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Hannes Wettstein – der Undogmatische
Design aus dem Atelier Hannes Wettstein hat jeder Schweizer in seiner Stube – in Gestalt der virtuellen «Landschaften», in denen die Informationssendungen des Schweizer Fernsehens produziert werden. Und doch kennen bis anhin fast nur Design-Aficionados den Namen des Zürcher Gestalters. Ein Besuch in einem aussergewöhnlichen Büro.
2. Februar 2008 - Urs Steiner
Es knallt und schreit im Treppenhaus des alten Industriebaus im Zürcher Seefeld. Die Neugierde auf den Ursprung des Lärms wird strapaziert durch einen unendlich gemütlichen Warenlift, der uns in den 2. Stock zum Designbüro von Hannes Wettstein hievt. Hier wird tatsächlich scharf geschossen – mit den Bällen eines schneeweissen Töggelikastens. Vier junge Leute versuchen energisch, die verflixte Kugel ins gegnerische Tor zu ballern, bevor sie sich wieder hinter die Bildschirme machen, um Setdesigns, Leuchtenarme, Brennstoffzellen oder Schmuck zu entwerfen.
Typologien erweitern
Die Monitoren der gegenwärtig 23 Arbeitsplätze sind so eng aneinandergereiht, dass sie sich beinahe berühren: Das Büro wächst rasch, die Atelierräume können kaum Schritt halten. Die Marke «Wettstein» geniesst hohes Ansehen – und dies zunehmend auch international. Gebaut und gestaltet wird in Frankfurt und Berlin ebenso wie im Engadin und in Zürich. Im Herbst hat Wettstein die Struktur der Firma dem Geschäftsgang angepasst und den Geschäftsleiter Stephan Hürlemann zum Partner und Teilhaber ernannt.
Welterfolge aus dem Atelier Wettstein gab es allerdings bereits vor 25 Jahren. Einer der ganz frühen Entwürfe des Gestalters, die auf Drahtseile gespannte Niedervoltleuchte «Metro» von 1982, war so erfolgreich, dass Wettstein seine Schöpfung fast bereut: «Wenn ich in der Käseabteilung des Coop eine dieser Girlanden sehe, frage ich mich, was ich da nur ausgelöst habe.» – Er hat, wie so oft, einen Typus erfunden (dessen weitere Entwicklung ihm in diesem Fall allerdings entglitten ist). Was später im Baumarkt als Bastelsatz zu haben war, hatte er ursprünglich für die niedrigen Decken des Pariser Centre Pompidou realisiert: sec, unspektakulär, funktionalistisch.
Geschliffene Eleganz ist der gemeinsame Nenner, auf den man die Entwürfe aus dem Büro Wettstein bringen kann – das gilt für Produktedesigns ebenso wie für Möbel. So hat er etwa für die Manufaktur Horgenglarus Holzstühle geschaffen, aber auch Sofas für die italienischen Edelmarken Cassina und Baleri. Das dritte, zunehmend wichtige Standbein ist die Gestaltung von Innenräumen – oft in Zusammenarbeit mit namhaften Architekten. Regelrecht in eine Wettstein-Welt eintauchen kann man in Berlin. Im Auftrag des spanischen Architekten Raphael Moneo haben die Zürcher sämtliche Innenräume des Luxustempels Grand Hyatt gestaltet.
Wenn es darum geht, ganze Welten zu schaffen, sind Hannes Wettstein und sein Team im Element. So haben sie für Novartis ein Pilotprojekt für künftige Grossraumbüros entwickelt, dessen Name «Business Club» bereits einiges über die Inhalte verrät: Die Mitarbeiter sitzen nicht einfach in ihren Kojen, sondern bewegen sich durch den Raum wie in einem Klub, wo man sich einmal zurückzieht, ein andermal miteinander spricht. Die Juwelierkette Kurz erhielt ein neues Ladenkonzept, der Retailbereich des Flughafens Frankfurt eine neue Ordnung, und gemeinsam mit dem Architektenteam Gigon/Guyer hat Wettstein den Wettbewerb für das dereinst höchste Gebäude der Schweiz, den «Prime Tower» auf dem Maag-Areal in Zürich-West, gewonnen.
