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Stadtleben auf dem Land
Sommervillen und schmucke Bootshäuser: der Attersee. Seit 150 Jahren ein Hort für Sommerfrische und kulturelle Aufgeschlossenheit. Erkennbar an seiner Baukultur.
6. April 2008 - Judith Eiblmayr
Als sich Anfang des 19. Jahrhunderts in Österreich die Sommerfrische zu etablieren begann, wurde das Salzkammergut, das aus wirtschaftlichen Gründen sehr früh einen Eisenbahnanschluss erhalten hatte, ein beliebtes Ziel des Wiener Adels. Bad Ischl wurde nicht nur durch die Gunst des Kaiserhauses berühmt, es sprach sich auch die heilende Wirkung der seit 1823 dort etablierten Solebäder herum. Gleichzeitig wurde das Salzkammergut als Bildmotiv der Maler des Klassizismus und der Romantik verwendet und dadurch populär gemacht. Die Künstler hatten in der unberührten Natur das Transzendente entdeckt und wussten die Stimmungen durch ihre Darstellung zu vermitteln. Es waren dies Bilder, die der Fotografie der späteren Tourismusindustrie zur Ehre gereichen würden: „Das Höllengebirge bei Ischl“ (1834) oder „Die Rettenbachwildnis bei Ischl“ (1832) waren die Landschaftsmotive, von denen etwa der österreichische Maler Ferdinand Georg Waldmüller ein gestochen scharfes, naturalistisches Abbild herstellte.
Die Unternehmungslust der Kurgäste war somit angestachelt, die Natur wollte – von der Kutsche aus – betrachtet werden. Während Traun- und Wolfgangsee bequem zu erreichen waren und rasch für den aufkeimenden Tourismus erschlossen wurden, blieb der Attersee als größter Binnensee in Österreich und trotz seiner landschaftlichen Schönheit vorerst ausgeblendet und wurde nur punktuell von Tagesausflüglern aus Bad Ischl besucht. Das „Oberösterreichische Meer“, wie in zeitgenössischen Werbeschriften zu lesen ist, erfüllte den Wunsch der Städter nach einem wahrhaftigen Naturschauspiel: Eingeengt zwischen den Felsformationen von Schafberg und Höllengebirge, weitet sich das türkisblaue Wasser aus, vis-`a-vis bis nach Unterach und nach Norden hin bis an den Horizont reichend. Noch ließ man passiv die Imposanz des Farbenspiels und der unterschiedlichen Wetterstimmungen am See auf sich wirken, aber bereits ein paar Jahre später wollten die Neugierigeren unter den Tagestouristen die Natur nicht nur betrachten, sondern auch hautnah erleben und wurden alsbald von findigen Einheimischen in Plätten nach Unterach gebracht.
Durch diese sogenannten „Wiener Fuhr’l“ wurde Unterach bekannt und konnte sich rasch als erster Sommerfrischeort amSee etablieren. Nachdem die Attersee-Schifffahrt 1869 ihren Betrieb aufgenommen hatte, begann sich die touristische Erschließung des Sees auch zu den nördlichen Ufern hin auszubreiten. Ab dann wurde der Attersee vom liberal orientierten, städtischen Bildungsbürgertum als Urlaubsort entdeckt; Intellektuelle, Künstler und Künstlerinnen, Architekten, Schriftsteller, Wissenschaftler, Geschäftsleute sowie Politiker kamen aus Linz und Wien, aber auch aus anderen größeren Städten der Monarchie an den Attersee, zuerst als Pensions- oder Hausgäste, später als Grundstücks- und Hausbesitzer. Die „sauren Wiesen“ am Seeufer waren billig zu haben, und so ist bis nach der Jahrhundertwende eine Reihe von ansehnlichen Sommervillen mit schmucken Bootshäusern errichtet worden. Die Sommerfrischler fühlten sich ihrer Wahlheimat verpflichtet und investierten in öffentliche Bauprojekte wie die Errichtung von Wasserleitungen oder Uferpromenaden.
