebt hier auch durch neue Museen auf. Dies gilt für die Tate Modern ebenso wie für das ab 1776 von William Chambers gebaute Somerset House am Strand, wo ausser der Courtauld Gallery nun auch die jüngst aus Amerika gestiftete Gilbert Collection beheimatet ist: eine Sammlung von rund 800 äusserst kostbaren, aber ästhetisch ungleichwertigen Objekten aus Gold, Silber, Halbedelsteinen und Edelsteinen, die mehrheitlich aus dem 14. bis 19. Jahrhundert datieren.
Insgesamt sind 48 Millionen Pfund investiert worden, um Teile von Chambers' Gebäude sowie dessen weiten Innenhof, der früher als Parkplatz diente und in dessen Mitte nun bald Fontänen sprudeln werden, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (beteiligte Architekten: Peter Inskip und Peter Jenkins, Donald Insall Associates sowie Jeremy Dixon und Edward Jones). Als grösstes Kompliment an das Somerset House wird die St. Petersburger Eremitage ab November Glanzstücke aus ihrem Besitz zeigen.
Archiv für Architektur
Die RIBA-Sammlung in London zieht um
Das Royal Institute of British Architects (RIBA) besitzt eine Sammlung von mehr als 650 000 Architekturzeichnungen (darunter allein 212 von Andrea Palladio), 15 000 Druckgraphiken, 650 000 Fotos und 700 000 Manuskripten. In der räumlich vom RIBA-Hauptgebäude am Portland Place getrennten RIBA Heinz Gallery am Portman Square konnte man seit 1972 regelmässig Ausstellungen zu architekturhistorischen Themen und zur Gegenwartsarchitektur sehen, die auf diesem Bestand basierten. Wegen Auslaufens des Mietvertrages zieht die Sammlung jetzt ins Victoria and Albert Museum um, wo im Frühjahr 2002 eine vom Londoner Architekturbüro Wright & Wright eigens für sie eingerichtete Galerie eröffnet werden soll.
Bis dahin wird das Ausstellungsprogramm in bestehenden Räumlichkeiten des Victoria and Albert Museum fortgeführt. Den Anfang macht die kleine Schau «Access all Areas», die gut 100 Kostproben aus sämtlichen Bereichen der RIBA- Sammlung gibt sowie auf deren Berührungspunkte mit Beständen des gastgebenden Museums aufmerksam macht. Zu den Glanzstücken zählen ein um 1525 gezeichneter Aufriss für eine Kapelle in der Kathedrale von Winchester sowie eine Zeichnung von Nicholas Hawksmoor für das Royal Hospital in Greenwich. Man bekommt aber auch Modelle, CAD-Studien und Fotos neuer Bauten zu sehen. Die Tatsache, dass das nachgerade provinzielle Ausstellungsdesign die RIBA-Sammlung weit unter Wert präsentiert, mag ihre Ursache im politisch geförderten Streben nach möglichst schwellenlosen Kulturinstitutionen haben.
Atmosphärischer Klassizismus
Wiedereröffnung der Dulwich Picture Gallery in London
Die 1811-13 von dem Architekten John Soane errichtete Dulwich Picture Gallery im Süden Londons beherbergt nicht nur eine der schönsten Gemäldesammlungen Englands, sondern sie besticht auch als Bau: die Museumsarchitektur der Gegenwart verdankt ihr wichtige Impulse. Durch das Londoner Büro Rick Mather Architects grundlegend renoviert und mit einem diskreten Erweiterungsbau versehen, ist die Galerie vor kurzem wiedereröffnet worden.
«Warum bewundern wir die Dulwich Picture Gallery und lernen so viel von ihr? Wohl, weil ihr Klassizismus Konvention und Abweichung vom Konventionellen verbindet . . . Sie ist ein kleines Gebäude in grosszügigem Massstab, ein architektonisches Oxymoron», schrieben vor vierzehn Jahren Robert Venturi und Denise Scott Brown. Für den 1985-91 von ihnen entworfenen Sainsbury Wing der National Gallery in London übernahmen die beiden amerikanischen Architekten von Soane den Gedanken einer durch kämpferlose Bögen verbundenen Enfilade von Sälen. Und das berühmte Oberlichtsystem der Dulwich Picture Gallery wirkte inspirierend nicht nur auf sie, sondern etwa auch auf Henry Cobb (Portland Museum of Art, 1978-82) und Richard Meier (Getty Center, 1984-97).
Architektur und Kunst
Gleichzeitig verblüfft die Galerie ihre Besucher als bauliches Kuriosum. Ihr Äusseres erinnert an die Ziegelarchitektur der römischen Antike ebenso wie an alte Lagerhäuser in den Docks von London oder Liverpool, an ägyptische Tempel und die Stallgebäude englischer Landhäuser. In ihrer Mitte findet man ein von gelbem Licht durchströmtes Mausoleum, in dem der 1807 verstorbene Londoner Kunsthändler Noël Desenfans und seine Frau Margaret sowie der Maler Sir Francis Bourgeois begraben sind. Desenfans und Bourgeois hatten für den letzten König von Polen, Stanislaus II., den Grundstock zu einer polnischen Nationalgalerie zusammengetragen. Da aber der Monarch 1795 zur Abdankung gezwungen wurde, verblieben die kapitalen Kunstwerke - darunter Poussins «Rinaldo und Armida» und Guido Renis «Johannes der Täufer in der Wildnis» - in London. 1811 vermachte Bourgeois die Mehrzahl von ihnen dem Dulwich College, einer im 17. Jahrhundert gestifteten wohltätigen Institution. Der erfindungsreiche Soane brachte in der nun nötig gewordenen neuen Galerie ausser den Bildern auch noch Wohnräume für sozial benachteiligte Frauen unter.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde das Museum mehrfach vergrössert und musste nach einem 1944 erlittenen Bombenschaden teilweise rekonstruiert werden. Aber der chronische Platzmangel blieb bestehen, und weder die Licht- noch die Sicherheitsverhältnisse genügten modernen Ansprüchen. Die jüngste Renovierung und Erweiterung (Gesamtkosten 8,3 Millionen Pfund) wurde durch substanzielle finanzielle Beteiligung des britischen Heritage Lottery Fund möglich. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Voran im Innern des Altbaus: Soanes fünf zentrale Säle strahlen jetzt wieder jene warme Nüchternheit aus, die man mit britischen Kulturinstitutionen des frühen 19. Jahrhunderts assoziiert. Nach Originalbefunden von 1823 wurden die Wände mit dunkel gebrochenem «picture gallery red» gestrichen, während der schräge Deckenansatz mit seinen grossen Stichkappen hellgrau gehalten ist. Bei den Oberlichtern dieser Räume handelt es sich nun um weitgehend getreue, aber auf heutige konservatorische Anforderungen abgestimmte Repliken von Soanes Originalen. Ein Eichenboden ersetzt die Korkfliesen der Nachkriegszeit. Auf etwas vergrösserter Ausstellungsfläche kommt die vertraute, nur leicht veränderte Hängung nach nationalen Schulen zu bester Geltung.
Um- und Neubauten
Die energischsten Neuerungen betreffen das Äussere: Der Londoner Architekt Rick Mather hat nicht bloss die während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark umgewandelte Ostfassade in freier Anlehnung an Soanes ursprünglichen Aufriss vereinfacht, sondern ihr gegenüber und im rechten Winkel zu dem angrenzenden alten College-Gebäude einen niedrigen neuen Trakt mit Café und Auditorium errichtet (da die zuständigen Denkmalpfleger die Aura einer abgerissenen Gartenmauer aus dem 18. Jahrhundert bewahren wollten, besteht er leider aus rotem statt aus dem von Soane verwendeten gelben Backstein). Ein verglaster Gang, der an zwei Flügel eines Kreuzganges erinnert und durch eine vorgelagerte Bronze-Pergola rhythmisiert wird, verbindet den Neubau mit dem College und Soanes Galerie.
Obwohl das abgesenkte, durch einen umlaufenden Oberlichtstreifen akzentuierte Deckenelement im neuen Auditorium von dem berühmten Baldachin im Frühstückszimmer des Londoner Sir John Soane Museum abgeleitet ist, hat Mathers Anbau mehr mit dem Ambiente seiner eigenen Zen- Restaurants in London und Montreal zu tun als mit Soanes vitaler Atmosphärik. Dennoch ist die Galerie inmitten des malerischen noch immer dörflich anmutenden Dulwich durch den Umbau zweifellos attraktiver geworden. Die Wiedereröffnung wird mit einer Ausstellung gefeiert, welche die komplizierte Baugeschichte des Museums, von Soanes ersten Entwürfen bis hin zu Mather, durch rund 120 Exponate veranschaulicht.
Ursula Seibold-Bultmann
Bis 30. Juli; Katalog £ 10.-. Nach zwölf Minuten Bahnfahrt und anschliessendem kurzem Fussmarsch erreicht man die Dulwich Picture Gallery von den Londoner Bahnhöfen Victoria (bis Haltestelle West Dulwich) oder London Bridge (bis Haltestelle North Dulwich).
Suche nach der verlorenen Zeit
Ein Thema der zeitgenössischen Architekturtheorie
Friedrich Schellings Beschreibung der Architektur als erstarrte Musik hat laut häufigem Urteil lange zu einer verengten Wahrnehmung zeitlicher Dimensionen in Bauten und urbanen Gefügen beigetragen. Inzwischen gilt diesem Problem viel Interesse: So fand 1998 in Ankara ein internationaler Kongress zur Frage temporaler Faktoren in der heutigen Architektur statt. Die Ergebnisse liegen jetzt in einem Sammelband vor. «Anytime» - so der Buchtitel - heisst «jederzeit» und «irgendwann». Da entsteht der Verdacht des Beliebigen. Doch die Vorsilbe «any» dient dem Grossteil der Autoren weniger als erkenntnistheoretischer Weichzeichner denn als heuristisches Werkzeug. Der Städteplaner Ilhan Tekeli (Ankara) betont das am klarsten, indem er in seinem Beitrag fragt, bis zu welchem Grad das intellektuelle Experiment einer Entspezifizierung von Zeit produktive Distanz zu bestehender Gesellschaftsordnung und Architekturpraxis schafft.
Wo der Glaube der Moderne an Kausalität und Fortschritt zusehends von einer Sensibilität für das Zufällige und Unvorhersagbare abgelöst werde, öffne - so Tekeli - eine «anyfication of the future» Raum für soziale und gestalterische Neuerungen, die es zu entwickeln gelte. Für die Architektur avisiert er eine offene Dynamisierung bei Erhalt gewisser statischer Elemente. So böten sich künftig die Verwendung austauschbarer Symbole am Bau oder ein Geflecht wandelbarer Bezüge zwischen den einzelnen Gebäuden eines Komplexes an; zudem liesse sich an Architektur denken, die per se einen ständigen Wandel späterer Interpretationen nahelegt.
«Any» steht aber nicht nur für postmoderne Ideen, sondern zugleich als Akronym für «Architecture New York». Bei der für «Anytime» verantwortlichen Anyone Corporation handelt es sich um eine Organisation, die - von Peter Eisenman präsidiert - den Platz neuer Architektur in ihrem kulturellen Umfeld zur Diskussion stellt. Das geschieht mit der Zeitschrift «Any», mit Buchpublikationen und mit einer Serie von zehn interdisziplinären Kongressen («Anytime» war der achte). In früheren Jahren ging es um Begriffe wie «Anyplace» oder «Anybody»; zum Abschluss der Reihe steht vom 1. bis zum 3. 6. 2000 in New York «Anything» auf dem Programm.
