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Skurrile Gruppennamen und Eventideen
Neue Zürcher Zeitung

Mit Pop-Attitüden sorgen Österreichs junge Baukünstler für frischen Wind in der Architekturszene

Mit einem gewandelten Selbstverständnis arbeitet eine neue Riege österreichischer Architekten vorwiegend in der Gruppe. Sie setzt das Branding an die Stelle des Kults um die Einzelpersönlichkeit und integriert zeitgenössischen Lifestyle mit Pop-Attitüden in ihre Bauwelten.

10. März 2008 - Patricia Grzonka
Sie heissen «querkraft», Caramel, «pool» oder Artec. Sie heissen auch «AWG – AllesWirdGut», «feld72», «gerner°gerner plus», «gaupenraub+/–», «the next Enterprise», Rataplan, Riccione oder RAHM. Hinter diesen oft skurrilen Gruppennamen verbergen sich meist Teams von jüngeren Architekten und Architektinnen, die ihre Büros nicht einfach mit ihren Familiennamen bezeichnen wollen – ein Phänomen, das nicht nur in Österreich existiert, aber dort besonders ausgeprägt ist. Den zunächst ziemlich exotisch klingenden Bezeichnungen begegnet man mittlerweile häufig, denn die Entwürfe der jungen Baukünstler sind gefragt. So konnte «pool» Wohnbauten einer Grosssiedlung auf dem Gelände der ehemaligen Industrieanlage Kabelwerk in Wien realisieren. Diese liegt keine zwei Kilometer weit entfernt von einem der markantesten Wiener Wohnprojekte aus den 1970er Jahren, dem Gebäudekomplex Alt Erlaa. Hatte der Architekt von Alt Erlaa, der heute 82 Jahre alte Harry Glück, mit einem vergleichsweise hohen Niveau die Standards im neueren Wiener sozialen Wohnbau vorgegeben, so haben auch einige der Architekten der Kabelfabrik dieses Niveau angepeilt, indem sie bei ihren Entwürfen nicht nur überaus benutzerfreundliche Einheiten planten, sondern auch Gemeinschaftsräume von hoher kommunikativer Funktion konzipierten. Insgesamt entstehen hier über tausend Wohnungen, damit ist das Kabelwerk-Areal eines der grössten Entwicklungsgebiete Wiens.

Pool-Position

Bei den beiden von «pool» betreuten Bauten auf dem insgesamt fünf Bauplätze umfassenden Kabelwerk-Gelände klingt der Büroname wie die Einlösung eines Versprechens: Betritt man die Dachterrasse des zentralen Gebäudeteils, so eröffnet sich ein eindrückliche Panorama über den Süden der Stadt, den Wienerwald und die Weingebiete. Darüber hinaus befindet sich ein hauseigener Swimmingpool oben im 8. Stock, mit einem echten Stück Rasen, flankiert von einer abgetreppten Terrasse, von der sich der Sonnenuntergang beobachten lässt. Die Sichtdistanz zu Alt Erlaa erinnert einen daran, dass in Wien offenbar das Glück immer noch im sozialen Wohnbau liegt. Zu den Extras dieses Hochhauses, das hauptsächlich Single-Apartments und Studentenwohnungen enthält, zählen ein Waschsalon in der 7. Etage sowie die grosszügige Erschliessung durch eine Loggienhalle, die durch eine Art moderne Kronleuchter erhellt wird.

«Wir versuchen, bei jedem unserer Entwürfe das Rad irgendwie neu zu erfinden und Besonderheiten einzubauen, die allen einen Mehrwert bringen», meint der Architekt Christoph Lammerhuber, der zusammen mit Axel Linemayr, Evelyn Rudnicki und Florian Wallnöfer Mitglied von «pool Architektur» ist. Die vier betreiben ihr Büro in einem Loft in einer stillgelegten Milchzentrale im vierten Wiener Gemeindebezirk und arbeiten in unterschiedlichen Formationen schon fast zehn Jahre zusammen. Typisch für die Biografie der neuen Architektengruppen ist, dass sie alle noch auf der Universität gegründet wurden. Untypisch im Fall von «pool» aber ist, dass die ersten Bauaufträge noch vor Beendigung des Studiums eintrafen. «Pool» hat nicht nur eine frühere «Identität» als BKK2 («Baukünstlerkollektiv»), sondern zählt auch zu den erfolgreicheren, weil bauenden Wiener Büros. Mit zusätzlichen drei bis sechs Mitarbeitern ist «pool» laut Eigendefinition denn auch «das kleinste unter den grossen Architekturbüros».