Von Seewalchen aus setzte die schleichende „Privatisierung“ der Atterseeufer ein, der die einigen wenigen bekannten Hotels kaum etwas entgegensetzen konnten, dafür war die Saison wahrscheinlich zu kurz und – wie jeder Attersee-Kenner bestätigen kann – oft auch noch verregnet. Nach dem Ersten Weltkrieg, als viele Industrielle ihren Besitz aus den ehemaligen Kronländern nach Österreich verlegten, wurde ein Haus am Attersee für einige Familien zum Zweitwohnsitz. Und: An den Attersee kam man nicht nur, um Ruhe und Erholung zu finden, sondern auch um am regen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Im Sommer wurden Bekanntschaften aus dem Berufs- und Geschäftsleben aus allen Winkeln des bestehenden und früheren Österreich vertieft. Diese Art von Geschäftsbeziehungen, aber auch persönliche Freundschaften, die sich über Jahrzehnte entwickelten und über Generationen weitergegeben wurden, stellen einNetzwerk dar, das sicherlich dazu beigetragen hat, rund um den Attersee im Laufe der letzen 150 Jahre ein vitales kulturelles Klima zu etablieren, das als wesentlich weniger konservativ als in den klassischen, durch die Aristokratie geprägten Gebieten des Salzkammerguts galt. In diesem Sinne war der Attersee sehr früh ein Ort, an dem sich eine aufgeschlossene Gesellschaft mit moderner Gesinnung – sei es in der Musik, in der Malerei, in der Architektur oder einfach in ihrer urbanistischen Lebenshaltung – aufs Land hinaus begab.
Das Rahmenprogramm für das Stadtleben auf dem Land ist bis heute perfekt inszeniert. Waren es in anderen attraktiven „ersten“ Urlaubsgegenden wie Südtirol die Berge, so steht hier der See im Mittelpunkt, wobei der Wassersport einen programmatischen Bestandteil einer aufgeschlossenen Geisteshaltung darstellte. Die Städter waren Ende des 19. Jahrhunderts durchaus auch aus sportlichen Motiven gekommen, hatten ihre schnittigen Sport-Ruderboote und Segelyachten gebracht, sie hatten aber auch das Schwimmen im offenen See modern gemacht. Schon 1886 wurde am Attersee mit der Gründung des Union Yacht Club Attersee zeitgleich mit dem Union Yachtclub Neusiedlersee – lange vor anderen Segelvereinigungen – erstmals in Österreich der Segelsport auf breiter Basis etabliert. Bis heute ist der Yachtclub mit seinen Veranstaltungen verbindendes Element und Treffpunkt für die Sommergesellschaft. Selbst Gustav Klimt, eine jener Künstlerpersönlichkeiten, die den Attersee weltbekannt machten, kam nicht nur aus gesellschaftlichen und künstlerischen Motiven an den Attersee, sondern auch um Rudersport zu betreiben.
Die Baukultur um den Attersee kann als Indikator für das kulturelle Bewusstsein der Gesellschaft gesehen werden, ist es doch gerade die Architektur, in der sich ein spezifisches Kulturverständnis dauerhaft manifestiert. Die Architektur wurde inmanchen Fällen gezielt eingesetzt, wenn sich ein Unternehmer in seiner Rolle als Bauherr besonders fortschrittlich zeigen wollte. Gerade hier, in der freien Landschaft, konnte man sich durch ein außergewöhnliches Haus mehr Aufmerksamkeit verschaffen als im urbanen Umfeld. So wurden Architekten aus der Stadt wie Max Fabiani, Ernst A. Plischke, Max Fellerer, Clemens Holzmeister, Roland Rainer oder Johannes Spalt „mitgebracht“, um die Sommerhäuser zu planen. Gustav Mahler hingegen wollte in der Sommerfrische nicht mit Gebautem repräsentieren, sondern benötigte einen abgeschiedenen Arbeitsraum, den er sich denkbar schlicht von einem Baumeister aus Schörfling errichten ließ. Trotzdem erlangte das „Komponierhäuschen“ als Mahlers Wirkungsstätte am Attersee Berühmtheit.
Auch die originäre regionale Geschichte am Attersee zeugt von einer modernen Baukultur; bereits im frühen 18. Jahrhundert wurde im Weißenbachtal ein technisch raffinierter Holzlift nach dem Seilbahnprinzip errichtet, der 150 Jahre lang das Hallholz aus dem Attergau zum Weißenbacher Sattel transportierte, von wo es zur Saline in Ebensee geschwemmt wurde. Es sind spannende Geschichten, die über den kulturellen Kontext eines nie aus der Mode gekommenen Sommerfrischegebietes erzählt werden können. Die Metapher des Meeres birgt jene geistige Weite, die den Attersee als etwas Besonderes definiert und seine Anwohner und „Sommerresidenzler“ immer auch nach anderen Ufern streben ließ.
Die Unternehmungslust der Kurgäste war somit angestachelt, die Natur wollte – von der Kutsche aus – betrachtet werden. Während Traun- und Wolfgangsee bequem zu erreichen waren und rasch für den aufkeimenden Tourismus erschlossen wurden, blieb der Attersee als größter Binnensee in Österreich und trotz seiner landschaftlichen Schönheit vorerst ausgeblendet und wurde nur punktuell von Tagesausflüglern aus Bad Ischl besucht. Das „Oberösterreichische Meer“, wie in zeitgenössischen Werbeschriften zu lesen ist, erfüllte den Wunsch der Städter nach einem wahrhaftigen Naturschauspiel: Eingeengt zwischen den Felsformationen von Schafberg und Höllengebirge, weitet sich das türkisblaue Wasser aus, vis-`a-vis bis nach Unterach und nach Norden hin bis an den Horizont reichend. Noch ließ man passiv die Imposanz des Farbenspiels und der unterschiedlichen Wetterstimmungen am See auf sich wirken, aber bereits ein paar Jahre später wollten die Neugierigeren unter den Tagestouristen die Natur nicht nur betrachten, sondern auch hautnah erleben und wurden alsbald von findigen Einheimischen in Plätten nach Unterach gebracht.
Durch diese sogenannten „Wiener Fuhr’l“ wurde Unterach bekannt und konnte sich rasch als erster Sommerfrischeort amSee etablieren. Nachdem die Attersee-Schifffahrt 1869 ihren Betrieb aufgenommen hatte, begann sich die touristische Erschließung des Sees auch zu den nördlichen Ufern hin auszubreiten. Ab dann wurde der Attersee vom liberal orientierten, städtischen Bildungsbürgertum als Urlaubsort entdeckt; Intellektuelle, Künstler und Künstlerinnen, Architekten, Schriftsteller, Wissenschaftler, Geschäftsleute sowie Politiker kamen aus Linz und Wien, aber auch aus anderen größeren Städten der Monarchie an den Attersee, zuerst als Pensions- oder Hausgäste, später als Grundstücks- und Hausbesitzer. Die „sauren Wiesen“ am Seeufer waren billig zu haben, und so ist bis nach der Jahrhundertwende eine Reihe von ansehnlichen Sommervillen mit schmucken Bootshäusern errichtet worden. Die Sommerfrischler fühlten sich ihrer Wahlheimat verpflichtet und investierten in öffentliche Bauprojekte wie die Errichtung von Wasserleitungen oder Uferpromenaden.
Von Seewalchen aus setzte die schleichende „Privatisierung“ der Atterseeufer ein, der die einigen wenigen bekannten Hotels kaum etwas entgegensetzen konnten, dafür war die Saison wahrscheinlich zu kurz und – wie jeder Attersee-Kenner bestätigen kann – oft auch noch verregnet. Nach dem Ersten Weltkrieg, als viele Industrielle ihren Besitz aus den ehemaligen Kronländern nach Österreich verlegten, wurde ein Haus am Attersee für einige Familien zum Zweitwohnsitz. Und: An den Attersee kam man nicht nur, um Ruhe und Erholung zu finden, sondern auch um am regen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Im Sommer wurden Bekanntschaften aus dem Berufs- und Geschäftsleben aus allen Winkeln des bestehenden und früheren Österreich vertieft. Diese Art von Geschäftsbeziehungen, aber auch persönliche Freundschaften, die sich über Jahrzehnte entwickelten und über Generationen weitergegeben wurden, stellen einNetzwerk dar, das sicherlich dazu beigetragen hat, rund um den Attersee im Laufe der letzen 150 Jahre ein vitales kulturelles Klima zu etablieren, das als wesentlich weniger konservativ als in den klassischen, durch die Aristokratie geprägten Gebieten des Salzkammerguts galt. In diesem Sinne war der Attersee sehr früh ein Ort, an dem sich eine aufgeschlossene Gesellschaft mit moderner Gesinnung – sei es in der Musik, in der Malerei, in der Architektur oder einfach in ihrer urbanistischen Lebenshaltung – aufs Land hinaus begab.