Führt der Zusammenprall der Kulturen heute zur Herausbildung neuer Zeitbegriffe? Formt sich im Zuge ökonomischer Globalisierung eine transkulturelle Zeit, oder kollabiert jeglicher einheitliche Zeitbegriff in virtuellen Räumen? Und welchen Einfluss haben solche Fragen und mögliche Antworten auf die Architektur? In Ankara folgten auf thematisch gebündelte Beiträge von Architekten sowie Sozial-, Kultur- und Naturwissenschaftern zu verschiedenen Aspekten des Zeit-Sujets fünf kontroverse Diskussionen, die ediert auch in das Buch eingingen. So präsentieren Bernard Tschumi und der Philosoph John Rajchman ihre heiklen Ansätze zu einer Herauslösung des Erlebens von Zeit aus einer vorgängigen Verankerung in Geschichte, Religion oder in narrativen Entwürfen. Charles Jencks hingegen versteht letztere als «the human shape of time» und geht wie schon in seinem Buch «The Architecture of the Jumping Universe» von der Geschichte des Kosmos als ein alle anderen Erzählungen umspannendes Meta-Narrativ aus, auf das sich auch die Architektur beziehen lasse. Zaha Hadid verweist unterdessen für ihr «Hong Kong Peak»-Projekt und ihren Entwurf für das Museum für islamische Kunst in Katar auf geologische Zeiträume.
Menschliches Leben oszilliert zwischen vielen zeitlichen Ebenen: etwa solchen mit biologischen, astronomischen oder metaphysischen Parametern. Daran erinnert die Malerin Jale Erzen (Ankara). Die Suche nach Alternativen zu rein quantitativ verstandener Zeit sowie zu einer ausschliesslich abstrakt-linearen Zeitvorstellung eint viele der Autoren. Zeit kann aber nicht nur als Voraussetzung und Korrelat räumlicher Erfahrung verstanden werden, sondern überdies als Erzeugerin neuer Formen und Formsequenzen. Mark Goulthorpes experimentelle Linienkonfigurationen gehören ebenso in diesen Zusammenhang wie Greg Lynns fliessende Formrhythmen, die von biologischen Prozessen inspiriert sind. Doch auch die für den Betrachter unüberschaubaren Niveauunterschiede in der Grundfläche von Eisenmans geplantem Berliner Holocaust- Mahnmal und ihre Spannung zur unterschiedlichen Höhe der darauf angeordneten Betonstelen werden vor diesem Hintergrund begreifbar: Der Architekt erklärt, wie im Raum zwischen den Stelen eine zeitlich unfixierbare Zone entsteht.
Ergab der Kongress trotz seinem Schwerpunkt bei Theoriedebatten auch Argumente für die politische Praxis? Man findet da einiges: Der New Yorker Architekt Michael Sorkin etwa begründet seinen Ruf nach Privilegierung optimal energiesparender und damit zwangsläufig langsamer Fortbewegungsarten als Ziel künftiger Verkehrsplanung mit einem ethischen Anspruch aller Bürger auf gerechte Verteilung von Zeit. Angesichts der Fülle von Anregungen, die «Anytime» bietet, wird man das unscharfe Vorwort des Buches, seinen Mangel an Systematik und den modischen Gestus einzelner Autoren nicht allzu übel nehmen.
Ursula Seibold-Bultmann
[ Anytime. Hrsg. Cynthia C. Davidson. MIT Press, Cambridge/Mass. und London 1999. 296 S., £ 24.50. Im Internet firmiert «Anyone» unter http://www.anycorp.com/ ]
Strammer Parcours
Architekturwoche in Grossbritannien
Unter dem Motto «Designing our Future» findet in Grossbritannien vom 5. bis zum 14. November die diesjährige «Architecture Week» statt. Seit 1997 vom Arts Council of England und dem Royal Institute of British Architects (RIBA) durchgeführt, soll diese Veranstaltungsreihe konzentriert über Architektur informieren sowie breite Kreise in Debatten über Gebäude und Urbanistik einbeziehen. Die «Architecture Week» bietet reiche Möglichkeiten, sowohl Meisterarchitekten zu bewundern als auch die Arbeit junger Firmen kennenzulernen.
Allein schon in London kann der Besucher in den nächsten Tagen fast pausenlos von Veranstaltung zu Veranstaltung eilen. Vorträge etwa von Ken Yeang (8. November), Zaha Hadid (11. November) oder Daniel Libeskind (12. November) wechseln ab mit geführten Spaziergängen zu soeben fertiggestellten Wohnbauten oder zu den neuen U-Bahn-Stationen der Jubilee Line. Ausstellungen dokumentieren beispielsweise Ideen für die Entwicklung des Themseufers («Future City» im RIBA am Portland Place, bis 14. November) oder Entwürfe von RIBA-Mitgliedern aus dem Londoner Raum für Cafés und Restaurants («Eating Design» bei Hawkins/Brown, 60 Bastwick Street, vom 8. bis zum 12. November).
Zwischendurch kann man Dutzende von Architekturbüros besichtigen (so ist man gegen Voranmeldung am 9. und 10. November bei Norman Foster und am 11. November bei Richard Rogers zu Führungen eingeladen) oder ein Gespräch zwischen Architekt und Auftraggeber verfolgen (Rick Mather unterhält sich am 13. November mit der Direktorin der Wallace Collection über seine Umbaupläne für dieses bedeutende Londoner Kunstmuseum). Hinzu kommen öffentliche Diskussionsveranstaltungen, ein Online-Forum sowie Angebote speziell für Kinder. Und last not least: Hauseigentümer können im Rahmen der RIBA- Initiative «Architect in the House» gegen eine Spende an die Obdachlosenhilfe «Shelter» einen Architekten zur Beratung in ihr Heim bestellen.
