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Lückenbüsser und Lückennutzer
Eine Ausstellung über städtische Provisorien in Barcelona
Jede Stadt besitzt Restgrundstücke und Freiräume, die auf unterschiedlichste Weise spontan genutzt werden. Wie formenreich diese Interventionen nicht nur in den Schwellen- und Drittweltländern sind, zeigt derzeit die Ausstellung «Post-it City» im CCCB in Barcelona.
15. April 2008 - Markus Jakob
Im Drehbuch, das sich Barcelona auf den Leib geschrieben hat, spielt der öffentliche Raum die Starrolle. Doch das flimmernde Bild einer freizügigen, gut gestylten Partystadt, in der permanent die Sonne scheint, hat sich für ihre Einwohner nicht erst durch die Aussicht getrübt, dass dank der Lieblichkeit des Klimas das Wasser demnächst per Schiff oder Bahn herbeigeschafft werden muss. Das «Modell Barcelona», touristisch erfolgreich ausgebeutet und lange ein urbanistischer Exportschlager, ist längst mit den ihm selbst innewohnenden Widersprüchen kollidiert und wird trotz der fortgesetzten Selbstbejubelung zunehmend in Frage gestellt.
In diese Kontroverse schreibt sich auch eine Ausstellung im Centre de Cultura Contemporània de Barcelona (CCCB) ein, obwohl nur 12 der 78 hier präsentierten «Feldarbeiten» die Stadt selbst zum Schauplatz haben. Denn die spontane Nutzung städtischer Freiräume und Restgrundstücke zwecks kommerzieller, spielerischer oder sexueller Aktivitäten – so lässt sich das Thema umreissen – ist ein weltweites Phänomen.
Morphologie des Ephemeren
Der Begriff «Post-it City», vom Mailänder Architekten Giovanni La Varra geprägt, meint städtische Provisorien, in denen sich die dringlichsten Bedürfnisse einer Stadt fortlaufend neu manifestieren, um sich ebenso schnell wieder von deren Körper zu lösen, ohne die geringsten Spuren zu hinterlassen. Daher ist auch die «Post-it City» genannte Recherche, die Martí Peran 2005 in Barcelona mit einem Workshop initiierte, potenziell endlos, und die derzeitige, von Peran, La Varra, Filippo Poli und Federico Zanfi kuratierte Schau versteht sich lediglich als Zwischenbilanz.
Den Prolog bildet das heute fast vergessene Bravourstück des jungen Deutschen Mathias Rust, der 1987 mit einer Cessna auf dem Roten Platz in Moskau landete: paradigmatischer Extremfall einer kurzfristigen, von keiner Obrigkeit vorgesehenen Inbeschlagnahme des öffentlichen Raums. Unspektakulär, ja monoton wirkt hingegen auf den ersten Blick die Präsentation der mehrheitlich eigens für diese Ausstellung geschaffenen Arbeiten. Auf je zwei Tischen, wandseitig ergänzt durch Videos oder anderes Bildmaterial, dokumentieren sie so diverse Phänomene wie mobile Garküchen in Hanoi, bewohnte Friedhöfe in Kairo oder von orthodoxen Juden zur Erinnerung an den Exodus an ihre Häuser gezimmerte, jeweils während Sukkot acht Tage lang bewohnte Laubhütten in Brooklyn. Ebenso Wissens- und Staunenswertes erfährt man über die Organisationsmuster gigantischer Märkte wie der «Salada» in Buenos Aires oder des Warschauer «Jarmark», beide vom Untergang bedroht, obwohl sie Tausenden ein Auskommen sichern.
Notgeborene Stadtlust
Es sind fast durchweg lokale Künstler, Architekten und Anthropologen, die – oft im Kollektiv – zum Materialreichtum dieser Ausstellung ihr Scherflein beigetragen haben. Fremdblicke sind die Ausnahme; zugleich jedoch, in der strengen Ordnung schon durch ihr Grossformat distinguiert, auch künstlerische Highlights. Das Baustellen-Triptychon des holländischen Fotografen Bas Princen veranschaulicht fast beiläufig die elenden Lebensbedingungen chinesischer Wanderarbeiter.
