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Doch, wir sind in Österreich
Spectrum

Eines der aufwendigsten Verfahren, die in Sachen Wohnbau je durchgeführt wurden: über das Quartier auf den Kabelwerkgründen in Wien-Meidling.

27. Januar 2008 - Liesbeth Waechter-Böhm
Es war sicher eines der aufwendigsten Verfahren, das in Sachen Wohnbau jemals durchgeführt wurde. Nicht nur in Wien, sondern wahrscheinlich europaweit. Für die Kabelwerkgründe in Meidling hat sich die Stadt Zeitund eine ganze Reihe „Fachpersonal“ genommen, schließlich sollte ein beispielhafter neuer Stadtteil entstehen. Ganz fertig gebaut ist das Quartier noch nicht, die Architektur-Exkursionen strömen trotzdem schon. Tatsächlich lässt sich bei einem Spaziergang durch das Areal sehr gut ablesen, wie es sein wird, wenn es rundum bewohnt und belebt ist.

Begonnen hat alles damit, dass die Kabel- und Drahtwerke AG – 100 Jahre lang der wichtigste Betrieb und damit Arbeitgeber des Bezirks – Ende 1997 ihre Pforten schließen musste. Im Jahr davor wurde das zum Anlass für einen Workshop genommen, zu dem auch die Bewohner aus der Umgebung eingeladen waren. Diese Praxis der Bürgerbeteiligung wurde über Jahre konsequent durchgezogen und hat wohl entscheidend dazu beigetragen, dass es zu keinerlei Anrainer-Einsprüchen gekommen ist.

Der städtebauliche Wettbewerb liegt inzwischen zehn Jahre zurück – er wurde von Rainer Pirker und Florian Haydn gewonnen –, bis 2001 wurde vor allem in die theoretische Arbeit investiert. Es wurden Parameter entwickelt, die für die gesamte Anlage verbindlich sein sollten – und es wurde ein Jahr an „Testprojekten“ gearbeitet. Dabei ging es auch darum nachzuweisen, dass die Finanzierbarkeit des Projekts für die Bauträger gewährleistet sein würde. Denn hier wurde eine Strategie verfolgt, die sonst nicht gang und gäbe ist. Man könnte sagen, dass in diesem neuen Quartier das Freiraumkonzept, das Wege- und Platzsystem den Ansatz für die endgültige städtebauliche Figur geliefert hat. Auch die Entscheidung, bei allen Geschoßwohnungsbauten eine unbewohnte Sockelzone einzuführen, war wichtig. Aber vor allem haben die „Bonuskubaturen“ dazubeigetragen, dass hier eine typologische Vielfalt entstehen konnte, die nicht nur wohnungs- sondern auch hausbezogen ist.

Einen Hallenhaustyp, wie ihn Hubert Hermann hier realisiert hat, wird man anderswoim geförderten Wiener Wohnbau vergeblich suchen. Denn eine so gewaltige, großzügig bemessene Empfangs- und Erschließungshalle, die über alle Geschoße durchgeht, ist im doppelten Sinn leere Kubatur. Sie ist definitiv „leerer“ Raum, sie ist aber auch leer, weil sie nicht kommerziell verwertbar ist. Und das muss man sich im geförderten Wohnbau erst einmal leisten.

Man kann es sich leisten, wenn man sehr dicht baut. Und urbane Dichte wird natürlich angefeindet. Wenn in einem Altstadtkern die Gassen eng und die Wohnungen finster sind, nimmt man das in Kauf. Wenn in einem Neubaugebiet die Häuser (bei Weitem nicht so) dicht an dicht stehen, bricht der Aufstand aus. Auf den Kabelwerkgründen gibt es dichte Situationen. Sie sind eindrucksvoll und dabei so intelligent umgesetzt, dass die Bewohner über einen Mangel an Wohnqualität sicher nicht zu klagen haben, auch in den Geschoßwohnungsbauten. Ganz zu schweigen von der „griechischen Gasse“, die Schwalm-Theiss & Gressenbauermit ihren Reihenhäusern geliefert haben.

Darin liegt der Reiz des Areals: Entlang der öffentlichen Räume und Erschließung – durch die sogenannte Diagonale, Hauptplatz, Nebengassen sowie kleinere Plätze und Grünflächen – wurden Baufelder festgelegt. Wie die bebaut werden, war die zweite viel diskutierte Frage. Aber es ist natürlich etwas anderes, ob eine Behörde vorschreibt, wie Dichte und Bauhöhe zu sein haben, oder ob alle Beteiligten (Behörden, Bauträger und Architekt) gemeinsam und in einem offenen Prozess klären, wie sie vorgehen wollen.

Bei allen großen Neubauquartieren gibt es immer zwei Probleme. Das eine betrifft den Nutzungsmix. Wenn es wirklich nur Wohnbauten gibt, dann wird die Sache atmosphärisch einfach öd. Das ist auf den Kabelwerkgründen nicht ganz so. Sie liegen an der Bahn, haben eine U-Bahn-Station vor der Tür, daher gibt es auch die Implantate anderer Nutzungen. Vom Hotel bis zum Geriatriezentrum, das demnächst errichtet werden soll. Die Debatte um die Nutzung des – ziemlich spärlichen – Altbestandes (Werkstatt Wien) hält offenbar immer noch an. Ob die ursprünglich vorgesehene kulturelle Nutzung stattfindet, scheint offen.

Das zweite Problem hat mit der Architekturqualität zu tun. Städtebaulich kann man viel tun, aber was nutzt es, wenn die einzelnen Bauten fragwürdig sind. Das ist hier besser als etwa auf dem Wienerberg oder in Süßenbrunn. Die Architekten, die hier gebaut haben, stehen für ein gewisses Niveau. Pool zum Beispiel, die im städtebaulichen Wettbewerb den zweiten Preis gemacht haben; auch Mascha & Seethaler, die mit ihrer Architektur dem großen Platz ein markantes Gesicht geben; oder Wurnig-Kljajic, die im Anschluss an Hubert Hermann die Geländekante definieren. Und, wie gesagt, Schwalm-Theiss & Gressenbauer.

Das ist wieder einmal eine der Unschärfen, für die man Wien, besser: Österreich lieben muss. So viel Aufwand und theoretische Arbeit für ein Neubauquartier, so eine Anstrengung, um in einem nachprüfbaren, demokratischen Verfahren zu einem Ergebnis zu kommen. Und was ist dann? Die ursprünglichen Sieger des Wettbewerbes kommen überhaupt nicht mehr vor; man sollte aber gerechterweise erwähnen, dass die ARGE Kabelwerk in der Folge den renommierten Otto-Wagner-Städtebaupreis bekommen hat. Trotzdem: Schwalm-Theiss & Gressenbauer haben nicht am Wettbewerb teilgenommen, ebenso wenig die Werkstatt Wien; Mascha & Seethaler waren in der Jury.

Wenn man sich das vor Augen führt, fühlt man sich – trotz aller aufgeklärten, sachlichen Diskussionen – wieder ganz zuhause. Wir sind in Österreich, Gott sei Dank.

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