Einzelheiten zu den rund 300 Veranstaltungen vermittelt das Internet unter www.archweek.co.uk oder die Hotline 004420-7973 6436. Viele der Veranstaltungen sind gratis; einige müssen jedoch vorab gebucht werden. - Die nächstjährige «Architecture Week» findet übrigens vom 9. bis zum 18. Juni 2000 statt.
[ Anschrift: Architecture Week, Arts Council of England, 14 Great Peter Street, London SW1P 3NQ. ]
Tempel und Arche
Schriften des Architekten Christopher Wren
Die Arche Noah - so überlegt Christopher Wren (1632-1723), der Erbauer der St. Paul's Cathedral in London, in seinem «Discourse on Architecture» - wird eine Pumpmaschine an Bord gehabt haben, denn bei ihrer Grösse und Ladung hätte man mit mindestens 15 Fuss Wasser im Kiel rechnen müssen. Als erstes in der Bibel geschildertes «Peece of Naval Architecture» nimmt sie in seinem innovativen Abriss der Architekturgeschichte, den er im «Discourse» bis zum Grabmal des Etruskerkönigs Porsenna weiterführt, einen Ehrenplatz ein. Wrens christlicher Glaube überlagert sich hier in für ihn typischer Weise mit seinem Hintergrund als Naturwissenschafter sowie mit seinem ausgeprägten Pragmatismus.
Als Mitbegründer der Royal Society (1662) gehörte der Architekt den führenden intellektuellen Kreisen seiner Zeit an. Er verfügte über brillante Kenntnisse auf Gebieten, die von der Archäologie und der Astronomie bis zur angewandten Mechanik reichten, und über internationale Kontakte, die 1665/66 in einer Reise nach Paris gipfelten. Dort sah er nicht nur die prominentesten Beispiele der französischen Barockbaukunst - etwa Lemerciers Sorbonne-Kirche oder Mansarts Val- de-Grâce -, sondern traf auch mit dem betagten Gianlorenzo Bernini zusammen. Die Weite seines geistigen Horizonts macht seine Schriften über Architektur zum anspruchsvollen Stoff für Leser, die ein ideengeschichtliches Interesse an der Epoche der Aufklärung haben.
Unter seinen einschlägigen Texten sind an erster Stelle die Fragment gebliebenen fünf Architekturtraktate (darunter der «Discourse») zu nennen, die sein Enkel 1750 im Rahmen einer Familiengeschichte publizierte. An gleicher Stelle erschienen Wrens ausführliche Notizen über die Altertümer Londons, seine Berichte über den Zustand gotischer Kirchen einschliesslich des durch den verheerenden Stadtbrand von 1666 zerstörten alten Baus von St. Paul's, der vielzitierte Brief aus Paris sowie ein weiterer von 1711, in dem Wren seine Gedanken über eine zeitgemässe englische Kirchenbaukunst darlegt. All diese Quellen sind, neu transkribiert und ausführlich kommentiert, kürzlich von Lydia M. Soo in einem handlichen Band zusammengefasst worden.
Als Baumeister des Barock stützt sich Wren in seinen Schriften selbstverständlich auf die Vorgaben der Antike. Sein naturwissenschaftlich geschulter Blick gab ihm jedoch immer wieder Anlass, deren Autorität zu relativieren. Das spiegelt sich zum Beispiel in seinem doppelten Schönheitsbegriff: Im Gegensatz zur älteren Architekturtheorie gesellte er einer auf Natur und göttliches Gesetz gegründeten «natural beauty» eine «customary beauty» bei, die - und hier erinnert man sich an die von seinem französischen Kollegen Claude Perrault postulierte «beauté arbitraire» - aus den spezifischen kulturellen Gegebenheiten unterschiedlicher Orte und Zeitalter erwachse. Als einer der ersten erkannte der Engländer deshalb auch den gotischen Baustil wieder an (ohne ihn allerdings schon auf gleiche Höhe wie den klassischen heben zu wollen). Im einzelnen war seine Definition architektonischer Schönheit flexibel genug, um mit seinen undogmatischen Bauten nicht in Widerspruch zu geraten - so etwa im Falle der Bibliothek des Trinity College in Cambridge, wo die Geschosshöhe im Gebäudeinnern aus funktionalen Gründen stark von derjenigen der klassisch formulierten Fassaden abweicht.
Die Erläuterungen der Herausgeberin sind nah am Stoff und wissenschaftlich seriös, wenn auch nicht frei von inhaltlichen Wiederholungen. Ihre Wertung von Wrens Leistung wird dadurch etwas einseitig, dass sie Francis Bacons Essay «Of Building» nicht berücksichtigt - einen von ästhetischem Relativismus zeugenden Text, der die funktionalen Aspekte von Architektur betont und der im Kreise der Royal Society zweifellos bekannt war. Dasselbe gilt für den Ansatz Sir Roger Pratts (1620-84) zu einer historisch-vergleichenden Architekturbetrachtung. Demjenigen, der sich für den faszinierenden geistesgeschichtlichen Hintergrund interessiert, vor dem Wrens Rekonstruktionen biblischer Bauten wie etwa des Tempels Salomos zu verstehen sind, sei ergänzend der Katalog der Ausstellung «The Garden, the Ark, the Tower, the Temple: Biblical Metaphors of Knowledge in Early Modern Europe» empfohlen, die 1998 von der Bodleian Library in Oxford in Zusammenarbeit mit dem dortigen Museum of the History of Science gezeigt wurde.