Geradezu ein Aushängeschild geworden sind jedoch die virtuellen Welten, die für das Schweizer Fernsehen entwickelt wurden. Sowohl die Idee für «SF Meteo» mit dem Wasserbecken, dessen Oberfläche sich je nach Wetter kräuselt, als auch das Kommandopult von «10 vor 10» und «Tagesschau», mit dem Stephan Klapproth und Katja Stauber ihre News-Raumschiffe navigieren, sind Entwicklungen aus dem Zürcher Seefeld. Vom «SF Sport»-Studio bis zum «SF Club»-Intérieur haben Wettstein und sein Team abstrakte Räume geschaffen, die einerseits die Sendegefässe voneinander unterscheiden, anderseits die Corporate Identity des Schweizer Fernsehens immer wieder anders spiegeln. Dabei konnten die Stärken in Architektur- und Raumgestaltung ebenso ausgespielt werden wie das Know-how im Möbeldesign und der Hang zu Hightech-Tüfteleien, durch den sich das junge Team auszeichnet.
Ohne Schnickschnack
Auch im Produktedesign hält Wettstein seit Jahren an der Spitze mit – insbesondere in Sachen Leuchten. Der neuste Entwurf für die Firma Belux ist die Schreibtischleuchte Scope, die sich ohne Gegengewichte oder Drahtzüge mit einem Finger in die richtige Position schwenken lässt. Die komplexe Technik, die dafür notwendig war, wurde ganz in den Arm integriert. «Ein solches Design wäre noch vor wenigen Jahren unverkäuflich gewesen», sagt Wettstein, denn die Kunden hätten den Schnickschnack geliebt. Er jedoch will mit echten Innovationen verblüffen: Eine davon ist eine OLED-Leuchte für den Nachttisch, die sanftes Licht abgibt wie eine Hightech-«Kerze». In diesem Objekt sind innovative Technik und Gestaltung so radikal miteinander verschmolzen, dass wohl einmal mehr ein neuer Typus entsteht, den andere später nolens volens kopieren. – Der einstige Design-Rebell, der Trends nicht hinterherhechelt, sondern sie schafft, zwinkert den Klassikern der Moderne kollegial zu, ohne ihre Dogmen nachzubeten. Wie sie ist er stets auf der Suche nach der zwingenden Form – aber ohne viel Getöse. Das macht allein der Töggelikasten.
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Hannes Wettstein
Der 1958 in Ascona geborene Hannes Wettstein gehört zu den bekanntesten und erfolgreichsten Schweizer Gestaltern seiner Generation. 1991 hat er sein Atelier mit Sitz in Zürich gegründet und beschäftigt dort inzwischen 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Seit Herbst 2007 ist der 35-jährige ETH-Architekt Stephan Hürlemann Partner und Teilhaber der Firma. Hannes Wettstein lebt in Zürich und wurde im vergangenen Sommer Vater einer Tochter.
Typologien erweitern
Die Monitoren der gegenwärtig 23 Arbeitsplätze sind so eng aneinandergereiht, dass sie sich beinahe berühren: Das Büro wächst rasch, die Atelierräume können kaum Schritt halten. Die Marke «Wettstein» geniesst hohes Ansehen – und dies zunehmend auch international. Gebaut und gestaltet wird in Frankfurt und Berlin ebenso wie im Engadin und in Zürich. Im Herbst hat Wettstein die Struktur der Firma dem Geschäftsgang angepasst und den Geschäftsleiter Stephan Hürlemann zum Partner und Teilhaber ernannt.
Welterfolge aus dem Atelier Wettstein gab es allerdings bereits vor 25 Jahren. Einer der ganz frühen Entwürfe des Gestalters, die auf Drahtseile gespannte Niedervoltleuchte «Metro» von 1982, war so erfolgreich, dass Wettstein seine Schöpfung fast bereut: «Wenn ich in der Käseabteilung des Coop eine dieser Girlanden sehe, frage ich mich, was ich da nur ausgelöst habe.» – Er hat, wie so oft, einen Typus erfunden (dessen weitere Entwicklung ihm in diesem Fall allerdings entglitten ist). Was später im Baumarkt als Bastelsatz zu haben war, hatte er ursprünglich für die niedrigen Decken des Pariser Centre Pompidou realisiert: sec, unspektakulär, funktionalistisch.