Personelle Kontinuität ist offenbar trotz kühnem Gruppennamen eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg in der Architektenbranche. Bereits zu den mittelgrossen Unternehmen zählt die Gruppe «querkraft». Zu den drei Gründungsmitgliedern Jakob Dunkl, Gerd Erhartt und Peter Sapp, die ebenfalls seit fast zehn Jahren zusammenarbeiten, kommen derzeit rund zwanzig Mitarbeiter für temporäre Projekte. Wenn die «querkraft»-Architekten noch vor wenigen Jahren vom Wiener Architekturkritiker Jan Tabor als «Spezialisten für ephemere Architektur» bezeichnet wurden, weil sie allerlei kleine Bauaufgaben im Low-Budget-Bereich übernommen hatten, so sind sie mittlerweile definitiv in Grösseres hineingewachsen. Für Adidas hat «querkraft» bei Nürnberg ein auffallend nüchternes Brandcenter aus Glas und Stahl entworfen, einen flachen Baukörper, der aussen Ruhe und Zeitlosigkeit verspricht und innen eine überproportionale, dynamisierende Projektionswand umschliesst. Zurzeit realisieren sie neben Wohnbauten in Wien auch ein Privatmuseum in Kärnten.

Das Firmencredo wird bei «querkraft» mit «Teamarbeit» umrissen, was charakteristisch ist für viele Architekten der Generation der noch nicht 45-Jährigen. In der Gruppe zu arbeiten, Aufgaben zu teilen, die üblichen Hierarchisierungen nicht so streng zu halten, das suggeriert ja schon der Name, der oft auch andere Interessen andeutet. Und tatsächlich ist beispielsweise der Spassfaktor nicht zu unterschätzen, gehören die diversen Partys oder Picknicks mit erweiterten architekturbezogenen Eventideen doch zu den kommunikationsfördernden Massnahmen dieser urbanen Architektengemeinschaften. Diskutiert wird oft auch über die Grenzen des eigenen Büros hinweg, was zu einer überdurchschnittlichen Verbundenheit in einer Szene führt, die sonst eher von nagenden Konkurrenzgedanken als von einem Zuviel an Hedonismus geplagt wird.

Alles ist Architektur!

Das Selbstverständnis der jungen Architekten ist denn auch ein anderes als dasjenige der Vätergeneration. Das Verschwinden des einzelnen Architekten hinter einem Gruppennamen hat die klassische Meister-Angestellten-Beziehung der älteren Büros abgelöst. Gerade die wirklich jungen Teams, deren Mitglieder um die dreissig Jahre alt sind, beschäftigen sich erst einmal mit einer Vielzahl von Gestaltungsprojekten, die mit den traditionellen «Bauaufgaben» nicht mehr viel gemein haben: mit Ausstellungsinstallationen, Designstudien oder dem Erforschen urbanistischer und sozialer Situationen. Dass diese Haltung in Österreich so prägnant geworden ist, mag auch mit der jüngeren Architekturgeschichte dieses Landes zusammenhängen.

«Alles ist Architektur!» lautete der Titel einer der avantgardistischen Schriften Hans Holleins aus dem Jahr 1967, in welcher die Architektur als «Medium» begriffen wird, das weit in die Umwelt ausgreift. Weitere historische Parallelen finden sich bei den radikalen Architektenteams der sechziger Jahre, die mit Namen wie Missing Link, Haus-Rucker-Co, Zünd Up oder Coop Himmelb(l)au den Modus der Gruppenbildungen vorgaben. Deren Arbeit bestand anfangs weniger im Dienst am Bau als in der theoretischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen und visionären Ideen. Einer der Heroen dieser Richtung ist Wolf D. Prix, der zusammen mit Helmut Swiczinsky und Michael Holzer als Gründer von Coop Himmelb(l)au den optimistischen Popgestus in die Architekturdebatten einführte – und dies nicht nur, weil eine der Lieblingsbands dieser Entwerfer die Rolling Stones sind. Als Architekturprofessor übt Prix selbst seit Jahren nachhaltigen Einfluss auf die Szene aus.

