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Brückenschlag zum Barrio
Das Metrocable-Projekt des Urban Think Tank in Caracas
Laut einem Regierungsprogramm sollten breite Strassen durch ein ärmliches Viertel von Caracas geschlagen werden. Proteste von Bewohnern und Architekten verhinderten das Vorhaben. Nun wird der dicht bebaute Stadtteil mit einer Luftseilbahn erschlossen.
29. März 2008 - Jörg Seifert
Seit Jahren schon beschreitet der Urban Think Tank Caracas (UTT) in Venezuelas Hauptstadt unkonventionelle Wege der Stadtentwicklung. Im Fokus dieser 1993 gegründeten Plattform stehen die unkontrollierten Prozesse der sogenannten informellen Stadt. Dabei kommen dem Architektenteam um Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner neben konventionellen Planungsaufgaben vor allem auch Moderatorfunktionen in den Barrios von Caracas zu. Als Barrios bezeichnet man hier städtische Siedlungen ärmerer Bevölkerungsschichten, deren Behausungen von Hütten aus Karton bis hin zu mehrgeschossigen Massivbauten reichen. Zurzeit wird unter anderem das Metrocable-Projekt in San Agustín realisiert, einem informell gewachsenen Stadtteil mit etwa 40 000 Einwohnern. Die einen steilen Hang fast vollständig überziehende Siedlung besteht hauptsächlich aus ein- und mehrgeschossigen Ziegelbauten. Im Barrio existieren keine Strassen und offiziellen Wege. Die Erschliessung erfolgt über schmale Gassen und Treppen. Diese sind gleichzeitig Treffpunkte – und damit eine faktische Erweiterung der beengten Wohnverhältnisse. – Im Jahre 2003 hatte die venezolanische Regierung ein Infrastrukturprogramm für die Barrios von Caracas verabschiedet. In einem Land, in dem Benzin billiger ist als gutes Trinkwasser, schien es selbstverständlich, den Strassenbau zu forcieren – obwohl die mehrspurigen Verkehrsadern die Barrio-Strukturen völlig zerstört hätten. Viele Bewohner, die sich ohnehin kein Auto leisten können, hätten ihre Wohnung und ihr soziales Umfeld verloren. Es erstaunt daher nicht, dass die Regierungspläne zu heftigen Protesten führten.
Ergänzung zur Strasse
Die UTT-Architekten organisierten im Sommer 2003 ein Symposium mit Regierungsbeamten, unabhängigen Fachleuten und führenden Vertretern der Barrios. In der Folge suchten sie gemeinsam nach Alternativen zum Strassenprojekt. Schnell favorisierte man eine Kabinenseilbahn als öffentliches Verkehrsmittel, das lediglich punktuelle Eingriffe nötig machte. Zusammen mit internationalen Experten arbeiteten die UTT-Architekten innerhalb von sechs Monaten detaillierte Pläne aus. Schliesslich wurde von staatlicher Seite das ursprüngliche Strassenprogramm fallengelassen und das Metrocable-Projekt aufgegriffen. Inzwischen werden acht weitere Metrocable-Linien in Erwägung gezogen.
Die gut zwei Kilometer lange Luftseilbahn mit zwei Tal- und drei Bergstationen wird an das bestehende U-Bahn-System angebunden. Zum Einsatz kommen Doppelmayr-Kabinen für je acht Personen. Bis zu 1200 Passagiere können pro Stunde in beide Richtungen transportiert werden. Der UTT-Vorschlag ist unter anderem inspiriert von der vor Ort sich befindenden Kabinenbahn zum Monte Ávila. Auch Erfahrungen aus Medellín flossen mit ein. Dort dient bereits seit 2004 in Ergänzung zur Strasse eine Luftseilbahn als öffentliches Nahverkehrsmittel.
Für das UTT-Team ist Metrocable aber weitaus mehr als nur ein Infrastrukturprojekt. Es soll die Identität und das Selbstbewusstsein der Barrios stärken und als Generator der sukzessiven Transformation der informellen Strukturen dienen. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem Design und der Orientierung zu. Der französisch-schweizerische Designer Ruedi Baur entwickelte unkonventionelle Vorschläge zur Gestaltung der Kabinen und Stationen sowie der Signaletik. Dabei ging er von ortsspezifischen Farben und Formen aus. Die Kabinen sollen Namen erhalten, die von unten lesbar angebracht sind. Auch die Wege zu den Stationen sollen bezeichnet und farblich markiert werden. Die Barrio-Bewohner wurden in Sachen Gestaltung und Namensfindung mit einbezogen. In den Stationsgebäuden soll Ersatzwohnraum für die Bewohner jener Häuser entstehen, die den Seilbahnstationen weichen müssen. Weiter sind hier soziale und kulturelle Treffpunkte geplant – unter anderem eine Sporthalle, ein Supermarkt, ein kleines Theater, Büros und medizinische Einrichtungen. Die Stationen sollen ausserdem mit Regenwasserzisternen und Solarpaneelen ausgestattet werden.