So wie sich deren Barackensiedlungen in der Immensität eines offensichtlich dauerhafteren Zementmeers verlieren, so kondensiert sich in den von der Chilenin Francisca Benítez gefilmten, im Geäst von Pariser Bäumen deponierten Habseligkeiten afghanischer Immigranten oder in der von Teddy Cruz analysierten spontanen Architektur der Armenviertel im mexikanischen Tijuana das Provisorische aller Urbanität. Die komplexe Schönheit der Grossstadt aber reflektiert auf meisterliche Weise das «São Paulo City Tellers» betitelte Stadtporträt des Italieners Francesco Jodice.
[ Bis 25. Mai. Katalog: Post-it City. Occasional Urbanities / Ciutats ocasionals. Katalanisch, spanisch und englisch. Hrsg. CCCB, Barcelona 2008. 232 S., € 15.– (ISBN: 978-84-9803-275-8). ]
In diese Kontroverse schreibt sich auch eine Ausstellung im Centre de Cultura Contemporània de Barcelona (CCCB) ein, obwohl nur 12 der 78 hier präsentierten «Feldarbeiten» die Stadt selbst zum Schauplatz haben. Denn die spontane Nutzung städtischer Freiräume und Restgrundstücke zwecks kommerzieller, spielerischer oder sexueller Aktivitäten – so lässt sich das Thema umreissen – ist ein weltweites Phänomen.
Morphologie des Ephemeren
Der Begriff «Post-it City», vom Mailänder Architekten Giovanni La Varra geprägt, meint städtische Provisorien, in denen sich die dringlichsten Bedürfnisse einer Stadt fortlaufend neu manifestieren, um sich ebenso schnell wieder von deren Körper zu lösen, ohne die geringsten Spuren zu hinterlassen. Daher ist auch die «Post-it City» genannte Recherche, die Martí Peran 2005 in Barcelona mit einem Workshop initiierte, potenziell endlos, und die derzeitige, von Peran, La Varra, Filippo Poli und Federico Zanfi kuratierte Schau versteht sich lediglich als Zwischenbilanz.
Den Prolog bildet das heute fast vergessene Bravourstück des jungen Deutschen Mathias Rust, der 1987 mit einer Cessna auf dem Roten Platz in Moskau landete: paradigmatischer Extremfall einer kurzfristigen, von keiner Obrigkeit vorgesehenen Inbeschlagnahme des öffentlichen Raums. Unspektakulär, ja monoton wirkt hingegen auf den ersten Blick die Präsentation der mehrheitlich eigens für diese Ausstellung geschaffenen Arbeiten. Auf je zwei Tischen, wandseitig ergänzt durch Videos oder anderes Bildmaterial, dokumentieren sie so diverse Phänomene wie mobile Garküchen in Hanoi, bewohnte Friedhöfe in Kairo oder von orthodoxen Juden zur Erinnerung an den Exodus an ihre Häuser gezimmerte, jeweils während Sukkot acht Tage lang bewohnte Laubhütten in Brooklyn. Ebenso Wissens- und Staunenswertes erfährt man über die Organisationsmuster gigantischer Märkte wie der «Salada» in Buenos Aires oder des Warschauer «Jarmark», beide vom Untergang bedroht, obwohl sie Tausenden ein Auskommen sichern.
Notgeborene Stadtlust
Es sind fast durchweg lokale Künstler, Architekten und Anthropologen, die – oft im Kollektiv – zum Materialreichtum dieser Ausstellung ihr Scherflein beigetragen haben. Fremdblicke sind die Ausnahme; zugleich jedoch, in der strengen Ordnung schon durch ihr Grossformat distinguiert, auch künstlerische Highlights. Das Baustellen-Triptychon des holländischen Fotografen Bas Princen veranschaulicht fast beiläufig die elenden Lebensbedingungen chinesischer Wanderarbeiter.
So wie sich deren Barackensiedlungen in der Immensität eines offensichtlich dauerhafteren Zementmeers verlieren, so kondensiert sich in den von der Chilenin Francisca Benítez gefilmten, im Geäst von Pariser Bäumen deponierten Habseligkeiten afghanischer Immigranten oder in der von Teddy Cruz analysierten spontanen Architektur der Armenviertel im mexikanischen Tijuana das Provisorische aller Urbanität. Die komplexe Schönheit der Grossstadt aber reflektiert auf meisterliche Weise das «São Paulo City Tellers» betitelte Stadtporträt des Italieners Francesco Jodice.
[ Bis 25. Mai. Katalog: Post-it City. Occasional Urbanities / Ciutats ocasionals. Katalanisch, spanisch und englisch. Hrsg. CCCB, Barcelona 2008. 232 S., € 15.– (ISBN: 978-84-9803-275-8). ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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