[ Lydia M. Soo: Wren's «Tracts» on Architecture and other Writings. Cambridge University Press, Cambridge 1999. £ 45.-. ]
Palmetten im Gitterraster
Alexander Thomson im neuen Architekturmuseum Glasgow
Anfang Juli wurde in Glasgow ein neues Architektur- und Designmuseum eröffnet: das «Lighthouse» in dem 1893-95 von Charles Rennie Mackintosh gestalteten früheren Druckereigebäude des «Glasgow Herald». Mit der ersten Ausstellung ehrt die Stadt - in diesem Jahr «UK City of Architecture and Design» - den bemerkenswerten schottischen Architekten Alexander Thomson.
Woher der Campanile zwischen Plattenbauten? Warum daneben einsam der ionische Portikus? Reisende aus dem britischen Süden, mit dem Zug nach Glasgow Central unterwegs, erblicken kurz vor Ankunft in Fahrtrichtung rechts das schmerzhafteste Wahrzeichen der Stadt: die Ruine von Alexander Thomsons Caledonia Road Church (1856-57), wie sie inmitten der modernistischen Wohnwüste der «brave new Gorbals» aufragt. Der Bau, seit Anfang der sechziger Jahre ungenutzt, wurde 1965 von Vandalen in Brand gesteckt. 1972-73 folgte der Abriss der angrenzenden mehrstöckigen, ebenfalls von Thomson errichteten Wohnhäuser; 1993 verlor der Kirchturm sein Dach.
Gruss an Ägypten
Noch unter dem Eindruck dieses Panoramas verlässt man nach Ankunft des Zuges den Bahnhof durch den Ostausgang zur Union Street. Direkt gegenüber dräut schwarz eine massige Steinfassade. Beim zweiten Blick enthüllt sich deren imposante Rhythmik: Man steht vor Thomsons Egyptian Halls von 1870-72. Über den Läden im Erdgeschoss lagern drei von energischen Horizontalen getrennte Stockwerke. Die einzelnen Bauglieder sind in geradezu leidenschaftlich repetitiver Weise ornamentiert. Dabei bleibt die Wand subtil geschichtet. Das zweite Geschoss mit seiner langen Reihe fensterhinterlegter Doppelpilaster ist am flachsten behandelt und stösst optisch am weitesten vor, während darunter der erste Stock leicht zurückweicht; im stark plastisch artikulierten Obergeschoss stemmen gedrungene Säulen ein monumentales Gebälk in die Höhe. Die feine Diszipliniertheit der Licht-und- Schatten-Effekte besticht das Auge, obwohl der Stein von Schwefeldioxid zerfressen ist; mit der Renovierung soll demnächst begonnen werden.
Innert Minuten erreicht man von hier zu Fuss das Lighthouse. Offiziell wird der rote Sandsteinbau mit seinen historisierenden Dachgauben und seinem halb trutzig, halb floral gedachten Eckturm als erster öffentlicher Auftrag Mackintoshs bezeichnet; tatsächlich handelte es sich um die Neugestaltung des gut zwanzig Jahre älteren «Glasgow Herald»-Gebäudes, und die Fassadenpläne stammen aus einer Zeit, als Mackintosh noch junger Angestellter in der Firma Honeyman and Keppie war.
Trotzdem: Die Front des Gebäudes, das während der letzten fünfzehn Jahre leer stand, spricht eine phantasievoll wuchtige Sprache, und sein Umbau zum Museum wird einen ganzen Strassenabschnitt wiederbeleben helfen. Die verantwortlichen Architekten Page and Park aus Glasgow, die sich unter anderem durch die Neuordnung des Bezirks um die mittelalterliche Kathedrale der Stadt (seit 1984) und durch die Sanierung einer Gruppe von Warenhäusern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (dem jetzigen Italian Center in der John Street) einen Namen gemacht haben, mussten hier mit sehr begrenztem Spielraum auskommen, da die Baulücken neben dem L-förmigen Mackintosh-Komplex äusserst eng waren. Page and Park haben sie auf der Westseite durch einen unauffälligen vierstöckigen Anbau mit einer Fassade aus gelbem Sandstein und schlichten Metallplatten sowie im Norden durch den gläsernen Eingang zum Lighthouse geschlossen. - Im Innern des Häuserblocks beschränkte sich ihr Eingriff im wesentlichen auf die Ergänzung des «Herald»-Gebäudes durch einen etwas unruhigen neuen Zugangstrakt mit Treppen, Lifts und Zirkulationsflächen. Im überdeckten Innenhof schwebt eine von blauem Neon gesäumte Rolltreppe diagonal in die Höhe: Von der Aussichtskanzel auf dem Dach lassen sich die rechtwinklig aufeinanderstossenden Häuserschluchten der Innenstadt bewundern. Das im 18. Jahrhundert begonnene Gittermuster der Stadtanlage erklärt, warum man spätestens an diesem Punkt von Amerika zu träumen beginnt.
Zurück im vierten Stock, kann man sich in das von Gareth Hoskins ausgestattete Mackintosh Interpretation Center begeben, um eine Zeittafel zu studieren oder interaktive Computer auszuprobieren. Mackintoshs Eckturm darf man von hier aus ebenfalls erklimmen. Das alles ersetzt allerdings nicht einen Besuch der Hunterian Art Gallery der Universität mit ihren grossen Mackintosh-Beständen; das Lighthouse versteht sich als vermittelnde Institution und besitzt keine eigenen Sammlungen. Vier Galerien innerhalb des Gebäudes dienen Wechselausstellungen. Ein hausinternes Konferenzzentrum ergänzt das Angebot.