Planung auf unsicherem Terrain
Im April 2007 setzte Präsident Chávez medienwirksam den ersten Spatenstich. Dennoch ist die Planungssicherheit relativ gering. Die Einweihung der ersten Metrocable-Anlage war für Februar 2008 geplant, ist nun aber auf September verschoben worden. «Immer wieder können unerwartete Materialengpässe auftreten», meint Brillembourg. Zudem bestehe stets die Gefahr, dass das Projekt von Anhängern oder Gegnern der Chávez-Regierung politisch instrumentalisiert werde. Eine zunehmende Ideologisierung auf beiden Seiten erschwere die fachliche Arbeit weitaus stärker als noch vor wenigen Jahren.
Es ist derzeit noch offen, welche architektonische Qualität die Anlage aufweisen wird. Das UTT-Team will sich aber nicht allein schon damit zufriedengeben, dass das Projekt überhaupt zustande kommt. Als unbequemer Akteur will es auch weiterhin die soziale Verantwortung der Entscheidungsträger einfordern. Dazu zählt – laut Brillembourg – nicht nur die technische Umsetzung, sondern auch ein direkt aus den Bedürfnissen der Nutzer heraus entwickeltes Design.
Ergänzung zur Strasse
Die UTT-Architekten organisierten im Sommer 2003 ein Symposium mit Regierungsbeamten, unabhängigen Fachleuten und führenden Vertretern der Barrios. In der Folge suchten sie gemeinsam nach Alternativen zum Strassenprojekt. Schnell favorisierte man eine Kabinenseilbahn als öffentliches Verkehrsmittel, das lediglich punktuelle Eingriffe nötig machte. Zusammen mit internationalen Experten arbeiteten die UTT-Architekten innerhalb von sechs Monaten detaillierte Pläne aus. Schliesslich wurde von staatlicher Seite das ursprüngliche Strassenprogramm fallengelassen und das Metrocable-Projekt aufgegriffen. Inzwischen werden acht weitere Metrocable-Linien in Erwägung gezogen.
Die gut zwei Kilometer lange Luftseilbahn mit zwei Tal- und drei Bergstationen wird an das bestehende U-Bahn-System angebunden. Zum Einsatz kommen Doppelmayr-Kabinen für je acht Personen. Bis zu 1200 Passagiere können pro Stunde in beide Richtungen transportiert werden. Der UTT-Vorschlag ist unter anderem inspiriert von der vor Ort sich befindenden Kabinenbahn zum Monte Ávila. Auch Erfahrungen aus Medellín flossen mit ein. Dort dient bereits seit 2004 in Ergänzung zur Strasse eine Luftseilbahn als öffentliches Nahverkehrsmittel.
Für das UTT-Team ist Metrocable aber weitaus mehr als nur ein Infrastrukturprojekt. Es soll die Identität und das Selbstbewusstsein der Barrios stärken und als Generator der sukzessiven Transformation der informellen Strukturen dienen. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem Design und der Orientierung zu. Der französisch-schweizerische Designer Ruedi Baur entwickelte unkonventionelle Vorschläge zur Gestaltung der Kabinen und Stationen sowie der Signaletik. Dabei ging er von ortsspezifischen Farben und Formen aus. Die Kabinen sollen Namen erhalten, die von unten lesbar angebracht sind. Auch die Wege zu den Stationen sollen bezeichnet und farblich markiert werden. Die Barrio-Bewohner wurden in Sachen Gestaltung und Namensfindung mit einbezogen. In den Stationsgebäuden soll Ersatzwohnraum für die Bewohner jener Häuser entstehen, die den Seilbahnstationen weichen müssen. Weiter sind hier soziale und kulturelle Treffpunkte geplant – unter anderem eine Sporthalle, ein Supermarkt, ein kleines Theater, Büros und medizinische Einrichtungen. Die Stationen sollen ausserdem mit Regenwasserzisternen und Solarpaneelen ausgestattet werden.
Planung auf unsicherem Terrain
Im April 2007 setzte Präsident Chávez medienwirksam den ersten Spatenstich. Dennoch ist die Planungssicherheit relativ gering. Die Einweihung der ersten Metrocable-Anlage war für Februar 2008 geplant, ist nun aber auf September verschoben worden. «Immer wieder können unerwartete Materialengpässe auftreten», meint Brillembourg. Zudem bestehe stets die Gefahr, dass das Projekt von Anhängern oder Gegnern der Chávez-Regierung politisch instrumentalisiert werde. Eine zunehmende Ideologisierung auf beiden Seiten erschwere die fachliche Arbeit weitaus stärker als noch vor wenigen Jahren.
Es ist derzeit noch offen, welche architektonische Qualität die Anlage aufweisen wird. Das UTT-Team will sich aber nicht allein schon damit zufriedengeben, dass das Projekt überhaupt zustande kommt. Als unbequemer Akteur will es auch weiterhin die soziale Verantwortung der Entscheidungsträger einfordern. Dazu zählt – laut Brillembourg – nicht nur die technische Umsetzung, sondern auch ein direkt aus den Bedürfnissen der Nutzer heraus entwickeltes Design.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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