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Prater, Schimt & Kliele
Spectrum

Was passiert, wenn die Stadt Wien einen Fachbeirat für unzuständig erklärt? Die größte architektonische Entgleisung der vergangenen 50 Jahre. Das neue Entree des Wurstelpraters: Besichtigung eines Alptraums.

27. April 2008 - Liesbeth Waechter-Böhm
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Angesichts der Baustelle auf dem Riesenradplatz – ein Teil wurde jüngst eröffnet – bleibt einem das Lachen aber im Hals stecken. Was dort entsteht, spottet einfach jeder Beschreibung. Die Neubauten beim Riesenrad sind nicht nur grausig, sie sind regelrecht obszön. Und unheimlich dumm.

Die Idee, eine neue Eingangssituation für den Prater zu schaffen, war dabei gar nicht falsch. Die alte hatte eine Überarbeitung bitter nötig – wie übrigens der ganze 240 Jahre alte Prater (weltweit der zweitälteste Vergnügungspark, der noch in Betrieb ist). Aber so ein Unterfangen ist eine äußerst diffizile Angelegenheit. Die immer spärlicher werdenden alten Einrichtungen dürften in ihrer Substanz nicht angetastet werden. Zur Rummelplatzästhetik gehört nun einmal auch das etwas Abgenutzte, Improvisierte, sogar das Schmuddelige. Aber wer kann mit so etwas schon umgehen?

Der Ideenfindungsprozess des Jahres 2003 war aus heutiger Sicht eindeutig eine Farce. Aus den insgesamt 75 Konzepten hat man damals den Vorschlag des französischen Themenpark-Experten Emmanuel Mongon (Imageinvest) ausgewählt. Von seinem Masterplan blieben allerdings nur das Thema „Wien um 1900“ und 1,35 Millionen Euro Honorar plus Spesen (siehe Christian Kühn im „Spectrum“ vom 9. Juli 2007). Wirklich zu verantworten hat das, was sich jetzt auf dem Riesenradplatz abspielt, in vorletzter Instanz – zur letzten kommen wir noch – die Firma Explore 5D. Offenbar arbeitet die gern mit einem Architekten aus Osttirol zusammen, einem Herrn Martin Valtiner, der auf seiner Homepage neben kuriosen Villen etwa auch das Projekt für einen Dracula-Park in Rumänien präsentiert, ebenfalls mit Explore.

Üblicherweise lässt sich ein Architekturkritiker von den Architekten zunächst einmal durch das Projekt führen, um die Überlegungen, die ihm zugrunde liegen, authentisch zu erfahren. Das war bei „Prater neu“ nicht möglich. Niemand war bereit zu einer informativen Führung. Es wurde auch niemals ein Architektenname genannt, die Frage danach wurde einfach übergangen. Abwimmeln ist noch ein harmloser Ausdruck. Es war eine Mauer – aus Stahlbeton.

Aus Stahlbeton sind auch die Bauten, die jetzt den Riesenradplatz säumen – mit historisierenden Fassaden, in denen offenbar Schönbrunn anklingen soll, die aber gleichzeitig mit Pseudo-Jugendstil-Ornamenten vollgepickt sind. Ich meine wörtlich: gepickt. Das ist eine so billige Kulisse, dass einem schier die Sprache weg bleibt. Aber es kostet – mindestens – 32 Millionen Euro.

Nun wäre eine solche Entgleisung noch irgendwie erklärlich, würde ein privater Investor dahinterstecken. Nur – in dem Fall wäre unter Garantie der Fachbeirat eingeschritten. Doch der wurde für unzuständig erklärt. Und zwar von der Stadt selbst, namentlich von Vizebürgermeisterin Grete Laska. Aus unerfindlichen Gründen fällt das gesamte Projekt nämlich in ihre Kompetenz.

Nun kann man Frau Laska alles Mögliche nachsagen – Verständnis für Architektur, gar architektonisches Wissen sicher nicht. Schonvor Jahren hat sie mit der grandiosen Idee, eine Art Schul-Prototyp zu entwickeln und den dann für die verschiedenen Standorte einfach zu multiplizieren, Schiffbruch erlitten. Ich frage mich daher ernsthaft, wer auf die Idee gekommen ist, ausgerechnet ihr ein Projekt wie den Prater anzuvertrauen. Auch wenn man nichts für Rummelplätze übrig hat, eine gewisse Wahrzeichen-Funktion für Wien hat er.

Der wirkliche Skandal bei dieser Angelegenheit: dass dieses architektonische Grauen von der Stadt Wien nicht nur befördert, sondern zur Hälfte auch finanziert worden ist. Immerhin sitzen dort profilierte Leute, denen die Stadt und ihre Architektur ein Anliegen ist. Aber die waren nicht befasst. Und sie haben es auch nicht verhindert. Für die ist der Prater „exterritoriales Gebiet“.

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, um den Alptraum zu beschreiben. Etwas so Grausiges hat es in der Stadt zumindest in den letzten 50 Jahren nicht gegeben. Der neue Platz – laut Rathauskorrespondenz vergleichbar dem Michaelerplatz (!), weil er auch 60 Meter Durchmesser hat – wird von einer Kulissenarchitektur gesäumt, die einfach vollkommen jenseitig ist. In eineraktuellen Aussendung des Praterverbands heißt es: „Sogar die Befürworter der ,Pseudonostalgie‘ haben teilweise nun ihre Zweifel in Anbetracht der Umsetzung.“

Es geht um immerhin 16.000 Quadratmeter Nutzfläche. Sie werden zwischen Stahlbetonmauern, aber hinter angepinselten, vollgeklebten, läppisch dekorierten Fassaden (etwa gemalte Fenster, in die echte eingeschnitten sind, oder eine gemalte Straßenbahn hinter einer gemalten Otto-Wagner-Geländer-Adaption), Serviceeinrichtungen à la Schließfächer, Information und Sanitäreinrichtungen enthalten, diverse Shops,„anspruchsvolle“ Gastronomie mit „Wiener Touch“, angeblich auch allerlei Attraktionen (irgendwo ist von einem Liliput-Zimmer die Rede). In einer zweiten Etappe im Herbst wird auch eine Art Mammut-Disco (Wien um 1900?) eröffnet. Nett, was die Rathauskorrespondenz dazu sagt: „Der Zutritt wird ausschließlich gepflegt erscheinenden Personen über 18 Jahren gewährt werden.“

Es kommt der Tag, an dem der Riesenradplatz samt seiner Bebauung umgetauft werden wird: in „Grete-Laska-Memorial“ – mit einem Schild über dem Opferstock zur Finanzierung des Abrisses. Darauf steht: „Schimt Kliele Schokoschka“.

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