Die zur Eröffnung konzipierte Retrospektive des Schaffens von Alexander Thomson (1817-75) will den einfallsreichen und höchst produktiven Klassizisten als «Unknown Genius» in der Geschichte der Architektur auf ähnlicher Höhe wie Mackintosh verorten. Sie ist als visuell ansprechende Übersicht ohne primär wissenschaftlichen Anspruch gehalten. Teils chronologisch und teils thematisch gegliedert, spannt sie das Œuvre Thomsons zwischen das Schaffen von Karl Friedrich Schinkel - dessen Pfeilerreihen entlang der Fenster des Berliner Schauspielhauses zu einem Hauptmotiv im Formenrepertoire des Glasgower Architekten mutierten - und das Werk von Frank Lloyd Wright, dessen Prairie Houses verschiedentlich mit Thomsons Villen Holmwood (1857-58) und Langside (1856-57) in Verbindung gebracht worden sind.
Zu einer Zeit, als das Greek Revival andernorts längst von der Neugotik verdrängt worden war, entwickelte Thomson programmatisch seine malerische, stilistisch hybride und dabei ebenso urbane wie presbyterianische Klassizismus-Variante. In seinen Vorträgen konnte er von Athen und Ägypten schwärmen, als sei er eben erst dort gewesen: «Eine Gruppe schöner Formen» - dies über die Akropolis -, «die so voll Geist sind, dass sie zu denken scheinen». Dabei hat er Grossbritannien nie verlassen und baute nur in Glasgow und dessen engerer Umgebung. Für ihn durfte die Architektur nicht blossen Regeln folgen, sondern musste ewigen Gesetzen gehorchen, die sich in der Geschichte nach und nach offenbart hätten: Ägypten sah er auf die griechische Zivilisation vorausweisen, welche ihrerseits die Menschheit auf die Wahrheiten des Christentums vorbereitet habe. Als gläubiger Schotte und Viktorianer war er zutiefst vom Alten Testament ergriffen; wohl darum liess er sich von den megalomanen Bibelszenen des romantischen Sensationsmalers John Martin inspirieren, in denen aufgetürmte Podien, Prunktreppen und endlose Kolonnaden Edmund Burkes Konzept des Erhabenen einzulösen suchten.
Queen's Park Church
Am komprimiertesten kam dieser Einfluss in der 1943 von deutschen Bomben zerstörten Queen's Park Church zum Ausdruck - einem Tempel Salomos, wie er im Buch der Könige kaum prächtiger geschildert ist. Für die Ausstellung wurde ein (ohne Massstab präsentiertes) Grossmodell dieser Kirche angefertigt, und eine Computersimulation evoziert das spektakuläre polychrome Innere. Leider ist von Thomsons Nachlass nicht allzuviel erhalten; um so bedauerlicher, dass das Buch zur Ausstellung die Exponate - darunter Entwurfszeichnungen für Geschäftshäuser, Grabmonumente sowie insbesondere für die Caledonia Road Church - nicht systematisch erfasst. Statt dessen bietet es aber neben einer guten Einführung und schönen Photos einen ausführlichen Katalog sämtlicher erhaltener und zerstörter Thomson-Bauten. Auch wenn der Vergleich mit dem Genie eines Mackintosh doch etwas hinkt: Thomson hat das steinerne Gesicht Glasgows so nachhaltig geprägt wie kein zweiter. (Bis 19. September)
[ Begleitbuch, 184 S., £ 25.-. Unter dem Titel The Light of Truth and Beauty ist gleichzeitig eine Edition von Thomsons Vorträgen erschienen (200 S., £ 9.95). Das jüngst in den Besitz des National Trust for Scotland gelangte Holmwood (61-63 Netherlee Road) ist täglich von 13.30 bis 15.30 Uhr geöffnet. ]
Matrix der Hoffnung?
Möglichkeiten neuer Architektur in Osteuropa
Die Stadt als Erinnerung und als Traum, als Haus des Daseins und Matrix der Hoffnung: diese Worte Daniel Libeskinds - im Gedanken an die brutalen und zugleich drohend märchenhaften Umrisse von Ceausescus Bauten in Bukarest gelesen - beschwören einen Schwarm urbanistischer, ethischer, ästhetischer und baupraktischer Fragen herauf. Wie kann die Architektur soziale und politische Veränderungen bewirken, begleiten oder krönen? Soll sie Konstanten und Normen zum Ausdruck bringen oder blosse Kontingenz thematisieren? Wo berühren sich Politik und architektonische Schönheit? Und was folgt, wenn sich im Nachdenken über Architektur Utopie und Nostalgie gegenseitig blockieren?
Symbole und Fragmente
In Bukarest fand 1995 mit Unterstützung der Soros Foundation und anderer Geldgeber eine internationale Konferenz von Architekten, Philosophen und Kulturtheoretikern statt, welche die Möglichkeit neuer Architektur im Osten Europas auszuloten suchten. Die Ergebnisse sind jetzt in einem lesenswerten Sammelband veröffentlicht worden. Die einundzwanzig Autoren des locker nach Themengruppen gegliederten Bandes betrachten die oben erwähnten Probleme aus einer Vielzahl konträrer Blickwinkel; gemeinsam ist ihnen dabei höchstens ein betontes theoretisches Interesse. Teile ihrer Debatte klingen in westlichen Ohren nicht ganz neu - so etwa, wenn der Literaturwissenschafter Fredric Jameson gebaute Architektur als semantisch inerte und neutrale Folie beschreibt, die jegliche symbolische Bedeutung erst kraft der Assoziationen ihrer Betrachter gewinne, und wenn ihm Libeskind hierin mit guten Gründen widerspricht. Anderes - zum Beispiel die innenpolitisch gefärbte Breitseite eines jüngeren Akademikers aus Schottland gegen den Thatcherismus und dessen Folgen für Architektur und Stadtplanung - bleibt bei linksideologischen Generalisierungen stehen. Dennoch: Das Buch gibt reichlich Stoff zum Nachdenken, der sich bei der Lektüre entlang aufschlussreichen Schnitten und Konfrontationen immer neu zuschürzt.