Das Rahmenprogramm für das Stadtleben auf dem Land ist bis heute perfekt inszeniert. Waren es in anderen attraktiven „ersten“ Urlaubsgegenden wie Südtirol die Berge, so steht hier der See im Mittelpunkt, wobei der Wassersport einen programmatischen Bestandteil einer aufgeschlossenen Geisteshaltung darstellte. Die Städter waren Ende des 19. Jahrhunderts durchaus auch aus sportlichen Motiven gekommen, hatten ihre schnittigen Sport-Ruderboote und Segelyachten gebracht, sie hatten aber auch das Schwimmen im offenen See modern gemacht. Schon 1886 wurde am Attersee mit der Gründung des Union Yacht Club Attersee zeitgleich mit dem Union Yachtclub Neusiedlersee – lange vor anderen Segelvereinigungen – erstmals in Österreich der Segelsport auf breiter Basis etabliert. Bis heute ist der Yachtclub mit seinen Veranstaltungen verbindendes Element und Treffpunkt für die Sommergesellschaft. Selbst Gustav Klimt, eine jener Künstlerpersönlichkeiten, die den Attersee weltbekannt machten, kam nicht nur aus gesellschaftlichen und künstlerischen Motiven an den Attersee, sondern auch um Rudersport zu betreiben.
Die Baukultur um den Attersee kann als Indikator für das kulturelle Bewusstsein der Gesellschaft gesehen werden, ist es doch gerade die Architektur, in der sich ein spezifisches Kulturverständnis dauerhaft manifestiert. Die Architektur wurde inmanchen Fällen gezielt eingesetzt, wenn sich ein Unternehmer in seiner Rolle als Bauherr besonders fortschrittlich zeigen wollte. Gerade hier, in der freien Landschaft, konnte man sich durch ein außergewöhnliches Haus mehr Aufmerksamkeit verschaffen als im urbanen Umfeld. So wurden Architekten aus der Stadt wie Max Fabiani, Ernst A. Plischke, Max Fellerer, Clemens Holzmeister, Roland Rainer oder Johannes Spalt „mitgebracht“, um die Sommerhäuser zu planen. Gustav Mahler hingegen wollte in der Sommerfrische nicht mit Gebautem repräsentieren, sondern benötigte einen abgeschiedenen Arbeitsraum, den er sich denkbar schlicht von einem Baumeister aus Schörfling errichten ließ. Trotzdem erlangte das „Komponierhäuschen“ als Mahlers Wirkungsstätte am Attersee Berühmtheit.
Auch die originäre regionale Geschichte am Attersee zeugt von einer modernen Baukultur; bereits im frühen 18. Jahrhundert wurde im Weißenbachtal ein technisch raffinierter Holzlift nach dem Seilbahnprinzip errichtet, der 150 Jahre lang das Hallholz aus dem Attergau zum Weißenbacher Sattel transportierte, von wo es zur Saline in Ebensee geschwemmt wurde. Es sind spannende Geschichten, die über den kulturellen Kontext eines nie aus der Mode gekommenen Sommerfrischegebietes erzählt werden können. Die Metapher des Meeres birgt jene geistige Weite, die den Attersee als etwas Besonderes definiert und seine Anwohner und „Sommerresidenzler“ immer auch nach anderen Ufern streben ließ.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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