Aber es gibt noch andere als Prix. Und so gehört es zu den interessantesten Umständen der derzeitigen Architektursituation in Österreich, dass sich ein Architekt mit einem relativ schmalen, aber kontinuierlichen Œuvre, in dem sich einige Preziosen befinden, zu den wichtigsten Figuren für die jüngere, bauende Generation entwickelt hat: Helmut Richter. Als Lehrer an der Technischen Universität Wien, wo er bis vor kurzem unterrichtete, legte er besonderen Wert auf Gruppenbildung und Gruppenarbeit. Von den meisten der hier vorgestellten Teams wird Richter als für sie massgeblichster Architekt bezeichnet: Seine Haltung gegenüber der Technik, die Frage der Konstruktion, aber auch seine «Kompromisslosigkeit» gelten als prägend. Nicht wenige der heute erfolgreichen Architekten waren seine Schüler oder Assistenten.

Für Hans Schartner von «RAHM architekten» etwa, einem ganz jungen Büro, das sich auch mit experimentellen und innovativen Gestaltungskonzepten beschäftigt, ist die überdurchschnittliche Qualität der Arbeit von Richter-Schülern ein Verdienst von dessen Unterricht. Richter setzt bei einer architektonischen Neomoderne an, die – anders als die Architektur der Postmoderne und ihre dekonstruktivistische Variante – in einem sachlichen Funktionalismus liegt, der oft radikale Raumlösungen umfasst. Er gilt als High-Tech-Architekt mit einer Vorliebe für glänzende Oberflächen, der nie in eine Materialität ausweichen würde, die nicht den Möglichkeiten der modernen Bauindustrie entsprechen könnte. – Eines der Büros, die sich stark auf Helmut Richter berufen, ist «gerner°gerner plus». Andreas Gerner war Mitarbeiter in Richters Team. Wichtig für ihn sind aber auch Konstrukteure wie Le Corbusier oder Jean Prouvé.

Die Architektur von «gerner°gerner» scheint geradezu prototypisch einige neue gestalterische Elemente zu propagieren: überdimensionale Panoramafenster, schmale V-Träger oder weit auskragende Gebäudeteile, die wie Schachteln ineinandergesteckt werden. Gerda und Andreas Gerner sind mit ihren rund zehn Mitarbeitern in einem eigentlichen Architektencluster in einem Hinterhof der belebten Mariahilferstrasse in Wien einquartiert. Derzeit dominiert der Wohnbau bei «gerner°gerner plus». Neben einigen Siedlungen sind auch mehrere präzis-elegante Einfamilienhäuser in Realisation. In der Nähe von Basel wird gerade ein privates Galerienhaus gebaut: eine angehobene Stahlbetonbox, die über eine aufgeklappte Rampe mit dem Garten in Verbindung tritt.

Wenn sich bei diesen Architektengruppen auch kaum ein einheitlicher Stil ausmachen lässt, dann suggeriert das hohe gestalterische Niveau doch jeweils eine gewisse Wiedererkennbarkeit, die sich aus dem Umgang mit den verwendeten Materialien herleitet und so etwas wie eine neue Formensprache generiert. Die Lust am Experimentieren mit fortschrittlichen Techniken und neuen Materialien ist auch kennzeichnend für die Gruppe Caramel, ebenfalls ein jüngeres Architekturbüro mit Sitz in Wien und Linz. Hier empfängt einen die Kreativität bereits beim Eintritt in die Büroräume: Als Türklinke fungiert ein Stück abgetrennten Gummischlauchs. Caramel – das sind die drei Gründungsmitglieder Günter Katherl, Martin Haller und Ulrich Aspetsberger sowie mehrere Mitarbeiter – beteiligt sich dezidiert an Wettbewerben, zuletzt mit einem Entwurf für die Hauptbibliothek in Berlin. Mit zwei Nutzbauten in Wien und Ansfelden, die beide gleichermassen monolithisch und ernst auftreten, dabei aber über eine ungewöhnliche Fassadengestaltung auf sich aufmerksam machen, hat die Gruppe zuletzt Furore gemacht. Eine genoppte Gummi-Membrane verleiht dem Betriebsgebäude in Ansfelden, einer simplen Werksgarage, eine glänzende und zugleich weiche Spannung. Dass eine so unspektakuläre Bauaufgabe wie eine Garage so innovativ und interessant gelöst werden kann, spricht für den allgemein hohen Standard der gegenwärtigen österreichischen Architektur, für den nicht nur einige wenige Stararchitekten, sondern eine Vielzahl von Büros im ganzen Land verantwortlich sind. Dabei wurde Caramel auch für seine ausgefallenen Einfamilienhäuser ausgezeichnet: für einen wagemutigen Anbau an ein altes Holzhaus in Saalfelden (Haus Kaps) 2004 oder für eine Art fliegende Kiste (Haus H) in Linz 2006.