So fallen Schlaglichter etwa auf Bernard Tschumis Architektur der Brüche und Spaltungen, obwohl er dieses Konzept in seinem kurzen Beitrag ohne nähere Berücksichtigung spezifischer Gegebenheiten in Osteuropa vorträgt. Inwieweit lassen diese Gegebenheiten Bauformen, die «die Fragmentation und Dissoziation der Kultur insgesamt» spiegeln sollen, tatsächlich zu? Die slowenische Philosophin und Soziologin Renate Selecl gibt ihrem psychoanalytisch orientierten Beitrag «The state as a work of art» zu bedenken, wie leicht der Verlust symbolischer Strukturen und Hierarchien die Kräfte derjenigen, die historische Traumata durchlebt haben, übersteigt. Das Finden neuer, positiver Symbole und Identifikationsmuster gewinnt aus dieser Perspektive ganz vitale Bedeutung.
Grenzen der Postmoderne
Gleichzeitig muss die Macht überlebender totalitärer Zeichen gebrochen werden. Doch wie? «Versuchen Sie sich an postmodernen Konzepten wie dem ‹Ephemeren›, der ‹Differenz›, dem ‹Fragmentarischen› . . .», antwortet der rumänische Architekt Dorin Stefan, «aber nähern Sie sich diesen Konzepten gegen den Strich. Mit anderen Worten: Lassen Sie sich vom Kontext diktieren, anstatt zu versuchen, ihn zu beherrschen.» Und auch in weiterer Hinsicht bietet die Postmoderne in Osteuropa nur begrenzte Anhaltspunkte; Stefans Kollegin Ioana Sandi bemerkt, dass die Intensität dortiger Debatten über Gut und Böse, Wahr und Unwahr von westlich- relativistischem Standort aus schwer zu begreifen sei. In Rumänien gäbe es klare Massstäbe: «People have died for liberty.»
Eine phänomenologisch-anthropologisch ausgerichtete, von Max Scheler und Maurice Merleau-Ponty ausgehende Alternative zu extremen postmodernen Positionen wird von Dalibor Vesely (Cambridge) skizziert. Er warnt vor der Tendenz, eine experimentelle und monologische Repräsentation von Wirklichkeit wichtiger als die Wirklichkeit selbst zu nehmen, und fordert eine Architektur, die - anstatt halluzinatorischen Erfahrungen Vorschub zu leisten - mit konkreten menschlichen Grundsituationen verbunden bleibt. Davon, wie die Grenze zwischen wahnhafter Halluzination und befreiender Vision unter totalitären Bedingungen zu ziehen war, zeugen die Beiträge der rumänischen Autoren.
Bedrohte Identitäten
Aber auch das scheinbar Lebensnahe wirft Probleme auf. Neil Leach (Nottingham) übt Kritik an Rufen nach einer regionalen Architektur, wie sie unter dem Zeichen des «Genius loci» und vor dem Hintergrund von Martin Heideggers Konzept des Wohnens durch Autoren wie Christian Norberg-Schulz und Gianni Vattimo skizziert wurde und heute in Osteuropa gern diskutiert werde. Nicht nur, dass er aus dieser Richtung die Gefahren eines neuerwachten Nationalismus heraufziehen sieht - eine solche Architektur lasse sich überdies mühelos den Wirtschaftsinteressen des «späten Kapitalismus» unterwerfen und drohe somit in historisierenden Disney-Ländern aufzugehen.
Antworten auf die Frage, was die Architektur unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den osteuropäischen Ländern dort jeweils realiter leisten könne, finden sich allerdings in dem Buch nur spärlich. Wie klein die Handlungsspielräume vielerorts angesichts praktischer Probleme sind, macht das Protokoll einer während der Konferenz abgehaltenen Round-table-Diskussion zwischen den Architekten Evgeny Asse und Andrei Bokov sowie den Architekturhistorikern Selim Khan-Megomedov und Vyatcheslav Glazychev (Moskau) über «Architektur in einer posttotalitären Gesellschaft» klar. Bokov zieht eine desperate Summe: «In Russland sind ungeschriebene Gesetze immer besser befolgt worden als geschriebene . . . Aber jetzt gibt es keine mehr.»
Ursula Seibold-Bultmann
[ Routledge, Architecture and Revolution. Hrsg. Neil Leach. London und New York 1999. 238 S., £ 17.99. ]
Im Schatten des Wolkenbügels
El Lissitzky: eine Ausstellung in Hannover
Maler, Architekt, Designer, Typograph und Photograph in einer Person, zählte El Lissitzky (1890-1941) zu den beweglichsten Künstlern der russischen Avantgarde. Das Hannoveraner Sprengel-Museum präsentiert derzeit sein mittleres und spätes Œuvre.
Im Jahr 1919 verlegte die Kulturliga in Kiew elf poetische Farblithographien mit dem Titel «Eine Ziege». Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man meinen, ihr Schöpfer sei Marc Chagall. In Wahrheit stammen sie von El Lissitzky, der sich in seiner frühen Zeit intensiv an der Wiederbelebung jüdischer Kultur in Russland beteiligte und im genannten Jahr mit Chagalls Hilfe als Dozent an die Volkskunstschule in Witebsk berufen wurde. Dort verwandelte ihn der polarisierende Einfluss von Kasimir Malewitsch abrupt in einen Protagonisten der geometrischen Abstraktion. Für seine Gemälde, Aquarelle, Graphiken und Collagen der folgenden fünf Jahre prägte er den Neologismus «Proun» (Projekt für die Gründung neuer Formen der Kunst) und fand dank diesen hochsensiblen, fast ausschliesslich ungegenständlichen Kompositionen unverzüglich Eingang ins Pantheon der klassischen Moderne.
Ende der Abstraktion
Schon um 1921 jedoch zeigten sich in der schwerelosen Welt der Prouny erste Risse: In seine Entwürfe für die Illustrationen zu Ilja Ehrenburgs «Erzählungen mit leichtem Schluss» fügte Lissitzky neben abstrakten auch wieder figürliche Elemente ein. Auf einem dieser Blätter fixiert Wladimir Tatlin, durch einen riesigen Zirkel im Auge sowie durch mathematische Formeln etwas ostentativ als Konstrukteur neuer Welten definiert und von der Vision seines «Monuments der Dritten Internationale» beseelt, ein räumlich hochkomplexes geometrisches Gebilde; im leeren Raum darüber schwebt sprachlos das Fragment eines Frauengesichts, gehalten nur von einem horizontalen roten Balken.
Scheint Tatlins revolutionäre Zukunft hier noch mit der Entwicklung der Abstraktion verzahnt, so verliess Lissitzky selber diesen Pfad bald. Seit 1924 befasste er sich statt mit abstrakten Bildern vor allem mit photographischen Experimenten; daraus resultierten zum Beispiel mehrfachbelichtete Porträts von Kurt Schwitters und Hans Arp. 1924-26 folgte der Entwurf des atemberaubenden «Wolkenbügels» - eines dreiflügeligen Bürohauses, das auf Stelzen über den Strassen Moskaus schweben sollte. Anderthalb Jahrzehnte später endete die künstlerische Laufbahn des Russen mit dem Layout von Photoreportagen und Titelblättern für die Propagandazeitschrift «USSR im Bau», auf welch letzteren zum Beispiel ein Arbeiter und ein Bauer mit jugendlicher Emphase die sowjetische Fahne über Stalins Rednerpult schwingen oder ein in Bessarabien einmarschierter, mit Gewehr und Blumenstrauss ausgerüsteter Rotarmist ein schüchtern lächelndes kleines Mädchen auf dem Arm trägt.
Thema der Hannoveraner Schau ist Lissitzkys Schaffen ab dem Zeitpunkt, als er sich von der Abstraktion abzuwenden begann. An die Aussagekraft geballter Materialfülle glaubend, hat die New Yorker Gastkuratorin Margarita Tupitsyn über 300 Exponate aus privaten und öffentlichen Sammlungen zwischen Moskau und Los Angeles zusammengetragen. Einleitend dokumentiert eine kleine Werkauswahl die noch überwiegend abstrakten Projekte Lissitzkys aus den Jahren 1921-23, als er sich in Berlin und Hannover aufhielt. Seit dem Ende seiner dortigen Zeit litt er an Lungentuberkulose, und die Qualität seiner nunmehr gegenständlichen Arbeiten wurde schmerzhaft heterogen. In der Ausstellung kann man an Dutzenden von Beispielen sehen, dass er als Photograph und Schöpfer von Photogrammen weder mit der formalen Kühnheit László Moholy- Nagys oder Alexander Rodtschenkos noch mit dem Einfallsreichtum Christian Schads oder Man Rays konkurrieren konnte. Hat man sich beim Blättern in Lissitzkys frühen Buchillustrationen einmal die geistreiche Dynamik seiner damaligen Bildfolgen erschliessen können, so schnürt einem der Anblick der propagandistischen Photomontagen aus den dreissiger Jahren dann vollends die Kehle zu.
Lissitzky war nicht der einzige Künstler der sowjetischen Avantgarde, der seine Arbeit in den Dienst Stalins stellte; für «USSR im Bau» arbeiteten zum Beispiel auch Rodtschenko und Warwara Stepanowa. Bis vor kurzem wurden die einschlägigen Werke von Apologeten der Moderne gern mit dem Mantel des Schweigens verhüllt. Dass mittlerweile auf Grund veränderter politischer und wissenschaftlicher Rahmenbedingungen sämtliche Schaffensphasen der Avantgardisten breit in den Blick rücken, bedeutet für Historiker und Biographen zweifellos einen Erkenntnisgewinn. Inwieweit ist dieser aber auch wesentlich für die Geschichte der Kunst?
Wissenschaftliche Leerstellen
Weder in der Ausstellung noch im Katalog gelingt es Margarita Tupitsyn, Kriterien für die Unterscheidung zwischen Kunstwerken und blossen visuellen Dokumenten zu finden. Darüber hinaus umschifft sie auch die Mehrzahl der übrigen zentralen Fragen, die von ihren Exponaten aufgeworfen werden (Ulrich Pohlmanns Katalogbeitrag über den Einfluss von Lissitzkys Ausstellungsdesign der Jahre 1928/30 auf faschistische Propagandaausstellungen bietet hier nur punktuellen Ausgleich). Wenn sie etwa schreibt, sie wolle in ihrem Essay «keine strukturelle oder ikonographische Analyse von Lissitzkys photographischem Spätwerk» liefern, und statt dessen seitenlang die Auswirkungen seiner Krankheit auf seinen Arbeitsalltag kommentiert, so wird sie der öffentlichen Verantwortung der Kunstgeschichte angesichts einer ideologischen Bildsprache nicht gerecht; da hilft auch kein Mini-Verweis auf eigene sowie durchaus kommentarbedürftige fremde Sekundärliteratur. Die Beiträge Russlands zur Kunst der Moderne sind so bedeutend, dass sie es vertragen und verdienen, von der Kunstwissenschaft mit aller Klarheit reliefiert zu werden.
[In Hannover bis 5. 4.; vom 1. 7. bis zum 5. 9. im Museu d'Art Contemporani de Barcelona und vom 16. 9. bis zum 7. 11. in der Fondaçao de Serralves, Porto. Katalog (239 S, über 200 Farb- und Schwarzweissabb.) DM 58.-. ]