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Kühn geschwungenes Dach für eine neue Zeit
Neue Zürcher Zeitung

Ein Westberliner Wahrzeichen – die Kongresshalle des Amerikaners Hugh Stubbins

Die Berliner Kongresshalle des amerikanischen Architekten Hugh Stubbins spiegelt ein Stück Westberliner Geschichte. Einst Wahrzeichen der freiheitlichen Demokratie, ist sie heute bauliches Denkmal der Nachkriegsmoderne. Seit 1989 übt hier das «Haus der Kulturen der Welt» seine Vermittlerrolle im globalisierten Kulturschaffen.

8. Februar 2008 - Claudia Schwartz
Es gibt wohl kaum eine andere Stadt, die so viele Wahrzeichen besitzt wie Berlin. Ultimatives – um das zweifelhafte Wort für einmal zu gebrauchen – Berliner Wahrzeichen ist das Brandenburger Tor, das die Geschichte Berlins schicksalshaft mitgemacht hat vom Raub der Quadriga durch Napoleon über den Mauerbau bis zur Wiedervereinigung. Darüber hinaus präsentiert die Hauptstadt Wahrzeichen, wohin man blickt. Das neue Berlin hat den Potsdamer Platz und die Reichstagskuppel, das alte das Reiterstandbild Friedrichs des Grossen Unter den Linden. Ostberlin hat den Fernsehturm und Westberlin die Schwangere Auster, wie die Berliner die Kongresshalle im Spreebogen nördlich vom Tiergarten nennen.

Da in Ostberlin zu jener Zeit in Stalins Namen bereits Arbeiterpaläste in die Höhe gewachsen waren, besann sich der Westberliner Senat auf demokratische Werte und plante für das Jahr 1957 die Internationale Bauausstellung (Interbau), deren Herzstück das Hansaviertel bildete. Der Architekt Hugh Stubbins (1912–2006) sollte als amerikanischen Beitrag zur Bauausstellung bewusst keinen Wohnbau, sondern ein öffentliches Haus, eine Kongresshalle, entwerfen. Es war eine hochpolitische Aufgabe im Namen des antikommunistischen Konsenses. Sie war geeignet, das Westberliner Wahrzeichen von allem Anfang an über das Postkartenmotiv hinaus dem wahren pathetischen Sinn seiner Gattung zuzuführen – unterstrichen durch Benjamin Franklins Gedanken von der «Liebe zur Freiheit».

Symbol der Hoffnung

Der Entwurf der Kongresshalle war ein Geschenk der Vereinigten Staaten von Amerika an die Inselstadt Berlin – im Zeichen der transatlantischen Freundschaft. Ihre Errichtung mitten in der Einöde im einstigen politischen Zentrum der Stadt sollte zudem ein Symbol für den Wiederaufbau des zerstörten Berlin und für die amerikanische Unterstützung der noch jungen Bundesrepublik sein. Den Standort wählte man demonstrativ am östlichsten Rand Westberlins: Zwar gab es die Berliner Mauer noch nicht, aber Berlin war bereits die Frontstadt des Kalten Kriegs. Mit dem Haus der Schweizer Gesandtschaft, die als einziges Bauwerk neben dem Reichstagsgebäude im Spreebogen als Relikt des einstigen Alsenviertels den Krieg überdauert hatte, war Stubbins' Bau in all den Jahrzehnten der Teilung in der Einöde am Berliner Mauerstreifen Zeichen der Hoffnung auf ein vereintes Deutschland. So blieb zwar die Kongresshalle Stubbins' einziges Gebäude in Europa, sie machte den Architekten des Citicorp Center in New York und des Landmark Tower in Yokohama diesseits des Atlantiks gleichwohl schlagartig berühmt.

Stubbins schien in idealer Weise die Voraussetzungen für die architektonische Umsetzung des gesellschaftspolitisch brisanten Programms zu besitzen, zählte er doch als Assistent und ehemaliger Büromitarbeiter des in die USA emigrierten Bauhaus-Gründers Walter Gropius zu jenem Kreis von Architekten, die eine Brücke schlugen zwischen der europäischen Bautradition und der – nicht zuletzt durch sie selbst beförderten – amerikanischen Moderne. Der politische Auftrag erforderte eine zeichenhafte Gestalt. Dem trug Stubbins – nach dem Vorbild von Matthew Nowickis Sporthalle in Raleigh in North Carolina – Rechnung mit einer spektakulären geschwungenen Dachform, deren Betonschalenkonstruktion den Veranstaltungssaal im Inneren demonstrativ überspannt. Schnell hatte der Berliner Volksmund den anfänglich wegen seines ideologischen Auftrags nicht vorbehaltlos geliebten Bau an der Spree, der vor allem in nächtlicher Beleuchtung seinen Bauch aufzuklappen scheint, Schwangere Auster getauft.

Multifunktional sollte der Bau sein und technisch hoch ausgerüstet – vor allem auch wegen der symbolischen Sitzungen, die der dazu jeweils eigens aus Bonn anreisende Deutsche Bundestag oder die Bundesversammlung durchführen sollten. Das Dach der Berliner Kongresshalle, das zwischen zwei Trägern aufgespannt ist, erhob mit seiner skulpturalen Anmutung den Schalenbau zu einem Prototyp moderner Architektur. Die Kongresshalle galt als Botin einer neuen Zeit, der auch Utzons Opernhaus in Sydney oder Niemeyers Parlamentsgebäude in Brasilia entsprangen. Allerdings hinkte bei der Kongresshalle die technische Entwicklung dem gestalterischen Furor hinterher, und so stürzten 1980 die Dachkrempe und 600 Tonnen Beton vor den Eingang nieder, da eines der beiden Zugbänder zur Stabilisierung der Randbalken nachgegeben hatte. Die kurzzeitig aufflammende sprichwörtliche Berliner Abrisswut, die sich gerne an Gebäuden der Nachkriegsmoderne auslebt, hatte hier in Anbetracht der symbolträchtigen amerikanischen Freundschaftsgeste ein Einsehen: Zur 750-Jahr-Feier bauten die Berliner ihre Schwangere Auster wieder auf.

Ohnehin ist die Bedeutung des Baus heute weniger im Architekturgeschichtlichen denn in seiner gesellschaftspolitischen und ästhetischen Relevanz zu suchen. Wer das Haus zum ersten Mal betritt, dem kann es passieren, dass er die grosse Freitreppe zur oberen Plattform nimmt und dort vor verschlossener Tür steht: Der Haupteingang befindet sich gut versteckt hinter den beiden dem Haus vorgelagerten Wasserbecken, in denen sich der Bau spiegelt. – Funktionale Gesichtspunkte wurden bei dem Bau dem politischen Programm hintangestellt.

Die Welt im Spiegel

Im vergangenen Jahr wurde die Kongresshalle nach mehrmonatiger Renovation im Rahmen des 50-Jahr-Jubiläums der Interbau wiedereröffnet. Der denkmalgeschützte Bau wurde für 9 Millionen Euro vor allem technisch aufgerüstet, die Aussenfassade wurde gesäubert, so dass sich die Schale aussen nun in frischem Hellorange präsentiert, das Innere führte man sanft in die pastellene Farbgebung seiner Zeit zurück. Der quadratische, 92 mal 96 Meter grosse Sockel nimmt ein geräumiges Foyer auf, das ein Restaurant und einen Buchshop beherbergt und das sich nun, entsprechend der ursprünglichen Forderung nach Transparenz, hell, von Einbauten befreit und mit neuen Ausblicken präsentiert.

Seit 1989 ist in der Berliner Kongresshalle das «Haus der Kulturen der Welt» (HKW) beheimatet – inzwischen prominent zwischen neu gebautem Bundespräsidialamt und Kanzleramt gelegen. Man hat sich der Erforschung ästhetischer Reflexe einer Weltkultur verschrieben – kein einfaches Unterfangen, da dieser Fokus heute zum Konsens jeder zeitgenössischen Kulturveranstaltung gehört. Allerdings positioniert sich das HKW im reichen Berliner Kulturleben nicht schlecht im praktizierten Crossover von Kunstschaffen und gleichzeitiger theoretischer Reflexion. Im kommenden Sommer will man sich am attraktiven Standort an der Spree weiter öffnen mit dem Programm «Wassermusik», das sich neben Surf, Tiki und Seefahrer-Liedern auch den politischen Aspekten der Ressource Wasser und dem Klimawandel zuwenden wird. Die Schwangere Auster bietet dann eine Beach-Bar, grillierten Fisch und Algensalat zwischen Sand und Palmen. Die Welt mag unübersichtlicher geworden sein. Berlin liegt weiterhin am Meer.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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