Mehr als reine Dekoration

Das Etikett «Boygroup» hängt an der Bürotür von «AWG – AllesWirdGut». Die vier jungen Männer, die mehrheitlich aus Tirol stammen, sind mit ihren Mitarbeitern gerade aus ihrem ehemaligen Wiener Strassenlokal in einen gestylt-abgelebten Nutzbau umgezogen. Auf ihrer Homepage wird man über die Lieblingsautos, Lieblingsbands und Lieblingskaffeemaschinen genauso informiert wie über die Projekte der Gruppe. Hinter diesem schnittigen, dandyhaften Auftreten könnte man einen Hang der AWG-Mitglieder zu einer fröhlichen Dekorationsarchitektur vermuten, indes überraschen die realisierten Gebäude von AWG mit einem gemässigten Modernismus, der in einer sachlichen Auseinandersetzung mit der Umgebung gründet und auf regionale Qualitäten Bezug nimmt. So etwa beim neuen Kindergarten in St. Anton am Arlberg, der Platzgestaltung in Innichen in Südtirol oder bei einem als «Golden Nugget» bezeichneten Einfamilienhaus im Edelformat in Wien Hitzing.

Zum Schluss sei noch eine Architektengruppe erwähnt, die auf den unterschiedlichsten Ebenen eine Art Synthese der gegenwärtigen Baukunst in Österreich repräsentiert. Bettina Götz und Richard Manahl bilden den Kern von Artec Architekten. Die beiden kommen aus Vorarlberg, haben in Graz studiert und arbeiten zusammen mit einigen Mitarbeitern in Wien. Die in vieler Hinsicht intellektuelle Architektur von Artec ist ebenfalls am analytischen Zugang Helmut Richters geschult, dessen Bedeutung denn auch von den Artec-Architekten betont wird. Ihre Position liegt zwischen den jüngeren Teams und den bereits etablierteren Büros der mittleren Architektengeneration wie Eichinger oder Knechtl, Henke und Schreieck und Jabornegg & Pálffy. Ökonomische Prinzipien und Rationalität werden in den Bauten dieses Büros mit einer gewissen natürlichen Lässigkeit ausgedrückt, was zu so aussergewöhnlichen Realisierungen wie den Apartmenthäusern in Wien oder Bregenz führt; genauso reüssiert Artec zurzeit mit grösseren Wohnbaukomplexen in Wien, in der Laxenburger- oder Tokiostrasse, aber auch mit einer Schule im 21. Bezirk. Stilistisch lassen die Wohnbauten von Artec eine gewisse Affinität zur historischen Epoche des Wiener Sozialbaus der 1930er Jahre und damit zum Modernismus erkennen. Oft aber wird diese formale Verwandtschaft durch witzige oder unkonventionelle Ideen gebrochen, etwa mit einer Art Tolle als Dachaufsatz ihrer Apotheke in Aspern bei Wien. Die Heterogenität der Artec-Entwürfe ist kennzeichnend für die Architektenszene ganz allgemein, so sie denn auf Qualität überhaupt Wert legt. Denn es werden nicht mit jedem Neubau automatisch so hohe Standards eingehalten, aber immerhin bei sehr vielen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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