Geschliffene Eleganz ist der gemeinsame Nenner, auf den man die Entwürfe aus dem Büro Wettstein bringen kann – das gilt für Produktedesigns ebenso wie für Möbel. So hat er etwa für die Manufaktur Horgenglarus Holzstühle geschaffen, aber auch Sofas für die italienischen Edelmarken Cassina und Baleri. Das dritte, zunehmend wichtige Standbein ist die Gestaltung von Innenräumen – oft in Zusammenarbeit mit namhaften Architekten. Regelrecht in eine Wettstein-Welt eintauchen kann man in Berlin. Im Auftrag des spanischen Architekten Raphael Moneo haben die Zürcher sämtliche Innenräume des Luxustempels Grand Hyatt gestaltet.
Wenn es darum geht, ganze Welten zu schaffen, sind Hannes Wettstein und sein Team im Element. So haben sie für Novartis ein Pilotprojekt für künftige Grossraumbüros entwickelt, dessen Name «Business Club» bereits einiges über die Inhalte verrät: Die Mitarbeiter sitzen nicht einfach in ihren Kojen, sondern bewegen sich durch den Raum wie in einem Klub, wo man sich einmal zurückzieht, ein andermal miteinander spricht. Die Juwelierkette Kurz erhielt ein neues Ladenkonzept, der Retailbereich des Flughafens Frankfurt eine neue Ordnung, und gemeinsam mit dem Architektenteam Gigon/Guyer hat Wettstein den Wettbewerb für das dereinst höchste Gebäude der Schweiz, den «Prime Tower» auf dem Maag-Areal in Zürich-West, gewonnen.
Geradezu ein Aushängeschild geworden sind jedoch die virtuellen Welten, die für das Schweizer Fernsehen entwickelt wurden. Sowohl die Idee für «SF Meteo» mit dem Wasserbecken, dessen Oberfläche sich je nach Wetter kräuselt, als auch das Kommandopult von «10 vor 10» und «Tagesschau», mit dem Stephan Klapproth und Katja Stauber ihre News-Raumschiffe navigieren, sind Entwicklungen aus dem Zürcher Seefeld. Vom «SF Sport»-Studio bis zum «SF Club»-Intérieur haben Wettstein und sein Team abstrakte Räume geschaffen, die einerseits die Sendegefässe voneinander unterscheiden, anderseits die Corporate Identity des Schweizer Fernsehens immer wieder anders spiegeln. Dabei konnten die Stärken in Architektur- und Raumgestaltung ebenso ausgespielt werden wie das Know-how im Möbeldesign und der Hang zu Hightech-Tüfteleien, durch den sich das junge Team auszeichnet.
Ohne Schnickschnack
Auch im Produktedesign hält Wettstein seit Jahren an der Spitze mit – insbesondere in Sachen Leuchten. Der neuste Entwurf für die Firma Belux ist die Schreibtischleuchte Scope, die sich ohne Gegengewichte oder Drahtzüge mit einem Finger in die richtige Position schwenken lässt. Die komplexe Technik, die dafür notwendig war, wurde ganz in den Arm integriert. «Ein solches Design wäre noch vor wenigen Jahren unverkäuflich gewesen», sagt Wettstein, denn die Kunden hätten den Schnickschnack geliebt. Er jedoch will mit echten Innovationen verblüffen: Eine davon ist eine OLED-Leuchte für den Nachttisch, die sanftes Licht abgibt wie eine Hightech-«Kerze». In diesem Objekt sind innovative Technik und Gestaltung so radikal miteinander verschmolzen, dass wohl einmal mehr ein neuer Typus entsteht, den andere später nolens volens kopieren. – Der einstige Design-Rebell, der Trends nicht hinterherhechelt, sondern sie schafft, zwinkert den Klassikern der Moderne kollegial zu, ohne ihre Dogmen nachzubeten. Wie sie ist er stets auf der Suche nach der zwingenden Form – aber ohne viel Getöse. Das macht allein der Töggelikasten.
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Hannes Wettstein
Der 1958 in Ascona geborene Hannes Wettstein gehört zu den bekanntesten und erfolgreichsten Schweizer Gestaltern seiner Generation. 1991 hat er sein Atelier mit Sitz in Zürich gegründet und beschäftigt dort inzwischen 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Seit Herbst 2007 ist der 35-jährige ETH-Architekt Stephan Hürlemann Partner und Teilhaber der Firma. Hannes Wettstein lebt in Zürich und wurde im vergangenen Sommer Vater einer Tochter.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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