Artikel

Ein Stadtbild kommt ins Rollen
Spectrum

Die Niederflur-Straßenbahn in Wien: „ULF“ – die gelungenste Maßnahme zur Verbesserung des Stadtbildes in den vergangenen 20 Jahren.

20. Januar 2008 - Christian Kühn
Das Stadtbild liegt dem Wiener am Herzen. Kaum hört er von einem geplanten Neubau, keimt in ihm der Verdacht auf Bildstörung. Veränderungen bekannter Veduten steht er grundsätzlich skeptisch gegenüber, wie überhaupt der Zukunft, denn „es kommt ja nichtsBesseres nach“. Entgegen diesem Klischee hat Wien in den letzten Jahren eine erstaunlich radikale Veränderung des Stadtbilds erlebt, die als solche aber kaum bewusst wahrgenommen wird. Statt der alten rot-weiß-roten Straßenbahnen schieben sich vermehrtneue Straßenbahnzüge ins gewohnte Bild, die auf den Namen ULF hören, ein Akronym für das „Ultra-Low-Floor“-Konzept, nach dem diese Züge konstruiert sind.

Als die ersten von ihnen vor fast 15 Jahren noch als Prototypen durch die Stadt rollten, war der Schock groß. Mit der guten alten Straßenbahn hatten diese Bandwürmer, bei denen man Vorne und Hinten kaum unterscheiden konnte, wenig zu tun. Wenn schon modern, dann hätte man sich eher eine verkleinerte Kreuzung aus TGV, Shinkansen undICE gewünscht, wie sie in anderen Städten auf die Schiene kamen. Dass ausgerechnet Porsche-Design diesen Wurm gestaltet hätte, musste wohl ein böses Gerücht sein.

Komfort war den neuen Wagen aber von Anfang an nicht abzusprechen. Weltweit gibtes bis heute keine Straßenbahn mit einer niedrigeren Einstiegshöhe. Nur 19 Zentimeter liegt der Boden des ULF über Straßenniveau, eine Höhe, die sich bequem mit der üblichen Gehsteighöhe in Einklang bringen lässt. Die nächsten Niederflur-Konkurrentenkommen auf 28 bis 30 Zentimeter oder haben im Wageninneren zusätzliche Stufen, was den Komfort deutlich reduziert.

Die Idee für den ULF entstand Ende der 1980er-Jahre, als die Wiener Linien die Spezifikation für die nächste Generation ihrer Straßenbahnen entwickelten, wobei zwei Wege zur Debatte standen: einerseits eine Verbesserung des bisherigen Konzepts mit Niederflurelementen beim Einstieg, andererseits der Plan, die Straßenbahn überhaupt „neu zu erfinden“. Gegen alle Klischees, dass manden Wienern Neues nur in kleinen Schritten zumuten könne, entschied man sich für die radikale und damit riskantere Alternative.

Die Idee dafür stammte von einem Ingenieur der Simmering-Graz-Pauker-Verkehrstechnik, Leopold Lenk. Er entwickelte für den ULF ein Portalfahrwerk, das von außen als vertikales, geschlossenes Trennelement sichtbar wird und konstruktiv als umgekehrtes „U“ ausgeführt ist. Da die geringe Bodenhöhe keine Achsen erlaubt, werden die Räderdes ULF einzeln von senkrecht stehenden Elektromotoren angetrieben, die seitlich in diesen „U“s untergebracht sind. Um das Niveau unabhängig von der Anzahl der Fahrgäste halten zu können, verfügt der ULF über eine hydraulische Federung, wie man sieetwa von Citroën kennt. Völlig neu konzipiertwurde in Zusammenarbeit von SGP und Elindie Steuerung der Räder, so dass man heute im ULF weniger mit der „Elektrischen“ unterwegs ist als mit der „Elektronischen“.

Die ersten Versuchsversionen des ULF rollten 1992, angedockt an alte Straßenbahnzüge, durch die Stadt. 1995 gab es einen funktionsfähigen eigenständigen Prototyp, ab 1997 wurde mit der Serienlieferung begonnen. In der ersten Tranche erwarb die Stadt bis 2006 150 ULFs, die Auslieferung derzweiten, klimatisierten Tranche hat letztes Jahr begonnen und wird bis 2014 abgeschlossen sein. Dann werden 300 der rund 500 Wiener Straßenbahnzüge aus diesen Serien stammen. Seit einer Woche ist auch ein Exportvertrag für eine erste ULF-Serie ins rumänische Oradea fixiert. Produziert wird nachwie vor in Wien, allerdings unter der Flagge von Siemens, das Ende der 1990er-Jahre mit der SGP einen Konkurrenten ihrer eigenen, etwa gleichzeitig entwickelten Niederflurtram, des „Combino“, übernahm. Dass dessen Ruf nach massiven technischen Problemen angekratzt ist, dürfte dem ULF in nächster Zeit etwas Auftrieb geben.

Das Design des ULF stammt tatsächlich von Porsche-Salzburg, wobei der Verzicht auf ein „schnittiges“ Äußeres als Qualität zu werten ist. Besonders aerodynamisch muss ein Fahrzeug, das kaum je mit mehr als 50 Stundenkilometern unterwegs ist, nicht sein.Stattdessen stand für den verantwortlichen Designer bei Porsche, Bernd Mayerspeer, die Gelenkigkeit des Fahrzeugs im Mittelpunkt, die durch die vertikalen Schilde betont wird, hinter denen sich die Portalfahrwerke befinden. Das Ergebnis ist ein ungemein großstädtisches Objekt, das sich nicht anbiedert, aber auch in 30 Jahren noch einenästhetischen Eigenwert besitzen wird.

So erfreulich der Einstieg in den ULF ist – als würde man von einem statischen Gehsteigeinfach auf einen rollenden wechseln – so ernüchternd ist das Ambiente, das sich dem Fahrgast bietet. Bei einem Preis von 2,4 Millionen Euro pro Wagen hätten hochwertigereMaterialien möglich sein müssen. Alles wirktein wenig billig, von der Verkleidung über diegrau lackierten Griffstangen und die plüschigen Sitze bis zu den Handschlaufen aus gelbem Plastik. Das kantenlose Design reduziertvielleicht die Verletzungsgefahr, aber in einemderart kontur- und spannungslosen Raum hatman nirgends das Gefühl, einen Platz gefunden zu haben. Und anders als von außen, wo die Portalfahrwerke deutlich abgesetzt sind, zieht sich innen die beige Oberfläche über die gesamte Länge des Raums.

Trotzdem: Der ULF ist wohl die gelungenste Maßnahme zur Verbesserung des Stadtbildes, ja vielleicht der ganzen Stadtplanung, dieder Gemeinde Wien in den letzten 20 Jahren aktiv gelungen ist. Kein Stadtmöbel, keine Platzgestaltung, keine Beleuchtung – man denke nur an die absurde Diskussion über dieKulturerbe-konformen neu-alten Kandelaberam Ring – reicht annähernd an ihn heran, zumindest wenn man großstädtische Maßstäbe ansetzt. Er beweist, dass man den Wienerinnen und Wienern weit mehr Innovationzumuten kann, als sie angeblich vertragen. Man muss nur selbst den Mut dafür haben.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: